Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

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7

Die nächste Stunde verging für Mark van Stratton, als wäre sie mit Blei beschwert. Mit immer wachsender Nervosität mußte er beobachten, wie gut sich Estelle Dukane beim Tanz zu amüsieren schien. Als aber immer neue Bewerber für die noch verbleibenden wenigen Tänze bei ihr auftauchten, ohne daß sie Mark auch nur einen Blick schenkte, faßte er sich ein Herz und verbeugte sich vor dem Mädchen:

»Ist noch ein Tanz für mich freigeblieben?« fragte er mutig.

Ohne ihre Antwort abzuwarten, führte er sie ins Gedränge der Tanzenden.

»Ich brannte darauf, Ihnen meine Neuigkeiten mitzuteilen, Miß Dukane«, flüsterte er ihr zu. »Ihren Vater habe ich bereits gesprochen, und ich möchte Sie bitten, mir nach Beendigung dieses Tanzes ein paar Minuten zu schenken, damit ich mit Ihnen sprechen kann.«

Sie blickte ihn an und ihre Augen verrieten die Unruhe, die seine Bitte in ihr erregt hatte.

»Ist Ihnen Ihre Mission mißlungen?« fragte sie. »Sie haben keinen Erfolg gehabt?«

»Ihr Vater schien dieser Meinung zu sein«, gab er mit bitterem Lächeln zu. »Ich war jedoch der Ansicht, daß meine Mitteilung eher freudiger Natur wäre.«

»Nun?«

Er zögerte mit seiner Antwort, bis sie sich ein wenig aus dem Gedränge der Tanzenden herausgewunden hatten:

»Der Tote ist wieder auferstanden«, sagte er dann, »und wird wohl auch gesunden.«

»Auferstanden?!« wiederholte sie überrascht.

»Ja, der Mann war gar nicht tot. Ich habe ihn in meinem Haus untergebracht und für ihn eine Pflegerin und einen Arzt genommen.«

Er sah ihr die Erregung an, die diese Mitteilung verursachte. Sie sah plötzlich müde aus:

»Lassen Sie mich einen Augenblick ausruhen«, bat sie. »Sie tanzen zwar vorzüglich, aber Ihre unvermutete Mitteilung hat mir jede Lust zum Tanzen genommen.«

In einem stillen Winkel nahmen sie Platz und van Stratton besorgte seiner Tänzerin ein Glas Sekt, das sie mit gierigen Zügen leerte:

»Auf eine Art freut mich Ihre Nachricht«, bekannte sie, »aber dieses Wiederauferstehen eines Totgeglaubten schafft auch Verwicklungen, deren Ende vorläufig noch nicht abzusehen ist. Was werden Sie denn mit dem Mann anfangen?«

»Ich werde ihn im Hause behalten, bis er wieder ganz gesund ist. Sobald er wieder auf den Beinen ist, kann er tun und lassen, was er will. Er machte mir nicht den Eindruck, als wenn er rachsüchtig wäre; dem Arzt gegenüber hat er jedenfalls kein Wort davon erwähnt, wie er zu seinen Verletzungen gekommen ist. Ich schwindelte dem Doktor vor, ich hätte den Verwundeten im Nebel gefunden und freue mich, daß er mich nicht Lügen strafte.«

»Ja, ich glaube, Sie haben recht; er wird sich hüten, jemand zu verraten, was ihm zugestoßen ist. Nicht hier liegt die Gefahr, sondern –«

»Ist er wirklich ein Erpresser?« unterbrach er sie.

»Einer der schlimmsten«, bestätigte sie. »Er ist nicht dumm. Das macht ihn ja für Vater so gefährlich. Lassen Sie uns das Thema jetzt aufgeben. Mich interessiert vor allen Dingen zu hören, was mein Vater zu Ihrer Neuigkeit sagen wird.«

»Wollen wir weitertanzen?« fragte van Stratton.

»Bitte, lassen Sie mich noch ein wenig ausruhen. Ich habe mich noch nicht ganz wiedergefunden. Wir können uns ja ein wenig unterhalten.«

»Warum sieht man Sie so wenig?« lenkte er das Gespräch auf andere Dinge. »Verkehren Sie denn so selten in der hiesigen Gesellschaft?«

»Wir haben nur einige Freunde hier«, erklärte das junge Mädchen. »London interessiert uns wenig. Wenn wir uns nicht auf Reisen befinden, halten wir uns meist in Paris auf.«

»Wie vertreiben Sie sich denn die Zeit? Betreiben Sie Sport? Etwas müssen Sie doch tun, um nicht vor Langeweile zu sterben.«

»Das kommt gar nicht in Frage. Langeweile kenne ich nicht, denn ich bin Vaters Vertraute. Alles, was er unternimmt, bespricht er vorher mit mir.«

»Für ein Mädchen eigentlich kein passendes Leben«, bemerkte er. »Ich habe Sie den ganzen Abend hier beobachtet. Sie schienen nur für das Tanzen Interesse zu haben.«

»Ach, es gibt für mich auch Tage, wo ich mich nur dem Vergnügen widme«, erklärte sie.

