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Im letztvergangenen Jahr fünfzig machte sich in Gesellschaft vieler achtbarer Leute aus Noyon, Campiègne und den benachbarten Orten der Küster eines Dorfes in der Diözese Noyon auf den Weg, um den Ablaß zu Rom, den ja jedermann kennt, zu erlangen und zu gewinnen. Doch vor seiner Abfahrt traf er gut und sicher alle seine Maßregeln, vor allem bezüglich seiner Frau und seiner Wirtschaft, und übertrug das Küsteramt einem schmucken Geistlichen, der sich dessen bis zu seiner Heimkehr annehmen sollte.
In ziemlich kurzer Zeit kamen er und seine Gesellschaft nach Rom, und sie verrichteten dort ihre Andacht und Gebete, so gut sie konnten. Nun müßt ihr wissen, daß unser Küster zufällig in Rom einen seiner Schulgenossen aus vergangenen Tagen fand, der im Dienst eines großen Kardinals stand und sich großen Einflusses erfreute; der war sehr erfreut, ihn gefunden zu haben, weil er ihn so genau kannte, und fragte ihn nach seinem Befinden. Und der andere erzählte ihm von Anfang an ganz ausführlich, wie er, ach! verheiratet sei, wieviel Kinder er habe und daß er Küster an einer Pfarrkirche sei.
»Ach«, rief sein Freund, »lieber Gott, tut mir das leid, daß Ihr verheiratet seid!«
»Warum?« fragte der andere.
»Ich will's Euch sagen«, entgegnete er, »der und der Kardinal hat mich ausdrücklich beauftragt, für ihn einen Diener aus unserer Gegend zu suchen, der sein Notar werden soll. Und Ihr könnt glauben, das wäre das rechte Amt für Euch, da wäre Euch schnell und ordentlich geholfen, doch nun seid Ihr verheiratet und müßt wieder heim und verdient vielleicht hier mehr, als Ihr dort je erlangen werdet.«
»Meiner Treu«, versetzte der Küster, »meine Heirat macht da nichts, lieber Freund, denn ich bin, um Euch die Wahrheit zu sagen, nur unter dem Vorwand, mir den Ablaß hier holen zu wollen, aus unserm Land gegangen. Doch glaubt nicht, daß das mein Hauptziel gewesen ist, denn ich habe beschlossen, zwei oder drei Jahre durch die Lande zu streichen, und wollte Gott währenddessen meine Frau zu sich nehmen, so wäre das mein größtes Glück. Und deshalb bitte ich Euch, verwendet Euch für mich bei diesem Kardinal, daß ich in seine Dienste komme. Ich will mich wahrlich so aufführen, daß Ihr Euch meiner nie zu schämen haben sollt. Wenn Ihr das tut, so werdet Ihr mir den größten Dienst erweisen, den je ein Freund dem andern erwies.«
»Da lhr diesen Wunsch habt«, entgegnete sein Freund, »so will ich Euch noch in dieser Stunde behilflich sein und Euch unterbringen, so daß es nur an Euch liegen wird, wenn es Euch nicht gut geht!«
»Ich danke Euch, mein Freund!« versetzte der andere.
Um es kurz zu machen, unser Küster ward bei diesem Kardinal untergebracht. Er teilte alles seiner Frau mit und setzte sie auch von seiner Absicht in Kenntnis, nicht so bald, wie er ihr beim Abschied gesagt hatte, heimzukommen. Sie tröstete sich und schrieb ihm wieder, sie würde es tragen, so gut sie könnte.
Im Dienste dieses Kardinals blieb und hielt sich unser guter Küster wacker und hatte nach einiger Zeit seinen Herrn ganz für sich gewonnen, der es nicht wenig bedauerte, daß er keine Benefizien empfangen konnte (weil er verheiratet war), denn er hätte sie ihm in reichem Maß zuteil werden lassen.
Während unser Küster, wie erwähnt, in solcher Gunst stand, schied der Pfarrer seines Dorfes aus dem Leben, und sein Amt, das der Papst zu vergeben hatte, ward frei. Deshalb dachte sich der Küster, der die Stelle seines in Rom weilenden Genossen vertrat, er wolle so schnell als möglich nach Rom gehen und mit Hilfe seines Gefährten diese Pfarre zu erhalten suchen. Er schlief nicht und eilte so, daß er sich in wenigen Tagen nach manchen Mühen und Beschwerden in Rom befand, und ruhte nicht eher, als bis er seinen Genossen, den dem Kardinal dienenden Küster, gefunden hatte.
Nach großen beiderseitigen Freudenäußerungen ob des Wiederfindens fragte der Küster nach seiner Frau, und der andere antwortete ihm, um ihm eine herzliche Freude zu machen und in der Hoffnung, sein Anliegen bei ihm werde um so schneller gefördert werden, sie sei tot. Das war erlogen, und ich glaube, daß sie zu dieser Stunde recht wacker auf ihren Mann schalt.
»Ihr sagt also, meine Frau ist tot«, erwiderte der Küster, »dann bitte ich Gott, er möge ihr ihre Sünden vergeben!«
»Ja, wahrhaftig«, versetzte der andre, »die Pest im vergangenen Jahr hat sie neben vielen anderen hinweggerafft.«
Er fand diese Lüge, die er schwer büßen sollte, weil er wußte, der Küster war aus dem Lande ob seiner wenig verträglichen Frau gegangen und er könnte ihm keine freudigere Nachricht als die von ihrem Tode bringen. Und in Wirklichkeit war es auch so, doch der Bericht war erlogen.
