Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Mark war den ganzen Tag über mit der Erledigung von Hugersons Korrespondenz ziemlich angespannt gewesen; es war schon spät am Nachmittag, als er sich endlich einige Minuten Ruhe gönnen konnte. Er benützte die kurze Pause, um die Blätter zu überfliegen, die ihm heute morgen ein Diener auf sein Pult gelegt hatte. Ein kurzer Artikel auf der Vorderseite einer der Zeitungen ließ ihn seine Augen vor Erstaunen weit öffnen. Nach kurzem Überlegen faltete er die Zeitung zusammen und begab sich in das Zimmer, wo Miß Moreland ihrer Arbeit nachging. Sie blickte ihn bei seinem Eintritt überrascht an:
»Wo waren Sie denn heute den ganzen Tag über?« fragte sie.
»Beim Chef. Er wollte Sie nicht stören. Sie schreiben eben den Hauptbericht, nicht wahr?«
»Ja, das heißt den, den Mr. Hugerson als solchen bezeichnet. Die Wiedergabe der Unterredung in Rom ist sehr umständlich, weil sie wörtlich niedergeschrieben werden muß.«
»Werden Sie noch lange zu tun haben?« fragte er.
»Eine Stunde mindestens.«
Mark setzte sich auf die Schreibtischkante; neben ihm lagen – wieder durchfuhr es ihn wie ein leichtes Mißtrauen – eine große Anzahl gebrauchter Kohleblätter.
»Sind Sie immer noch so verschwenderisch mit diesen Kopierblättern?« fragte er das Mädchen.
Frances' Finger klopften nervös auf die Tischplatte:
»Warum auch nicht? Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich stets trachte, alle meine Kopien so leserlich wie das Original abzuliefern.«
»Wie ist denn die weitere Behandlung dieser Niederschriften, nachdem Sie sie zusammengesteckt haben? Sie dürfen sie wohl nicht aus diesem Zimmer herausnehmen, nicht wahr?«
»Ich lasse General Acton zu mir bitten; er unterschreibt die Quittung für den Empfang der Blätter und nimmt sie dann mit sich fort. Ich darf nicht eher hinaus, bis alles abgeliefert ist, und halte das für sehr vernünftig.«
Er blickte die Sekretärin nachdenklich an:
»Trotzdem dringt das, was hier gesprochen und geschrieben wird, über die Mauern dieses Hauses in die Öffentlichkeit«, bemerkte er. »Während der letzten Wochen steigen die Währungen Italiens und Dromes fortgesetzt, während die Jugoslawiens immer mehr fällt. Das ist das, was zu erwarten war, sobald etwas vom Inhalt der Berichte Mr. Hugersons in die falschen Hände geriet.«
Sie zuckte die Achseln:
»Sie haben ja selbst gesehen, daß dieses Durchsickern nicht von hier aus erfolgt sein kann. Mr. Hugerson ist in letzter Zeit mit vielen Ministern und Finanzleuten zusammengekommen und es ist leicht verständlich, wenn er hier und da ein Wort hat fallen lassen, das sich auf seine Eindrücke bezog. Eine Andeutung schon würde manchen genügt haben, entsprechende Vorkehrungen an der Börse zu treffen.«
»Ja, das wäre möglich«, mußte Mark zugeben.
»Wollen Sie mir einen Gefallen erweisen, Mr. van Stratton?« fragte das Mädchen.