»Wie heute –?« fragte er.

»Nein«, entgegnete sie. »Ich kam nur hierher, um einen Bekannten zu treffen, der sich einige Tage in London aufhält. Lord Dorchester sucht ihn für mich schon seit einer halben Stunde aus dem Gedränge heraus. Sobald er ihn gefunden hat, müssen Sie mich sofort allein lassen.«

»Wer ist denn dieser Vielbegehrte?« erkundigte sich van Stratton einigermaßen erregt.

»Prinz Andropulos von Drome. Ich habe Wichtiges mit ihm zu besprechen.«

»Hoffentlich findet ihn Henry nicht«, erklärte Mark. »Ich möchte mich selbst ein bißchen mit Ihnen ohne Störung durch einen Dritten unterhalten.«

»Was können wir zu besprechen haben?« fragte sie sarkastisch. »Oder interessieren Sie sich auch für Fragen der Hochfinanz?«

»Das ist wohl der Grund, warum Sie sich so nach jenem obskuren Prinzen sehnen?« erkundigte er sich spöttisch.

Sie lächelte verhalten:

»Nicht gerade deshalb«, beschied sie ihn. »Aber, bedenken Sie doch: Er ist der künftige König eines noch wenig entwickelten Landes. Vater ist der Meinung, daß das Land noch eine große Zukunft hat. Alles, was fehlt, ist Geld, viel Geld.«

»Ich habe mir bisher noch nicht den Kopf über Drome zerbrochen und beabsichtige auch nicht, es zu tun«, gestand der junge Mann. »Sie selbst interessieren mich mehr.«

»Nun?«

»Wollen wir doch einmal von Ihnen sprechen, ja?«

Etwas spöttisch fragte sie:

»Ich möchte wissen, warum Sie sich für mich interessieren. Wir kennen uns doch erst ein paar Stunden.«

»Warum ich mich für Sie interessiere?« fragte er zurück. »Nun, wenn Sie es denn durchaus wissen wollen: Ich beabsichtige, Sie zu meiner Frau zu machen!«

Diesmal lachte sie mit unverkennbarer Herzlichkeit:

»Welch entzückende Offenheit!« murmelte sie. »Endlich zeigen Sie, welche Portion von Witzigkeit Sie besitzen. Ist Ihre Offenheit ein Erbstück der angelsächsischen Rasse? Sind Sie nicht ein wenig voreilig mit Ihrer Behauptung?«

»Habe ich denn um Ihre Hand angehalten?« fragte er. »Das würde ich natürlich nur tun können, wenn Sie mich ein klein wenig mehr ermutigen würden. Ich habe weiter nichts als die Warnung ausgesprochen, daß ich Sie eines Tages heiraten würde. Im selben Augenblick, als Sie heute mittag den Speisesaal des Ritz betraten, habe ich diesen Vorsatz gefaßt. Ich habe meine Absicht sogar meinen Freunden mitgeteilt!«

»Haben Sie sich damit nicht etwas zu viel vorgenommen?«

»Nicht, daß ich wüßte«, entgegnete er, den Kopf schüttelnd. »Im Gegenteil, ich glaube sogar, daß auch Dorchester sich mit einer ähnlichen Absicht trägt.«

»Er ist ein recht netter Mensch«, spöttelte sie. »Ich habe heute abend einige Male mit ihm getanzt. Er ist von anderem Schlag als Sie, bummelt nicht durchs Leben, mit dem einzigen Ziel, Sport zu treiben. Sogar heute abend war er im Parlament, um dort dringende Arbeiten zu erledigen.«

»Seit heute gehöre ich auch zu den Schwerarbeitern«, verkündete Mark mit Stolz.

»??«

»Ja, Miß Dukane, seit heute morgen. Kaum eine halbe Stunde nach unserem Zusammentreffen im Ritz bot mir Mr. Widdowes einen Posten in der Botschaft an. Sie haben dort scheinbar zu viel zu tun und Dimsdale – einer der Attachés – ist erkrankt. Ich dachte an den Rat, den Sie mir kurz vorher gegeben hatten und nahm die Stelle ohne Zögern an.

»Werden Sie in London oder auswärts tätig sein?« fragte sie.

