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Beim nächsten Zusammentreffen zwischen Mark und de Fontenay wurde es bemerkbar, daß seit der Szene in de Fontenays Wohnzimmer in ihren freundschaftlichen Beziehungen doch eine leichte Abkühlung eingetreten war. Bei beiden hatten die Aufregungen der letzten Wochen ihre Spuren hinterlassen; sogar Dorchester, der von den Ereignissen kaum eine Ahnung haben konnte, hatte ein wenig von seiner Frische verloren und tiefe Linien hatten sich um seine Mundwinkel eingegraben. Wie immer, war es auch diesmal de Fontenay, der die Lage einigermaßen wieder ins Gleichgewicht brachte. Nachdenklich seinen Cocktail genießend, summte er die Melodie eines französischen Marschliedes vor sich hin. Bei den gewohnten Klängen spitzten die beiden anderen, wie Schlachtrosse, aufmerksam die Ohren. Mark lächelte versonnen:
»Bei Gott«, rief er aus. »Erinnerst du dich, Raoul, wie wir an jenem Morgen versuchten, die Überreste des Kürassierregiments lebendig über die Brücke zu bringen? Wie hast du geflucht, Henry, als du mit deinen Spielzeugkanonen über den Sturzacker fahren solltest –«
»Um mitten in unseren Reihen zu landen. Und du, Mark, du kamst mit deiner alten Badewanne, die einen Flügel gebrochen hatte, aus der Luft in dieses Durcheinander hinein«, vervollständigte Dorchester die Erinnerung. »Wir gaben keinen Pfifferling für dein Leben, Mark, und glaubten, uns träfe der Schlag, als du in aller Ruhe deinen Sturzhelm abnahmst und um einen Trunk Wasser batest.«
»Herrlich war es«, rief de Fontenay begeistert aus.
»Wie schön sind doch unsere Wiedersehensfeiern«, erklärte Dorchester, »und auch die heutige läßt daran nichts zu wünschen übrig. Trotz aller möglichen Zwischentreibereien, die sich in letzter Zeit ereigneten, haben wir uns heute doch wieder zusammengefunden. Na, diese – Mißverständnisse können an unserer Freundschaft nicht rütteln. Sie ist dauerhaft genug, um allen Stürmen standzuhalten. Wir haben manches ausgehalten und werden auch über diese Zeit hinwegkommen.«
Der »Maître d'hôtel« trat zu ihnen und führte sie an ihren vorbestellten Tisch.
»Wie schreitet denn euer Konkurrenzkampf fort?« erkundigte sich de Fontenay bei Lord Dorchester.
»Ich habe einige kleine Vorpostenplänkeleien gewonnen«, lachte der Gefragte und warf Mark einen verschmitzten Blick zu. »Natürlich bin ich noch lange nicht so weit, wie ich mir wünsche.«
»Mir geht es genau so. Vor allen Dingen mißfällt mir diese großzügige Gastfreundschaft Dukanes. Halb London verkehrt ja in seinem Palast. Der Konkurrenzkampf wird zu scharf, denn es treten zu viele neue Bewerber auf. Henry und ich werden wohl nun schwerere Geschütze ins Feld führen müssen, nicht wahr, Henry?« wandte sich Mark fragend an den Lord.
»Natürlich gehen wir alle drei zu Dukanes«, meinte Raoul.
