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Das Walroß

Auf den flachen Schollen des Treibeises sonnt sich die Walroßherde. Eines hat den Kopf über die Eiskante gestreckt und schlägt das Eis mit den plumpen Füßen, ein andres erhebt sich auf den kurzen Vorderbeinen und kratzt sich mit dem Hinterfuß am Kopfe. Die meisten liegen in festem Schlafe. So still und so dicht als möglich nähert sich ihnen das Fängerboot. Jetzt stößt der auf einer festen Plattform am Bug des Bootes stehende Harpunierer in eines der schlafenden Tiere seine Harpune, die mehr einem Bootshaken als einer Pfeilspitze gleicht und mit einem Schaft versehen ist, der sich von der Harpune löst, sobald diese das Tier getroffen hat. An der Harpune ist eine dünne, aber feste, zehn Faden (= 18 Meter) lange Leine, die in besonderen Einschnitten am Bordrande des Bootes läuft und mit ihrem Ende an einem durch die Plattform hindurch im Kiel des Bootes fest eingezapften Pfeiler befestigt ist. Wenn nun ein Walroß getroffen ist, so wirft es sich sofort vom Eise herab, und der von dem Geräusch natürlich erweckte Rest der Herde beeilt sich, gleichfalls kopfüber ins Wasser zu stürzen. In hastigem Schwimmen taucht das Tier alsbald unter, die mit dem einen Ende am Boot befestigte Leine läuft ab, es raucht um den Einschnitt in der Bootskante, oft brechen auch Stücke davon los, und der Bug des Bootes wird tief ins Wasser gedrückt. Drei Ruderer Hallen es mit allen Kräften zurück; aber trotzdem braust es dahin, von der gewaltigen Muskel- und Knochenmaschine gezogen. Nun erscheint der breite Rücken des Tieres wieder über dem Wasser, eine blutige Spur folgt ihm, auch das Fahrwasser des Bootes ist gerötet. Das Walroß erhebt den Kopf aus dem Meer, um Atem zu holen, dreht sich um und stiert seine Verfolger mit den großen, roten, hervorquellenden Augen an, die wie glühende Kohlen leuchten. Dann peitscht es die Flut mit den Hinterfüßen und verschwindet in der Tiefe, um nach wenigen Augenblicken wieder aufzutauchen. Seine Herdengenossen, anfangs verdutzt, eilen zu seiner Hilfe herbei, sammeln sich rings um das Boot in Scharen von zehn bis dreißig Köpfen und erheben ihre schreckenerregenden Blicke unter lautem Gebrüll gegen die Friedensstörer. Jetzt erfordert die Jagd die ganze Aufmerksamkeit und Geistesgegenwart des Jägers. Ist der Harpunierer gut ausgerüstet, so wirft und trifft er, solange Harpunen und Leinen ausreichen, den einen Zuschauer nach dem andern und fesselt ihn an sein Boot. Oft muß dieses dann die Kraftanstrengung von zehn und mehr der Kolosse aushalten, die nach allen Richtungen auseinanderstieben. Stück für Stück werden die ermatteten Gefesselten an das Boot geholt, der Harpunierer faßt seine zweispitzige Lanze, gibt dem Tier damit einen Schlag über den Kopf, damit es sich nach dem Boote hinwende, und senkt dann die mörderische Waffe in seine Brust. Das sterbende Opfer schlägt verzweifelt um sich, das Boot zittert und knarrt in allen Fugen, und das Wasser färbt sich immer mehr mit Blut. Nun folgt dieselbe Szene mit den übrigen Gefangenen. Ist das Tier tot, so schleppt man es auf eine Eisscholle, zieht ihm die Haut mit dem Speck ab, zerteilt es in zwei Stücke und haut den Kopf ab, um die Zähne zu erlangen.

So schildert der schwedische Polarfahrer Torell die Walroßjagd auf Spitzbergen. Nicht immer läuft sie so glücklich für die Jäger ab: gelegentlich greift das verwundete Tier das Boot an. Der dänische Walfänger Ole Hansen erzählt davon: »Im Jahre 1897 kam durch eine Unvorsichtigkeit bei der Jagd in der Nähe von Kong Karlsland die Leine längs des Bootes zu liegen, wodurch dieses kenterte. Ein starker Bulle tötete hierbei vier Mann, wobei er den einen mit beiden Zähnen durch den Rücken stieß. Immer wieder tauchte er auf, um seine Gegner zu vernichten. Zwei Mann suchten sich durch Schwimmen zu retten, wurden von dem rasenden Tiere aber eingeholt und aufgespießt. Der vierte konnte sich auf das Boot retten, der Bulle ruhte aber nicht eher, als bis er das Boot umgeworfen und auch diesen getötet hatte.«

