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10. Eine Frauenmode erschließt die Arktis

An Bord der »Nascopie« in der Hudsonbucht.

Ein Vierteljahrtausend lang hatte die Hudson's Bay Company ihre Handelsposten rund um die Bucht betrieben. Alle diese Posten lagen im südlichen, allenfalls mittleren Teil der Bucht: Rupert- wie Moose Factory, Nelson Port und Fort Churchill. Hier bereits war das Klima so rauh und unwirtlich, daß wenig Lockung bestand, weiter in den Norden zu ziehen.

Die Entdeckung des Nordwestens führte dann dazu, daß die Kompanie auch hier Posten und Forts anlegte, den ganzen Mackenzie hinunter bis an das Eismeer. Da aber der Nordwesten infolge der »Laune der Isotherme« so viel milder ist als das Land an der Hudsonbucht, und hier die Waldgrenze bis an das Eismeer reicht, so drang auch hier die große Pelzhandelskompanie nicht bis in die eigentliche Arktis vor. Arktische Pelztiere blieben – von einigen Ausnahmen abgesehen – unbekannt. Arktische Pelztiere wurden jedenfalls in der zivilisierten Welt nicht getragen.

Weißfuchs

Da gelangte in den ersten Jahren dieses Jahrhunderts ein Weißfuchspelz nach Europa und in die Hände einer Diva. Sie fand, daß er sie wunderbar kleidete. Sie erschien bei einer festlichen Gelegenheit damit, erregte Aufsehen und Bewunderung, und die Polarfuchsmode war gestartet. Es mag auch sein, daß eine der großen Pariser Modefirmen die Möglichkeiten erkannte, die der neue Pelz bot. Jedenfalls entstand kurz vor dem Kriege eine lebhafte Nachfrage nach Weißfüchsen.

Diese Modelaune hatte weitgehende Folgen. In dem Gebiet, das die Hudson's Bay Company und die andern Pelzhandelsgesellschaften bisher mit Hilfe von Trappern und Fallenstellern ausgebeutet hatten, gab es keine Polarfüchse. Es gab sie reichlich in der kanadischen Arktis, aber die war bis jetzt eins der unbekanntesten und unzugänglichsten Gebiete der Erde geblieben. Solange auch Grönland bereits in Verbindung mit Europa stand, erst durch die Normannen, dann durch die dänischen Missionare, so unberührt war die arktische Inselwelt geblieben, die sich nördlich des amerikanischen Kontinents bis zum 83. Grad nördlicher Breite, das heißt, bis in die Höhe der Nordspitze Grönlands ausdehnt.

Zur Zeit, als man die Nordwestliche Durchfahrt suchte, sind diese Gewässer mit ihrem Wirrwarr von Inseln, Buchten und Kanälen zwar von zahlreichen Polarexpeditionen befahren worden, aber gerade das negative Ergebnis all dieser Entdeckungsfahrten und ihre Berichte von der Unwirtlichkeit und Wertlosigkeit der nordkanadischen Arktis trugen das Ihre dazu bei, sie in ihrer Abgeschlossenheit zu erhalten. Später kamen zwei Walfischfänger. Aber sie hielten sich in der Hauptsache in der Davisstraße und der Baffinbucht auf, und überdies hatten die »Waler« kein Interesse an Pelztieren, ganz abgesehen davon, daß die Walfängerei zur Zeit, als die Weißfuchsmode aufkam, bereits ganz in die Antarktis übergesiedelt war, da man im Nördlichen Eismeer den braunen Wal so gut wie ausgerottet hatte.

Nun mit einem Male aber war dieses Gebiet wertvoll geworden, ein Gebiet, in dem sich die Füchse buchstäblich gute Nacht sagen, eben um dieser Füchse willen. Die Hudson's Bay Company war die erste, die die Lage erfaßte. Bereits 1913 gründete sie den ersten arktischen Pelzhandelsposten, und zwar Kap Wolstenholme, am Eingang der Hudsonstraße in die Hudsonbucht. Jahrhundertelang waren die Schiffe der Kompanie, die allsommerlich in die Bucht einliefen, um Lebensmittel zu bringen und Pelze zu holen, an diesem Kap vorbeigefahren, ohne daß jemand auf den Gedanken kam, hier einen Posten anzulegen. Wahrscheinlich hätte man ihn mit Entrüstung und Entsetzen abgelehnt; denn die Hudsonstraße steckt selbst im Sommer noch voll Eis, und lädt nicht dazu ein, sich an ihrer rauhen Küste niederzulassen.