»Das weiß ich noch nicht. Was befohlen wird, werde ich ausführen. Bisher habe ich meine wichtigen Arbeiten auf die Durchsicht der Besucherlisten der Botschaft beschränkt. In meinen Händen liegt die Entscheidung über Empfang oder Ablehnung durch das Botschafterpaar.«

»Diese Beschäftigung scheint mir nicht sehr weltbewegend«, lachte sie.

»Ehe Sie mir entführt werden, muß ich Sie noch etwas fragen«, teilte er ihr ernst mit. »Ich habe mir über die Sache den ganzen Tag den Kopf zerbrochen: War es wirklich ein Zufall, daß Sie mir, kaum eine halbe Stunde vor dem Stellenangebot Mr. Widdowes', den Rat gaben, produktive Arbeit zu leisten?«

»Was meinen Sie mit dieser Frage?«

»Nun, Sie wuschen mir wegen meiner Faulheit den Kopf, baten mich, jede Arbeit, die sich mir böte, anzunehmen, und – kurze Zeit darauf sprach mich der Botschafter in der gleichen Angelegenheit an. Wußten Sie vorher, daß sich Mr. Widdowes mit der Absicht trug, mir einen Posten in der Botschaft anzubieten?«

»Wie können Sie mich so etwas fragen?« gab sie zurück. »Ich kannte die Widdowes gar nicht. Wir dinierten heute abend nur deshalb dort, weil der Botschafter meinem Vater einige private Mitteilungen zu machen hatte.«

»Sie haben mir meine Frage noch nicht beantwortet«, sagte Mark beharrlich. Ihm war es, als sei das junge Mädchen einer klaren Antwort ausgewichen.

»Sie dürfen keine so unsinnigen Fragen an mich stellen«, erwiderte sie abwehrend. »Begnügen Sie sich mit meiner Feststellung, daß Sie mir als fleißiger Mensch besser gefallen werden als vorher. Ich freue mich, wenn ich Männern begegne, die arbeiten können und wollen. Von der Sorte, die den ganzen langen Tag nicht weiß, was sie mit der Zeit anfangen soll, habe ich genug. Einen einzigen Rat möchte ich Ihnen noch geben, Mr. van Stratton. Darf ich?«

»Bitte!«

»Wenn sich Ihnen wichtigere Arbeit bietet, lassen Sie diese gesellschaftliche Funktion, die Sie in der Botschaft ausüben, fallen. So wichtig ist die Arbeit ja nicht. Sie machen mir den Eindruck eines ruhigen, verantwortungsbewußten Mannes, dem man sicherlich bald einen verantwortungsvolleren Posten anbieten wird.«

»Vielleicht bietet man mir Dimsdales Posten an, der ja der eines Privatsekretärs des Botschafters ist; ich würde ihn sofort annehmen.«

»Ja, tun Sie das«, bat sie ernst. »Ah, hier kommt ja endlich der Mann, auf den ich so lange wartete.«

Van Stratton folgte ihren Blicken, die auf einem schwarzhaarigen jungen Mann von gelber Hautfarbe ruhten, der eben mit einem Ausdruck unsäglichster Langeweile den Saal betreten hatte. Obwohl seine Kleidung der schärfsten Kritik standhielt, verbreitete er doch eine Atmosphäre um sich, die van Stratton an den Orient erinnerte. Er mochte etwa dreißig Jahre alt sein, doch man konnte ihn, der saloppen, untersetzten Gestalt nach zu urteilen, ebensogut für einen Vierziger halten.

»Dort ist der Prinz«, unterrichtete Miß Dukane ihren bisherigen Gesellschafter. »Bitte, verlassen Sie mich sofort. Gehen Sie zu ihm hin und benachrichtigen Sie ihn, daß ich ihn zu sprechen wünsche. Schnell, bitte, ehe ihn jemand anders mit Beschlag belegt. Sie dürfen aber nicht mit ihm zurückkommen.«

»Einen einzigen Tanz müssen Sie mir noch versprechen«, bat er. »Und dann – wie wollen Sie denn nach Hause kommen?«

»Miß Widdowes und Mr. Brownlow haben versprochen, mich mitzunehmen«, entgegnete sie. »Wenn mir noch Zeit genug bleibt, sollen Sie Ihren Tanz haben.«

Van Stratton beobachtete den Prinzen, wie er mit eiligen Schritten über das Parkett tänzelte, um sich dann vor Miß Dukane tief zu verneigen. Finster wandte er sich ab. Plötzlich winkte ihm Myra, die Tochter des Botschafters, zu, die sich aus Brownlows Arm gewunden hatte, ehe der Tanz beendet war:

»Alan«, wandte sie sich an ihren bisherigen Tänzer, »suchen Sie sich, bitte, eine andere Tänzerin. Wir haben schon viermal hintereinander getanzt und müssen aufhören, da es sonst gleich heißt, wir seien heimlich verlobt. Kommen Sie, Mark, tanzen Sie auch einmal mit mir. Gott, warum so finster und unheilbrütend?« fragte sie, als sie die gerunzelte Stirn van Strattons bemerkte.

