Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

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1

Raoul de Fontenay lehnte sich behaglich in seinem Sessel zurück. Er ließ seine Blicke durch den eleganten Speisesaal des Ritz schweifen.

»Es ist eine Wohltat, mit ernsthaften Männern an einem Tisch zu sitzen, statt mit holder Weiblichkeit zu scherzen«, sagt er zu seinen Freunden, dem Amerikaner van Stratton und dem Engländer Henry Dorchester, einem aufgehenden Stern am politischen Himmel Großbritanniens.

Dorchester bemühte sich, einen würdigen Gesichtsausdruck aufzustecken, als er antwortete:

»Ich rufe dir im Geiste mein ›Bravo‹ zu, Raoul. Es ist die einzige Gelegenheit, die ein Mann heutzutage hat, um seinen wirklichen Gedanken Ausdruck zu verleihen. In Gesellschaft von Frauen kann von einer vernünftigen Unterhaltung überhaupt keine Rede sein. Unsere Vorväter hatten recht, als sie nach beendeter Mahlzeit ihre Frauen in die Kemenaten verbannten.«

Van Stratton lachte:

»Wenn eine Amerikanerin euere Blasphemien gehört hätte, wäret ihr Kinder des Todes.«

Fontenay ließ sich durch diese Warnung nicht abhalten, das Thema weiter auszuspinnen:

»Die Frauen deines Landes sind entzückende Geschöpfe, mein lieber van Stratton. Einen schwerwiegenden Fehler besitzen sie aber alle: Sie fühlen sich ungeheuer wichtig; sie glauben die Brennpunkte des Daseins zu sein. Darin täuschen sie sich aber. Auch die entzückendst geschminkte Wange, der röteste Mund können uns nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß Schranken zwischen den Geschlechtern vorhanden sind, die eine weise Natur gezogen hat und nicht überschritten wünscht. Wenn ich für das, was mich geistig beschäftigt, Verständnis bei dritten suchen will, dann darf ich mich nur an einen Mann wenden; nur er kann sich in mich hineindenken, sich in meine Anschauungen hineinversetzen. Von der Frau darf man nur verlangen, die Gefährtin des Mannes zu sein, ihm Rosen auf seinen Lebenspfad zu streuen. Sich in die Berufsgeschäfte des Mannes hineinzumischen, ihm etwa gar Vorschriften zu machen oder Verhaltungsmaßregeln zu erteilen, führt niemals zu etwas Gutem. Heiterkeit spenden, Erholung zu gewähren, amüsant wirken, uns dauernd oder zeitweise zu fesseln, das sollen die Aufgaben der Frau sein. Wenn sie außerdem noch Anhänglichkeit und Treue zu ihren Charaktereigenschaften zählen darf – schön und gut.«

»Grau ist alle Theorie«, zitierte der angehende Parlamentarier. »Würdest du damit einverstanden sein und die Folgen auf dich nehmen, die Frau, die alle Leiden mit dir teilen soll, über deine Lebenszwecke im unklaren zu lassen?«

»Pfui, Henry,« spöttelte der elegante Franzose und streckte Dorchester abwehrend die Hand entgegen, »wie kannst du nur so ganz und gar englisch sein? Du bist eben so kompliziert wie alle deine Landsleute.« Er hob sein Weinglas und beobachtete die Perlen seines Frühstücksmosels. »Ihr habt die Schuld, wenn wir nun dieses Thema weiter ausspinnen müssen«, fuhr de Fontenay fort: »Wie kommt es, meine Freunde, daß wir, die wir bekannterweise alle ziemliche Frauenfreunde sind, immer noch die Welt als Junggesellen unsicher machen? Habt ihr euch diese Frage schon einmal vorgelegt? Kommt es euch nicht auch merkwürdig vor?«

Dorchester zuckte die Achseln: »Ich werde bestimmt eines Tages heiraten«, erklärte er. »Wenn es bis jetzt noch nicht geschehen ist, so trägt meine Arbeit, die mir keine Zeit zum Flirten übrig läßt, die Schuld daran.«

