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Die drei Freunde hatten einen Tisch im Foyer besetzt, von dem aus sie jeden, der den Speisesaal verließ, beobachten konnten. Ihre Augen fest auf die Tür gerichtet, warteten sie. Nur hin und wieder tauschten sie einige Worte.
»Dort kommen sie«, rief Mark van Stratton leise dem Franzosen zu, der als einziger versucht hatte, die Unterhaltung aufrecht zu erhalten. »Schnell, beeile dich, Raoul! Der alte Dukane scheint es verflucht eilig zu haben.«
Fontenay fügte sich dem Unvermeidlichen; er erhob sich und, während ihn die beiden Zurückbleibenden gespannt beobachteten, näherte er sich dem Paar. Nicht die geringste Ähnlichkeit deutete darauf hin, daß sie Vater und Tochter waren. Der Alte, kurz und gedrungen, hatte einen im Verhältnis zum übrigen Körper großen Kopf, der mit einem dichten Schopf graumelierten Haares bedeckt war. Das energische, ja brutale Gesicht war von einer eisigen Blässe und ein Paar graublauer, scharfer Augen leuchteten wie glühende Kohlen aus ihm hervor. Die tiefrote Unterlippe wie zum Trotz weit vorgeschoben, schritt der alte Mann, starr geradeaus blickend, auf den Tisch zu, vor dem ihn de Fontenay erwartete.
Das Mädchen, das an der Seite des Vaters schritt, war etwas schlanker und wirkte deshalb größer als der Vater, sie strahlte eine Atmosphäre von Liebreiz und Charme aus. Das lichtbraune, nach italienischer Mode aufgesteckte Haar, die rehbraunen, vom Feuer frischester Jugendlichkeit erfüllten großen Augen, der glatte, wie Milch und Blut schimmernde Teint, der etwas breite, aber tiefrot, in natürlicher Frische erglühende Mund, ließen die Bewunderung, die van Stratton ihr zollte, verständlich erscheinen.
Ihr Vater schien sein ganzes Augenmerk darauf zu richten, so schnell wie möglich aus dem Foyer heraus und zu seinem Auto zu gelangen. Allem Anschein nach war es ihm nur darum zu tun, dieses elegante Lokal zu verlassen, ehe man ihn erkannte. Die Tochter folgte ihm, benützte jedoch die Gelegenheit, um das lebhafte Treiben im Foyer zu beobachten.
De Fontenay mußte seinen ganzen Mut zusammennehmen, als er sich aufraffte und Dukane mit einer Verbeugung die Hand entgegenstreckte:
»Das dürfte das erstemal sein, Mr. Dukane«, redete er den alten Herrn in elegantem Französisch an, »daß ich das Vergnügen habe, Sie in London begrüßen zu dürfen. Unser letztes Zusammentreffen fand in der französischen Botschaft in Rom und anschließend beim Empfang des Präsidenten in Rambouillet statt. Sie werden sich meiner wohl kaum erinnern: de Fontenay, Oberst Raoul de Fontenay, zu Ihren Diensten.«
»Doch, ich erinnere mich Ihrer, Herr Oberst«, gab Dukane höflich zu, doch ohne sonderliche Freude zu verraten.
»Darf ich mir die Bitte erlauben, Ihrem Fräulein Tochter vorgestellt zu werden?« fuhr de Fontenay mutiger geworden, fort.
Der alte Herr schien dem Ersuchen des Franzosen nur widerstrebend zu willfahren, während die Tochter dessen Verbeugung mit einem liebenswürdigen Lächeln erwiderte. Man unterhielt sich einige Augenblicke, doch war sich de Fontenay über den Erfolg seines Vorhabens, seine Freunde Dukane vorzustellen, noch nicht ganz sicher. Der Finanzier war immer noch nicht liebenswürdiger geworden und verriet sein Bemühen, sich schnell zu entfernen. Die beiden Freunde des Obersten beobachteten diese Szene mit großer Ungeduld.