»Ich weiß nicht, Myra, was mit mir los ist«, erklärte Mark während des Tanzes. »Ich bin heute abend nicht auf der Höhe. Oder liegt es daran, daß ich mich für diese großen Veranstaltungen schon zu alt fühle?«

»Sie haben recht, Mark, diese Massenbetriebe machen mir lange nicht so viel Vergnügen wie die kleineren, intimen Feste«, gab Myra zu. »Was halten Sie von Miß Dukane? Wie gefällt sie Ihnen?«

»Entzückend ist sie.«

»Ja, auch mir gefällt sie außerordentlich. Sie ist das schönste Mädchen hier im Saal. Nur ihr Gesicht – ich weiß nicht, Mark, was es ist! Da ist so ein harter Zug, der mir nicht gefällt. Wahrscheinlich liegt es an der Mundpartie. Wenn sie lächelt, geht es noch, aber – die kleinen Fältchen um die Mundwinkel deuten auf einen grausamen Charakter hin. Ich glaube nicht, daß ich als Mann mich in sie verlieben könnte. Soll ich Ihnen etwas verraten, Mark?«

»Solange Sie mir nicht mitteilen wollen, daß Brownlow, der freche Mensch, Ihnen eine Liebeserklärung gemacht hat, bin ich auf alles vorbereitet«, scherzte er.

Sie lachte.

»Nein, es betrifft überhaupt nicht mich, sondern Sie. Ich weiß nicht einmal, ob es ein so großes Geheimnis ist, denn morgen würden Sie es ja doch erfahren.«

»Spannen Sie mich nicht so lange auf die Folter.«

»Gut, aber nur, weil Sie sich heute abend so langweilen, will ich es Ihnen verraten: Ich habe erfahren, daß man Ihnen morgen eine ganz wichtige Arbeit anvertrauen wird. Sie sollen mit jemand, der von Amerika unterwegs ist, zusammen arbeiten. Mama wird jemand anders suchen müssen, der ihre Besuchsliste kontrolliert.«

Mark hielt betroffen im Tanze inne: Unwillkürlich suchten seine Blicke Estelle, die sich eben angeregt mit dem Prinzen unterhielt:

»Wie merkwürdig«, murmelte er vor sich hin.

»Wieso merkwürdig«, fragte Myra. »Im Gegenteil, ich halte die Sache für ganz natürlich. Sie sind doch ein tüchtiger Mensch.«

»Na, na«, lachte Mark, sich gewaltsam zusammenreißend. »Ich verstehe doch von den Arbeiten eines Privatsekretärs gar nichts.«

»Na, so schwer wird es Ihnen nicht fallen«, urteilte das junge Mädchen. »Ned hat mir schon einiges aus seiner Tätigkeit erzählt: Wenn der ›Alte‹, wie er Vater nennt, Redeanfälle bekommt, muß er die Geistesblitze niederschreiben und sie der Stenotypistin dann in kondensierter Form diktieren. Doch, Scherz beiseite, ich finde die Arbeit furchtbar interessant, ganz besonders, wenn es sich um wichtige Dinge handelt.«

»Ja, das meine ich auch«, erwiderte van Stratton.

»Lassen Sie sich morgen ja nichts anmerken«, warnte ihn Myra.

»Ich werde mit keiner Wimper zucken«, versprach er. »Sie sind wirklich reizend, Myra.«

Brownlow gesellte sich zu den beiden, und Mark ließ das junge Mädchen in dessen Obhut zurück. Im Erfrischungsraum traf er auf de Fontenay und Dorchester. Mit finsteren Blicken beobachtete van Stratton Estelle, die sich in den Armen des Prinzen im Takt der Musik wiegte. Nun ging sie, ohne ihm auch nur einen Blick zu schenken, an Mark vorüber. Dorchester und Mark beobachteten mit gefurchter Stirn die angeregte Unterhaltung Miß Dukanes mit dem gelbhäutigen Prinzen. De Fontenay schüttelte tadelnd den Kopf:

»Ihr seid beide Idioten«, seufzte er, »und befindet euch schon in dem Stadium, wo die Sache anfängt, gefährlich zu werden. Seht ihr denn nicht, daß Miß Dukane ein Weib ist, das auf gebrochenen Männerherzen durchs Leben zu wandeln gewohnt ist?«

 


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