Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Da keine der vorher erzählten Geschichten ein in Italien passiertes Ereignis berührt oder erzählt hat, sondern allein solcher gedachte, die in Frankreich, Deutschland, England, Flandern und Brabant sich zugetragen haben, soll diese, da sie sich jüngst erst begeben und auf ein vor kurzem in Rom geschehenes und bekanntgewordenes Ereignis bezieht, hier Platz finden.
Es war so: In Rom lebte ein Schotte, ungefähr zwanzig bis einundzwanzig Jahre alt, der vierzehn Jahre lang sich als Frau ausgab, aufführte und kleidete, ohne daß in dieser Zeit zur öffentlichen Kenntnis gekommen wäre, daß er ein Mann war. Er ließ sich Donna Margarita nennen, und es gab bald in ganz Rom kein anständiges Haus, das ihm nicht bekannt gewesen und wo er, besonders von den Frauen, Kammerfrauen, untergeordneten Dienerinnen, aber auch von einigen der höchsten Damen Roms, nicht willkommen geheißen wäre. Um euch von dem Gewerbe dieses guten Schotten zu sprechen, sage ich, er hatte Leinentücher waschen gelernt und hieß »die Wäscherin«. Und unter diesem Vorwande kam er oft, wie oben gesagt, in alle guten Häuser Roms, denn keine Frau verstand sich so wie er auf die Waschkunst.
Ihr müßt aber wissen, daß er noch viel mehr verstand, denn wenn er sich manchmal mit einem schönen Mädchen allein befand, so zeigte er ihr, daß er Mann war. Er blieb sehr oft wegen der Wäsche bis spät in der Nacht, einen Tag oder zwei, in den Häusern. Und man ließ ihn bei den Kammermädchen und manchmal bei der Tochter schlafen, und sehr oft, meist sogar, wünschte die Hausfrau, wenn ihr Mann nicht daheim war, seiner Gesellschaft sich zu erfreuen. Und Gott weiß, ob er gute Tage hatte und ob seine körperliche Arbeit überall willkommen war; und es gab nicht viel Dienerinnen und Kammermädchen, die ihm nicht gern die Hälfte ihres Bettes abgetreten hätten.
Die römischen Bürger selbst sahen ihn auf die Erzählungen ihrer Frauen hin sehr gern in ihren Häusern, und wenn sie sie manchmal verließen, war es ihnen recht, daß Donna Margarita ihren Frauen das Haus hüten half; ja noch mehr, sie ließen sie bei ihnen schlafen, für so trefflich und anständig, wie oben gesagt, hielten sie sie. Vierzehn Jahre führte Donna Margarita dieses Leben. Doch das Schicksal wollte es, daß der Mißbrauch, den sie getrieben, durch den Mund eines jungen Mädchens an den Tag kam. Es sagte seinem Vater, es habe bei ihr geschlafen und sie habe es angesprungen, und versicherte ihm, sie sei ein Mann. Nach der Angabe seiner Tochter ließ der Vater Donna Margarita untersuchen; sie ward durch Gerichtsbeamte beschaut, und diese fanden sie mit allen Gliedern und Werkzeugen, wie sie die Männer haben, versehen, und sie war wirklich und wahrhaft ein Mann und nicht eine Frau.
Darauf befahlen sie, man solle ihn auf einen Karren setzen und von Kreuzweg zu Kreuzweg durch die Stadt Rom führen und dort, daß es jeder sah, seine Schamteile zeigen. So geschah es auch, und Gott weiß, wie sich die arme Donna Margarita schämte und erschrocken war. Nun müßt ihr wissen, daß, als der Karren an einen Kreuzweg kam und man die Waren der Donna Margarita zeigte, ein Römer, der ihn sah, ganz laut rief: »Seht den Vielfraß, er hat mehr als zwanzig Nächte bei meiner Frau geschlafen.« Und viele andere sprachen auch wie er; viele aber, obwohl sie es ebenfalls gut wußten, sagten kein Wort, sondern hielten um ihrer Ehre willen den Mund.
So wie ihr gehört habt, ward unser armer Schotte, der sich für eine Frau ausgab, bestraft und nach dieser Strafe aus Rom verbannt, worüber die Frauen sehr traurig wurden, denn solch eine gute Wäscherin gab es nicht zum zweitenmal mehr, und es tat ihnen sehr leid, sie so schändlich verloren zu haben.