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Die Botschafterin, Mrs. Widdowes, hatte nicht nur alle Eigenschaften einer erfolgreichen Diplomatengattin, sie war auch von großem Charme. Während sie nun heute mit Mark verschiedene Angelegenheiten gesellschaftlicher Art durchsprach und die Details für verschiedene Festlichkeiten der Saison festsetzte, schien es dem jungen Mann, als ob sie sich viel zu sehr auf Kleinigkeiten versteifte. Er war deshalb froh, als die halbstündige Besprechung vorbei war.
»Was wird denn nun heute abend los sein?« erkundigte er sich.
»Eine ganz intime, zwanglose Gesellschaft«, beschied ihn die Chefin. »Es sind nur drei junge Leute dabei, die mehr als durchschnittliches Interesse verdienen. Einer davon ist Baron Mosziansky, ein polnischer Bankier. Wir kennen ihn von New York her. Die anderen interessieren mich wenig. Außerdem kommt Felix Dukane mit seiner Tochter.«
Van Stratton starrte auf die Botschafterin, als glaube er sie von allen guten Geistern verlassen:
»Felix Dukane? Hier in die Botschaft?« stieß er atemlos hervor.
»Ja, aber, wie ich Ihnen schon sagte, wird es eine ganz zwanglose Zusammenkunft werden. Mein Mann hat von Washington Anweisungen bekommen, diesen Mr. Felix Dukane ein wenig über seine künftigen Absichten auszuholen. Wir glaubten, der einfachste Weg, etwas zu erfahren, würde eine Einladung zum Dinner sein.«
»Wo sitze ich denn?« erkundigte sich Mark.
»Gegenüber von Miß Dukane. Sie sitzt zur Linken meines Mannes. Kennen Sie die junge Dame?«
»Ich habe sie heute kennengelernt.«
»Ich sah sie noch nie. Sie haben noch keinen Besuch gemacht. Ist sie hübsch?«
»Das sollte ich wohl meinen«, lautete die enthusiastische Erklärung van Strattons.
»Es tut mir leid, Mark«, begann Mrs. Widdowes, nachdem sie einen prüfenden Blick auf die Tischliste geworfen hatte, »daß ich Sie nicht an Miß Dukanes Seite placieren konnte. Aber Sie haben ja nach Tisch Gelegenheit, sich mit ihr zu unterhalten. Kommen Sie, wir wollen hinunter.«
Während sich Mark van Stratton im Speisesaal mit Brownlow und den anderen geladenen Sekretären der Botschaft über gleichgültige Dinge unterhielt, kehrten seine Blicke immer und immer wieder zur Eingangstür zurück, wo binnen wenigen Minuten Miß Dukane erscheinen sollte. Bisher hatte er sich ihr nur verstohlen nähern können; nun aber, nach dem Opfer, das er ihrem Vater gebracht hatte, war es anders geworden. Als sie endlich an der Seite ihres Vaters den Speisesaal betrat, waren sämtliche Vorsätze, die er für sein erstes Wiedersehen mit ihr gefaßt hatte, in nichts zerflossen.
Die junge Dame trug ein schwarzes Kleid, dessen Eintönigkeit nur durch eine kostbare Perlenkette unterbrochen wurde, die sie um ihren schlanken Hals gewunden trug.
Das leichte Lächeln, das seit ihrem Eintritt ihr Gesicht erhellt hatte, verschwand, als sie seinen Blicken begegnete.
»Sie kennen Mr. van Stratton schon, nicht wahr, Miß Dukane«, stellte die Botschafterin ihren neuen Sekretär vor.
»Wir begegneten uns heute im Ritz«, lautete die gleichgültige Antwort der jungen Dame.
Kurz darauf begann das Dinner, zu dem van Stratton als Tischherr die Tochter des Botschafterpaares, Miß Myra Widdowes zu führen hatte. Das Mädchen war seit jeher Marks Freundin gewesen, der es vor gar nicht langen Jahren noch auf den Knien geschaukelt hatte. Mit zerstreuter Miene lauschte er dem Geplauder seiner Tischdame. Seine Gedanken weilten bei Estelle Dukane, die ihm gegenüber saß. Estelle plauderte lebhaft mit ihren Tischnachbarn, wurde aber jedesmal, sobald sie den Blicken des ihr gegenübersitzenden van Stratton begegnete, ernst. Einmal versuchte er über den Tisch hinweg das Wort an sie zu richten, doch war ihre Antwort so kurz und einsilbig, daß er auch diesen Versuch, einen Kontakt mit ihr herzustellen, aufgab. Einige Plätze weiter, an der Seite der Botschaftersgattin, saß Mr. Felix Dukane, einsilbig und finster blickend wie stets.