»Ich muß dich um Verzeihung bitten, Mark«, meinte eben Dorchester. »Ich hätte dir einen so guten Geschmack gar nicht zugetraut. Mit einer einzigen Ausnahme, die hier keine Rolle spielt, ist die Tochter Felix Dukanes unstreitig das schönste Weib, das mir jemals vor Augen gekommen ist.«
»Mit dieser sinnlosen Bemerkung hast du bewiesen, wie wenig du von weiblicher Schönheit verstehst, Henry«, lautete die unhöfliche Antwort des Amerikaners. »Es gibt in dieser Beziehung nicht eine einzige Ausnahme: Miß Dukane ist das schönste Mädchen.«
»Die Zeiten sind vorüber, Mark«, begnügte sich Dorchester zu erwidern und klopfte sorgfältig die Asche von seiner Zigarette, »wo wir uns beide auf geharnischte Pferde gesetzt hätten, um unsere Meinung in einem Turnier zu verteidigen. Ich – Ruhig Mark! Sie kommen. Tüchtiger Kerl, Raoul, er hat's tatsächlich geschafft.«
De Fontenay war in seiner Absicht erfolgreich geblieben, doch nur, weil er den Stier bei den Hörnern genommen und keine ablehnende Antwort abgewartet hatte:
»Würden Sie, Mademoiselle, mir gestatten«, hatte er sich an Felix Dukanes Tochter gewandt, »Ihnen meine beiden Freunde, Lord Henry Dorchester und Mr. Mark van Stratton, vorzustellen? Hier, Henry, Mark, Mr. Felix Dukane und Miß Dukane. Die Herrschaften waren so liebenswürdig, meine Einladung zu einer Tasse Kaffee anzunehmen.«
Während dienstbeflissene Kellner die bestellten Erfrischungen heranschleppten, schienen die übrigen im Foyer anwesenden Gäste den Finanzier erkannt zu haben. Wie leises Rauschen liefen die erstaunten Bemerkungen um die Tische: »Der geheimnisvolle Millionär. Was mag er in London wollen?«
Man konnte es dem Finanzier ansehen, wie unangenehm ihn dieser unvorhergesehene Aufenthalt in diesem Hotel berührte. Er beantwortete die höflichen Floskeln, mit denen die drei Freunde versuchten, die Zeit zu vertreiben, nur mit einsilbigen »Ja«, »Nein«. Er empfand diese gesellschaftliche Funktion als Zeitverlust. Dorchester fand als erster den Mut, sich an Miß Dukane zu wenden, und die beiden unterhielten sich einige Minuten angeregt über die Londoner Gesellschaft. Erst als dieses Thema erschöpft schien, wandte sich die junge Dame von ihrem bisherigen Ritter ab und richtete eine kurze Frage an Mark van Stratton:
»Sie sind Amerikaner, nicht wahr, Mr. van Stratton?« erkundigte sie sich.
»Ja«, stotterte er, »wenn ich mich auch nicht als ein sehr patriotischer bezeichnen dürfte. Die meiste Zeit verbringe ich auf dieser Seite der Pfütze.«
»Voriges Jahr war ich auch drüben in New York«, vertraute sie ihm an. »Die Stadt ist wirklich bezaubernd. Aber Vater hatte die ganze Zeit über viel zu tun, und ich habe mich deshalb etwas gelangweilt. Den Beruf von Lord Dorchester kenne ich, Mr. van Stratton. Ich habe ihn vor einigen Tagen im Parlament reden hören. Auch was Herr de Fontenay für einen Beruf ausübt, weiß ich: Er ist der berühmte Oberst aus dem Weltkrieg, aber – was treiben Sie selbst, Mr. van Stratton, wenn man fragen darf?«
Die Frage verblüffte den Amerikaner. Dazu kam noch der strahlende Ausdruck der hübschen Augen, um seine Verwirrung zu erhöhen:
»Ich befürchte, Miß Dukane«, sagte er etwas zaghaft, »daß ich die Bezeichnung verdiene, die man Herren meines Berufs verleiht: Ich bin ein Tagedieb. In Amerika gibt es von meiner Sorte mehr als in Europa. Natürlich ist der Krieg viel daran schuld; seit dessen Beendigung habe ich noch nicht wieder gearbeitet.«
»Irre ich mich«, fragte das junge Mädchen, »wenn ich glaube, Ihren Namen auf der Ranelagh-Liste als Polo-Champion gelesen zu haben? Sie betreiben doch Sport, nicht wahr?«
»Ja, ich glaube, mein Name wird auf der Pololiste geführt«, gab van Stratton kleinlaut zu.
