Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

361 Am nächsten Tag verlangte er aufzustehn; eine Stunde war er außerhalb des Bettes, dann faßte ihn die Müdigkeit.

Er empfing jetzt auch Besuche. Der Kapellmeister kam und brachte ihm eine erlesene Delikatesse mit, Fräulein Battoni schickte eine Torte mit der Zuckergußaufschrift: Dem heldenhaften Dulder, Richard kam, und endlich erschien auch Pimpernell. Caecilie hatte Enzio verheimlicht, daß sie, sowie sie von dem Unglück hörte, im Zustand gänzlicher Fassungslosigkeit erschien und forderte, daß sie selbst ihn pflegen dürfe. Sie war von ihrem unbeherrschten Wesen unangenehm berührt, sie sagte: Liebes Kind, Enzio hat auch noch andere Menschen, die ihm nahestehn; dann konnte sie aber doch nicht anders, als wieder herzlich sein, indem sie dachte: Dieses Mädchen liebt ihn also auch. – Pimpernell war inzwischen täglich an dem Haus in der Parkstraße gewesen, hatte geläutet, gefragt, wie es gehe, und war dann bescheiden wieder fortgegangen. Jetzt, glaubte sie, dürfe sie sich auch erlauben, ihn persönlich aufsuchen. Enzio wollte sie erst nicht empfangen. Irene redete ihm zu: Sie ist ein so einfaches, armes Mädchen! – Gut, aber nur, wenn du dabei bist, will ich. – Ich? mich haßt sie! Das habe ich wohl bemerkt, wenn ich ihr unten die Tür öffnete. – Dann also erst recht nicht. – Statt einer Antwort ging Irene hinaus, dann 362 trat sie nach einer Weile wieder herein, indem sie Pimpernell vorangehn ließ.

Pimpernell hatte sich dieses erste Wiedersehn besonders rührend ausgemalt, so rührend, daß ihr schon tagelang vorher bei der Vorstellung die Tränen in die Augen traten. Statt dessen lachte Enzio, wie er sie zu Gesicht bekam und schnitt dann eine Fratze, genau so wie er es als Kind tat. – Sie schien das nicht zu bemerken und begann zu reden. – Hör auf! sagte er, das ist ja eine richtige Kondolenzrede. Ich bin doch wieder ganz gesund. – Sie stockte, sah ihn unsicher an und fühlte dann selbst, daß ihre Rührung nicht am Platze war. Wie geht es mit dem Geschäft? fragte Enzio nach einer Pause. – Ach, davon wollte sie nicht reden. Und doch – – nach einer Weile kam es gleich heraus, daß sie ihm etwas sagen müsse, aber das könne sie ihm nur allein mitteilen. Irene erhob sich hierauf: Ich sage Ihnen gleich Adieu. – Pimpernell wandte sich ein wenig zu der Seite, von der Irenes Stimme tönte, und machte eine leise Verbeugung in die Luft.

Weshalb grüßt du meine Freundin nicht ordentlich? fragte Enzio sogleich, wie Irene draußen war. – Ich habe sie durchaus richtig und zeremoniell gegrüßt! sagte sie eifrig. – Bitte, das ist nicht wahr! Namentlich in meiner Gegenwart muß sie das kränken. – Und du? glaubst du, daß dein 363 Empfang schön gewesen sei? Wenn du mir eine Grimasse schneidest, namentlich in ihrer Gegenwart? – Das ist wahr, sagte Enzio, entschuldige bitte. Aber du mußt bedenken, daß mich diese Krankheit wieder zum Kind gemacht hat. Höchst interessant! Ich habe im Fieber meinen Namen geschrieben wie in der alleruntersten Klasse bei meinem ersten Lehrer. – Sie wußte nicht recht, ob dies Scherz oder Ernst sein solle, ließ es auf sich beruhn und sagte: Also, da sie wahrscheinlich doch gleich wieder hereinkommt, will ich es dir schnell sagen: Ich werde in der nächsten Zeit meine Stellung hier aufgeben. Ich hatte in der letzten Woche Differenzen mit meinem Chef, und da erinnerte ich mich, was du mir angeraten hast, und ich habe gekündigt. – Ohne eine neue Stellung zu haben? – Was denkst du! nein, ich sicherte mir vorher eine andere, in der gleichen Branche. – Wo? – Sie nannte den Ort; es war derselbe, wo Enzio studierte. – Er fühlte sich höchst unbehaglich bei dieser Eröffnung. Was er im Scherze hinwarf, das hatte sie sofort aufgegriffen und zur Wahrheit gemacht. Ihn traf eine Art Verantwortung. Das war ihm peinlich; vielleicht ließ sie sich verleugnen, indem er tat, als sei er in dieser Angelegenheit ein gänzlich Außenstehender. So fragte er jetzt nach einem Schweigen mit möglichster Unbefangenheit: Was möchtest du denn gern mit 364 mir bereden? – Sie sah ihn erst verständnislos an, dann sagte sie: Mich beschäftigt doch diese neue Wendung sehr, und wenn du mich nicht selbst auf jene Idee gebracht hättest, so wäre ich nie auf sie gekommen. Ich bin dort gänzlich fremd und hatte gehofft, daß ich an dir einen Halt fände! Du bist auf einmal so anders, ich weiß nicht, was ich denken soll. – Enzio überlegte: Wie jetzt sein Zusammenleben mit Bienle werden würde, davon hatte er keine Ahnung. Vielleicht konnte sich Pimpernell mit ihr befreunden? Auf alle Fälle würde sie für sie beide zunächst als ganz gute Zerstreuung wirken. – Ich bin gar nicht anders! sagte er jetzt, ich finde es sehr vernünftig, was du tun willst, und ich freue mich darüber. – Wirklich?! – Aber natürlich! Wir sind doch alte Freunde! – Ihre Hand ruhte auf seiner Bettdecke. Es hatte ihn schon die ganze Zeit gereizt, sie zu erfassen, obgleich er gar nicht zärtlich zu Pimpernell empfand. Jetzt konnte er sie nicht mehr so liegen sehn, er nahm und streichelte sie.

Bald darauf erhob sich Pimpernell. Wie charakterlos bin ich! dachte Enzio. Sein Gefühl von Beschämung suchte gewaltsam einen Ausweg: An der Tür wollte Pimpernell sich noch einmal umwenden, sie tat grade den Mund auf, als ihr etwas Warmes, Weiches mitten ins Gesicht flog. Es war Enzios Kopfkissen. – Wirf zurück! sagte er 365 und streckte im Liegen die Arme aus. – Kindskopf, antwortete sie, unentschieden, ob sie sich beleidigt fühlen solle. Aber im Grunde ihres Herzens war sie doch froh: Hätte er das getan, wenn er so fremd zu ihr fühlte, wie sie zwischendurch gefürchtet hatte? Ziemlich zufrieden stieg sie die Treppe hinab und verließ das Haus, nachdem sie flüchtig noch einmal umgekehrt war und einen sehr schönen Damenpelz, der dort im Vorplatz hing, befühlt hatte.

*


 << zurück weiter >>