Der junge Amerikaner zerbrach sich vergebens den Kopf, warum ihm Miß Dukane so kalt und abweisend entgegengetreten war. Gut, sie mußte sich vielleicht verstellen, um bei den anderen Gästen keinen Verdacht zu erregen, aber ein leises Zeichen des Dankes, ein Lächeln, einen Blick hätte sie ihm wohl schenken können. Nun wurde die Tafel aufgehoben. Aber auch die Hoffnung, die er auf diesen Augenblick gesetzt hatte, zerstob. Estelle verließ den Raum mit den übrigen Damen, ohne ihm auch nur einen einzigen Blick zuzusenden.
Glücklicherweise verblieben die Herren nur kurze Zeit im Rauchzimmer, da Dukane sowohl das Rauchen als auch die Liköre ablehnte.
»Mr. Dukane und ich haben noch etwas in meinem Arbeitszimmer zu besprechen«, erklärte der Botschafter. Er wandte sich an den polnischen Bankier. »Vielleicht haben Sie, Herr Baron, die Liebenswürdigkeit, uns zu begleiten. Sie können auch mitkommen, Mark. Ja, Brownlow, gehen Sie; van Stratton wird das, was noch zu erledigen ist, fertig machen.«
Brownlow verneigte sich:
»Mrs. Widdowes bat mich, Miß Myra noch für eine Stunde nach dem Apley House zu begleiten, wo ja eine Gesellschaft mit Tanz stattfindet.«
Auf dem Wege nach dem Arbeitszimmer des Botschafters versuchte van Stratton vergeblich, Dukane einige Augenblicke allein zu sprechen. Er schien mit seiner Tochter ein Abkommen getroffen zu haben, die Ereignisse des Nachmittags vollständig zu übergehen, als hätten sie nie stattgefunden. Mark mußte sich bescheiden, aber auch er blieb von nun an schweigsam. Sein Trotz war erwacht. Auf Wunsch des Chefs bot er Zigaretten an und sich selbst einen Kognak einschenkend, nahm er am Schreibtisch des Botschafters Platz.
Mr. Widdowes warf mit der ihm eigenen Geschicklichkeit jede Förmlichkeit ab und wurde zum gastfreien Privatmann:
»Ich bin Ihnen für Ihr heutiges Kommen sehr dankbar, Mr. Dukane«, eröffnete er das Gespräch. »Und ich bin sicher, daß eine kurze Unterredung alle Mißverständnisse zwischen uns beseitigen wird.«
Dukane ging auf den herzlichen Ton Widdowes' nicht ein:
»Ich konnte doch nicht gut eine Einladung des Vertreters eines Landes ablehnen, mit dem mich so viele angenehme und weniger freundschaftliche Bande verbinden«, entgegnete der Finanzier ohne jede Herzlichkeit.
Widdowes runzelte die Stirn:
»Sie haben mich scheinbar mißverstanden, Mr. Dukane. Darf ich nochmals darauf hinweisen, daß unsere Unterredung nichts mit meiner offiziellen Stellung als Botschafter zu tun hat. Meine Regierung hat mir überhaupt keine besonderen Anweisungen zugehen lassen. Der Zweck dieser Zusammenkunft war einzig und allein mein Wunsch, mich mit Ihnen zwanglos zu unterhalten.«
»Das heißt also, Sie wollen mich inoffiziell sprechen, wie? Warum das?« fragte der andere zurück.
