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16. Die drei Kreuze von Wolstenholme

Southampton.

Kap Wolstenholme liegt am Südwesteingang der Hudsonbucht. Es ist bereits im Logbuch Henry Hudsons, des Entdeckers der Bucht, erwähnt, und hier gründete die Hudson's Bay Company ihren ersten arktischen Posten. Seitdem hat sich Wolstenholme aber nicht sehr entwickelt. Es besteht immer noch lediglich aus den drei Häusern des Postens.

Diese Dreiteilung wird von der Kompanie in der ganzen Arktis genau gewahrt. Ein Gebäude, das mittlere, ist der Laden, eins das Wohnhaus und das dritte das Magazin. Alle drei liegen hübsch weit auseinander. Das scheint wenig praktisch und reichlich unbequem, vor allem im Winter, wenn der Postmanager oder sein Clerk jedesmal in Kälte und Wind hinaus müssen, wenn Eskimos mit Fellen kommen oder Waren einhandeln wollen. Aber es ist eine weise Vorsichtsmaßregel im Falle von Feuersgefahr. Feuer ist ja hier eine ganz andere Katastrophe als anderswo. Brennt ein Posten völlig nieder, so heißt das so gut wie unausbleiblich Untergang. Dabei ist die Gefahr nicht klein, da alle Gebäude aus Holz und im Winter naturgemäß überheizt sind. Laden und Magazin sind natürlich nie geheizt, und es ist ein zweifelhaftes Vergnügen für die Hudsonbai-Kompanie-Leute, im strengen Winter ihre Kunden zu bedienen, die in schweren Pelzen in den Laden kommen. »Manchmal braucht es eine ganze Weile, bis man die Hände so weit wieder erwärmt hat, daß man weiter arbeiten kann«, erzählt mir der Leiter des Postens.

Er ist ein junger, frischer Mensch, der jetzt fünf Jahre Dienst in der Arktis hinter sich hat und mit uns fährt, um ein Jahr in seine schottische Heimat auf Urlaub zu gehen. Er ist jetzt Jahre in Wolstenholme gewesen, mutterseelenallein. Der Posten ist zu klein, um dem Verwalter einen Gehilfen beizugeben. Andere Weiße aber gibt es hier nicht, in der Regel auch keine Eingeborenen. Die jetzt in ihren Zelten am Strand hausen, sind nur zur Ankunft des Schiffes hierher gekommen. Ihre sommerlichen wie ihre winterlichen Lagerplätze liegen ein gutes Stück vom Posten entfernt. Sie kommen hierher nur, um Pelze abzuliefern und Waren einzuhandeln. Auch das gehört zu der Eingeborenenpolitik der Kompanie. Die Eskimos sollen die Waren eintauschen, die sie benötigen, im übrigen aber mit der Zivilisation so wenig wie möglich in Berührung kommen. Das ist eine alte Erfahrung, die schon bei den Indianern gemacht wurde: »Zu viel Zivilisation schwächt und schädigt die Tätigkeit eines Pelztierjägers und Fallenstellers.«

Der Postmanager in Wolstenholme ist als blutjunger Mensch in den Dienst der Kompanie getreten, direkt von der Schulbank weg. Auch das gehört zu ihren Grundsätzen. Sie holt sich ihre Leute jung und erzieht sie sich, so daß sie nichts kennen als die drei Buchstaben H. B. C. auf der stolzen Kompanieflagge, die über jedem Posten flattert, daß die Kompanie für sie Ehre, Leben und Familie bedeutet, wenigstens für die in der Arktis. Die stehen heute auf dem gleichen exponierten und verantwortlichen Posten wie die ersten »Faktoren« auf den Indianerforts an der Hudsonbucht. In der Arktis wiederholt sich die Geschichte der Kompanie gerade noch einmal, und in lebendiger Anschaulichkeit erleben wir auf dieser Reise ihre große Anfangszeit.

Fast der gesamte Nachwuchs der Kompanie stammt aus Schottland, und zwar hauptsächlich aus Inverneß. Ich kenne die Gegend. Meine Vorfahren stammen selbst von dort. Es ist ein karges, rauhes Land: zerklüftete Klippen, gegen die jahraus, jahrein wilde Brandung stürmt, moorige Heide, über die gespenstische Nebel wehen, viel Regen, viel Sturm, viel Kälte und Nässe. Es ist eine gute Vorschule für die Arktis. Aber wenn einmal die Sonne scheint, ist es dort wunderbar wie in der Arktis auch.