»Gern. Jeden.«
»Mein Bräutigam erwartet mich unten, und da General Acton eben angerufen hat, ich müßte noch heute den Bericht vollenden, würde es für Mr. Howlett zu lange dauern, ehe ich ihn treffen kann. Wollen Sie ihm ein Briefchen mitnehmen?«
»Gewiß. Ich gehe gleich.«
»Holen Sie Ihren Mantel und Hut«, bat sie. »Wenn Sie dann hierherkommen, habe ich alles bereit für Sie.«
Als Mark, zum Ausgehen angekleidet, das Zimmer Miß Morelands wieder betrat, lag noch alles genau so da, wie vorhin, als er den Raum verlassen hatte. Die Sekretärin reichte ihm einen Briefumschlag und ein kleines Paket:
»Bitte, geben Sie beides Mr. Howlett«, ersuchte sie Mark. »Er soll mich nicht erwarten; ich hätte noch eine ganze Weile zu tun.«
Er warf einen Blick auf das kleine Tischchen. Die Kohleblätter waren verschwunden. Auch das Schreibtischfach, das vorhin halb offen gestanden und eine ganze Anzahl der Blätter enthalten hatte, war leer. Er wandte sich zögernd ab:
»Schön«, sagte er. »Ich werde den jungen Mann aufsuchen.«
Unten traf er Mr. Sidney Howlett, der, die Hände in seinen Manteltaschen, eine Zigarette rauchend, auf und ab spazierte. Mark begrüßte ihn:
»Ich bringe Ihnen eine Botschaft von Miß Moreland«, sagte er. »Sie bat mich, Ihnen mitzuteilen, daß Sie sie nicht erwarten sollten. Sie hätte noch einige Zeit zu tun. Kommen Sie mit zur Metropole Bar, wir wollen dort etwas trinken.«
Howlett schien überrascht, doch er nahm die Einladung sofort an:
»Gern, Mr. van Stratton«, rief er aus. »Mir ist durch das Warten ordentlich kalt geworden.«
In der Bar zog Mark das ihm anvertraute Briefchen hervor:
»Beinahe hätte ich vergessen«, sagte er. »Ich soll Ihnen diese Botschaft übergeben.«
Der Bräutigam Miß Morelands riß den Umschlag auf und las die wenigen Zeilen:
»Frances schreibt hier etwas von einem Paket, das Sie mir übergeben sollten«, meinte er stirnrunzelnd.
»Ja, ich habe es hier«, entgegnete der Bote.
Howlett streckte die Hand danach aus, ohne daß Mark Anstalten machte, es ihm zu übergeben.
»Wo haben Sie es denn?« erkundigte sich Howlett.
»Ich will mit Ihnen offen sein«, erklärte Mark. »Ich schätze Ihre Braut sehr hoch, und ich schäme mich selbst, daß ich auch nur das geringste Mißtrauen gegen sie hege. Andererseits machen es mir verschiedene Ereignisse der letzten Tage zur Pflicht, den Inhalt dieses Paketes zu prüfen. Enthält es nichts, was meinen Verdacht rechtfertigt, dann bin ich gern bereit, mich bei Ihnen beiden zu entschuldigen. Bestätigt sich mein Verdacht, dann bin ich gleichwohl bereit, Ihnen einen Vorschlag zu unterbreiten.«
Der andere versuchte, einen Bluff aufzustellen:
»Ich weiß gar nicht, was Sie wollen?« rief er aus. »Gar nichts ist in diesem Paket, überhaupt nichts.«
»Dann öffnen Sie es, bitte, in meiner Gegenwart oder gestatten Sie mir, es zu tun.«
»Das mache ich, wie ich will«, lautete die ärgerliche Entgegnung. »Der Inhalt geht Sie nichts an.«
»Sie wissen, in welcher Stellung ich mich hier befinde«, sagte Mark mit unterdrückter Stimme. »Ich habe mit dem englischen Geheimdienst oder der Polizei nicht das Geringste zu tun. Niemand wird je erfahren, was wir hier besprechen. Weigern Sie sich jedoch, meinem Wunsch Folge zu leisten, dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich an die Behörden, die ich eben nannte, zu wenden.«
»Ich sagte Ihnen doch, daß nichts Wichtiges in diesem Paket enthalten ist«, bestand Howlett auf seiner Erklärung.
»Gut«, erwiderte Mark kühl und schnitt den Faden entzwei, »dann können Sie auch nichts dagegen haben, wenn ich mich davon überzeuge.«
Er öffnete das Päckchen und zog eine Anzahl sauberer Kohleblätter hervor; zwischen zwei Blättern lag immer ein weißer Schutzbogen.