»Natürlich!« stimmte Mark finster zu. »Ich glaube, Dukanes haben mehr als tausend Einladungen verschickt. Vor einigen Tagen war ich zum Fünf-Uhr-Empfang dort – mein Gott! Man glaubte, in eine Wahlversammlung geraten zu sein, so voll war der Salon.«
»Das wundert mich nicht«, bemerkte de Fontenay. »Wenn der reichste Mann der Welt – nebenbei mit einer schönen Tochter gesegnet – inmitten einer langweiligen Saison empfängt, dann ist es naheliegend, daß alles, was irgendwie die Möglichkeit dazu sieht, hinläuft. In Paris dürfte es für ihn schwieriger gewesen sein, sich Eingang zu verschaffen. Weißt du, Mark, daß Estelle Dukane gestern abend Ihrer Majestät der Königin vorgestellt worden ist?«
»Ja, ich war dabei, hatte aber keine Gelegenheit, ein Wort mit ihr zu sprechen.«
»Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Freund van Stratton«, warnte ihn der Franzose. »Ich bin ihr gegenüber neutral und kann doch nicht umhin, sie als die Königin dieser Saison zu prophezeien; du wirst ihr Bild bald in allen illustrierten Zeitungen finden. Paßt auf, ihr beiden, ihr werdet noch manchen schweren Kampf durchzumachen haben. Ich persönlich bin der Meinung, daß euch damit ganz recht geschehen würde.«
»Du scheinst heute deinen stachligen Tag zu haben, Raoul«, bemerkte Dorchester. »Warum soll uns damit recht geschehen?«
»Weil du und Mark in seltener Einmütigkeit euch an ein Mädchen gehängt habt, von der ihr nichts anderes wißt, als daß sie, in der Art von Porzellanpuppen, hübsch ist. Kinder, ich wundere mich über euch! Was seht ihr denn nur an Estelle Dukane, daß sie euch so verrückt gemacht hat?«
Die beiden Verliebten tauschten sprechende Blicke aus.
»Raoul kann so etwas niemals begreifen«, meinte Dorchester.
»Wo Frauen in Frage kommen, gehen Raoul alle Empfindungen ab«, urteilte Mark. »Er ist einer einzigen treu und bleibt es.«
Der Franzose lächelte:
»Gerade weil ich mich auf Frauen verstehe«, sagte er, »wundere ich mich über euere Borniertheit. Blickt zu jenem langen Tisch hinüber, Kinder; er sieht aus, als wäre er für eine wichtige Gesellschaft reserviert! Vielleicht haben wir heute zum drittenmal das Vergnügen, Miß Dukane während unserer Wiedersehensfeiern hier eintreten zu sehen.«
Er winkte den Oberkellner herbei und blickte nach der Tafel hinüber, die seine Aufmerksamkeit erregt hatte.
»Für wen sind dort die zwölf Plätze reserviert?« erkundigte er sich bei dem diensteifrigen ›Maître d'hôtel‹.
»Für Seine Ehren den Herrn Finanzminister Mr. Fowler King«, gab der Gefragte Auskunft. »Mr. Felix und Miß Estelle Dukane gehören zu den Gästen.«
Nachdenklich trank Raoul sein Glas aus:
»Seht ihr, Kinder«, bemerkte er, »der Vorhang hebt sich zum letzten Akt. Mr. Felix Dukane hat mein Vaterland im Stich gelassen, und während er hier mit Seiner Ehren soupiert, fällt der Frank ins Bodenlose. Wer die Drähte zieht, wissen wir gewöhnlichen Sterblichen leider nicht.«
Eben traten die Erwarteten ein, geführt von Seiner Ehren dem Herrn Finanzminister, der, Estelle zur Rechten, mit gesenktem Haupt seinem Platz zuschritt.
Mark warf Dorchester, seinem Rivalen, unmißverständliche Blicke zu:
»Der Minister ist mir unsympathisch«, erklärte der Lord. »Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß er der Liebling aller Londoner Frauen ist. Ich glaube, der alte Dukane würde sich freuen, einen britischen Finanzminister als seinen Schwiegersohn willkommen zu heißen.«
Estelle warf den drei Freunden, die sie gleich bei ihrem Eintritt ins Lokal erblickt hatte, ein freundliches Lächeln zu, aus dem die beiden Rivalen lesen konnten, was ihnen beliebte. Mit Mark wechselte der alte Dukane nur einen förmlichen Gruß.
»Du scheinst bei dem Alten keinen sehr großen Stein im Brett zu haben, Mark?« bemerkte Dorchester fröhlich.
»Das kommt daher, weil Mr. Dukane reichlich viel von seinen Freunden erwartet«, erklärte Mark.