»Aber, verzeihen Sie meine Neugier, was treiben Sie denn nach der Polo-Saison? Sie müssen doch Ihre Zeit mit irgend etwas totschlagen! In Amerika tun ja die Männer nichts andres als Geld verdienen, und wahrscheinlich ist es bei Ihnen ebenso. Sie wollen es nur nicht verraten, wie?«
Er schüttelte betrübt den Kopf:
»Ich werde mich schön hüten, mir an Wallstreet-Geschäften die Finger zu verbrennen«, erwiderte der seelisch Gefolterte. »Vom Bankgeschäft muß man etwas mehr verstehen als ich. Ich hatte, als ich die Universität verließ, die Absicht, Diplomat zu werden und war einige Zeit in Washington. Ich habe mein diplomatisches Talent zweimal in Südamerika versucht, ohne besondere Erfolge zu erzielen. Nach dem Krieg bummelte ich dann, wie das so kommt, in der Welt herum.«
Mit Schrecken sah er, wie ihr Interesse an ihm erlosch. Voller Verzweiflung versuchte er, sich in ihren Augen wieder zu rehabilitieren:
»Dorchester hat es leicht«, verteidigte er sich. »Er ist Engländer und hat Interesse für den Stand, den er im Parlament vertritt. Was soll ich aber tun? Mein Vaterland hat für Leute ohne kaufmännische Erfahrung keine Verwendung. Wenn ich wirklich den Mut aufbringen würde, mich selbst mit der Verwaltung meiner Interessen zu befassen, dann würde das nur heißen, gutes Geld nutzlos auszugeben.«
»Qui s'excuse, s'accuse«, wies sie seine Entschuldigungen zurück. »Warum kehren Sie nicht zur Diplomatie zurück?«
»Ich hatte mich schon einmal mit dem Gedanken befaßt«, entgegnete er.
Sie wandte sich von ihm ab und de Fontenay zu, der seine krampfhaften Bemühungen, ein Thema anzuschlagen, das Dukane interessieren konnte, eben als erfolglos aufgegeben hatte. Mark konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, daß er bei Miß Dukane keineswegs Lorbeeren geerntet hatte. Er beobachtete sie verstohlen, sah sie lächeln und sein Wunsch, sie zu gewinnen, wurde mit jedem Augenblick stärker. Gegenwärtig war er jedoch vom Erfolg noch weit entfernt, denn die junge Dame unterhielt sich eben mit de Fontenay über die Vorzüge russischer Poesie, und sie diskutierten über einen jugendlichen Dichter, den sie beide in Paris kennengelernt hatten. Bei dieser Unterhaltung stellte van Stratton, der jedes Wort hören konnte, zum erstenmal einen leisen, fremdartigen Akzent im sonst tadellosen Englisch des Mädchens fest. Nun nahm er nochmals seinen ganzen Mut zusammen und beugte sich vor:
»Sie wohnen in Paris, Mr. Dukane, nicht wahr?« richtete er das Wort an den alten Herrn. »Ich besinne mich, daß mir vor einigen Jahren ein Freund die Villa zeigte, die Sie dort bewohnten.«
»Ja, das ist mein Hauptquartier«, erwiderte der Gefragte. »Ich habe eine ganze Anzahl solcher Absteigeplätze. Gegenwärtig habe ich einige Zeit in London zu tun.«
»Sie verbringen also die Saison hier? Sie und Miß Dukane?« Die Frage klang voller Erwartung.
Der andere war von diesem Enthusiasmus augenscheinlich nicht angesteckt:
»Ich weiß nicht, was Sie unter ›Saison‹ verstehen, Mr. van Stratton«, sagte er. »Gesellschaftliche Dinge haben für mich kein Interesse. Ich werde sechs bis acht Wochen hierbleiben, denn die Erledigung meiner Geschäfte dürfte solange in Anspruch nehmen. Sobald ich fertig bin, fahre ich wieder los. Englisches Klima und englische Küche sind nicht so, daß man sich ihnen freiwillig aussetzt. Beide sind in dieser Beziehung das schlimmste, was die Welt aufzuweisen hat.«
»Sie sind Amerikaner?« fragte er nach einer Weile, als Mark noch immer die leise Ablehnung, die in seinen Worten lag, nicht verwunden hatte. »Haben Sie etwas mit der Firma Van Stratton & Arbuthnot in Wallstreet zutun?«
»Mein Großvater gründete die Firma, und ich bin der einzige van Stratton, der noch lebt.«
»Dann darf ich Ihnen versichern, daß Ihr Großvater der klügste Kopf seiner Zeit gewesen ist«, erklärte der Alte. »Sind Sie an der Firma noch beteiligt?«
»Ich bin Alleininhaber«, erwiderte der Gefragte, »das heißt, nur finanziell, denn vom praktischen Bankbetrieb verstehe ich nichts.«
Felix Dukane musterte den jungen Mann prüfend. Etwas Verhaltenes lag in seinen Blicken, als er nun antwortete:
»Schade. Ihre Direktoren sind leider etwas zu konservativ. Modernismus gibt es nicht nur in der Mode und Kunst, sondern sollte auch im Bankgewerbe seinen Eingang finden. Ich könnte Ihnen einige recht gute, für Sie lukrative Ratschläge geben.«
Nun wandte sich auch seine Tochter dem Amerikaner wieder zu. Wahrscheinlich war das Thema, über das sie sich bis jetzt mit de Fontenay unterhalten hatte, genügend ausgesponnen.
