Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Die Sonne hing voll, als gelbe Kugel am Horizonte. Enzio lag im Grase, unter einem Fichtenstamm, und hielt ein hellblondes Mädchen in seinem Arm. Sie trug ein dünnes, weißes Seidenkleid und hatte Kornblumen an den Schläfen.

Hast du mich lieb? fragte er leise. Sie schlang ihren Arm um seinen Nacken und antwortete nicht. – Wir müssen immer, immer beieinander bleiben, flüsterte Enzio.

Ans großer Nähe tönte Festmusik und das Lachen froher Menschen. Er zog sie fester an sich. – Bienle! sagte er, hast du schon einmal einen Menschen geliebt? – Sie umschlang ihn fester und schüttelte leise mit dem Kopf.

238 Was für ein zärtliches Paar! rief jemand vom Weg herauf. – Bleib ruhig liegen, flüsterte Enzio, es sind nur die dummen Menschen, die in der Tanzpause spazieren gehn.

Nach einer Weile richtete sie sich empor und sah in die untergehende Sonne, ernsthaft wie ein Kind, und der Schein überschimmerte golden den Schmelz ihrer Wangen, glitzerte in ihren hellen Augen, leuchtete in ihrem Haar. Ihre fest und kindlich gezogenen Brauen hoben sich ganz leise wie im Nachdenken, dann blickte sie wieder auf Enzio, und ihre Lippen lächelten, während ihre Augen ernst und träumerisch blieben. – Armes, süßes Kind! sagte er, hingerissen. – Warum denn arm? fragte sie erstaunt. – Ich weiß es nicht! rief er, aber du bist so arm! und sah sie fast ergriffen an. Sie verstand ihn nicht, und er verstand sich selber nicht. Er empfand eine tiefe und leise, schmerzliche Rührung für dieses einfache und süße Geschöpf.

Komm! sagte sie, wir wollen wieder etwas gehn! Sie erhob sich und ordnete ihr Haar. Er sah an ihr empor, er umarmte ihre Füße und ihre Knie und fühlte in zartem Rausch die Rundung ihrer Glieder.

Du mußt mir noch viel von dir erzählen! sagte er jetzt, als sie dicht nebeneinander hinschritten am Waldessaum: Hast du Geschwister? – Sie 239 erzählte von ihnen allen, und schließlich mußte sie ihm ihr Stübchen beschreiben, bis in jede Einzelheit hinein, er wollte auch das Kleinste wissen. Und jedes Ding empfing in seinem aufnehmenden Herzen einen besondern warmen Schein. – Ich schenke dir ein schönes Bild, das hängst du über dein Bett, dann mußt du jeden Abend an mich denken, wenn du es ansiehst. Du mußt mir alles sagen, was du haben möchtest. Ich schenke dir auch einen Ring! – Sie sah ihn glücklich an, dann ward ihr Gesicht ein wenig traurig. – Woran denkst du? – Ich möchte dir auch etwas Schönes schenken, aber ich kann es nicht! – Weil du kein Geld hast? – Sie nickte ein klein wenig. Er streichelte und küßte wieder ihre Hand. – Ich bekomme nur Taschengeld, dafür, daß ich die Wohnung bei uns in Ordnung halte. Und von dem Geld muß ich mir noch viel von meiner Kleidung kaufen. Manchmal will mir mein Vater gar nichts geben und sagt, es sei doch selbstverständlich, daß ich meine Arbeit tue. – Enzio ließ einen verstohlenen und liebenden Blick über ihr Kleid gehn. Es war geschmackvoll, aber billig. Und sein Auge, das einen natürlichen Blick für solche Dinge besaß, bemerkte jetzt, daß es wohl nicht von allem Anfang an so, wie es war, gewesen sei.

