Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Eines Nachmittags, als es läutete, sagte Bienle: Es ist wieder eine Überraschung, so wie damals, als deine Mutter kam.

392 Es klopfte. Auf Enzios »Herein« öffnete sich die Tür, seine Wirtin stand auf der Schwelle: Da wär ein junges Fräulein, das Sie sprechen möchte. Den Namen hat sie nicht sagen wollen, aber sie käme aus der Heimat.

Enzio bekam einen Todesschreck: Wenn das Irene wäre! Ehe er aber etwas antworten konnte, schob sich zwischen Tür und Wirtin Pimpernell herein und sagte: Störe ich?

Durchaus nicht! rief er fröhlich und erleichtert, komm nur ganz herein! – Pimpernell tat es, dann sah sie auf Bienle und dachte: O Gott, wer ist denn das nun wieder?!

Enzio stellte vor, und Bienle ihrerseits hörte erleichterten Herzens, daß dieses nicht Irene war, sondern jenes Mädchen, von dem ihr Enzio soviel Komisches erzählt hatte. Sie fand sie übrigens gar nicht komisch und eher hübsch als häßlich.

Bist du nicht gewohnt, Enzio, um diese Stunde Tee zu trinken? fragte Pimpernell: zu Hause tatest du es doch früher immer! – Das heißt: du möchtest selber einen haben? – Ganz aufrichtig und unter uns gesagt: sehr gern! Sie erhob sich. – Was willst du denn? – Er muß doch gekocht werden! – Halt, sagte Enzio. Auf dieses Wort hin blieb sie sogleich stehn. Er wechselte mit Bienle einen Blick. Sie verstand ihn und sagte zu Pimpernell: Ich glaube, ich weiß besser, wo alles 393 steht – und erhob sich ebenfalls. Auf diese Worte hin verzog Pimpernell den Mund zu einem halb mokanten, halb vertraulichen breiten Lächeln, wobei sie mit etwas gesenktem Kopf eine Art von innigsüßem Blick auf Bienle heftete und ihre Nase krauste, ganz so, wie Enzio es ihr öfters vorgemacht hatte. – Schnell schau ich weg, sonst muß ich lachen, dachte Bienle.

Wo wohnst du denn? fragte Enzio. – Zwölf Minuten von hier entfernt! Ich habe es genau abgemessen. – Sie zog einen Stadtplan aus ihrer Ledertasche: Siehst du, hier ist deine Straße, und da ist die meinige. Wenn man an der Kirche vorbeigeht, dann macht man einen Umweg. Man kann schon vorher, ehe der Platz kommt, das ganze Stück abschneiden. Merk dir das, es ist eine Ersparnis von mindestens zwei Minuten; Fräulein, ich würde an Ihrer Stelle den Spirituskocher etwas weiter von der Gardine fortsetzen, wenn sie eine Zugluft erfaßt, kann die schönste Feuersbrunst entstehn. – Es weht ja aber hier im Zimmer gar keine Zugluft, sagten Bienle und Enzio wie in einem Atem. Pimpernell antwortete hierauf nichts, sah noch einen Augenblick auf den Apparat hin und wandte sich mit einem Achselzucken zu ihrem Plan zurück, was etwa heißen sollte: Ich habe meine Pflicht getan und euch gewarnt. Bienle wechselte mit Enzio einen geheimen, lustigen Blick. – Sie ist gegen Bienle 394 genau so wie damals gegen Irene! dachte er, ohne sich gekränkt zu fühlen, ja, er begrüßte es mit einer Art Genugtuung, denn es belebte sogleich noch mehr seine still verhaltene Zärtlichkeit zum Bienle. Das Wasser begann zu kochen, sie goß den Tee ab, stellte das Tablett auf den Tisch und setzte sich dann neben Enzio auf das Sofa, ganz selbstverständlich, da dieses ihr gewohnter Platz war, während Pimpernell wie ein richtiger Besuch im Sessel saß. Wieder verzog Pimpernell ihr Gesicht, sah aber sogleich mit offiziellem Ernst zur Decke, als Bienle sie aus ihren ahnungslosen Augen voll und ruhig ansah. – Enzio fühlte die verschwiegene Spannung, und das gab seiner Empfindung zum Bienle eine ganz besondere Süße. Heimlich tastete er mit der linken Hand unter dem Tisch zu ihr hin, suchte ihre Finger und spürte mit Wonne ihren Druck. Immer enger ward die Umschlingung, schließlich ruhten ihre Hände gefaltet ineinander, und Bienle mußte sich beherrschen, ihr ruhiges Gesicht beizubehalten, wie sie den wachsenden Druck verspürte, der immer heißer und stärker zu sagen schien: Dich liebe ich und niemand weiter. Ein seliger und stiller Rausch war das, ein leises Fluten heimlich bewegter Kreise ohne feste Horizontbegrenzung.

