Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Der Aufführungsabend von des Kapellmeisters Oper war nun gekommen, nachdem man den Termin immer wieder verschoben hatte, und gestaltete sich zu einem kleinen Triumph für ihn. Caecilie saß mit Enzio in der Loge und nahm in den Zwischenakten all die Gratulationen hin, die man ihr, als Gattin ihres Mannes, sagte. Enzio wurde während dieser 122 Aufführung immer stiller. Ein Gefühl großer Enttäuschung bemächtigte sich seiner mehr und mehr, jetzt, wo er das Werk zum erstenmal so hörte, wie es im ganzen gedacht war. Er hatte genügend musikalische Bildung, um einzelne Feinheiten zu erkennen und zu würdigen, aber alles in allem machte es ihm einen unoriginellen, in der Erfindung mühseligen Eindruck, was er bewußt und für sich selbst in das Wort »langweilig« kleidete. Seiner Mutter war die Aufführung von vornherein durch die Darstellerin der Hauptrolle vergällt, die sie nicht vom Menschen zu trennen vermochte, obgleich sie es immer wieder versuchte. Im übrigen ging es ihr ähnlich wie Enzio, aber beide sprachen es nicht voreinander aus. Nur ein einziges Mal sagte er ganz spontan: Hübsch! ausgezeichnet! Das war, als vom Orchester her eine graziöse, leichte Polka ertönte. An dieser Stelle hörte man auch einen besonderen Applaus.

Nach der Aufführung gab es ein Festessen, an dem auch Enzio teilnehmen durfte. Es wurden lange Reden gehalten, in denen abwechselnd der Komponist, das Orchester, die Darsteller und der Regisseur gefeiert wurden, und Caecilie litt heimliche Qualen, als ihr Mann ans Glas schlug und an Fräulein Battoni eine längere Ansprache hielt, die formell unanfechtbar war, und in der sie doch überall mehr zu hören glaubte, als sich dem 123 Wortlaut nach erkennen ließ. Fräulein Battoni war in bester Stimmung: Sie hatte an diesem Abend vollendet schön gesungen, hatte für ihre Rolle neue Kostüme bekommen, die ihr ausgezeichnet standen, und eine Menge Lorbeerkränze geerntet. Sie klatschte immer in die Hände, wenn eine neue Rede begonnen wurde, sprach dem Champagner fleißig zu, den es in großen Mengen gab, ließ sich von den verschiedensten Menschen den Hof machen und fand nebenbei noch Zeit, sich mit Enzio zu unterhalten. Und wie sie ihn später, als es schon ein allgemeines Durcheinander gab, allein erwischen konnte, hielt sie ihn am Knopfloch seines Smokings fest und wollte durchaus wissen, welches von den Mädchen am Theater seine Auserwählte sei: Du wirst immer schöner, immer schöner, Enzio! wo soll das noch hinaus mit dir. Und was sehe ich, Enzio, jetzt, zum erstenmal? Du bekommst ja schon einen kleinen Flaum über der Oberlippe?! Sag mir: Wie habe ich dir heut auf der Bühne gefallen? – Gut. – Und jetzt, wie gefalle ich dir jetzt? – Caecilie sah diese Unterhaltung und rief ihn zu sich.

Bald darauf ging sie mit Enzio und ihrem Mann nach Hause. Der Kapellmeister hatte ihren Arm in den seinen gelegt, drückte ihn zuweilen zärtlich und sagte: Ach, Caecilie, was bin ich glücklich, endlich, endlich ein Erfolg, und ein ganz großer! 124 Wie mich das zu neuen Taten anspornt; ach, war das ein himmlischer Abend! – Sie bemerkte, daß er nicht ganz grade ging. – Du sagst ja gar nichts, Caecilie, hat es dir etwa nicht gefallen? – Doch, sehr! sagte sie und gab sich Mühe, ihren Ton recht warm klingen zu lassen, indem sie in die graue Morgendämmerung sah, in der noch vereinzelt Laternen brannten. – Und du, Enzio mio, sagst du denn gar nichts? – Ich bin müde! gab Enzio eintönig zurück. – Ich auch! ich auch! Es ist eine herrliche Einrichtung, daß es Betten auf der Welt gibt. Wie sagte der Kerl vorhin, Caecilie, was hat der Kerl gesagt? – Ich weiß es nicht, ich habe es nicht gehört. – Du hast es doch gehört! – Ich weiß nicht, wen du meinst. – Es gibt doch nur den einen Kerl! Enzio, was hat der Kerl gesagt? – Ich weiß es auch nicht. – Nun, dann will ich euch sagen, was der Kerl gesagt hat: Meine Musik erinnere ihn sehr an – Schumann! Schumann, ich soll an dich noch immer erinnern! An dich, mit deiner dualistischen Seele! Daß diese Menschen ewig nach Vorbildern schnüffeln müssen! Als ob jeder nicht etwas Besonderes ganz für sich wäre! Schumann, so sagen sie, fußte zunächst auf Beethoven und Schubert, Beethoven wieder auf Haydn und Mozart, und die wieder auf all dem Zeug, was vor ihnen da war. Bach kam es absolut nicht darauf an, ob seine Themen originell oder 125 übernommen waren, er nahm sie wo er sie fand, und machte etwas ganz Neues daraus, und mir kann man nicht einmal eine einzige Stelle nachweisen, die ich von Schumann oder irgendeinem andern entlehnt hätte. Und da soll ich auf Schumann fußen! Fußen! was ist das überhaupt für eine Vorstellung! Als ob man mit den Füßen auf den Schultern eines andern stände! Da steht Mozart, auf dem steht Beethoven, auf dem steht Schumann, und da oben drauf, hoch oben – o Gott, Caecilie, ich glaube, mir wird unwohl!

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