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Als Mark am selben Abend den Cruton-Palast, den die Dukanes sich gemietet hatten, betrat, traf er Estelle, die ihn strahlend begrüßte:
»Nun, gefällt es Ihnen?« fragte sie.
»Erst von diesem Augenblick an«, gab er zu. »Es klingt zwar unhöflich, entspricht aber der Wahrheit. Es treiben sich für meinen Geschmack zu viele Leute hier herum.«
»London ist gastfreundlich gegen Fremdlinge«, meinte sie mit einem Blick auf das Gewoge im Empfangssaal. »Haben Sie meinen Vater schon begrüßt?«
»Ich will ihn morgen aufsuchen. Ich habe von Brennan Nachricht.«
Estelle zog ihren Gast aus dem Getriebe in den Erfrischungsraum, der augenblicklich ziemlich leer war:
»Kommen Sie, wir wollen ein Glas Sekt trinken. Was schrieb Ihnen Brennan?«
»Er scheint sein Wort halten zu wollen, denn er schreibt mir, er wollte mich, wie er mir versprochen hatte, sprechen. Ich soll ihn heute abend elf Uhr dreißig im Milan Court treffen.«
»Sie müssen Erfolg haben, Mark, unbedingt. Jene Frau, Zona Latriche, ist immer noch mit ihm zusammen, und Ihr Freund, der Oberst, würde für jene Papiere sein Leben opfern. Sie müssen sie bekommen, hören Sie? Sie müssen!!«
»Nun, ich werde alles versuchen«, versprach Mark. »Jene Zona mag vielleicht ein Gefahrenmoment für uns sein, aber ich glaube nicht, daß sie die Papiere bekommen wird, denn Brennan hat für Raoul nicht viel übrig. Ich habe, glaube ich, mehr Chancen!«
»Ein Mann wie jener Brennan ist keinerlei edlen Gefühls fähig«, meinte Estelle. »Er ist wie ein lebloser Automat und nur auf seinen Vorteil bedacht.«
»Wäre er das, dann hätte er sich sicherlich nicht so gegen jedwede Verhandlung mit Ihrem Vater gesträubt«, gab Mark zu bedenken.
»Ja, Vater hat, als er sich Brennan zum Feind machte, einen der wenigen Fehler seines Lebens begangen«, gab Estelle zu. »Vertragen haben sich die beiden eigentlich niemals so richtig. Na, wir müssen uns eben auf Sie verlassen«, schloß sie.
Plötzlich ergriff sie ihn am Arm und blickte tief in seine Augen. Ihr ganzes Wesen drückte Verheißung, Erfüllung seiner Wünsche aus.
»Sie dürfen uns nicht im Stich lassen, Mark«, flüsterte sie. »Es ist mir unmöglich, Ihnen zu sagen, wieviel für uns von Ihrem Erfolg abhängt. Vater ist reich, wohl der reichste Mann der Welt, aber – nur auf dem Papier. Ob er sein Vermögen wird retten können, hängt einzig und allein von Brennan ab. Vater hat eine große Sache in Angriff genommen; gewinnt er sie, dann wird er ungezählte Millionen sein eigen nennen können. Mißlingen – Gott! Er wäre ein armer Mann, ruiniert, vernichtet!!«
»Mein Gott!«
»Es ist so, Mark, Sie dürfen es mir glauben.«
Nun erst verstand Mark, warum sich in den letzten Tagen immer tiefere Furchen in Felix Dukanes Stirn eingegraben hatten. Von dem Platz aus, auf dem Mark eben mit Estelle saß, konnte er den Finanzier beobachten. Hin und her liefen eilige Kellner und Diener und boten Erfrischungen. Ein fortgesetzter Menschenstrom defilierte an Dukane vorbei, der, wie eben Estelle gebeichtet hatte, zwischen Ruin und ungeheuerem Vermögen hin- und herpendelte. Starr, als beträfe ihn dieses ganze Durcheinander seiner Gäste nicht, stand Felix Dukane wie ein Fels im brandenden Meer.