Aber nunmehr war die wirtschaftliche Veranlassung gegeben, und der erste arktische Posten wurde errichtet, dem bald weitere folgten. Bereits im nächsten Jahr wurde eine Station in der Frobischer Bucht aufgetan und im zweiten Kriegsjahr ein Posten in Port Burwell an der Nordspitze Labradors.

Der Verlauf des Krieges unterband die weitere Ausdehnung in die Arktis. Erst kurz nach Friedensschluß drang die Kompanie weiter nach Norden vor, und zwar schob sie sich auf Baffinland nordwärts. 1920 wurde Port Harris gegründet, 1921 Pangnirtung und Ponds Inlet und 1923 Clyde. Damit war die Nordspitze von Baffinland fast erreicht, man war in Gegenden vorgedrungen, die bis dahin Reservat von Polarexpeditionen waren, mit denen sich der Begriff von »Nacht und Eis« verbindet, und in die vorzudringen als die todesmutige Tat eines kühnen Polarforschers galt.

Die große Pelzhandelskompanie machte jedoch kein Aufhebens davon. Ja, es drang von ihren Fahrten – von ihren »Entdeckungen« kann man sagen – nichts an die Öffentlichkeit. Die Gesellschaft hatte keinerlei Interesse daran, das Aufsehen zu erregen, das ihre Fahrten verdienten. Das hätte unter Umständen nur Konkurrenten in ein Gebiet gezogen, das sie jetzt als Monopol besaß. Der erste Geschäftsgrundsatz der Hudson's Bay Company, »das goldene Schweigen«, galt auch für die Arktis. Ebenso war es Geschäftsgrundsatz seit etlichen Jahrhunderten, daß ihre Angestellten, ihre Faktoren und Händler in Wildnis und Einsamkeit zogen und die größten Mühsale und Entbehrungen auf sich nahmen, ohne daß man groß ein Wort darüber verlor.

So kommt es, daß die »Nascopie«, der Eisbrecher der Kompanie, bereits seit einer ganzen Reihe von Jahren alljährlich im Sommer in die Arktis aufbricht, ohne daß man in der breiten Öffentlichkeit etwas davon erfährt.

Sobald die Eisverhältnisse es gestatten, fährt der Eisbrecher los, der die Stationen mit Lebensmitteln und Handelsgütern versorgt, um im Herbst, ehe das Packeis sich zusammenschließt, die Pelze zurückzubringen. Bis jetzt ist er immer heil und pünktlich zurückgekommen, wenn er auch mitunter mit Dynamit vor sich her einen Weg durchs Eis sprengen mußte.

In diesem Jahr handelt es sich freilich um mehr als um eine bloße Handelsfahrt. Die »Nascopie« hat zum erstenmal die wissenschaftliche Arktisexpedition der Kanadischen Regierung an Bord sowie einen Inspektor und mehrere Korporale und Konstabler der Royal Mounted Police. Kanada hat seit einigen Jahren die arktische Inselwelt, die dem Dominium vorgelagert ist, praktisch in Besitz genommen. Es hat im hohen, richtiger gesagt, im höchsten Norden, Polizeistationen eingerichtet, um möglichen Annexionsgelüsten fremder Mächte entgegenzutreten. Die Polizeiposten, die dort oben mutterseelenallein im ewigen Eis sitzen, in Gegenden, in denen nicht einmal Eskimos mehr leben, weil dort die Polarnacht zu lange ist, sollen bedeuten »ich bin schon da!«, falls eine andere Macht Gelüste im Eisland hat. Seit der Geschichte mit den Weißfüchsen kann man nicht wissen, welche Werte noch in ihm stecken.

Infolge der wissenschaftlichen Expedition und der Regierungskommission ist diesmal die Polarfahrt der »Nascopie« nicht mehr so im Aschenbrödeldunkel vor sich gegangen, und auf diese Weise habe ich von ihr Wind bekommen. Da infolge der Mitfahrt der Regierungsbeamten und Wissenschaftler die Hudson's Bay Company doch nicht mehr so unter sich ist wie sonst und der Grundsatz des »goldenen Schweigens« doch nicht gewahrt wird, so hatte die Kompanie nichts dagegen, gegen entsprechende Bezahlung Passagiere mitzunehmen, zumal die Zeiten schlecht sind und selbst die Hudson's Bay Company sparen muß. Auf diese Weise sind wir in die Arktis gekommen.


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