Friedrich Huch
Enzio
Friedrich Huch

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487 Enzio verbrachte inzwischen schlimme Tage, hin und her geworfen zwischen Furcht und Hoffnung. Caecilie war vollkommen niederschlagen. Ihr erster Gedanke gab ihr ein, selbst hinzugehn und mit Irene zu sprechen. Aber sie tat es nicht; in ihrem Herzen war ein Gefühl, ähnlich der Scham und dem Schuldbewußtsein. Enzio ging herum wie ein Scheinlebendiger, jede Stunde nahm er sich vor, Irene zu besuchen, und immer wieder hielt ihn die Angst zurück.

Was ist denn eigentlich los? fragte der Kapellmeister; seit einigen Tagen finde ich es hier nicht mehr so gemütlich wie sonst! Hast du dich mit deiner Irene gezankt, Enzio? Du bist ja wie verblödet! – Enzio lief aus dem Zimmer, der Kapellmeister sah fragend auf Caecilie. – Ich kann mit dir darüber nicht sprechen, sagte sie. Es ist wirklich etwas vorgefallen, aber ich hoffe noch immer, daß alles vorüber geht! – Also hängt es doch mit seiner Irene zusammen, wie? Und weshalb sagt man mir nichts? Weshalb werde ich von euch immer wie ein Außenstehender behandelt? – Was hat es für Nutzen, fragte Caecilie, mit dir über irgend etwas zu sprechen, was uns angeht? Das haben wir uns im Lauf der Jahre abgewöhnt. Du lebst in deiner Welt, und wir in der unseren. – Das klingt ja so, als ob wir ein ganz getrenntes Leben führten! Bin ich nicht stets zu Enzio ein 488 liebevoller, fürsorglicher Vater gewesen? – Caecilie wollte diese Unterhaltung abbrechen. Was hatte sie für einen Zweck! – Ja, ja, sagte sie, du magst recht haben, auf deine Weise; reg dich nur nicht darüber auf, laß Enzio in Frieden, es würde ihn bloß noch mehr verstimmen, wenn du dich jetzt etwa in seine Angelegenheiten einmischtest. – Nun wollte ich doch, sagte er und wurde lebhafter, daß ein Dritter im Zimmer wäre und anhörte, was wir bis jetzt gesprochen haben: Erst wirfst du mir vor, ich hätte zu wenig Interesse für Enzio, und dann sagst du: Laß ihn nur, es würde ihn verstimmen, wenn du dich einmischtest! Wie soll ich denn nun eigentlich sein? Ich merke schon lange, daß hier etwas im Gang ist. Aber ich wartete und dachte: Man wird doch wohl auch zu mir ein ganz natürliches Vertrauen haben! Soll ich Enzio nachlaufen? Ist es nicht der Sohn, der zum Vater kommen muß? Aber leider Gottes sind bei uns die Verhältnisse auf den Kopf gestellt! Und mir gibt man die Schuld dafür! Und dann diese maßlosen Übertreibungen! Hast du jemals so viel Aufhebens um mich gemacht, wenn ich in früheren Zeiten in einer künstlerischen Verstimmung war, wie um ihn jetzt, die vergangenen Wochen? Und waren meine nicht viel stärker? Durch deine Verwöhnereien hast du den Jungen schlaff gemacht, hättest du mich mehr an 489 seiner Erziehung teilnehmen lassen, so wäre er jetzt ein ganz anderer Kerl! Du wirst dich wohl noch erinnern, daß ich dir oft dreingeredet habe in deine Prinzipien. Aber natürlich, mit der Zeit erlahmt man. Was war die Folge deiner Methode, der Eifersucht, mit der du ihn nur immer ganz für dich haben wolltest? Daß er sich im Lauf der Zeit zurückgezogen hat von mir! Daß er sich in unreifen Jahren schon für eine Art Genie hielt! Daß er als grüner Junge bereits anfing, auf mich und mein Schaffen herabzusehn! Jemand, der von früher Jugend an systematisch von seinem Vater zurückgehalten wird, kann kein kräftiger Mensch fürs Leben werden, dafür lege ich die Hand ins Feuer! – Ich wollte – entgegnete Caecilie – du wärest so gewesen, wie du es dir jetzt einbildest. Daß ich eifersüchtig ihn ganz für mich haben wollte, ist richtig. Aber da wäre der Punkt gewesen, wo du hättest einspringen müssen. Daß du es nicht tatest, hängt mit dem zusammen, weswegen ich ihn so stark zu mir heranzog: deine innere Gleichgültigkeit mir und auch Enzio gegenüber, und später jenes andere, was ich nicht nennen will und was sich bis zum heutigen Tage hinzieht! Kann dabei ein Kind gesund heranwachsen? Nie hast du dich um Enzio ernsthaft gekümmert, außer in ganz frühen Jahren – und auch da nur einseitig – als du anfingst, ihn zu 490 unterrichten. Gabst du einmal deinen Rat, so war er falsch oder oberflächlich. Ich bin seine Mutter! Du selbst hast mich mit deiner Kunst langsam immer mehr enttäuscht. War es da ein Wunder, daß ich ganz in Enzio aufging? Daß ich alle meine Hoffnungen auf ihn warf? Jetzt sind sie niedergeschlagen, ich weiß nicht, ob sie sich jemals wieder aufrichten werden. Und das Schlimme ist, daß ich mir sagen muß: du hast trotz deiner Verblendung teilweise recht! Du hast die Schuld, aber ich habe auch die Schuld. Denn das sehe ich klar: Es fehlt Enzio jede Disziplin seiner selbst, die man nur durch Erziehung lernt, und da, wo sie fehlt, ist nur die Erziehung schuld gewesen. Er hat nichts Festes, Unverrückbares in seinem Wesen, keinen wirklichen Schwerpunkt in sich, keine kernhafte Mitte; nun ist er aus seiner Bahn herausgeworfen und kann nicht in sie zurückfinden. Er hat in den letzten Wochen und Monaten menschlich die schlimmsten Kämpfe, Erlebnisse, Enttäuschungen durchgemacht, das alles kommt zusammen, ich habe die furchtbarste Angst vor dem, was noch geschehen kann, wenn er jetzt auch Irene noch verlieren sollte!

Ist denn das so schlimm mit der? fragte der Kapellmeister, froh, daß die Unterhaltung eine andere Richtung nahm; – mir scheint, diese Verlobung droht wieder zurückzugehn? – Wenn sie zurückgeht, so weiß ich nicht, was werden soll. – 491 Ich glaube, Caecilie, du übertreibst das Ganze! Sein Trübsinn wird vorbeigehn, so wie er wieder einmal einen Einfall hat, das kenne ich so gut an mir selbst, von früher her! Und kleine Zänkereien kommen oft bei Verlobten vor. Das ist das beste Zeichen, daß die Ehe einmal gut wird. Reg dich nur nicht auf! Damit hilft man nicht und schadet nur sich selber. Ich werde Enzio tüchtig vornehmen, und du sollst sehn, es gelingt mir schon, ihn wieder aufzurichten. Dann wirst du auch empfinden, daß ich noch nicht allen Einfluß auf ihn verloren habe! An mir hat er doch ein gutes Beispiel, wie man alle Schwächen überwindet, durch Arbeit, die dann vom Erfolg gekrönt ist!

Caecilie war innerlich so verzweifelt, daß ihr seine letzten Worte wirklich etwas Mut machten, obgleich sie fühlte, wie ahnungslos verblendet sie waren.

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