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Obwohl Mr. Hugerson in seiner altgewohnten Ruhe und Behäbigkeit auftrat, schien ihn doch die dreiwöchige Reise ermüdet zu haben. Mit einem wohligen Seufzer ließ er sich am Schreibtisch nieder und wandte sich an seinen Privatsekretär Mark van Stratton:
»Haben Sie meine Berichte bekommen, Mark?« fragte er.
»Im ganzen sieben«, entgegnete van Stratton. »Einen von Paris, zwei von Rom, einen von Athen, einen von Wien und zwei drahtlos. Ich habe Ihre Befehle, so gut ich es verstand, ausgeführt.«
»Ich will mir die Papiere einmal durchsehen«, meinte Hugerson.
Mark rief einen kurzen Befehl in seinen Tischapparat.
»Mr. Widdowes hat mir eine tadellose Stenotypistin zur Verfügung gestellt«, berichtete er dann dem alten Herrn. »Sie war vorher Privatsekretärin bei verschiedenen Reichsministern. Sogar einen Kanzler hat sie bedient. Nie soll ihr auch nur der geringste Fehler unterlaufen sein und eine Auster ist gegen sie eine Klatschbase.«
»Na, das klingt ja ganz gut«, entgegnete der andere. »Wir müssen gerade jetzt jemand haben, dem wir vertrauen dürfen.«
Es klopfte, und auf das »Herein« des alten Herrn trat eine junge Dame ein, die verschiedene offiziös aussehende Papiere in der Hand hielt.
Mark erhob sich:
»Guten Morgen, Miß Moreland. Darf ich Ihnen Mr. Hugerson vorstellen? Er möchte gern einmal die Berichte, die wir nach Washington gekabelt hatten, durchsehen.«
»Ich habe hier alles beisammen«, erklärte die Stenotypistin.
Während Hugerson die Papiere durchlas, ließ Mark seine Blicke auf seiner Mitarbeiterin ruhen, die, augenscheinlich erschöpft, auf einem der Stühle Platz genommen hatte. Ihr schwarzes hochgeschlossenes Kleid, die dunkelbraunen, leicht gewellten Haare und das unregelmäßige Gesicht trugen nicht dazu bei, die Schönheit des Mädchens zu erhöhen. Nur die Augen, groß und leuchtend, und die langen, seidigen Wimpern milderten den Eindruck der Strenge, den das junge Mädchen, das etwa dreißig Jahre zählen mochte, verbreitete. Der Mund war zwar wohlgeformt, doch verkniffen und unfreundlich, die Backenknochen traten leicht hervor, und die ganze Gestalt wirkte hager und ungraziös. An den wohlgeformten Beinen trug sie seidene Strümpfe, die einzige Konzession, die sie der Mode machte. Ihre Schuhe hatten niedrige Absätze und eine plumpe Form, wie man sie auf dem Land trägt. Die Hände waren klein, die Finger lang und wohlgepflegt.
»Haben Sie viel zu tun, Miß Moreland«, erkundigte sich Mark, als er seine Musterung beendet hatte.
»Nein«, erwiderte sie. »Mr. Widdowes hat mir befohlen, mich für Mr. Hugerson und Sie freizuhalten, da Sie vielleicht etwas für mich zu tun hätten.«
Mr. Hugerson blickte von seinen Papieren auf:
»Sie haben hier tadellos gearbeitet«, erklärte er. »Bitte, schließen Sie die Papiere in den Geldschrank, Mark. Würden Sie in einer halben Stunde wiederkommen, Miß Moreland? Mittlerweile kann ich alles zum Diktat vorbereiten.«
So still wie sie eingetreten war, verließ die Stenotypistin das Zimmer.
