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Kap Dorset (Baffinland).
Unser erster, so überaus günstiger Tauschhandel – ein Eisbärfell für eine Pfeife Tabak – machte uns Geschmack auf mehr. Ursprünglich hatte ich nicht daran gedacht, Felle und andere Andenken aus der Arktis mit nach Hause zu nehmen. Wir haben derlei aus der ganzen Welt fast mehr als wir unterbringen können. Aber jetzt packte uns ein wilder Eifer, und so wühlten wir unsere Sachen nach geeigneten Tauschobjekten durch.
Es traf sich günstig, daß mit uns zahlreiche Eskimoboote Kap Dorset zustrebten, unserm nächsten Ziele. Wie wir in die Bucht eindampften, passierten wir zwei Segler, und weitere zeigten sich am Horizont. Die Ankunft des Dampfers ist das eine große Ereignis im Leben der Eskimos an der Hudsonstraße und auf Baffinland. Sie kommen dazu von weit her, nicht um Handel zu treiben – ihre Felle sind in dem Hudson's-Bay-Company-Posten längst gegen Waren eingetauscht –, sondern nur, um das große Schiff und die vielen weißen Menschen zu sehen. Es ist gewissermaßen ihr Neujahr in dem mit seinen Sommer- und Winterwanderungen jahreszeitenmäßig streng geregelten Ablauf des Eskimojahres.
Die beiden Fahrzeuge waren große, offene Walboote, wie die Eskimos sie heute allgemein benützen an Stelle ihrer früheren Umiaks, der Finnenboote. Wie das Umiak dient das Walboot nicht für die Jagd, sondern zum Transport, und zwar der ganzen Familie einschließlich des gesamten Hausrates. Der Eskimo reist grundsätzlich mit Kind und Kegel, mit Sack und Pack. Die den einsamen Polizeistationen im höchsten Norden zugeteilten Eskimos haben alle ihre Frauen und Kinder mit, und oft genug hatten Eskimos, die Polarfahrer auf weite Entdeckungsfahrten begleiteten, ihre Familien dabei. In den Augen der Eskimos war also meine Arktisreise mit Kind und Kegel durchaus nichts Ungewöhnliches, sondern eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ungewöhnlich wurde sie nur dadurch, daß sie derartiges vom weißen Mann nicht kennen. Mein Reisekamerad und insbesondere Ralph erregten daher ihre brennende Neugierde.
In jedem Walboot saß eine Familie, allerdings eine ungewöhnlich große, da ja Großvater und Großmutter und was alles sonst dazu gehört, selbstverständlich mitreisen. Nicht zu vergessen die Hunde, die auch zur Eskimofamilie gehören, und zwar als ein untrennbarer und unentbehrlicher Bestandteil. Die Hunde kommen überall mit, genau wie Frau und Kinder.
Der Boden beider Boote war vollgepackt mit Fellen, Hunden und Kindern. Da lagen sie neben-, auf- und übereinander, daß sich beim besten Willen nicht erkennen ließ, was Hund und was Fell war, wo ein Zweibeiner aufhörte und ein Vierbeiner anfing.
Bis wir Anker geworfen hatten und im Motorboot saßen, waren auch die beiden Eskimosegler gelandet. Da die Küste sehr flach war, liefen sie ein gut Stück vom Ufer entfernt aus den Strand auf. Als erstes wurden die Hunde ausgeladen. Es sah wunderhübsch aus, wie die großen Tiere, einem Rudel Wölfe gleich, ins Wasser sprangen. Die Jungen waren ganz augenscheinlich wasserscheu, was man ihnen angesichts der Temperatur durchaus nicht übelnehmen kann. Aber es half ihnen nichts, unter lautem Gewinsel wurden sie eins nach dem andern ins Wasser geworfen.
Dann wurden die Alten und die Kinder ans Ufer getragen, die ersteren sogar huckepack auf dem Rücken der Männer. Dann folgte der gesamte Hausrat, Pelze und Felldecken, Zeltplanen, Zeltstangen, Kessel, Pfannen, Gewehre und Harpunen und vor allem große Vorräte von rohem Fleisch und Fisch für Mensch und Hund. Alles war eifrig dabei, die Sachen auf einen erhöhten Platz am Ufer zu schleppen, sogar die kleinen Kinder kamen mit Packen daher, die sie mit der Miene eines Bürgermeisters, der ein Denkmal einweiht, ernst und eifrig hinter sich herschleiften.
Als alles herüber war, fingen die Frauen an, die Zelte aufzustellen, während die Männer die seitwärts auf den Walbooten mitgeführten Kajaks zu Wasser ließen. Das Zeltaufstellen ging geradezu unglaublich schnell. Im Handumdrehen waren die Zeltstangen mit Riemen zusammengebunden, die Planen darüber gestreift und die Zeltleinen mit schweren Steinen gespannt. So rasch ging alles, daß ich kaum dazu kam, ein paar Aufnahmen zu machen.