Der Posten Wolstenholme liegt am Ende einer schmalen, von hohen Felsen eingeschlossenen Bucht. Sie scheint wunderbar, aber sie ist gerade gegen Nordwesten zu offen, von wo die bösen Stürme kommen. Heute jedoch war es ein klarer Tag, und die Bucht lag blau und still wie eine des Mittelmeeres.

Ein krystallklarer Fluß, der voll Lachsforellen ist, mündete bei dem Posten in die Bucht. An seinem Ufer lag ein Friedhof. Eine Reihe von runden Tafeln steckt in ihm, wie man sie in jüdischen Friedhöfen antrifft, Eskimonamen standen auf diesen Tafeln, Marsei, Napatse, Améako und die Daten des Todestages. In Wolstenholme ist nie eine Mission gewesen, und die Eskimos sind hier noch Heiden.

Außerdem standen drei Kreuze auf dem Friedhof, eins für eine Frau, die beiden andern für zwei Männer. Als wir die Daten verglichen, sahen wir, daß die zwei Männer an dem gleichen Tage gestorben waren, vierzehn Tage nach dem Tod der Frau. Das sah nach einer Tragödie aus, die sich hier, in der weltverlorenen Einsamkeit, abgespielt haben mochte.

Aber die Sonne schien so strahlend herunter, daß man sich kaum vorstellen konnte, wie dieser sonnige, freundliche Platz, und zwar schon bald, unter eisiger Kälte begraben sein wird. Wir klettern langsam den Felsen hinauf. Moose und Flechten wurzelten zwischen den Steinen, scheue weiße und lila Blumen und ungezählte Blaubeeren.

Als wir oben auf der Klippe standen und weithin über Bucht und Meer blickten, sahen wir, daß unser Kutter inzwischen zum Schiff zurückgekehrt war. Wir eilten hinunter und veranlaßten einen der Eskimos, uns in seinem Walboot zum Dampfer zu segeln.

Es dauerte eine Weile, bis wir es flott hatten. Inzwischen kam eine scharfe Brise auf, und wir hatten einige Mühe, ins Boot und vom Ufer fortzukommen. Später aber drehte der Wind, und wir sausten am Winde in voller Fahrt auf die »Nascopie« zu, daß uns die Spritzer ins Boot schlugen und von Kopf bis Fuß durchnäßten.

Es sah aus, als wolle der Eskimo das Schiff rammen. Ich dachte natürlich, es würde im letzten Augenblick beidrehen und in den Wind schießen. Ich wußte damals noch nicht, daß die Walboote der Eskimos so schlechte Segler sind und daß die Segeltechnik der arktischen Eingeborenen darin besteht, vor dem Winde oder am Wind ihr Ziel anzusteuern. Sie lassen lediglich rechtzeitig das Segel herunter. Das erwarteten die Eskimos von mir, während ich, als der Zusammenstoß unvermeidlich schien, nach hinten sprang, um das Steuer herumzureißen. Zu spät; wir rannten in voller Fahrt gegen die Eisenwand der »Nascopie«. Der Mast brach, das Segel klatschte ins Wasser, Ralph schlug der Länge nach hin in das voll Wasser stehende Boot.

»Sie haben Glück gehabt«, sagte der junge Hudsonbai-Mann nachher zu uns, als die ganze Bucht voll kurzer, zorniger Wellen stand, »bei solch plötzlich aufkommenden Sturm ist mein Vorgänger ertrunken.«

»Dem gehört eins der drei Kreuze im Friedhof«, war meine Antwort.

Der Schotte nickte: »Ja und das andere seinem Clerk. Die ›Nascopie‹ lag im Hafen wie heute, und plötzlich kam Sturm auf wie heute. Der Manager segelte hinaus. Niemand wußte warum. Sein Clerk wollte ihn nicht im Stiche lassen und fuhr ihm nach. Beide ertranken.«

»Und die Frau des Managers war vierzehn Tage vorher gestorben?«

»Ja, im Kindbett. Unglückseligerweise kam das Kind vierzehn Tage vor Ankunft des Schiffes. So war die Frau ohne jede Hilfe. Sie muß elend zugrunde gegangen sein, und der Mann konnte ihr nicht helfen!«

»Und da ist er ...«, ich vollendete diesen Satz nicht.

»Ja«, nickte der andere. »Er hat damit gewartet, bis der Dampfer eintraf und er für das letzte Jahr Rechnung abgelegt hatte.«

»Und sein Clerk fuhr ihm nach!«

»Ja, jeder von uns hätte das getan.«

Der Steward ruft zum Abendessen. Wir gehen unter Deck. Draußen fegt ein eisiger Wind über die Bucht.


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