»Und was führt Euch in dies Land?« fragte er nach langer und mannigfacher Unterhaltung.
»Ich will es Euch sagen, lieber Genosse und Freund. Der Pfarrer in unserer Stadt ist nämlich gestorben, nun komme ich zu Euch, um durch Eure freundliche Fürsprache sein Amt zu erlangen. Und ich bitte Euch herzlich, Ihr wollet mir dabei helfen. Ich weiß wohl, daß Ihr es mir mit Hilfe Eures Herrn und Meisters verschaffen könnt.«
Als der Küster hörte, seine Frau sei tot und die Pfarre seiner Stadt frei, beschloß er, sich um dieses Amt zu bemühen und um noch andere mehr, wenn er sie erlangen könnte. Er sagte aber nichts zu seinem Genossen, sondern erklärte ihm, es solle nicht an ihm fehlen, daß er Pfarrer in ihrer Stadt würde, wofür er sehr bedankt ward.
Doch es kam ganz anders, denn am andern Tage gab unser Heiliger Vater auf Bitten des Kardinals, des Herrn unseres Küsters, ihm diese Pfarre. Darauf fand sich, als er diese Nachricht erfahren hatte, der Küster bei seinem Genossen ein und sagte ihm: »Ach, lieber Freund, mit Eurer Sache ist es aus, wahrhaftig, und das tut mir recht leid.«
»Und wieso denn?« fragte der andre.
»Die Pfarre unserer Stadt ist schon vergeben«, versetzte er, »doch ich weiß nicht, an wen. Mein gnädiger Herr hätte Euch gern geholfen, aber es lag nicht in seiner Macht, Euer Anliegen zu fördern.«
Wer darüber sehr unzufrieden war, das war der, der so weit hergekommen war, seine Mühe umsonst gehabt und sein Geld vertan hatte, was ihm recht naheging. Daher nahm er von seinem Genossen sehr bekümmert Abschied und kehrte in sein Land zurück, ohne sich der Lüge, die er gesäet hatte, zu rühmen.
Nun wollen wir uns zu unserm Küster wenden, der vergnügter als ein Füllen war ob des Todes seiner Frau und der Pfarre ihrer Stadt, die ihm auf Bitten seines Herrn unser Heiliger Vater als Lohn gegeben hatte. Und wir melden, daß er Priester zu Rom ward und dort seine hochheilige erste Messe sang und dann für eine Zeitlang Abschied von seinem Herrn nahm, um nach seiner Stadt zu reisen und von seiner Pfarre Besitz zu nehmen.
Als er in die Stadt einzog, war die erste Person, der er in seinem Glück begegnete, seine Frau, worüber er, wie ich euch versichere, recht erstaunt war, doch noch viel mehr ärgerlich.
»Wie ist denn das möglich, liebe Freundin?« fragte er. »Man hat mir doch erzählt, Ihr wäret gestorben!«
»Ich habe mich wohl davor gehütet«, versetzte sie. »Ihr sagt es freilich, das glaube ich, weil Ihr es gern so gehabt hättet. Und Ihr habt es mir ja auch recht gut gezeigt, weil Ihr mich fünf Jahr lang mit einem großen Haufen kleiner Kinder allein gelassen habt.«
»Liebe Freundin«, erklärte er, »ich bin sehr froh, Euch wohlauf zu sehen, und danke Gott dafür von ganzem Herzen. Verwünscht sei, wer es mir anders berichtete!«
»So sei's!« entgegnete sie.
»Nun will ich Euch etwas sagen, liebe Freundin, ich kann mich jetzt nicht aufhalten, ich muß schnell in einem dringenden Geschäft zum Herrn von Noyon gehen. Doch will ich so schnell als möglich zu Euch zurückkommen.«
Er schied von seiner Frau und ging nach Noyon, doch Gott weiß, ob er unterwegs an sein Mißgeschick dachte: »Ach!« rief er, »nun bin ich ruiniert und entehrt: Priester, Pfarrer und verheiratet! Ich glaube, ich bin der unglücklichste Mensch in meinem Stande!«
Er kam zum Herrn von Noyon, der sehr erstaunt war, als er von seinem Geschick hörte, aber da er ihm nicht zu raten wußte, schickte er ihn nach Rom zurück. Als er dorthin gekommen war, erzählte er seinem Herrn lang und breit, wie sein Abenteuer wahrheitsgemäß verlaufen war, und der war darob bitterlich bekümmert.
Am nächsten Tag berichtet er unserm Heiligen Vater in Gegenwart des Kardinalskollegs und des ganzen Rats das Abenteuer seines Mannes, den er zum Pfarrer gemacht hatte. Nun ward verordnet, er solle Priester bleiben und verheiratet und Pfarrer ebenfalls. Und er lebte mit seiner Frau wie ein anständig und makellos verheirateter Mann zusammen, und seine Kinder werden legitim und nicht Bastarde sein, obschon der Vater Priester war. Doch wird er, wenn er bei einer andern als bei seiner Frau betroffen wird, sein Benefizium verlieren.
So, wie ihr's gehört habt, war dieser Bursche durch die falsche Nachricht seines Genossen getäuscht und gezwungen, in seinem Amt und was noch viel schlimmer ist, bei seiner Frau zu weilen, deren er sich gern entledigt hätte, wenn es nur die Kirche ihn geheißen hätte.