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Wer kennt nicht Ferrys berühmten »Waldläufer«, und wer erinnert sich nicht jener unvergleichlich spannenden Szene gleich zu Beginn des Romans, da die unerfahrene, ängstliche Goldsucherschar bei ihrer ersten nächtlichen Rast unweit einer Wasserstelle von einem Jaguarpaare heimgesucht wird? Immer näher kommt das erregte Gebrüll der dürstenden Bestien, die zur gewohnten Tränke wollen und doch durch das Lagerfeuer daran verhindert sind, immer gewaltiger dröhnt es durch die Stille der Nacht. Das ist überaus packend geschildert, nur stimmt es leider nicht: der Jaguar »brüllt« nicht. Es ist hier mit dem Jaguar dem Franzosen Ferry ähnlich ergangen wie dem Deutschen Freiligrath mit der Giraffe (s. S. 236). Beide haben nicht die rechten Gewährsmänner für ihre Schilderung gehabt. Zwar hat kein Geringerer als unser Alexander v. Humboldt mehrfach vom Brüllen des Jaguars gesprochen; aber keiner der neueren Südamerikaforscher weiß davon zu berichten. Ja, der etwas respektlose Karl v. d. Steinen schreibt sogar einmal: Nachts »brüllte der Jaguar«, d. h. vom jenseitigen Ufer erklang unausgesetzt ein ziemlich kläglicher Katzen-, fast Unkenton, und aufgefordert, sich zu der Frage ausführlicher zu äußern, fügte er hinzu: Wie das Auge, das sich vergebens nach Farbenpracht und Blütenfülle umschaut, am Tage zu kurz kommt, so wird zur Nachtzeit das Ohr elendiglich um die in Aussicht gestellten Genüsse betrogen, wenn es mit gespannter Aufmerksamkeit darauf lauscht, daß nun »der Urwald lebendig werde«, ja, und vor allem, daß endlich einmal der Humboldtsche Jaguar brülle. Wir haben den Jaguar nicht sehr oft gehört; von Brüllen war niemals die Rede. Die Töne, die der höchsten Erregung zu entsprechen schienen, ließen sich höchstens als ein lautes, grimmiges und meinetwegen unheimliches Knurren bezeichnen. Unsre Leute haben sich in einer Nacht gewaltig darüber gestritten, ob ein lautes, klagendes Knurren dem Sokkoboi, einem reiherähnlichen Vogel, oder dem Jaguar entstamme. Mein Vetter hat in seinem Tagebuch von dem Jaguar an einer Stelle vermerkt: »Hao, hao, hao, hao-e-o, wie einer, der an starken Leibschmerzen leidet« – nun, das ist weniger poetisch, aber für unsre Frage charakteristisch; denn es entspricht bestenfalls dem Wehgeheul einer verliebten oder hungrigen Katze, aber nicht einem Gebrüll …
Der Jâguar ( Fçlis ?nza) – das der Sprache der Guaranî-Indianer in Paraguay entlehnte Wort heißt eigentlich »Hundskörper« –, die Unze oder Onze, wie das Tier im portugiesisch sprechenden Südamerika genannt wird, ist unter den Katzenraubtieren der Neuen Welt das größte und gefürchtetste, der Schrecken der schlecht bewaffneten Urwaldindianer. Vom Leoparden, dem er in der Färbung etwas ähnelt, unterscheidet sich der Jaguar dadurch, daß seine Körperverhältnisse andre, der Leib massiger, gedrungener, plumper, kürzer ist und auch die Gliedmaßen gleichsam zu kurz erscheinen. Ein »Hängebauch« trägt zu diesem Eindruck das Seine bei. Zell sagt ganz treffend: der Jaguar sieht wie ein kleiner, plumper Tiger aus, der statt der Längsstreifen Flecken hat, und urteilt, man habe das Gefühl, er sei, wie alle Säugetiere Südamerikas, »noch nicht ganz fertig«. Von der Schnauzenspitze bis zur Schwanzwurzel maß Rengger bei einem erwachsenen Exemplar 1,45 Meter bei einer Schwanzlänge von 68 Zentimeter und einer Schulterhöhe von etwa 80 Zentimeter; der Jaguar soll aber auch noch größer werden können. Kopf, Gebiß und Pranken sind die der Katzenraubtiere. Der kurze, dichte, glänzende Pelz zeigt als Grundfärbung ein rötliches Gelb, das an Kehle, Brust und Bauch, an den Innenseiten der Beine, am Kinn und im Ohrinnern einem seidigen Weiß Platz macht. Auf diesen Grundfarben, die im übrigen mannigfach abändern, sitzen überall kleinere und größere schwarze Tüpfel, Punkte, Striche, Kreise, unregelmäßige Vierecke; die größeren Zeichnungen schließen oft in ihrer Mitte noch einen schwarzen Punkt ein. Am Ende des Schwanzes ordnet sich das Schwarz zu mehreren Ringen an, auf der Innenseite der Beine zeigt es sich manchmal streifig. Wie beim Leoparden kommen auch beim Jaguar gelegentlich Schwärzlinge vor (vgl. S. 104).
