Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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Wie furchtbar schade, sagte er eines Tages zu Richard, daß ich nun so bald fortgehe! Jetzt, wo ich dich grade kennen gelernt habe! Wieviel könnte ich 169 noch von dir haben! Und nun soll das alles bald vorbei sein. Wir müssen uns viel schreiben! Ich möchte jetzt beinah am liebsten hierbleiben. Aber mein Vater sagt, was du mir einmal von den Konservatorien erzählt hast, wäre Unsinn. Die seien ebenso notwendig für den Musiker wie die Akademie für den Maler. Anderseits atme ich auf, wenn ich erst wegkomme. Mir ist doch so, als wenn das Leben dann erst anfinge. Hier halte ich es für die Dauer nicht mehr aus. Und doch habe ich irgendwie Angst vor einer Veränderung. Wenn ich davon spreche, daß ich nun bald allein leben werde, sieht mich meine Mutter manchmal mit so sonderbaren Blicken an. Ich weiß genau, was diese Blicke sagen wollen. Sie denkt dann: Ob er wohl fest genug ist dem Leben gegenüber? Ob er sich nicht unterkriegen lassen wird, sobald er auf sich allein gestellt ist? Und dann werde ich auf einmal melancholisch und weiß selber nicht warum. Mir ist manchmal, als führte ich hier ein Traumleben. Vielleicht hängt das auch mit meinem ganzen jetzigen Zustand zusammen, mit meiner Sehnsucht nach einem Mädchen. – Aber du Glücklicher, du liebst doch Irene. – Nein, du verstehst mich nicht! Ich weiß nicht, ob es allen Menschen so geht: Aber mich treibt es oft ruhelos herum. – Ach so, sagte Richard, ja, ich verstehe dich. – In den Augen meiner Mutter sehe ich einen unausgesprochenen 170 Vorwurf und eine Angst um mich, und neulich hat sie es gesagt: Ich weiß, du bist früher reif als andre, aber halte dich von einem Schritt fern, für den du noch zu jung bist. – Merkwürdig! sagte Richard. Da muß doch einmal irgend etwas vorgefallen sein, was du verschwiegen hast. – O, da ist mehreres vorgefallen, das heißt: davon weiß sie nichts und es kam auch nie bis zum letzten Schritt; nur einmal – ja, das weiß sie und das war schrecklich. Da ist es fast zu einer ganz nahen Freundschaft gekommen zwischen mir und einem Mädchen, das bei uns im Hause eine Stellung hatte. Meine Mutter merkte es und sie ward fortgeschickt. Ich habe geheult wie ein Junge. Wie sie zum ersten Male »du« zu mir sagte, zu mir, der ich für alle zu Haus »der junge Herr« bin, – – du kannst dir nicht denken, was für ein Schwindelgefühl mich packte. Sie mußte gehen und sollte am nächsten Morgen abreisen. Ich sagte ihr am Abend Lebewohl. Den nächsten Tag war ich todunglücklich, wähnte sie schon weit fort, und am übernächsten Tage – treffe ich sie plötzlich auf der Straße. Denke dir, da war ich sofort gänzlich abgekühlt. Ich verstehe das nicht, ich habe sie doch so geliebt! Dann ist sie wirklich abgefahren. Und jetzt denke ich manchmal: Wäre sie doch wieder da! Ich turne, bade, spiele Fußball, mache mich müde und matt mit Spazierenlaufen, wenn ich nicht 171 arbeite und alle diese Ideen über mich herzufallen drohen – und das Spazierenlaufen ist grade das Schlimmste von allem. Ich begreife nicht, daß meine Mutter dieses letzte immer will. Es ist ganz gleich, ob ich hier in der Stadt oder draußen auf dem Land gehe: ich kehre stets mit einem neuen Bilde heim. Ich muß mich beherrschen, denn der Wunsch meiner Mutter ist mir heilig; ihr bin ich alles, alles, und was da auch in ihr Leben eingetreten sein mag – ich will nicht, solange ich es hindern kann, ihr irgendeinen Schmerz bereiten.

So redete er jetzt. Und an einem der nächsten Nachmittage ließ er sich wieder treiben, immer mit dem Vorsatz, bis zu der Grenze des ihm Erlaubten zu gehn: Halbe Erlebnisse, nie zu einem Ende gebracht, und immer mit dem heimlichen Wunsch begonnen, daß sie zu einem Abschluß führen möchten. Dann lief er wieder allein, weite Strecken, manchmal draußen im Feld, auf dem Land, manchmal drinnen im Park, in dem er zwölfmal die Runde machte, und der ihm in seiner Kindheit so unermeßlich weit vorkam.

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