»Ich bin ein Ahasver des Heiratsmarktes«, scherzte der junge Amerikaner. »Ich habe in der ganzen Welt Umschau gehalten. Nichts Passendes ward mir zuteil. Warum? Gott, wie soll ich euch das erklären? Die Französinnen sind nett, lieb und unbedingt die schätzenswertesten aller Frauen, aber, entschuldige den Ausdruck, mein lieber Raoul, ich finde sie ein wenig zu – hm – aufdringlich. Jeder Blick, jede Bewegung, jeder Händedruck sind eine Aufforderung zum Flirt. Sind sie eines Mannes überdrüssig oder müde geworden – flugs ist ein neuer Blitzableiter ihrer Gefühle gefunden. Nein, Raoul, nichts für mich! Die Engländerinnen, Henry? Gott, warum soll ich dir etwas vorlügen: Sie sind hervorragende Sportlerinnen, aber – kalt. Man fühlt sich bei ihnen wie in einem ungeheizten Eisenbahnabteil. Das sportliche Element verdrängte bei ihnen das weibliche, zerstörte ihre Anmut. Alles, was sie zur Hand nehmen, trägt den Stempel einer Sportbetätigung an sich. Auch in der Liebe können sie diese zur Macht gewordene Gewohnheit nicht ablegen. Wenn ich das Für und Wider einer jeden Nation in ihren weiblichen Vertreterinnen prüfe und wäge, dann glaube ich, letzten Endes doch eine Amerikanerin vorziehen zu müssen.«

Fontenay hatte dieser langen Erklärung van Strattons ohne ein Zeichen von Ungeduld zugehört:

»Ihr sucht mir beide etwas zu krampfhaft nach Gründen für euer Zölibat. Nun will ich euch einmal erzählen, warum ich nicht heirate. Ich bin mir darüber klar, daß ich jenen Trieb in meiner Seele habe, den man allgemein mit ›Treulosigkeit‹ bezeichnet. Es ist für mich ein Ding der Unmöglichkeit, mein ganzes Leben und Fühlen einer Frau zu widmen. Da ich das selbst am allerbesten erkannt habe, heirate ich eben überhaupt nicht, sondern halte mich an die Stanza aus Rigoletto: ›Nur in der Freiheit kann die Liebe gedeih'n‹. Nun, Mark van Stratton, Vertreter der großen Nation des Westens, was meinst du dazu?«

Der junge Amerikaner schien ihn nicht gehört zu haben, denn er blickte, ohne zu antworten, unverwandt auf die Eingangstür. Dann, als erwache er aus einem lieblichen Traum, tat er einen tiefen Atemzug:

»Entschuldige, Raoul«, bat er und sah interessiert nach dem Eingang des Speisesaals. »Wenn ich mich nicht sehr täusche, habe ich eben dort durch jene Tür das Mädchen eintreten sehen, das bald den Namen einer Mrs. van Stratton führen wird. Sie wird meine Gattin werden, keine andere. Seht ihr sie? Dort, jene schlanke junge Dame im grauen Kostüm mit dem Chinchilla-Pelzbesatz.«

Die beiden anderen blickten überrascht in die angedeutete Richtung. Sie waren über die ungewohnte Leidenschaft der Worte van Strattons mehr belustigt als erstaunt.

»Wo ist sie, die einen Eindruck stark genug machen konnte, um in deinem weiten Herzen den Begriff ›Liebe‹ zu erwecken?« Mit sichtbarem Interesse hatte de Fontenay das Einglas eingeklemmt und schielte verstohlen auf die junge Dame, die einen solchen Eindruck auf seinen amerikanischen Freund gemacht hatte.

»Ich bin gespannt«, erklärte auch Dorchester, »die Hauptdarstellerin in diesem Melodrama ›Liebe auf den ersten Blick oder Mark Strattons Leidenschaft‹ kennenzulernen.« Mit unnachahmlichem Ernst wandte er sich an van Stratton: »Wenn das Feuer neuerwachter Liebe dir genügend Selbstbeherrschung übrig gelassen hat, um mir, ohne dich auffällig zu machen, die Auserwählte deines Herzens zu zeigen, dann wäre ich dir dankbar, Mark.«

»Du bist blind wie ein Maulwurf, Henry«, tadelte Mark van Stratton seinen Freund. »Dort, jene ist es, die sich eben mit einem alten Herrn am Fenstertisch niedergelassen hat. Gott, welch ein anmutiges, entzückendes Geschöpf!«

Der Gesichtsausdruck de Fontenays war immer erstaunter geworden. Nun ließ er das Monokel fallen und stieß einen unterdrückten Pfiff aus.