Die Lebensgewohnheiten des durch das tropische Amerika verbreiteten, heute nördlich bis zum Red River (südlichster Nebenfluß des Mississippi) vorkommenden Jaguars hat uns Rengger wohl am besten geschildert. Er bewohnt, diesem ausgezeichneten Kenner der Tierwelt Paraguays zufolge, die bewaldeten Ufer der Gewässer, den Saum der Waldungen und das Moorland, wo über anderthalb Meter hohe Gras- und Schilfarten wachsen. Ein bestimmtes Lager hat er nicht, auch gräbt er sich keine Höhlen. Wo ihn die Sonne überrascht, da legt er sich ins Dickicht und verweilt dort den Tag über. In der Morgen- und Abenddämmerung, auch bei hellem Mond- und Sternenschein geht er auf Raub aus, nie aber des Mittags oder bei sehr dunkler Nacht. Seine Nahrung sind alle Tiere, deren er habhaft werden kann. Er beschleicht auch im Schilfe größere Sumpfvögel und weiß Fische sehr gewandt aus dem Wasser zu ziehen. »Ich habe einmal,« schreibt unser Gewährsmann, »einen Jaguar beim Fischfang beobachtet: zusammengekauert saß er an einem Vorsprung des Ufers, unverwandt richtete er seinen Blick aufs Wasser. Plötzlich tat er einen Schlag hinein und warf einen großen Fisch ans Land.« Hat er eine Beute bemerkt, so sucht er sich ihr mit unglaublicher Umsicht und Geduld zu nähern. Wie eine Schlange windet er sich auf dem Boden hin, hält sich dann wieder minutenlang ruhig, sein Opfer zu beobachten. Ist es ihm gelungen, nahe genug heranzukommen, so macht er einen Satz, selten zwei, drückt es zu Boden, reißt ihm den Hals auf und trägt das noch im Todeskampfe sich sträubende Tier im Maule zum Dickicht. Hat er seinen Sprung auf das Wild verfehlt, so geht er sogleich weiter, ohne sich umzublicken. Im Augenblick, da er ein Tier beschleicht, ist seine Aufmerksamkeit so völlig darauf gerichtet, daß er nicht auf das achtet, was um ihn her vorgeht. Den Besiedlern Paraguays wird der Jaguar oft dadurch schädlich, daß er die Viehherden, besonders das junge Hornvieh, Pferde und Maultiere, anfällt. Stiere und erwachsene Ochsen greift er nur selten und in Not an, da diese mutig auf ihn losgehen und ihn verscheuchen. Naht sich der Jaguar einer Rinderherde, so zieht sie sich ins offene Feld zurück, und nur die Stiere und Ochsen bleiben, unter Gebrüll mit den Hörnern und Hufen die Erde aufwerfend, kampflustig in der Nähe des Feindes. Nie tötet der Jaguar mehr als ein Stück Vieh auf einmal. Kann er die Beute nicht sogleich verzehren, so kehrt er des Abends oder am nächsten Morgen zu ihr zurück, frißt zum zweitenmal davon und überläßt den Rest den Geiern. Obschon der Jaguar sehr gut klettert, lauert er doch nie auf Bäumen. Nach Katzenart schärft er seine Krallen gern an weicher Baumrinde, wobei er sich aufrichtet und die Rinde oft in Höhe von zwei Meter völlig zerfetzt. Nicht allzu selten geht der Jaguar auch an Menschen, und mit Vorliebe fällt er Neger oder Mulatten und Indianer an. »Als wir im Jahre 1825 bei hohem Wasserstande in Santa Fé (Hauptstadt von Paraná) landeten,« berichtet Rengger, »erzählte man uns, daß vor wenigen Tagen ein Franziskanermönch, als er eben die Frühmesse lesen wollte, an der Tür der Sakristei von einem Jaguar zerrissen worden sei.« »Kurz bevor ich einmal,« schreibt Erland Nordenskjöld ganz neuerdings, »zu einem Lager der Matako (Indianerstamm im Innern Argentiniens) kam, hatte ein Jaguar einen Indianer vom Lagerfeuer, an dem er mit einigen zwanzig Kameraden lag und schlief, fortgeschleppt und getötet.