»Sie werden verstehen«, entgegnete Mr. Widdowes, »daß eine inoffizielle Unterredung, die Mißverständnisse beseitigt, dazu beitragen kann, eine amtliche Demarche überflüssig zu machen, nicht wahr?«
»Ich vermag nicht einzusehen«, erwiderte der Finanzier mit kaltem Lächeln, »welche amtliche Demarche Sie hinsichtlich meiner Person unternehmen könnten. Ich bin Privatmann, die meisten wissen nicht einmal, welche Staatsbürgerschaft ich besitze. Glauben Sie, daß die Regierung eines großen Landes, wie die Vereinigten Staaten es sind, einem Privatmann gegenüber Waffen ins Feld führen würde, die man als ›grobes Geschütz‹ zu bezeichnen pflegt?«
»Sie haben recht, Mr. Dukane«, gab der Botschafter lächelnd zu, »Sie dürfen andererseits aber nicht vergessen, daß Sie ein Privatmann mit offiziellem Einschlag sind. Man sagt, Sie gingen mit dem Plan um, Alleingläubiger eines Staates zu werden, in dem mein Land viele Interessen zu vertreten hat. Man hörte, daß Sie Millionen Morgen fruchtbaren Landes, Bergwerke und ganze Provinzen angekauft hätten. Nicht ein, sondern viele Male wurden Ihnen Vorteile eingeräumt, ohne daß man meinen Landsleuten auch nur eine Chance gegeben hätte, mit Erfolg als Mitbewerber aufzutreten. Nichts, was unser Gesandter am Hof von Andropolo unternommen hat, hat Erfolg gezeitigt; die Antworten, die man ihm auf die Beschwerden der Handelskreise meines Landes erteilt hat, waren höflich, aber nichtssagend. Was haben Sie vor, Mr. Dukane? Was sollen alle diese Unternehmungen gegen die Interessen Amerikas bedeuten? Wollen Sie Finanzdiktator Europas werden oder gehen Ihre Wünsche noch höher, nach königlichem Purpur? Wenn Sie diese letztere Absicht hegen, vergessen Sie nicht, daß Sie als König Hof halten und Gesandte empfangen müssen. Auch andere Länder haben in Drome Interessen und Sie können ein ganzes Königreich doch nicht als Handelsobjekt oder als Ihre Privatdomäne betrachten und behandeln.«
»Hat mein Geld nicht denselben Wert, wie das Ihrer Landsleute?« erkundigte sich Dukane. »Wenn die Regierung von Drome es vorzieht, mit mir, anstatt mit Amerikanern Geschäfte zu machen, wen geht das etwas an? Ich kaufe ja nicht für Rechnung Ihrer Konkurrenten, noch will ich das Vermögen irgend eines europäischen Landes zum Schaden eines anderen vergrößern helfen. Für mich selbst kaufe ich, Mr. Widdowes, und das werde ich weiter tun, solange es mir notwendig erscheint. Wenn ich der Meinung bin, das Land, von dem Sie eben sprachen, sei eine gute Kapitalsanlage, dann werde ich mich von niemand abhalten lassen, dort zu kaufen. Will Ihr Land mir, dem Privatmann, deshalb den Krieg erklären?«
Der Botschafter klopfte, ohne zu antworten, sorgfältig die Asche von seiner Zigarre. Dukane erhob sich:
»Ich leistete Ihrer Einladung Folge, Herr Botschafter, wußte aber schon vorher, warum ich dieser Einladung überhaupt für würdig erachtet wurde. Bitte, Herr Baron Mosziansky, ersparen Sie sich jede Erklärung; ich weiß, was Sie sagen wollen. Ich besitze zwar weder Flotte noch Heer, aber mein Geheimdienst kann es mit dem eines jeden Landes aufnehmen. Ich arbeite allein, aber nicht mit einer Binde vor den Augen. Ich weiß, was in jener Bankiersitzung in New York vorging, weiß, daß die heutige Zusammenkunft das Resultat eines Sitzungsberichtes war, in dem man Washington ersuchte, meinem Treiben ein Ende zu machen. Ich weiß auch, warum Baron Mosziansky in London weilt. Was ich tue und treibe, geht niemand etwas an; ich arbeite allein; was ich bin und habe, ist mir nicht freiwillig zugeflossen, sondern ich allein habe es errungen. Wenn ich falle, dann falle ich allein, Herr Botschafter! Darf ich mich nun von Mrs. Widdowes verabschieden? Ich pflege zeitig schlafen zu gehen. Ein weiteres Ausspinnen des Themas hätte ja auch gar keinen Zweck.«
Widdowes erhob sich geschmeidig und folgte seinem Gast zur Tür:
»Ich bedaure von Herzen die Erfolglosigkeit meiner gut gemeinten Mission, Sie zu beeinflussen, Mr. Dukane. Das offizielle Washington hat mit meinem Versuch gar nichts zu tun. Meine Leute hatten mich als Privatmann ganz einfach beauftragt, von Ihnen einige Auskünfte über Ihre Ziele zu erhalten. Gewiß, es ist Ihr volles Recht, zu tun und zu lassen, was Sie wollen und über alles, was Sie betrifft, Schweigen zu bewahren –«
»Ich folge darin nur dem Beispiel, das mir von anderer Seite gegeben wird«, unterbrach ihn der Gast. »Auch Sie würden eine Zumutung, über Ihre Pläne zu sprechen, zurückweisen, genau wie ich es tun mußte.«
*
Im Salon trafen sie nur noch Mrs. Widdowes, die mit Schreiben beschäftigt vor ihrem Arbeitstisch saß.