»Nicht nur er, sondern auch seine Tochter«, vervollständigte Raoul das Urteil.
Mark errötete. Das war das erstemal, daß de Fontenay jenen unglücklichen Zwischenfall mit Estelle erwähnt hatte.
»Ich fühlte mich damals in meiner Haut nicht sehr wohl, Raoul«, entschuldigte er sich, »konnte aber nicht anders handeln.«
»Vielleicht ja, vielleicht auch nicht«, lautete die Antwort de Fontenays. »Jedenfalls empfand ich deine Einmischung als sehr unangebracht. Ich bin fest überzeugt, daß ich, hättest du mich nicht an deren Erlangung verhindert, aus den Papieren hätte feststellen können, ob Felix Dukane hinter dieser Frankeninflation steckt. Die Papiere stammten, wie ich nachträglich erfahren konnte, aus Mailand. In Mailand war es ja auch – und ist noch der Fall –, wo die meisten Frankenverkäufe getätigt wurden und noch getätigt werden.«
»Aber«, gab Mark zu bedenken, »was hätte Dukane davon, wenn er eure Währung ruinierte?«
»Das wird er selbst am besten wissen. Jedenfalls ist für jeden, der Geld genug hat, bei derartigen Spekulationen viel Geld zu verdienen. Das Entsetzlichste dabei ist, daß ein ganzes Volk diese Gewinne aus seiner Tasche bezahlen muß.«
»Dieser sinnlose Weltkrieg«, bemerkte Dorchester. »Was hat er für Elend gebracht! Niemand hatte Gutes davon. Hilf Gott, daß wir niemals wieder einen Krieg erleben.«
In de Fontenays Augen leuchteten Funken auf; mit seinen Fingern schlug er leise den Takt zu der Musik; er schien in die Zukunft zu blicken und wieder das Trommelgerassel marschierender Armeen zu hören.
»Der Krieg ist heute zu einem Ding der Unmöglichkeit geworden«, philosophierte Dorchester weiter. »Verliert der Angreifer, dann verliert der Verteidiger und Sieger einen Kunden. Je mehr du ihn in seiner finanziellen Freiheit beschneidest, um so weniger kaufkräftig ist er. Du bestrafst dich also nur selbst, wenn du die Kaufkraft des Verlierenden einengst, indem du ihm schwere Kriegsentschädigungen auferlegst. Nimmst du ihm Land weg, dann verlieren seine Bewohner ihre Erwerbsmöglichkeiten, können also nichts hervorbringen und deshalb ihre Steuern nicht bezahlen. Kolonien? Ja, sie werden dir vielleicht Rohstoffe liefern können, aber als nationaler Vermögenszuwachs ist ihr Wert gleich Null.«
Die drei Freunde erhoben sich. Estelle hatte sie lächelnd begrüßt, doch widmete ihr Vater ihnen keinen einzigen Blick mehr. Aus dem Lärm der zahlreichen Unterhaltungen im Lokal und dem Gläserklingen und Tellerklappern drang die erregte Stimme des Finanziers:
»Mir macht es den Eindruck«, sagte er eben zum Minister, der seinen Ausführungen aufmerksam zu lauschen schien, »als verfolgten die Vereinigten Staaten mit voller Absicht den Plan, die übrige Welt ihres gesamten Goldvorrates zu berauben. Amerika wünscht sich nichts Besseres als einen neuen europäischen Krieg. Deshalb will es ja auch an keiner, wie immer gearteten, Konferenz teilnehmen. Ich bin kein Pessimist, meine Herren, aber das prophezeie ich dennoch: Ein neuer Krieg, und England ist ruiniert. Blicken Sie heute auf dieses Land: Einerseits ungeheure Kriegslasten, Kampf gegen die Industrien aller Welt, und auf der anderen Seite offen für jede Einfuhr. Zollfreiheit? Daß ich nicht lache!«
»Das klingt ja sehr erfreulich«, meinte Dorchester, als sie das Lokal verließen.
»Man scheint dem alten Dukane ein wenig gegen den Strich gefahren zu sein«, bemerkte Mark.