« Derart vom Jaguar Getötete begraben die Indianer übrigens mit dem Kopf nach unten, »damit sie nicht als Jaguar umgehen können«; denn in den Mythen dieser Indianer spielen in Jaguare verwandelte Menschen eine große Rolle. Der Jaguar ist auch ein vorzüglicher Schwimmer, der große Ströme fast schnurgerade durchquert. Nur gewandte Kahnführer getrauen sich, auf schwimmende Jaguare Jagd zu machen, weil das sich verfolgt sehende oder gar verwundete Tier sich sogleich gegen das Boot wendet. »Gelingt es ihm,« versichert Rengger, »eine Kralle an den Bootsrand zu setzen, so schwingt er sich an Bord und fällt über die Jäger her. Ich war im Jahre 1819 Augenzeuge eines zum Glück nur lächerlichen Auftritts bei solcher Wasserjagd. Ein Jaguar kam vom jenseitigen Ufer des Stromes dahergeschwommen; drei Schiffsleute, Ausländer, sprangen trotz der Warnung eines Paraguayers mit geladener Flinte in ein Boot und ruderten dem Tiere entgegen. In einer Entfernung von ein bis zwei Meter feuerte der Vorderste auf den Jaguar und verwundete ihn. Ehe sich's die Schiffer aber versahen, ergriff der Jaguar den Rand des Bootes und stieg, trotz aller Ruder- und Kolbenschläge, an Bord. Nun blieb den dreien nichts übrig, als ins Wasser zu springen und sich ans Land zu retten. Der Jaguar setzte sich im Boote nieder und ließ sich wohlgemut stromabwärts treiben, bis er, von einigen andern Jägern verfolgt, seinerseits ins Wasser sprang und das nahe Ufer gewann.«
Für gewöhnlich halten sich Männchen und Weibchen getrennt. Dis Mutter verteidigt die Jungen mit großem Mute; die Neugeborenen schleppt sie, sobald sie sie nicht sicher glaubt, in ein andres Lager. Sind die Jungen zu der Größe eines Hühnerhundes herangewachsen, so gehen sie ihre eigenen Wege.
Die Indianer jagen den Jaguar mit Pfeil und Bogen, indem sie das aufgespürte Tier mit einem wahren Hagel ihrer vergifteten Pfeile überschütten. Die Karajá-Indianer im Innern Brasiliens griffen ehedem den Jaguar mit einer eigenartigen über zwei Meter langen Lanze aus schwerem Palmenholz an. Die Lanzenspitze bestand aus einem derben, zugespitzten Affenknochen. Unmittelbar unter ihr waren am Schaft lange Federbüschel befestigt. Diese Federbüschel, so erzählten die Indianer dem Forscher Fritz Krause, sollten das Tier scheu und unsicher machen, so daß der Indianer im günstigsten Augenblicke den Todesstoß führen konnte. Nach Renggers Angaben jagt man in Paraguay den Jaguar auf folgende Weise: ein guter Schütze in Begleitung von zwei Kameraden, von denen einer mit einer Lanze, der andere mit einer eigentümlichen anderthalb Meter langen, zweizackigen Gabel bewaffnet ist, sucht mit einer Anzahl von Hunden das Tier im Lager auf. Ist es gefunden, so tritt der Schütze in die Mitte und bemüht sich, dem Jaguar einen Schuß in den Kopf oder die Brust beizubringen. Wird der Jaguar dabei nur leicht verwundet und richtet sich, zum Angriff übergehend, auf, so hält ihm der Gabelträger seine Waffe vor, während zugleich der dritte Jäger ihm von der Seite her die Lanze in die Brust stößt. Die Hunde suchen das Tier während des Kampfes niederzureißen, indem sie es beim Schwanze packen. Das Fleisch des Jaguars wird von den Indianern gern gegessen; nach dem Urteil v. d. Steinens, der es kostete, schmeckt es wie fettes Schweinefleisch. Das Fell verwenden die Kolonisten nur zu Fußdecken.