Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Irene stand, den Rücken gegen das Fenster gekehrt, im Hintergrund des Zimmers, als er eintrat. Unschlüssig, aber mit liebendem Blick sah sie auf ihn hin. Er blieb in einiger Entfernung von ihr stehn. – Warum gibst du mir nicht die Hand?! fragte sie erstaunt. – Er hob den Blick bis zu 467 ihrem Mund. – Was ist denn? Was hast du denn? Du siehst ja ganz verändert aus! Mein Gott, ist es so schlimm mit dir? – Seine Lippen begannen leise zu zucken. Sie war ganz zu ihm herangetreten und legte die Hand auf seine Schulter. – Nimm dich doch etwas zusammen, sagte sie mit ihrer ruhigen, klaren Stimme, die ein wenig zitterte – ich verstehe dich nicht, Enzio. – Das kannst du auch nicht. – Ich weiß nicht, wie es in dir aussieht, nein, – aber hat das mit dir und mir zu tun? Ist es denn so schlimm, daß du wie aus Stein mir gegenüber sein mußt? – Er erwachte etwas aus seiner Dumpfheit, nahm ihre Hand und küßte sie. Er fühlte selbst, daß seine Art befremdlich, unverständlich auf Irene wirken mußte.

Jetzt zum ersten Male sah er voll auf ihr Gesicht. Wie rein und fest waren alle ihre Züge!

Grade dich wiederzusehn habe ich mich gescheut! sagte er, um sein sonderbares Wesen wenigstens etwas zu erklären – ich weiß, daß außer meiner Mutter niemand so an mich glaubt wie du. Ich hatte das Gefühl, als müßtest du deutlich in mir lesen, wie es in mir aussieht.

All das verstehe ich nicht! Ich begreife nicht, wie jemand um seine Kunst leiden kann; vielleicht, weil ich das selbst nie durchgemacht habe und auch nie Ähnliches an meinem Vater sah. Er hat so oft gesagt, daß er das nur vom Hörensagen kennt. –

468 Ihm tat Irenes Stimme wohl; er hörte kaum auf den Inhalt ihrer Worte, ihr Klang allein war ihm beruhigend.

Sie saßen sich jetzt gegenüber. Er schloß die Augen und ließ sie weiterreden. Sie erzählte von ihren eignen Arbeiten: Sie habe eine Figur vollendet, ihr Vater wolle, daß sie sie auf die große Ausstellung schicke, aber sie habe keine Lust dazu. – Warum nicht? fragte er, noch immer mit geschlossenen Augen. – Ich weiß nicht, ich habe eben keine Lust dazu.

Enzio dachte an sich selbst. Er hatte sich vergeblich bemüht, irgend etwas zu schaffen, das vollendet wäre, sein höchster Wunsch war, sich einmal einen Weg in die Öffentlichkeit zu bahnen, und hier saß ihm ein Mädchen gegenüber, das in der Stille eine immer reifere Entwicklung nahm, scheinbar mühelos und ohne Kämpfe, bis sie imstande war, ein wirkliches Kunstwerk zu schaffen, und nun, wo es geschaffen war, behielt sie es für sich. – Liegt dir denn nichts daran, bekannt zu werden? – O ja, ich denke es mir ganz schön, aber lieber wollte ich, daß man bekannt würde, ohne daß die Menschen etwas von einem sähen; nein, mir liegt auch nichts daran, bekannt zu werden. Was man arbeitet, macht man doch nur für sich selbst. – Irene, ich glaube, du mußt ganz glücklich sein. – So sprach er, und hielt die Augen noch immer geschlossen. Ein 469 Schweigen folgte, und wie er sie endlich öffnete, begegneten sie ihrem Blick; ein paar Sekunden ruhten ihre Augen ineinander, dann sahn sie voneinander fort. Endlich erhob er sich.

Bleibst du noch lange hier? fragte sie. – Ich weiß nicht. Am besten wäre es, ich ginge fort, ein für allemal, und niemand wüßte wo ich bliebe. – Enzio! sagte sie mit verhaltener Stimme – rede nicht so – ich wollte lieber, meine ganze Arbeit läge zerschmettert am Boden, als daß ich glauben müßte, daß du im Ernste sprichst!

Enzio erblaßte. – Irene, sagte er mühsam, ich verdiene es nicht um dich, daß du so redest. Sprich so nicht wieder, du weißt nicht, wie es in mir aussieht.

Er wandte sich hastig zur Tür. Sie blieb im Zimmer stehn. Er kam noch einmal zurück. Leb wohl! sagte er und küßte ihre beiden Hände. – Enzio, rief sie, das klingt, als wolltest du nicht wiederkommen; du bist ja wie von Sinnen! Hast du mich denn gar nicht lieb? – Frage mich nicht; ich darf dein Leben nicht an das meine ketten, mit mir würdest du nur unglücklich!

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