»Miß Dukane ist mit meiner Tochter und Mr. Brownlow zum Ball ins Apley House gefahren«, benachrichtigte sie den Finanzier. »Sie bat mich, Ihnen das mitzuteilen. Sie würde etwa eine Stunde bleiben. Mr. Brownlow wird sie ins Hotel zurückbegleiten.«
Dukane schien diese Mitteilung nicht zu interessieren.
»Warum fahren Sie nicht auch hin, Mark«, wandte sich die Gastgeberin lächelnd an Stratton. »Sie gehören doch jetzt offiziell zur Botschaft und wir waren ja alle, also auch Sie, auch wenn Sie nicht selbst eine Karte erhielten, eingeladen.«
»Ja, ich werde hingehen. Hoffentlich wirft man mich nicht hinaus«, erwiderte der junge Attaché.
Während sich die Herrschaften verabschiedeten, drängte sich Mark an Dukane heran:
»Ich habe Ihnen etwas Wichtiges mitzuteilen, Mr. Dukane«, flüsterte er ihm zu. »Wollen Sie mich, bitte, zum Apley House mitnehmen? Es ist ja nicht weit.«
»Ist Ihnen Ihre Mission mißlungen?« fragte der andere erschreckt zurück.
»Nein, das nicht, aber – der Mann war ja gar nicht tot!«
Dukane verriet mit keiner Bewegung, ob ihm diese Mitteilung Beruhigung oder Schrecken einflößte. Er stand einen Augenblick bewegungslos. Dann winkte er Mark zu, einzusteigen:
»Wann bemerkten Sie es?« fragte er.
»Als ich ihn verlassen wollte. Ich hatte ihn in den Richmond Park gebracht und gegen einen Baum gelehnt. Eben wollte ich wieder wegfahren, als ich sein Stöhnen hörte.«
»Natürlich mußten Sie zurückkehren, wie?« stellte der andere bitter fest.
»Sollte ich ihn in seinem Zustand allein lassen?«
»Unsinn«, tadelte Dukane. »Hatte ich Ihnen nicht gesagt, was er für ein Mensch ist? Was haben Sie denn dann mit ihm angefangen?«
»Erst dachte ich daran, ihn in ein Krankenhaus zu bringen«, erklärte Mark. »Ich überlegte mir aber, daß man dort wohl zu viele neugierige Fragen stellen würde. Ich habe ihn in mein Haus gefahren, einen Arzt und eine Pflegerin genommen, und nun liegt er bei mir. Ich glaube, er wird in kurzer Zeit wieder wohlauf sein. Ich wollte Ihnen das alles schon telephonisch mitteilen, konnte aber keine Verbindung bekommen. Ihre Leute in Curzon Street weigerten sich, mich mit Ihnen zu verbinden.«
Dukane starrte, ohne zu sprechen, in die Dunkelheit hinaus. Er schien noch nicht über den Schrecken, den ihm die unerwartete Nachricht eingeflößt hatte, hinweggekommen zu sein:
»Ich werde schwach; früher wäre mir das nicht passiert«, murmelte er. »Wenn ich noch einmal die Gelegenheit hätte, würde meine Hand stärker zuschlagen.«
Ein plötzliches Ekelgefühl wallte in van Stratton auf. Er hatte einen guten Rat, einen kurzen Dank erwartet.
»Haben Sie in dieser Sache noch weitere Befehle für mich«, begnügte er sich zu fragen, als der Wagen vor dem Apley House anhielt.
»Behalten Sie den Mann, solange es notwendig ist, in Ihrem Haus«, erwiderte Dukane. »Ich werde mir überlegen, was weiter zu tun ist. Vielleicht können Sie verhindern, daß er sich mit jemand in Verbindung setzt.«
»Ich werde es versuchen«, stimmte Mark zu. »Aber, Sie dürfen nicht verkennen, daß er als Gast in meinem Haus weilt und noch dazu sehr krank ist. Es wird schwierig sein, es zu verhindern.«
»Das Wort ›Schwierigkeit‹ ist in meinem Lexikon nicht vorhanden«, rügte der andere. »Der Mensch ist gewissenlos und falsch wie eine Schlange. Würden Sie zögern, einer Schlange den Kopf zu zertreten, wenn sich Ihnen die Gelegenheit bietet? Wenn jener Erpresser seinen Mund auftut und das, was er weiß, anderen Leuten mitteilt, dann haben wir morgen den Krieg. Wo wohnen Sie?«
»20 B Curzon Street.«
Dukane nickte und wandte sich ab. Das kam einer Verabschiedung gleich. Wenige Minuten später stieg Mark van Stratton die Stufen zum Apley House hinauf.