Anonym (Frankreich)
Die hundert neuen Novellen
Anonym (Frankreich)

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49. Novelle
Der Scharlachflicken auf dem Flanellkleid

Mir ist zu Ohren gekommen, daß in der Stadt Arras ein guter Kaufmann lebte, dem das Unglück begegnete, eine Frau zu heiraten, die nicht zu den besten in der Welt gehörte, denn sie hielt sich nicht zurück, sobald sie einen Mann sah, und war ebensowenig eine treue Frau, wie eine alte Armbrust noch zum Schießen gedient hätte. Der gute Kaufmann wußte genau, wie seine Frau sich aufführte. Es war ihm davon auch durch einige seiner vertrautesten Freunde und Nachbarn Kunde gegeben worden. Darob ward er ganz rasend und fiel in tiefe Schwermut. Er beschloß nachzuforschen, ob er vielleicht infolge eines glücklichen Zufalls Gewißheit über das, was ihm großen Kummer machte, erlangen könnte: nämlich zu seiner Frau in sein Haus einen oder mehrere von der Sorte, die man Stellvertreter nennt, kommen zu sehen. Daher tat er eines Tags, als verließe er das Haus, und versteckte sich in einem Zimmer seiner Wohnung, zu dem er allein den Schlüssel hatte. Von diesem Zimmer konnte man sowohl auf die Straße als auch auf den Hof sehen, und durch einige verborgene Öffnungen und Gitter vermochte er nach mehreren andern Stellen und Zimmern des Hauses zu blicken. Sobald die gute Frau glaubte, ihr Mann habe die Wohnung verlassen, gab sie eilig einem ihrer Freunde Nachricht, er möge sich bei ihr einfinden. Und wie es seine Pflicht war, gehorchte er ihr und folgte der Dienerin, die ihn aufgesucht hatte, auf den Fersen.

Der Mann, der, wie oben gesagt, in seinem Zimmer war, sah sehr wohl seinen Stellvertreter ins Haus kommen; doch er sagte kein Wort, weil er sehen wollte, wie es weiterginge. Als der Liebhaber in der Wohnung war, nahm ihn die Dame bei der Hand und ging mit ihm fröhlich plaudernd in ihr Zimmer, verschloß die Tür, und nun begannen sie sich zu küssen und zu halsen und den herzlichsten Willkomm zu bieten. Und die gute Demoiselle legte ihr Kleid ab und war bald im einfachen Rock, und der gute Gesell schloß sie fest in seine Arme und tat alles, um deswillen er gekommen war. Und der arme Mann sah alles durch ein kleines Gitter. Ihr könnt euch denken, ob es ihm Freude machte. Er stand so nahe bei ihnen, daß er ganz deutlich alles, was sie sprachen, hören konnte. Als der Waffengang zwischen der guten Frau und ihrem Liebhaber beendet war, setzten sie sich auf ein Bett, das im Zimmer stand, und begannen miteinander über mancherlei zu plaudern. Und während der Liebhaber auf seine wunderschöne Dame blickte, begann er sie abermals zu herzen und fragte unter Küssen: »Liebe Freundin, wem gehört dieser schöne Mund?«

»Euch, mein treuer Freund«, entgegnete sie.

»Ich danke Euch«, versetzte er. »Und diese schönen Augen?«

»Ebenfalls Euch«, erklärte sie.

»Und diese reizende, wohlgewölbte Brust, darf ich sie auch mein nennen?« fragte er.

»Bei meiner Seele, ja«, erwiderte sie. »Sie gehört Euch, und keinem andern.« Darauf legte er die Hand auf ihren Bauch und ihr Vorderes und fragte sie wiederum: »Wem gehört das, liebe Freundin?«

»Ihr braucht doch nicht mehr zu fragen, Ihr wißt wohl, daß alles Euch gehört.«

Nun legte er die Hand auf ihr dickes Hinterteil und fragte sie lächelnd. »Und wem gehört das?«

»Meinem Mann«, sagte sie, »das ist sein Teil, doch alles übrige gehört Euch.«

»Ich danke Euch wirklich von ganzem Herzen«, erwiderte er, »ich darf mich nicht beklagen, Ihr habt trefflich geteilt. Auch ich, Ihr könnt es glauben, bin wahrhaftig Euer mit Leib und Seele.«

Und nach diesem Gespräch begannen sie von neuem ihren Waffengang, und danach verließ der Liebhaber das Haus. Der arme Mann, der alles gesehen und gehört hatte, war außer sich vor Zorn und Wut, doch wollte er auf eine günstige Gelegenheit, seine Rache zu kühlen, warten, verbarg seinen Ärger, tat am nächsten Morgen, als wäre nichts geschehen und als käme er von außerhalb. Beim Mittagessen erklärte er, er wünsche am nächsten Sonntag ihren Vater, ihre Mutter und die und die von ihren Verwandten und Basen zum Mittagessen bei sich zu sehen. Sie sollte die Vorbereitungen treffen, so daß sie an diesem Tage vergnügt beieinander sein könnten, und ward damit beauftragt, die nötigen Einkäufe zu machen und sie einzuladen.