Voll Staunen sahen wir zu, und Neid erfaßte uns, wenn wir daran dachten, wie lange unsere Schwarzen in Afrika gebraucht hatten, die Zelte aufzustellen, und mit welchem Geschrei und welcher Aufregung das Lagerschlagen stets vor sich ging. Hier fiel kein Wort, jeder wußte, was er zu tun hatte, und eins, zwei, drei stand das Lager. – Wir beschlossen, einige Eskimos mitzunehmen, falls wir Afrika noch einmal durchqueren sollten.
Sobald die Zelte standen, wurde der Hausrat herangeschleppt. Als wir das erste besuchten, war im Hintergrund schon das Fellager ausgebreitet, brannte die Tranlampe und verbreitete eine behagliche Wärme.
Solange die Eskimos ihr Lager schlugen, hatten sie natürlich keine Zeit für Handelsgeschäfte. Dann gingen alle, erst noch einmal das Schiff anzusehen; die Männer begaben sich an den Landeplatz der Schiffsboote, um beim Ausladen der Waren für den Handelsposten behilflich zu sein.
Inzwischen suchten wir uns mit den Frauen zu verständigen. Das war nicht so einfach; denn wir hatten einen großen Plan. Wir wollten einen Seehundsfellanzug für Ralph, und zwar wollten wir einen neu angefertigt haben; denn ein bereits getragener schien uns doch zu gefährlich. Wir brauchten alle, vor allem aber Ralph, eine wärmere Ausrüstung, nachdem es hier bereits viel kälter war, als wir erwartet hatten. Nun haben wir ja reichlich Erfahrung im Verständigen mit Eingeborenen durch Zeichensprache. Aber dies hier war doch ein schwieriger Fall. Wir wären wahrscheinlich nicht ans Ziel gelangt, wäre uns nicht der nette Korporal der Mounted Police aus Lake Harbour zu Hilfe gekommen. Er sprach fließend eskimoisch, und mit seiner Hilfe war der Handel bald abgeschlossen. Eine der Frauen versprach bis zum nächsten Tag einen vollständigen Fellanzug für Ralph zu nähen.
Wir waren einigermaßen gespannt auf den Preis. Die Eskimofrau hatte während der Unterredung mit dem Korporal immer wieder auf Ralph gedeutet, und nun übermittelte uns dieser, daß ihr die weitaus liebste Bezahlung das eine oder andere Kleidungsstück von Ralph wäre. Europäische Männerkleider hatte dieser oder jener wohl schon eingehandelt, aber europäische Kinderkleidung, nein, das war noch nicht in die Arktis gekommen. Während der Korporal uns dolmetschte, nickte die Frau, blickte strahlend auf Ralph und wieder auf ihren ungefähr gleichaltrigen Jungen.
»Irgendein altes Stück, das Sie nicht mehr brauchen können, tut es«, meinte der Sergeant.
In der Arktis ist augenscheinlich die Zeit stehengeblieben, und seit den Tagen meines Vorfahren John Roß, der vor genau hundert Jahren auf der Suche nach der Nordwest-Passage die kanadische Arktis befuhr, hat sich kaum etwas geändert. John Roß schreibt auch davon, wie sie Anzüge aus Seehundsfell gegen alte Hemden und Hosen und einen Posten Felle für einen Faßreifen tauschen.
Für uns war jedoch die Frage der Beschaffung des Tauschgegenstandes schwierig. Daran hatte ich nicht gedacht, in der Arktis einen Handel mit alten Kleidern zu eröffnen. Ralph hatte nur mit, was er brauchte, nur einen alten Trenchcoat hatte er übrig. Er war ihm zu klein und so schlecht, daß er eigentlich nur aus Versehen mitgekommen war und wir schon beschlossen hatten, ihn über Bord zu werfen. Da wir nichts anderes hatten, brachten wir ihn an und erregten geradezu wilde Begeisterung.
Pünktlich am nächsten Tage wurde der Anzug von unserer Arktisschneiderin geliefert. Er war ein wenig klein geraten, paßte aber gerade noch. Da uns der Handel zu schäbig schien, legten wir noch ein tadelloses Hemd und ein Paar Wollstrümpfe zu. Wir hätten dies nicht tun sollen, denn die Frau war noch nicht lange zurück, als eine ganze Reihe von Booten eiligst auf unser Schiff zusteuerte. Ein Haufen Eskimojungen, von den Eltern begleitet, tobte die Gangway hinauf. Sie zeigten auf ihre Fellkleidung und auf Ralphs Mantel und suchten uns klarzumachen, daß sie alle zu dem gleichen Handel bereit und geneigt wären, sich für ein altes europäisches Kleidungsstück gewissermaßen das Fell vom Leibe ziehen zu lassen.
Wir mußten sie leider alle enttäuschen; denn bedauerlicherweise hatten wir keine sonstigen überflüssigen Kleider mehr mit. Es war wirklich schade; denn andernfalls hätten wir unsere sämtlichen Neffen und Nichten und Ralph seine Schulkameraden und Freunde nach unserer Rückkehr in Seehundsfell einkleiden können.