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In der Pikardie lebte vor ungefähr anderthalb Jahren in der Diözese von Terouenne ein schmucker Pfarrer in der guten Stadt, der sich viel geckenhafter als ein Stutzer benahm. Er trug nämlich das Kleid kurz, die Hosen gerafft, wie man sich am Hofe kleidete; er war äußerst leichtfertig und erregte bei den geistlichen Herren nicht wenig Anstoß. Der Fiskal von Terouenne, dem ein derartiges Benehmen sehr zuwider war, wurde von der Aufführung unseres schmucken Pfarrers unterrichtet und ließ ihn vor sich laden, um ihm sein Betragen vorzuhalten und ihn zur Besserung zu mahnen.
Der Pfarrer erschien in seinen kurzen Kleidern, als kümmerte ihn der Fiskal nicht, und dachte, man werde ihn gewiß um seiner schönen Augen willen ungeschoren lassen; doch es kam anders.
Als er vor den gnädigen Herrn Fiskal trat, hielt der ihm ausführlich alle seine Vergehen vor und schloß mit den Worten, er dürfe seine Kleider nicht mehr tragen und müsse sich ganz anders benehmen. Und außerdem ward er zu einer bestimmten Buße verurteilt. Da der gnädige Herr Offizial unserm Pfarrer an den Augen ansah, wes Geistes Kind er war, erklärte er ihm, er dürfe sich künftighin, wolle er die geistlichen Strafen vermeiden, nicht so wie bisher kleiden, dürfe keine kurzen Kleider und kurzen Haare tragen; und er verurteilte ihn zu einer stattlichen Geldbuße.
Der Pfarrer versprach, sich nach diesen Vorschriften zu richten, damit er künftighin nicht mehr wegen derartiger Sachen vorgeladen würde. Er nahm Abschied vom Fiskal und kehrte in seine Pfarrei zurück. Gleich nach seiner Ankunft ließ er den Tuchmacher und Bortenwirker zu sich rufen und sich ein Gewand machen, das ihm mehr als Dreiviertel nachschleppte. Er erzählte dem Bortenwirker, was er zu Terouenne zu hören bekommen habe, wie er nämlich ob seines kurzen Gewands getadelt worden sei und man ihm befohlen habe, lange Gewänder zu tragen. Er zog das lange Kleid an, ließ sich seine Haupt- und Barthaare wachsen und versah in diesem Aufzug den Dienst in seinem Kirchspiel, sang die Messe und verrichtete alle andern einem Pfarrer zukommenden Handlungen.
Der Fiskal ward wiederum bald davon in Kenntnis gesetzt, daß sein Pfarrer sich gegen die Regel und die gebührende, ehrbare Aufführung der geistlichen Herrn verging; er ließ ihn wie früher vor sich laden, und der Pfarrer erschien vor ihm in seinen langen Gewändern.
»Was soll das heißen?« fragte der gnädige Herr Offizial, als er vor ihm stand. »Ihr scheint Euch über die Befehle und Gesetze der Kirche lustig zu machen. Seht Ihr denn nicht, wie sich die andern Priester kleiden? Nähme ich nicht auf Eure guten Freunde Rücksicht, so würde ich Euch ins Gefängnis setzen lassen.«
»Wie, gnädiger Herr«, sagte unser Pfarrer, »habt Ihr mich nicht geheißen, ein langes Gewand und die Haare lang zu tragen? Tat ich nicht nach Eurem Befehl, ist dies Kleid nicht lang genug, sind meine Haare nicht lang? Was soll ich denn tun?«
»Ich wünsche«, erklärte der gnädige Herr Offizial, »Ihr sollt Kleid und Haare halblang tragen, nicht zu kurz, nicht zu lang; wegen dieses großen Vergehens verurteile ich Euch dazu, zehn Livres dem Fiskal zu zahlen, zwanzig Blancs an das Kirchenvermögen und ebensoviel zur Almosenverteilung an den gnädigen Herrn von Terouenne.«
Unser Pfarrer war sehr erstaunt, doch nahm er es geduldig hin. Er verabschiedete sich, kam nach Haus zurück und überlegte sich, wie er sich, um nicht gegen den Spruch des gnädigen Herrn Fiskal zu fehlen, kleiden sollte. Er ließ den Schneider holen und sich von ihm ein Kleid machen, das auf der einen Seite lang wie das eben erwähnte und auf der andern kurz wie das erste war. Darauf ließ er sich auf der Seite, wo das Kleid kurz war, Haupthaar und Bart scheren, und in diesem Aufzuge erschien er auf der Straße und verrichtete seine geistlichen Handlungen. Und obwohl man ihm sagte, das sei schlecht getan, kümmerte er sich nicht darum.
Der Fiskal ward davon wiederum in Kenntnis gesetzt und ließ ihn wie früher vor sich laden. Gott weiß, wie der gnädige Herr Fiskal ungehalten war, als der Pfarrer vor ihm erschien. Er wäre fast um den Verstand gekommen und von seinem Sitz aufgesprungen, als er seinen Pfarrer in dieser Mummerei sah. Hatte er ihn schon die beiden früheren Male hart angefahren, so jetzt noch viel mehr, und er verurteilte ihn zu einer stattlichen Buße.
Als unser guter Pfarrer durch die Bußen und Urteile sich so gerupft sah, erklärte er: »Gnädiger Herr Fiskal, ich glaube, mit Euer Ehrwürden Erlaubnis, Euren Befehl erfüllt zu haben. Hört mich bitte an, so will ich Euch den Grund sagen.« Nun bedeckte er seinen langen Bart mit der Hand und erklärte. »Wenn Ihr wollt, habe ich keinen Bart«, dann legte er die Hand auf die andere, geschorene oder rasierte Seite. »Wenn Ihr wollt, habe ich einen langen Bart. Habt Ihr mich nicht das geheißen?«
Als der gnädige Herr Fiskal sah, daß der Pfarrer ein Spaßmacher war und sich über ihn lustig machte, ließ er Barbier und Bortenwirker kommen, ihm vor allen Leuten Bart und Haar stutzen und dann sein Kleid bis zur gehörigen Länge abschneiden; darauf schickte er ihn in seine Pfarre zurück, wo er sich ehrbar hielt und aufführte und dem letzten Befehl des Fiskals nachkam, wie er es auf Kosten seines Geldbeutels gelernt hatte.