Und währenddes erzählte Pimpernell von ihrer Tätigkeit: Mein Chef ist ein angenehmer Mann, 395 ganz jung und unverheiratet, ich habe es auf den ersten Blick herausgehabt, daß er in mich verschossen ist. Er ist ein reizender, entzückender Mensch. – Heirate ihn doch, sagte Enzio phlegmatisch und spürte bei diesen Worten einen festen Druck von Bienles Hand. Dieses liebe Kind genoß voll und unschuldig das Bewußtsein ihres Glücks, die Sicherheit, daß Enzio ganz ihr gehöre, daß dieses Mädchen ihr Glück niemals gefährden könne. Und das war ihr wie eine unbewußte Entschädigung für alles Schlimme, was sie durchgemacht hatte. –

Was treiben Sie eigentlich? fragte Pimpernell plötzlich, irritiert, obgleich sie von dem heimlichen Hin und Wider unter dem Tisch keine Ahnung hatte. – Ich? sagte Bienle, erschrocken, auf einmal Mittelpunkt zu werden. Dann sah sie auf Enzio, als wenn der die Antwort geben müsse. Nichts! fügte sie hinzu, da Enzio schwieg. – Oho! sagte er jetzt, ich denke, du tust grade genug! Waschen, bügeln, kochen, Zimmer in Ordnung bringen, ich meine, das ist schon ziemlich viel! – Pimpernell zog ein säuerliches Gesicht: Haben Sie denn gar keine künstlerischen Tendenzen? – Bienle sah sie an. Enzio antwortete statt ihrer: Sprich doch nicht so gespreizt! Das macht hier keinen Eindruck, dazu sind wir viel zu natürlich! Bildest du dir etwa ein, daß du künstlerische Tendenzen hast? Mit deinem Puppenmachen? Das mag ja alles ganz hübsch 396 und nett sein, aber mit Kunst hat es nichts zu tun. – O bitte, es sind Reformpuppen! – Pimpernell war vor Ärger über Enzios Zurechtweisung rot geworden. Mit seinem Angriff auf Puppen hatte er ihren Lebensnerv getroffen. Er freute sich, wie er diesen Ärger merkte, und wollte sie gern noch etwas weiter strafen. – Puppen sind sowieso schon etwas Gräßliches! Habe ich nicht recht, Bienle? – O nein, sagte sie, etwas verlegen, Puppen sind doch ganz hübsch! – So! und ich weiß, daß du mir einmal erzählt hast, du habest nie mit Puppen spielen mögen, wie du klein warst. Ich weiß sogar noch ziemlich genau deine Worte; du sagtest: Ich habe mir immer die süßen kleinen Nachbarskinder geholt, und die Eltern von den Kindern sagten: Dem Bienle, so klein wie's ist, kann man mehr vertrauen als dem besten Kindermädchen! Das wird einmal eine gute Mutter werden! Habe ich recht oder nicht? Puppen, sagtest du, wären dir immer tot und dumm vorgekommen, denn sie wären nicht weich und warm! Habe ich recht, Bienle, oder nicht? – Begreift denn Enzio gar nichts?! dachte sie, indem sie ihn, ohne zu antworten, mit ihren blauen Augen sprechend ansah.