»Na, sehen Sie«, spottete Howlett, »altes Kohlepapier, weiter nichts.«
»Ich hätte mich Ihrer Ansicht von deren Nutzlosigkeit noch vor einigen Tagen angeschlossen«, entgegnete Mark, »wenn nicht inzwischen die ›Post‹ heute morgen einen kleinen Artikel darüber veröffentlicht hätte, wie man Kohlepapier behandeln müsse, um neue Abzüge von deren beschriebener Rückseite herzustellen. Ein Italiener soll das Verfahren während des Krieges erfunden haben und es hat auch damals schon allerlei ähnliche Dienste geleistet.«
Howlett wischte sich den Schweiß von der Stirn:
»Was beabsichtigen Sie gegen uns zu unternehmen?« fragte er mit erstickter Stimme.
»Sie waren es, der Miß Moreland dazu verleitet hat, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Howlett. »Aber was haben wir für einen Schaden angerichtet? Gar keinen. Sobald die Berichte drüben sind, werden sie ja sowieso veröffentlicht.«
Doch bestand Mark auf seiner Meinung:
»Trotzdem spielen hier Umstände mit, die es unerwünscht erscheinen lassen, die Berichte jetzt schon der Öffentlichkeit zugängig zu machen. Wieviel Geld sollten Sie für diese Kohleblätter bekommen?«
»Fünftausend Pfund«, stotterte der andere.
»Gut«, meinte Mark, »ich werde die Sache geheimhalten, wenn Sie sich einverstanden erklären, die Summe von mir anstatt von Ihrem Auftraggeber anzunehmen.«
Howletts Selbstbewußtsein kehrte langsam zurück:
»Was sagten Sie eben?« rief er aus. »Ich soll Ihnen die Blätter verkaufen? Was wollen Sie denn damit?«
»Das geht Sie nichts an«, lautete die ruhige Antwort. »Wollen Sie den Scheck gleich haben?«
Howlett zog nachdenklich an seinem Schnurrbart:
»Gut, gemacht.«
Mark schrieb einen Scheck über fünftausend Pfund aus und händigte ihn an den anderen aus:
»Ich habe ihn offen ausgestellt«, sagte er, »und Sie können sich das Geld morgen früh abholen. Eine Frage noch! Wie beabsichtigen Sie diese Summe mit Miß Moreland zu teilen? Was bekommt sie davon?«
»Wir wollen sowieso heiraten«, teilte ihm der junge Mann mit.
»›Sowieso‹ ist ein wenig unbestimmt«, erklärte Mark. »Ich kann mir die Gründe, die Miß Moreland veranlaßten, sich an einem solchen Unternehmen zu beteiligen, denken. Sie haben nun Geld, ein neues Leben anzufangen und dürfen ihre Erwartungen nicht enttäuschen! Verstehen Sie mich?!«
»Ich werde ihr gegenüber mein Wort halten. Das ist es doch, was Sie meinen, nicht wahr?«
»Ich werde dafür sorgen, daß Sie Ihre Absicht nicht vergessen«, teilte ihm Mark mit. »Die Kohleblätter werde ich behalten, bis Sie verheiratet sind. Drei Wochen müssen Sie in England aufgeboten sein, nicht wahr? Heute über vier Wochen werde ich bei Ihrer Trauung anwesend sein und anschließend die Kohlepapiere vernichten.«
»Sie scheinen ja besonderes Interesse zu haben, daß ich heirate«, meinte der in die Enge Getriebene. »Wie lange kennen Sie denn Miß Moreland schon?«
»Erst seit kurzem, aber lange genug, um sie zu achten. Sie haben Glück in Ihrer Wahl gehabt, Mr. Howlett.«
»Was soll ich aber tun, wenn sie noch nicht heiraten will?«
»Ich glaube nicht, daß sie sich sträuben wird.«
Mark erhob sich:
»Kein Wort darf Miß Moreland von unserer Unterredung erfahren«, befahl er. »Sie muß glauben, daß dieses Geschäft mit den Kohlepapieren völlig ohne Zwischenfall durchgeführt worden ist. Auf der Hochzeitsreise dürfen Sie ihr die Wahrheit gestehen.«
»Ich möchte gern wissen, worauf Sie hinaus wollen«, meinte Howlett. »Fünftausend Pfund sind für einige wertlose Kohleblätter eine Masse Geld.«
»Es gibt sicherlich viele Dinge im Leben, die Sie niemals verstehen lernen werden«, entgegnete Mark und zog seinen Mantel an.