Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Fräulein Battoni war vom Park aus nach kurzer Überlegung schnurstracks aufs Telephonamt gegangen und hatte den Kapellmeister in ihre Wohnung bestellt: Besser, dachte sie, ich komme Enzio zuvor und breche der Sache jede Spitze ab, als daß ich schweige und nachher die schlimmsten Vorwürfe zu hören bekomme.
Sie erzählte alles, was geschehen war, der Situation nach ungefähr richtig, aber in einer gänzlich andern Beleuchtung: Wahr ist alles, was er dir vielleicht erzählen wird! sagte sie, – wenn er wohl auch in seinem jünglingshaft-eitlen Herzen mir selber ganz andre Motive unterstellen wird, obgleich ich ihm erbarmungslos gesagt habe, daß es nichts als ein dummes Spiel war, das ich mit ihm trieb. Ich gebe zu, das Spiel war ein wenig frivol; aber mein Gott, Heinrich, der Junge ist dir so furchtbar ähnlich, und dann weißt du doch genau, daß ich manchmal ein bißchen exzentrisch bin und mir Dinge erlauben darf, die bei andern ein ganz andres Gewicht bekommen würden. Selbstverständlich gebe ich zu, daß mich dieses unberührte Jünglingstum gereizt hat, dafür bin ich Weib, Gott sei 185 Dank! Aber wenn er behaupten sollte, daß ich ihn angelockt hätte, dann lügt er einfach! Ich will dir genau sagen, wie es anfing: Er lief vor ein paar Tagen einem ganz entzückenden Mädchen nach, im Park, sah mich – ich rief ihm ein paar Worte zu – ließ dieses entzückende Mädchen laufen und kam zu mir. Später habe ich ihn selber angetrieben, sie wieder aufzusuchen. Vorher beredeten wir uns halb scherzhaft für einen andern Tag – für heute – ich vergaß die Sache halb, traf ihn dann schließlich doch – und zwar beinah eine ganze Stunde zu spät, das kann Enzio dir bezeugen! Ich wollte sowieso spazieren gehn, und dachte zwischendurch: Wenn er überhaupt da war, so ist er nun längst nach Haus gegangen. Aber er war da, er hatte schon unendlich lange auf mich gewartet. Na, und da ging's wirklich an. – Was, fragte der Kapellmeister, der auf einem Sessel saß und die Hand vors Gesicht hielt. – Gott, kleine Zärtlichkeiten, unverfänglichster Art, bis er so heftig wurde, daß ich ihn zurechtweisen wollte und ihm sagte, er solle doch nicht seine Pflichten gegen dich vergessen – oder so ähnlich, aufgeschrieben habe ich's mir nicht, vielleicht habe ich auch gesagt, ich hätte selber Pflichten gegen dich – das kann ich nicht so genau mehr wissen, jedenfalls bin ich kurz darauf gegangen, da er unverschämt wurde. – Wieso, fragte der Kapellmeister, immer in derselben Stellung. – Er 186 spielte sich da als Richter auf, stellte mir Fragen, als ob ich in einem Prozesse wäre, in einem Ton, daß ich keine Lust hatte, das länger mit anzuhören, so, als wenn er sich einbildete, wirklich irgendein Besitzerrecht an mich zu haben. Zu, zu dumm von mir, daß mir dies eine Wort entschlüpft ist! Aber ich konnte doch unmöglich annehmen, daß Enzio von der ganzen Sache auch nicht ein Sterbenswörtchen wüßte. Über so etwas spricht man doch und diskutiert man doch in einer gesund empfindenden Familie!
Der Kapellmeister nahm die Hand vom Gesicht. Er sah vollständig betrübt aus und blickte starr auf sie. – Glaubst du mir etwa irgend etwas nicht? – Er nickte fast unmerklich. Sie schwankte, wie sie dieses Nicken auffassen solle, hatte aber nicht den Mut zu einer erneuten Frage, und so entschloß sie sich ganz kurz zu einer günstigen Auffassung und Weiterführung: Um eins bitte ich dich: Straf den Jungen nicht! Tu mir die Liebe. Schneide jedes Wort ab, das er etwa sprechen will, und sage ihm, daß ich schon bei dir war und alles in einem für ihn selber günstigen Lichte dargestellt habe! Das ist ein bißchen gelogen, aber für einen so guten Zweck schadet es nichts. Es erspart ihm die Beschämung. Nicht wahr, du versprichst mir das? – Der Kapellmeister seufzte tief, erhob sich und starrte vor sich hin. – Ich verspreche nichts, sagte er 187 dann, ich muß nach Haus, mit mir allein sein und dies alles überdenken. –So? Dann gehe ich noch ein Stückchen mit, antwortete sie und zog ihre Handschuh an. – Was wird nun? dachte er, irgend etwas muß geschehn. Bitte, begleite mich nicht! wandte er sich an sie, ich kann jetzt nicht mit dir gehn! Leb wohl! – Sie sah ihn noch einen Moment halb unsicher an, dann klopfte sie ihm mit ihrer glänzend behandschuhten Rechten ein paarmal aufmunternd-klapsend gegen die Backe, während er ihr unwillig auswich, und ließ ihn gehn.
*