Übrigens sind Puppen wunderschön, fuhr Enzio fort, der ihren Blick endlich verstand und außerdem dachte, Pimpernell sei nun genugsam zurechtgewiesen, und er sah mit einem sachlichen und 397 unbefangenen Blick auf sie. Pimpernell hatte mit einem verkniffenen Gesichte zugehört. Jetzt war sie über die letzte Wendung sehr erstaunt, schüttelte den Kopf und meinte: Enzio, Enzio, in deinem Hinterstübchen sieht es putzig aus! Du hast gar keine festen Meinungen. Mir scheint, dir fehlt der rechte Lebensernst; dich müßte das Leben einmal tüchtig unter seine Fuchtel nehmen! Du wechselst beständig deinen Standpunkt. – Pimpernell, sagte Enzio gelassen, du bist ein Schaf. – Das mag wohl sein, aber dann bist du ein noch größeres. – Wie unfreundlich! dachte er. Sie dagegen dachte: O Gott, dies ist ja alles furchtbar! Erst bringt er mich so weit, daß ich seinetwillen meine Stellung aufgebe, und nun ist er so?!

Mußt du nicht nachmittags in dein Geschäft? fragte er nach einer Weile. – Das laß nur meine Sorge sein! Ich weiß schon, was ich darf! antwortete sie, rührte sich nicht und sah ihn mit beinah haßerfüllten Augen an, während sie sich doch nur gequält fühlte.

Sie geht nicht fort, da läßt sich nichts machen! dachte Enzio, in dem der Wunsch immer lebhafter geworden war, mit Bienle nun wieder allein zu sein.

Sag mal, Pimpernell – sprach er plötzlich in einem ganz andern, frischen, herzlichen Ton, du konntest doch früher als Kind so wundervoll eine Militärkapelle nachmachen. Kannst du das noch? 398 – Mit solchen Dummheiten gebe ich mich nicht mehr ab. – Ich meine aber: ob du es noch kannst? – Habe ich es einmal gekonnt, so werde ich es wohl auch jetzt noch können. – Mach es doch mal vor, Pimpernell! – Fällt mir nicht ein, sagte sie energisch – damit ich hier auch noch ausgelacht werde! – Es lacht dich niemand aus! Also: mach doch mal! – Sie rührte sich nicht; er trat von hinten auf sie zu, streichelte ihr die Wange und sah dabei auf Bienle. – Pimpernell! – sagte er einschmeichelnd-zärtlich: Mach doch mal! – Sie hielt den Kopf ganz still, dann sah sie mit einem scheuen Blick an ihm empor, so daß er dachte: Nein, ich will sie nicht noch weiter treiben. Auch Bienle sah diesen Blick, und alles, was sie dachte, war: das arme Mädchen.

Pimpernell sah, daß es aussichtslos war, heute mit Enzio allein zu reden. Deshalb brach sie ihr beharrliches Sitzen endlich ab und erklärte, sie müsse gehn. Er hielt sie nicht zurück. Sie reichte ihm die Hand und sagte, sie werde bald einmal wieder bei ihm vorsprechen, darauf wandte sie sich für einen Augenblick ans Bienle, verzog ihr Gesicht wieder zu einem höflich-innigen Lächeln und sagte: Adieu, mein liebes Kind, es hat mich aufrichtig gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen!

Nun, wie gefällt sie dir? fragte Enzio, als sie fort war. – Bienle zuckte mit den Schultern. 399 Unheimlich kommt's mir vor – sagte sie endlich. – Unheimlich? Nanu! Wieso? – Ich weiß nicht, sie kommt mir halt unheimlich vor! So, als wenn's einmal mit der Schere auf einen losgehn könnte!

Enzio lachte schallend, dann küßte er sie und sagte: Deine Menschenkenntnis, Bienle, ist zu niedlich! Schade, daß sie ihre Militärkapelle vorhin nicht doch zum besten gegeben hat! Ich hätte sie schon dazu gebracht, wenn ich gewollt hätte! – Du mußt aber nicht so zärtlich zu ihr sein, Enzio, ich glaube, sie versteht das falsch. Es ist doch auch nicht aufrichtig von dir! Und du mußt mich nicht dabei so ansehn, als wenn du dich heimlich über sie lustig machst!

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