»Diese Sorte fehlt uns in Amerika«, stellte Hugerson fest. »Spricht sie überhaupt jemals?«
»Sie ist wirklich eine Perle«, stimmte ihm Mark bei. »Ich glaube, sie weiß mehr von den Botschaftergeheimnissen als der Chef selbst.«
Der alte Herr brannte sich eine Zigarette an:
»Das war eine merkwürdige Reise, Mark«, begann er. »Ich werde wahrscheinlich nochmals nach Paris müssen, ehe ich meinen Schlußbericht machen kann. So viel aber ist mir jedenfalls jetzt schon klar: Europa befindet sich in einer verfluchten Zwickmühle. Wir in Amerika haben den Völker- und anderen Bünden zwar noch niemals viel zugetraut, aber, wenn sie wirklich ihren Zweck erfüllen können, dann werden sie in den nächsten Monaten genügend Gelegenheit haben, ihren Einfluß zu beweisen.«
Nach kurzer Pause fuhr Marks Chef fort:
»Das, was ich Ihnen jetzt sage, ist allerdings nur mein persönlicher Eindruck: Ich glaube, in ganz Europa gibt es nicht ein einziges Land, nicht eine einzige Regierung, nicht ein Volk, die sich darüber klar geworden sind, daß der Weltkrieg der letzte gewesen sein muß. Keiner traut dem andern, keiner dem Frieden. Zwischen Türkei und Italien liegt der Knochen, den beide haben wollen; wenn der Diktator Mussolini ›Krieg‹ sagt, wird es Krieg sein. Das Land Drome, bisher das ärmste Europas, wälzt sich im Gold, das irgendwoher ins Land gekommen ist. Die Geschäfte florieren, auf der Werft von Phaleron liegen zwei Kreuzer auf Kiel. Woher kommen die Mittel? Die Wiederherstellung der monarchischen Staatsform soll nur eine Frage von zwei, drei Monaten sein! Da wird etwas gespielt! Was es war, davon hatte ich, ehe ich persönlich hinkam, keine Ahnung. Jetzt weiß ich es! Schon aus diesem Grund hat sich meine Reise gelohnt. Einen Mann gibt es, der genau weiß, warum er jenem Land vertraut.«
»Sie meinen Dukane?« fragte Mark.
Der andere nickte:
»Er macht alles in der Stille ab, bedient sich der National- und zweier anderer Banken, um das Geld ins Land strömen zu lassen. Drüben werden sie die Augen aufreißen, wenn sie meinen Bericht lesen. Im Grand Hotel Bretagne traf ich Hiram Browne; er war wie ein losgelassener Stier; seit Wochen hoffte und erwartete er die Konzessionierung der Dragma-Minen; hatte das Geld dafür sozusagen in seiner Tasche. Plötzlich zeigte ihm die Regierung, nachdem sie ihn direkt eingeladen hatte, herüberzukommen, die kalte Schulter. Zehn Millionen, mein Freund, hatte er mit! Mir ist noch mehr zu Ohren gekommen, was sie drüben erfahren müssen.«
»Wer vertritt uns denn in Drome?« erkundigte sich Mark.
»Hopkins. Er ist zwar ein tüchtiger Mann, hat aber von Diplomatie keine blasse Ahnung. War, ehe er die Karriere einschlug, Geschäftsmann. Eines aber hat sogar er ausfindig gemacht, Mark: Nämlich, daß der Frieden Europas nur an einem einzigen schwachen Faden hängt, der jeden Augenblick reißen kann. Klingeln Sie, Mark, die Sekretärin soll kommen. Ich möchte anfangen. Doch, warten Sie einen Augenblick, ich will erst noch etwas mit Mr. Widdowes besprechen.«
»Werden Sie in sein Arbeitszimmer gehen?«
Ehe Hugerson antworten konnte, öffnete sich die Tür, und der Botschafter trat ein:
»Na, war Mark fleißig?« erkundigte er sich.