Vom Garten her tönte lautes Jauchzen und 240 Geschrei. – Die Sonne ist herunter, jetzt zünden sie die Feuer an, so wie sie ganz verschwunden ist, sagte Enzio. Komm, wir springen dann hinüber. – Halt, nein, noch nicht. Ich muß erst noch ein Kränzchen winden. – Wozu? – Das zeige ich dir dann. – Sie band einen kleinen Kranz aus neunerlei Blumen, und als er fertig war, ging sie wieder zu dem Baum, unter dem sie gesessen hatten, und hängte ihn an einem Zweige auf. – Ich mag gar nicht zurück! sagte sie, die Menschen sind so roh. – Aber Enzio faßte sie an der Hand, sie liefen durch den Park, an der Musik vorbei und zu den andern.

Das waren meist junge Studenten, Schriftsteller, Maler und Malerinnen.

Ein junger Mensch mit einem schwarzen Zwicker und mit Fellen um die Beine stürzte auf Enzios Freundin los, wie er sie zu Gesicht bekam. Da bist du ja wieder, du blonde Hexe! rief er, und ehe es Enzio verhindern konnte, hielt er sie in seinen Armen und preßte die Hände um ihre Brust, als wolle er gleichsam das Symbol aller Fruchtbarkeit in bacchantischer Lust umarmen. Bienle wurde mit einem Male äußerst lebhaft: Laß mich doch aus! schrie sie und machte eine heftige Bewegung. Er mußte sie loslassen und verkündete mit norddeutschem Akzent etwas von norddeutscher Rauschunfähigkeit. – Ich? norddeutsch? Ich bin hier zu 241 Hause, das kannst dir merken, du Preuß! – Den Kerl verhaue ich! rief Enzio und wollte auf ihn losstürzen. Aber der hatte sich bereits wieder in den dichtesten Schwarm geworfen und fand alsbald ein anderes Mädchen, das sich auch sogleich einladend-schwer in seinen Arm zurücksinken ließ wie eine lebendige Lagerstatt. Enzio starrte ihm erbost nach.

Komm, tanz mit mir! sagte Bienle; dann springen wir über das Feuer! Er umschlang sie, und beide vergaßen die wilde Welt, die um sie rauschte. Später saßen sie in einem Winkel, tranken Wein und hielten sich an den Händen. Die Dämmerung ward stärker, Fackeln und Lampions brannten. Die Musik artete in ein wildes Getöse aus, das sich stets in derselben Weise wiederholte. Die beiden wurden immer stiller. Sie hielten ihre jungen, heißen Körper dicht aneinandergepreßt.

Bienle, sagte Enzio nach einem langen Schweigen leise. Sie drückte sich noch enger an ihn. – Bienle, weißt du, was ich denke? – Sie sagte unsicher: Nein. – Ich kann es nicht sagen, und ich muß es dir doch sagen. Bienle, ich habe noch nie in meinem ganzen Leben ein Mädchen geliebt. Ich war noch nie mit einem Mädchen zusammen. – Sie ahnte, was er verschwieg. – Ich kann nicht mit dir gehn. – Hast du mich nicht lieb? – Sie faßte seine Hand. – Hast du mich nicht lieb? – O quäl 242 mich doch nicht so! – Wir gehören doch zusammen! Ich fühle doch, wie lieb du mich hast! Und daß wir uns immer lieb haben werden! Weshalb kannst du nicht mit mir gehn? – Sie schwieg, dann sagte sie leise: Ich habe Angst. – Er sprach lange zu ihr, dann fragte er: Und sonst hast du nicht Angst? Sonst würdest du mit mir zusammen sein? – Das große Gewicht, das sich auf seine Seele gelegt hatte, war um vieles leichter. – Sie sah ihn erstaunt an; in ihrem Blicke lag die Frage: Wenn ich dich liebe . . .?! Und morgen früh, sagte Enzio leise, nach einem Schweigen, sehn wir die Sonne aufgehn, draußen, hinter dem Wald bei mir. Bang wartete er auf ihre Antwort, und ein Schauer von Wonne überflutete ihn, als er ein leises Ja in ihrem Körper spürte. Er wollte sie küssen. Sie wehrte ab: Nicht – nicht hier, wo es die Menschen sehn.

Sie blieben nicht mehr lange. Jeder sah in den Augen des andern den Wunsch, fortzukommen aus dieser tobenden und lauten Menge.

In dieser Nacht lernte Enzio die Liebe kennen.

*


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