»Ja, hübsch ist sie«, urteilte indessen Dorchester, ohne jedoch besonderes Entzücken zu verraten. »Sie sieht aus wie ein Musterstück Meißner Porzellans. Weißt du, wie sie heißt, Mark?«

Van Stratton schüttelte den Kopf:

»Ich weiß von ihr nicht mehr als du. Eben habe ich sie in meinem Leben zum erstenmal gesehen.«

»Vielleicht kann ich euch auf die Sprünge helfen«, ließ sich jetzt der Franzose vernehmen. »Der alte Herr ist ihr Vater!«

»Spiele nicht das Orakel, Raoul«, wies ihn Mark zurecht. »Warum willst du mich, wenn du sie kennst, auf die Folter spannen? Nennst du das Freundschaft?«

»Rede keinen Unsinn, Mark. Natürlich kennst du sie!« De Fontenay schien überrascht, als er den erstaunten Blick seines Freundes auffing.

»Nein, bestimmt nicht, Raoul, ich habe keine Ahnung, wer sie sein könnte. Auch den alten Herrn kenne ich nicht.« Mark legte beteuernd seine Hand aufs Herz.

»Auch mir sind beide fremd«, erklärte Dorchester.

Ehe er antwortete, nahm der Franzose einen langen Schluck aus seinem Weinglas. Mit großem Vergnügen beobachtete er den gespannten Gesichtsausdruck van Strattons:

»Das, meine lieben Freunde«, begann er in lehrhaftem Ton, »ist einer der bekanntesten Männer Englands, ja der ganzen zivilisierten Erde. Seine Herkunft ist dunkel wie eine mondlose Nacht; seit Jahren sind die Spürhunde einer Weltpresse auf seinen Fersen, um das Geheimnis dieser Sphynx zu lösen. Er ist der größte, der gefürchtetste Tyrann des zwanzigsten Jahrhunderts. Heute spiegelt ihn die Presse als Wohltäter der Menschheit, morgen als Goliath-Shylock wider. Von der Parteien Gunst und Haß verzerrt, schwankt sein Charakterbild an allen Börsen. Hat man mit ihm spekuliert – dann gibt es keinen größeren Napoleon der Finanz als ihn. Hat man gegen ihn gespielt und dabei Federn gelassen, dann schreit man nach sämtlichen dienstfreien Staatsanwälten: Mit einem Wort, meine Freunde, jener alte Herr, den ihr in Begleitung des neuaufgegangenen Sterns van Strattons seht, heißt – Felix Dukane.«

»Felix Dukane?!« wiederholte Mark tief erstaunt, und »Dukane?!« ließ sich Dorchester verwundert vernehmen.

»Ja, er! Es wundert mich, ihn hier zu sehen. Er ist kein Mann, der sich gern der Öffentlichkeit zeigt. Kein Berichterstatter, und wäre er vom Teufel selbst entsandt, kann sich rühmen, jenen Mann erfolgreich interviewt zu haben. Einer versuchte es – er machte Bekanntschaft mit den riesigen Fäusten des Finanziers. Ich kann das verstehen: Sieh dir die Schultern deines künftigen ›Schwiegervaters‹ an, Mark. Er muß Kräfte wie ein Bär haben.«

Als Amerikaner bester Kreise und selbst aus vermögendem Haus hatte Mark van Stratton doch noch nicht den Respekt vor einem solchen Reichtum, wie man ihn Felix Dukane zuschrieb, verloren. Auch Dorchesters Interesse wurde durch jenen geheimnisvollen Kometen am finanziellen Firmament erweckt:

»Felix Dukane?!« Leise flüsterte der Engländer den Namen vor sich hin. »Der einzige Mann, der jemals auf eigene Faust den Kampf mit Wallstreet aufgenommen und erfolgreich durchgeführt hat?!«

»Er schlägt wie Moses an den Felsen«, setzte de Fontenay seine Belehrung fort, »und Gold, gleißendes, gemünztes Gold sprudelt heraus. Aber nicht nur sein krösushafter Reichtum ist es, der ihm Erfolg gebracht hat. Sein Wort gilt etwas. Geldquellen kann er erbohren, wo ein anderer nichts als Sand und nochmals Sand zum Rieseln brächte. Er hebt die Hand: Die Banken des europäischen Kontinents öffnen ihm ihre Tresore. Ich persönlich halte eine derartige Macht, vereint auf einen Mann, für einen Krebsschaden unserer Wirtschaft. Skrupellos nützt er seine Position aus und auch vor einer Schurkerei macht er nicht halt.«

»Was mag er in London, das er haßt, wollen?« fragte Dorchester.