»Herr de Fontenay versteht zu viel von Literatur, um noch unter die gewöhnlichen Sterblichen gerechnet zu werden«, erklärte sie. »Lesen Sie viel, Mr. van Stratton?«
»Ich kann das leider nicht bejahen«, entgegnete er mit betrübter Miene. »Das, was ich lese, ist, mit ein oder zwei Ausnahmen, keineswegs unter die guten Literaturerzeugnisse zu rechnen.«
Wieder dieser kritische Blick aus den rehbraunen Augen. Mit seiner über Mittelmaß hinausgehenden, sportgeübten Gestalt, den breiten Schultern, den blauen Augen und blonden Haaren seiner holländischen Vorfahren bot er ein Bild bester Männlichkeit. Obwohl sein Gesichtsausdruck in diesem Augenblick wenig geistreich war, zeigten seine Augen eine mehr als gewöhnliche Intelligenz. De Fontenay versuchte mit krampfhaften Bemühungen sein Gespräch mit Felix Dukane wieder in Fluß zu bringen, während ein vorübergehender Freund Dorchester gefesselt hielt.
»Würden Sie es übelnehmen, wenn Ihnen eine völlig Fremde einen kleinen Rat erteilen würde?« fragte die junge Dame, ihre Stimme zum Flüsterton senkend.
»Wenn die betreffende Fremde Sie selbst wären, würde ich mich darüber freuen«, lautete seine erwartungsvolle Entgegnung. »Es würde mir neuen Mut einflößen, denn, wenn Sie kein Interesse für mich hätten, würden Sie Ihre kostbare Zeit auch nicht mit Ratschlägen an mich verlieren, nicht wahr? Ich jedenfalls betrachte mich schon nicht mehr als ›völlig Unbekannten‹.«
Wider Willen mußte sie lachen. Seine offensichtliche Aufrichtigkeit nahm seinen Worten den Stachel etwaiger Impertinenz.
»Gut, Mr. van Stratton«, begnügte sie sich deshalb zu erwidern, »ich werde mit Ihnen nicht wie mit einem Fremden verkehren, sondern meine Ratschläge als Freundin an Sie richten: Wenn Ihnen jemals die Gelegenheit geboten würde, nützliche Arbeit zu verrichten, dann würde ich Ihnen raten, Ihre Zeit nicht mit diplomatischen Versuchen in Bolivien, Ecuador oder anderen Ländern, wo die Füchse den Hasen Gute Nacht sagen, zu verlieren. Wenn also die Gelegenheit sich Ihnen böte, Ihre nutzlos verbrachten Stunden mit nützlicher Arbeit auszufüllen – versprechen Sie mir, daß Sie sich nicht weigern werden, die Arbeit anzunehmen!«
Verwirrt betrachtete er sie, zögerte aber keinen Augenblick, ihr das verlangte Versprechen zu geben:
»Ich werde keine Arbeit, die sich mir bietet, zurückweisen«, versicherte er ihr ernsthaft. »Ob man mich nun als Konsul nach dem Nordpol oder zu den Botokuden schickt, ich gehe!«
»Sie haben Mut; vergessen Sie aber Ihr Versprechen nicht«, flüsterte sie ihm mit verhaltener Stimme zu.
Auf einen Wink ihres Vaters erhob sie sich und nach einigen verabschiedenden Worten folgte sie ihm. Die drei zurückbleibenden Freunde setzten sich wieder:
»Nun, was sagt ihr?« fragte de Fontenay und brannte sich eine Zigarette an.
»Sie ist so, wie ich sie mir vorgestellt hatte«, erklärte überzeugungsvoll der junge Amerikaner.
»Jedenfalls ist sie eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen habe«, bekräftigte Lord Henry. »Nicht nur das – sie ist auch ehrgeizig. Nächste Woche will sie ins Parlament gehen, ausdrücklich nur, um mich sprechen zu hören. Freund Mark, wenn du es mit deiner Absicht, jene Frau zu heiraten, ernst meinst, warne ich dich jetzt schon, daß du in mir wahrscheinlich einen Rivalen finden wirst.«
De Fontenay lächelte ironisch, als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte:
»Wahrscheinlich könnte man euch alle beide als sogenannte ›gute Partien‹ bezeichnen, Kinder«, sagte er. »Dich, Henry, als Sohn eines Peers der Vereinigten Königreiche und künftigen Erben des Titels und Vermögens – dich, Mark van Stratton – als Multimillionär. Aber, was will das alles angesichts der Tatsache bedeuten, daß Felix Dukane seiner Tochter, wenn sie heiraten will, ein Königreich kaufen könnte? Wenn ihr beiden es wirklich ernst mit eurer Werbungsabsicht meint – nehmt meinen Rat an: Vergeßt das Mädchen!«