Hugerson lächelte:
»Großartig hat er es gemacht. Aus meinen meilenlangen Depeschen hat er zwölf Berichte herausgefeilt, die sich sehen lassen können. Mir bleibt nur noch übrig, sie zu bestätigen. Feiner Kerl, Widdowes.«
Er drückte seinem Vertrauten glückwünschend die Hand und wandte sich an den Botschafter, der Mark gleichfalls freundlich zugenickt hatte:
»Ich wollte noch etwas mit Ihnen besprechen, Widdowes. Was ich von der Sache halte, wissen Sie; nun aber muß ich auch Washington meinen Standpunkt klar zu machen versuchen. Kann ich der jungen Dame – wie heißt sie doch? – ja, Miß Moreland, trauen?«
Der Botschafter nickte lächelnd:
»Wie mir selbst«, entgegnete er. »Sie ist eine jener Frauen, die ihre Lippen überhaupt nicht auseinanderbringen. Ich habe sie Ihnen ja auch gegeben, weil Sie ihr vertrauen können, Hugerson.«
»Diese Versicherung genügt mir«, erklärte Hugerson. »Nun will ich anfangen zu arbeiten.«
»Kommen Sie zum Frühstück?« erkundigte sich Widdowes.
»Das hiesige Auswärtige Amt hat scheinbar von dem Zweck meiner Europareise etwas erfahren«, erklärte Hugerson. »Jedenfalls fand ich eine Einladung vom Außenminister vor, mit ihm zu frühstücken. Heute nachmittag bin ich aber bestimmt wieder hier. Was sollen wir denn nun mit dem Mann, dem Dukane, anfangen, Widdowes? In Paris ist seinetwegen der Teufel los.«
»Es ist besser, wir warten Washingtons Befehle ab«, riet der Gefragte, nachdenklich die Stirn in Falten legend.
»Ich habe mir ausgerechnet, daß Dukane ungefähr fünfzig Millionen Dollar in Drome investiert haben muß. Steckt er, wie man sagt, wirklich hinter Brownes Abfuhr in der Konzessionssache, dann hat er das halbe Barvermögen Europas nach Drome geleitet. Das macht er ganz allein, denn er nimmt sich zu seinen Geschäften niemals einen Teilhaber.«
»Ja, er ist ein schlauer Fuchs«, beurteilte ihn Widdowes.
»Vielleicht, vielleicht auch nicht!«
Miß Moreland trat ein, und Widdowes verabschiedete sich. Hugerson erhob sich und blickte das junge Mädchen nachdenklich an:
»Sie wissen, daß Sie mir bei meinen Arbeiten helfen sollen, Miß Moreland?« fragte er.
»So lauten meine Instruktionen, Sir.«
»Bitte, lassen Sie Ihre Schreibmaschine hier hereinbringen«, bat er. »Ich will Ihnen einen ziemlich langen Bericht für Washington diktieren. Nehmen Sie mein Diktat zuerst in roher Form auf, dann werde ich es durchsehen, und die verbesserte Fassung können Sie dann in doppelter Ausführung ins Reine übertragen. Ein Exemplar wird Mr. van Stratton in den Geldschrank verschließen, das andere geht nach Washington.«
»Jawohl, Mr. Hugerson«, bestätigte das Mädchen.
»Ich freue mich, Miß Moreland«, fuhr der alte Herr fort, »daß Mr. Widdowes Sie mir zur Verfügung gestellt hat. Ich benötigte jemand, dem ich in jeder Beziehung voll und ganz vertrauen kann. Nicht nur, daß meine Mitarbeiterin ehrlich sein muß, nein, sie muß so beschaffen sein, daß sie in dem Augenblick, wo sie dies Zimmer verläßt, nicht mehr weiß, was hier gesprochen und geschrieben worden ist. So wurde während des Krieges in unserer Nachrichtenabteilung gearbeitet. Verstehen Sie mich?«
»Ich habe das Schweigen in der Downing Street im Auswärtigen Amt zur Genüge gelernt, Sir«, entgegnete sie. »Ich glaube nicht, daß ich es außer acht lassen werde.«