siehe Bildunterschrift

Walrosse

Das gleich dem Seehunde und Seelöwen zu den Flossenfüßern gehörende Walroß ( Tr?chechus rosmârus) ist die »ungeheuerlichste aller Robben«. Ein lächerliches Monstrum, der »Versuch zu einem Tier«, halb Fabelungetüm, halb bärbeißiger Bonhomme, eine Art von komischem Bramarbas in seinem Äußern, erreicht es eine Länge von über vier Meter, einen Umfang von drei Meter und darüber und ein Gewicht bis zu sechzig Zentner. Kein Wunder, daß dieses Tier einst zu den seltsamsten Geschichten Anlaß gab. Noch in der Mitte des 16. Jahrhunderts erzählt ein polnischer Gelehrter Mathias Machowius von ihm als einem »Morß« genannten »Fisch« des Eismeers, der mit Hilfe seiner Zähne auf die Berge klettere und sich dann von ihnen hinabstürze, um – zu fliegen! Das Wort »Walroß« ist holländischen Ursprungs, und der erste Europäer, der das Tier im Jahre 870 lebend sah, der Norweger Other, nannte es ebenso » horshvælum«, d. h. Pferdewal, obschon die riesige Robbe in nichts weder an ein Pferd, noch an einen Wal erinnert. Da ist der von den mittelalterlichen Naturhistorikern gebrauchte Name »See-Elefant« weit bezeichnender. Denn das Charakteristischste an der Erscheinung des Walrosses sind zweifellos die beiden zu mächtigen Hauern umgestalteten, in kuglig aufgetriebenen Zahnhöhlen des Oberkiefers steckenden Eckzähne. Diese leicht nach innen gekrümmten Hauer werden beim Männchen bis achtzig Zentimeter und darüber lang und bis drei Kilogramm schwer; beim erwachsenen Weibchen sind sie um ein Drittel etwa kürzer und auch dünner. An sonstigen Zähnen besitzt das erwachsene Tier gewöhnlich nur noch drei Backenzähne in jeder Kieferhälfte: seine Nahrung bilden eben vorwiegend Muscheln, die es mit den Hauern von den Felsen ablöst oder aus dem Meeresschlamme hervorpflügt. Ohne Einkehlung am Halse schießt der verhältnismäßig kleine, runde Kopf aus dem sackartigen Leib hervor. Die ganze Schnauze ist mit einem starrenden Strubbelbart von dicken, in Schachbrettfeldern stehenden Schnurrborsten besetzt, die so das breite, kurze Maul verdecken. Darüber öffnen sich die halbmondförmigen Nasenlöcher. Die »glühenden, spähenden Augen mit ihrem rötlichen Weiß« verleihen dem Gesicht etwas veteranenhaft Würdiges. Die kleinen, muschellosen Ohren liegen ganz hinten am Kopf. Aus dem walzigen Leibe, dessen genarbte, warzige Laut, am Halse und den Schultern dicke Falten bildend, mit spärlichen, kurzen, rötlichbraunen, im Alter immer Heller werdenden Haaren bedeckt ist, hängen wie Lederlappen nach außen und unten die Gliedmaßen herab, in plumpe, breite Flossen auslaufend, an jeder Zehe hinten eine kurze, stumpfe Kralle tragend. Das Walroß macht so, wie Torell sagt, beim ersten Anblick den Eindruck eines Tiers, das sich noch nicht vollkommen zu entwickeln vermochte. »Es ist ein verpupptes Tier mit einem Chaos von unförmlichen Organen und läßt den Gedanken an eine plastisch gegliederte Masse gar nicht aufkommen; es ist gleichsam nur der rohe Block, aus dem der Künstler erst eine Gestalt schaffen soll.«

Auf dem Lande oder Eise sind demgemäß die Bewegungen des Walrosses höchst unbeholfen; es macht mit den Vorderfüßen gewissermaßen bloß den Versuch zu gehen: bald hängt der schlottrige Fuß unter ihm, mit der Rückseite nach unten, bald dreht es ihn nach außen, bald nach innen. Darum sucht sich das unförmliche Geschöpf zum Ruheplatz auch möglichst den Rand der Eisschollen aus, damit es sich leicht wieder in die See rollen kann. Im Wasser schwimmen die Herden meist ein Tier dicht am andern, heben gleichzeitig die Köpfe hoch, schnauben wie die Delphine, daß es weithin zu hören ist, und es bildet sich dann vor ihnen eine kleine Wolke von Atemdunst und Wasserdampf. Die Walrosse halten sich für gewöhnlich nach Geschlechtern getrennt, die Männchen für sich, die Weibchen mit den Jungen; nur die Paarungszeit vereinigt die Tiere am Lande. Das Junge wird bis zum dritten Jahre von der Mutter gesäugt; dann erst sind seine Hauer so lang, daß es die Muscheln vom Grunde abpflügen kann. Die Mutter hat für ihr Junges eine große Liebe. Bei Gefahren ergreift sie es mit dem Vorderfuß, drückt es sich an den Leib, taucht mit ihm unter und kommt mit ihm auf dem Rücken wieder herauf. Wird das Junge zuerst gefangen, so sucht sie es aus dem Boote wieder herauszuholen. Torells Walroßjäger erzählten, daß eine Walroßmutter einmal an Stelle des Jungen den Harpunierer ergriffen und mehrmals untergetaucht habe, bevor sie ihren Irrtum bemerkte.

Das Walroß, heut bereits auch schon stark dezimiert und selbst bei Spitzbergen immer seltener werdend, kommt an den meisten Küsten des Polarmeeres vor. Man kann eine plumpere östliche Form mit längeren Hauern von einer kleineren westlichen Form deutlich unterscheiden: es scheint daher keine größeren Wanderungen zu unternehmen. Des Tranes, der Hauer – aus denen u. a. die Eskimos die meisten ihrer Geräte schnitzen – und nicht zuletzt der Haut wegen, die allein schon bis zu zehn Zentner wiegt und ein vorzügliches Leder für Treibriemen u. dgl. gibt – die Veloziped-Industrie, sagt Kobelt, hat die Nachfrage nach Walroßhäuten kolossal gesteigert –, wird ihm eifrig nachgestellt. Nur in den vereisten Straßen des nordamerikanischen Archipels trifft man noch größere Herden. In der Gefangenschaft sind Walrosse selten gezeigt worden.


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