»Ruin?« wiederholte Mark. »Unmöglich!«
»Ja, es ist schwer zu verstehen«, erwiderte Estelle. »Ich möchte Ihnen gern alles anvertrauen, Mark, aber ich wage es noch nicht. Glauben Sie mir, was ich Ihnen sagte und, Mark – Sie müssen erfolgreich für Vater zu verhandeln suchen.«
Sie ergriff seine Hand, und er beugte sich nach einem langen Blick in ihre Augen tief herunter:
»Ich werde mich des Schweigens jenes Mannes versichern, Estelle, und wenn ich ihn erdrosseln müßte.«
In wenigen Metern Entfernung ging eben Raoul de Fontenay an der Seite des französischen Botschafters vorbei und sprach eindringlich auf ihn ein. Estelle entzog Mark ihre Hand, die er immer noch festgehalten hatte:
»Das sind die einzigen Leute, die ich fürchte«, flüsterte sie, auf die beiden Herren und besonders auf Raoul weisend.
De Fontenay verhielt seinen Schritt und verabschiedete sich von dem Botschafter.
Tief verbeugte er sich vor Estelle:
»Mademoiselle«, sagte er. »Ich hatte bisher leider nicht das Vergnügen, Sie begrüßen zu dürfen.«
Sie reichte ihm lächelnd die Hand:
»Ja, ich muß mich so vielen widmen, Herr Oberst. Ich stehe hier untätig herum, während ich die einfachsten Pflichten der Gastfreundschaft vergesse. Entschuldigen Sie, bitte.«
»Ich möchte zwar nicht behaupten, daß ich Mr. van Stratton beneide«, erwiderte der Franzose, »aber ein glücklicher Mensch ist er dennoch. Haben Sie gehört, was man sich erzählt?«
»Nichts«, erwiderte sie.
»Was erzählt man sich denn?« fragte auch Mark.
»Eine der Signatarmächte des Völkerbundes hat den Antrag auf sofortige Einberufung einer Vollversammlung gestellt.«
»Warum das?« erkundigte sich Estelle.
»Unter dem Vorwand des Bestehens eines Geheimvertrages zwischen zwei noch nicht namhaft gemachten Staaten. Näheres konnte ich bisher nicht erfahren; andererseits dürfte aber etwas vorgehen, denn der Außenminister hat eben das Fest verlassen.«
Estelle gähnte:
»Hoffentlich«, entgegnete sie, »werden sich die beiden Länder in ihren Auseinandersetzungen auf sich selbst beschränken. Kommen Sie, Mark, wir wollen tanzen.«
De Fontenay verbeugte sich und setzte seinen Weg fort. Einen Augenblick lang stand Estelle wie versteinert und blickte ihm nach:
»Vielleicht will Ihnen Brennan nur mitteilen«, drückte sie ihre Befürchtung aus, »daß er sein Geheimnis bereits verkauft hat. Der Oberst machte mir den Eindruck, als wisse er mehr, als er uns mitgeteilt hat.«
»Das glaube ich nicht«, meinte Mark, den Kopf schüttelnd. »Wenn Raoul wirklich etwas wüßte, dann hätte er gegen uns wohl überhaupt die Angelegenheit nicht erwähnt. Er warf nur einen Köder aus und hat Sie, wie ich bemerken konnte, die ganze Zeit über fest beobachtet. Ich werde Brennan herumbekommen, Estelle, beunruhigen Sie sich nicht länger.«
Während sie sich im Tanz wiegten, flüsterte er ihr ins Ohr:
»Bin ich erfolgreich, Estelle, dann schwöre ich Ihnen, daß Sie niemals eine gekrönte Königin sein werden.«
»Sie werden Erfolg haben«, entgegnete sie und drückte ihm fest die Hand.
»Ich werde jetzt gehen, Estelle. Wünschen Sie mir Glück!«
In ihren Augen flimmerte ein weiches Leuchten; jede Ironie war aus ihrer Stimme verschwunden, als sie ihm die Hand zum Tanz reichte:
»Auch jene wichtige Mission soll uns nicht abhalten, noch einmal zu tanzen, Mark!«