Der Sonntag kam, das Mahl war bereit, und die Gäste erschienen, und jeder nahm seinen Platz ein, wie ihr Wirt es bestimmt hatte, der im Verein mit seiner Frau sich nicht niedersetzte, sondern den ersten Gang auftrug. Als das geschehen war, sagte der Wirt, der für seine Frau heimlich ein Kleid aus grobem, grauem Flanell hatte machen und auf das Hinterteil ein Stück schönen Scharlachs von der Form eines Quadrats hatte aufsetzen lassen, zu seiner Frau: »Kommt in das Zimmer!« Er ging voran, und sie folgte ihm.

Als sie dort waren, hieß er sie ihr Kleid ablegen, holte das obenerwähnte Flanellkleid und sagte ihr: »Nun zieht diesen Rock an!«

Sie betrachtete ihn und sah, daß es grober Flanell war. Sie war darüber ganz verwundert und wußte nicht, was sie von diesem Einfall ihres Mannes denken sollte, noch, warum er sie ein solches Kleid anlegen ließ.

»Weshalb soll ich mich so anziehen?« fragte sie.

»Das geht Euch nichts an«, entgegnete er, »ich wünsche, daß Ihr dies Kleid anlegt.«

»Ich denke wirklich nicht daran«, erklärte sie, »und werde es niemals anziehen. Seid Ihr verrückt geworden? Ihr wollt Euch und mich wohl vor so viel Leuten lächerlich machen!«

»Hier handelt's sich nicht um verrückt oder gescheit«, versetzte er, »Ihr sollt es anziehen.«

»Wenigstens will ich wissen warum«, rief sie.

»Ihr sollt es später schon erfahren«, erklärte er.

Um es kurz zu machen, sie mußte das Kleid anlegen und sah recht merkwürdig in ihm aus. Und darauf ward sie in diesem Aufzug zu Tische geführt, wo viele ihrer Freunde und Verwandten saßen. Ihr könnt euch denken, daß sie sich sehr darüber wunderten, sie in diesem Kleid zu sehen. Und sie selbst, davon dürft ihr überzeugt sein, schämte sich sehr, und hätte es in ihrer Macht gestanden, so wäre sie nicht zu Tische gekommen. Einer fragte geradezu, was dieser Anzug bedeute, und der Mann antwortete, sie sollten sich nur allesamt jetzt vergnügt halten, nach dem Essen würden sie es schon erfahren.

Ihr könnt euch denken, daß die gute, in Flanell gekleidete Frau den Speisen wenig Ehre antat, denn ihr Herz verriet ihr, daß hinter diesem Kleid etwas steckte, was ihr Kummer bereiten würde. Und sie wäre noch viel aufgeregter gewesen, hätte sie gewußt, was der Scharlachflicken bedeute; aber sie hatte keine Ahnung davon.

Das Mahl ging zu Ende, der Tisch ward abgeräumt, das Dankgebet gesprochen, und alle erhoben sich. Nun trat der Mann vor und sagte: »Wenn es euch recht ist, will ich euch allen hier den Grund sagen, warum ich meine Frau dies Kleid habe anlegen lassen. Es ist wohl wahr, daß ich schon längst davon unterrichtet bin, daß eure Tochter hier die Treue, die sie mir in die Hand des Priesters versprochen hat, sehr schlecht hält. Obwohl man mir mancherlei sagte, habe ich es doch nicht ohne weiteres glauben, sondern mich selbst davon überzeugen wollen; und vor sechs Tagen so ist's gewesen, tat ich, als verließe ich das Haus, und versteckte mich dort oben in meinem Zimmer. Ich war noch nicht lange da, seht, da kam ein Galan, den meine Frau sofort in ihr Zimmer führte, wo sie das, was ihnen die größte Freude machte, taten. Unter anderm fragte sie der Mensch, wem ihr Mund, ihre Augen, ihre Hände, ihre Brüste, ihr Vorderes und ihre Schenkel gehörten, und sie entgegnete ihm: 'Euch, lieber Freund!' Und als er an ihr Hinterteil kam und sie fragte: 'Und wem das, liebe Freundin?' erklärte sie: 'Meinem Mann.' Da ich sie nun als solch eine Person fand, habe ich sie so gekleidet. Sie hat gesagt, daß mir von ihr nichts als das Hinterteil gehört; deshalb habe ich es so, wie es sich für mich schickt, bekleidet. Das übrige ist so bedeckt, wie es sich für eine untreue und ehrlose Frau gehört, denn solch eine ist sie. Und deshalb gebe ich sie euch wieder.«

Als die Gesellschaft das vernommen hatte, war sie sehr erstaunt, und die arme Frau schämte sich von ganzem Herzen. Wenn dem auch so war, wollte ihr Mann künftighin doch nichts mehr mit ihr zu schaffen haben, und sie war in ihrer ganzen Bekanntschaft entehrt und bloßgestellt.

 


 


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