»Gutes sicherlich nicht«, bekräftigte de Fontenay. »Er meidet London, wo er nur kann. Wenn er jetzt hier ist, dann bedeutet das für viele Menschen ein böses Omen!«

Der einzige, der sich an diesen Kritiken des alten Mannes nicht beteiligte, war Mark van Stratton. Die Worte seiner beiden Freunde schienen keinerlei Eindruck auf ihn zu machen. Nun wandte er sich an den Franzosen:

»Sage mir, Raoul, wo hast du die beiden Leute kennen gelernt?«

»Die Frage ist berechtigt, mein lieber Mark«, entgegnete er. »Gesellschaftlich hätte ich wahrscheinlich dieses Vergnügen kaum genießen können, denn Felix Dukane verkehrt nicht in den Kreisen, die wir als die unsrigen betrachten. Einladungen hat er in Hülle und Fülle bekommen, aber, so weit ich unterrichtet bin, keine einzige angenommen. Wo ich ihn also kennen lernte? In Monte Carlo, Freund Mark. Vater und Tochter weilten einige Tage dort, während ich mein Heil am Spieltisch versuchte. Sie liefen mit ihrer Jacht an, fuhren aber, als Dukane bemerkte, daß man ihn im Kasino erkannt hatte, wieder weg.«

»Woher stammt der Mann eigentlich?« erkundigte sich van Stratton.

»Ich sagte dir ja schon, daß man davon keine Ahnung hat. Sein Paß ist, wie ich zufällig weiß, britisch. Seine verstorbene Frau war die Tochter eines griechischen Staatsministers. Sie soll eine Helena an Schönheit gewesen sein. Ein Freund meines Vaters, der in Paris lebt, kannte Mrs. Dukane. Persönlich habe ich sie nie zu sehen bekommen.«

Mark wandte sich verlegen ab, als er seine nächste Frage an de Fontenay stellte:

»Bist du mit Dukane so gut bekannt, daß du ihm deine Freunde vorstellen kannst?«

Der andere schüttelte zweifelnd den Kopf:

»Kaum«, entgegnete er. »Ich würde dir gern diesen Gefallen tun, Mark, aber – bei Dukane muß man in diesen Dingen vorsichtig sein. Sieh ihn dir an: Sieht er nicht aus, als wolle er jeden Augenblick aufspringen, um sich die Blicke, die man ihm zuwirft, zu verbitten? Er hat mich sicherlich längst erkannt; es wird ihm aber nicht im Traum einfallen, mir die geringste Ermutigung zuteil werden zu lassen.«

»Wie sehr ich mich auch dabei blamieren mag, ich muß die Bekanntschaft des Mädchens machen«, sagte van Stratton erregt.

»Auch mich interessiert dieser Dukane«, gab Dorchester zu.

Die drei Freunde schwiegen und widmeten sich weiter dem Frühstück. Verstohlen beobachteten sowohl van Stratton als auch Dorchester die beiden Menschen, die ihr Interesse erregt hatten. Fontenay, der heute Gastgeber war und auf dessen Einladung sich die beiden anderen hier eingefunden hatten, quittierte ironisch lächelnd die offensichtliche Zerstreutheit seiner beiden Freunde.

Die drei Herren beendeten ihr Mahl und schritten dem Ausgang zu.

»Ihr müßt mir doch selbst zugeben, Kinder«, neckte der Franzose seine Begleiter, »daß ihr die Frauen viel zu ernst nehmt. Kaum taucht ein Mädchen auf, das euch interessiert, so vergeßt ihr alles andere. Ich habe nichts dagegen einzuwenden, solange ihr unseren langjährigen Freundschaftsbund nicht vernachlässigt. Versprecht mir, desselben stets eingedenk zu bleiben, und ich will mich gern bescheiden.«

Dorchester blickte ihn vorwurfsvoll an:

»Was bedarf es in dieser Sache noch eines Versprechens?«

»Meine Freundschaft ist unerschütterlich«, bekräftigte auch der Amerikaner.

»Gut«, erwiderte de Fontenay. »Weil ihr euch so vernünftig erwiesen habt, will ich auch ein Opfer auf dem Altar unserer Freundschaft niederlegen: Ich weiß zwar nicht, wie die Sache ausgehen wird, aber – ich werde euch den Dukanes vorstellen. Hier an diesem Tisch wollen wir Kaffee trinken. Nun helfe uns Eros, der Schutzgeist aller Verliebten!«

 


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