Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

25

Als Mark sich am selben Abend pünktlich um neun Uhr bei dem Finanzier anmelden ließ, erkannte er erst, wie schwer es war, zu dem Magnaten vorzudringen. Obwohl er sich als dessen Gast ausgewiesen hatte, mußte er beinahe zehn Minuten warten, ehe er vorgelassen wurde. Ein Privatsekretär Dukanes hatte ihn empfangen:

»Sie sind Mr. Mark van Stratton?« fragte er.

»Jawohl.«

»Ich bin Mr. Dukanes Privatsekretär. Mr. Dukane erwartet Sie, wie ich erfahren habe, zum Dinner, nicht wahr? Wollen Sie mir, bitte, folgen.«

Der Sekretär öffnete eine Tür:

»Mr. van Stratton«, meldete er mit lauter Stimme.

Dukane erhob sich:

»Seien Sie mir willkommen«, murmelte er, seinem Gast die Hand reichend. »Bitte, entschuldigen Sie, daß ich Sie in meine Privatwohnung zum Essen gebeten habe. Die Presse läßt mir ja keinen ruhigen Augenblick. Die Reporter verfolgen mich überall hin; ich bin für alle Spekulanten und Pressejünglinge ein willkommenes Wild. Vor einigen Tagen erkundigte sich der Oberkellner bei mir, ob ich ihm raten könnte, französische Staatsanleihe zu kaufen. Immer wollen die Leute etwas erfahren, jeden aushorchen, der ihrer Ansicht nach etwas wissen könnte.«

»Ich kann das nachfühlen«, meinte Mark. »Ihre Bekannten werden Ihnen wohl oft lästig fallen.«

»Soweit Geld in Frage kommt, sind sie alle gleich«, seufzte der andere, als sie sich an dem mit Blumen geschmückten Tisch niederließen. »Alle tanzen ums goldene Kalb; die größten Demütigungen stecken sie widerspruchslos ein, wenn sie dabei Geld verdienen können. Wir reichen Leute müssen doch eingebildet werden, wenn wir jeden Tag bemerken, wie sich die Menschen vor dem Geld erniedrigen.«

»Meine Maniküre vertraute mir heute an, daß sie sich fünfzig Pfund gespart hätte und wollte von mir gern wissen, wie sie sie anlegen sollte«, warf Estelle ein. »Sie will heiraten und hat nicht genug Geld. Sie meinte, daß ihr Bräutigam ihrer überdrüssig werden würde, wenn sie ihn zu lange warten ließe.«

»Ja, so sind sie«, brummte der Hausherr. »Gewiß, ich kann die Börse beeinflussen, aber ich tue es selten, weil es sich nicht der Mühe lohnt. Doch genug davon. Können Sie sich denken, warum ich Sie zu mir bat?«

»Nein, Mr. Dukane; ich wüßte keinen Grund«, erwiderte Mark, der über den plötzlichen Themawechsel erstaunt war.

»Es handelt sich um Brennan«, vertraute ihm Dukane an. »Als ich zur festgesetzten Stunde bei ihm vorsprechen wollte, hatte er sich verflüchtigt.«

»Ach, ist das möglich?!« verwunderte sich Mark.

»Jawohl«, bestätigte der andere.

»Ich wußte, daß er mein Haus verlassen wollte«, erklärte Mark, »aber ich hatte keine Ahnung, daß er das tun würde, bevor er sich mit Ihnen treffen würde. Ich hatte an jenem Abend den Eindruck, als hätten Sie ihm einen schönen Schreck eingejagt.«

»Der Ansicht war auch ich, aber Brennan ist kein Esel. Er weiß ganz genau, daß ich nicht wagen würde, ihn verhaften zu lassen, denn damit wären meine Aussichten, die Dokumente in die Hand zu bekommen, auf ein Nichts reduziert. Er ließ es eben darauf ankommen.«

»Ahnen Sie, wo er hin sein könnte?«

Dukane trank erst einen Schluck aus seinem Glas, ehe er antwortete:

»Ich hatte seine Schlupfwinkel innerhalb einer Stunde verstopft«, entgegnete er. »Zwar bin ich dadurch vielleicht zum ›Verschwörer‹ – wie der Innenminister mich so schön bezeichnete – herabgesunken, aber ich durfte den Kerl nicht aus meinen Augen lassen. Er wohnt jetzt in der Rectory Street in Hampstead. Wie man mir berichtet, schleicht er wie ein Nachtwächter herum. Er hat mehr Angst als Vaterlandsliebe. Alle halbe Stunden läßt er sich ein Taxi kommen, das aber immer von einem anderen verfolgt zu werden scheint. Mr. Brennan verzichtet deshalb immer darauf, es zu benützen, zahlt aber, ohne zu murren, die Vorfahrgebühr. Er kommt mir wie ein Dachs vor, der sich nicht aus seinem Bau wagt.«

»Wollen Sie ihn in seiner Wohnung lassen?« erkundigte sich Mark.

»Das kommt darauf an«, entgegnete der Finanzier.

Da in diesem Augenblick die Diener das Zimmer betraten, wandte Mark sich Estelle zu:

»Sie freuen sich wohl schon auf Ihre Pflichten als Hausherrin und Gastgeberin?« fragte er.

»Das könnte ich nicht behaupten«, erwiderte sie. »Es wird aber alles nichts helfen: Ich werde sie wenigstens teilweise mit übernehmen müssen. Meine Patin, die Prinzessin Semendria, hat sich bereit erklärt, einige Monate hierherzukommen. Leider ist sie ganz meines Typs, so daß sie mir immer meine Verehrer wegfängt.«

»Ist es nötig, daß ich Ihnen nochmals Treue schwöre?«

»Nein, Sie werden mir wohl trotz aller Anfechtungen treu bleiben. Hinsichtlich Lord Dorchesters bin ich meiner Sache leider nicht so sicher. Mir machte es heute nachmittag den Eindruck, als sei er wahrhaftig in Ihre sommersprossige Botschafterstochter verschossen. Vater, würdest du mir gestatten, daß ich mich mit einem Vertreter der britischen Aristokratie verheirate«, wandte sie sich an Dukane.

»Mit meiner Erlaubnis bestimmt nicht. Ein Engländer kommt als Mann für dich überhaupt nicht in Frage.«

»Und ein Amerikaner?« erkundigte sich Mark hoffnungsvoll.

»Unsinn!« lautete die kurze Erwiderung. »Wir wollen hier nicht unnötig unseren Atem verschwenden. Bringen Sie den Kaffee und die Liköre«, gebot er dem Diener.

Estelle brannte sich eine Zigarette an:

»Vater fällt mir wirklich manchmal auf die Nerven«, beklagte sie sich. »Nun, beruhigen Sie sich, Mr. van Stratton: Ich werde bestimmt nicht als alte Jungfer sterben.«

»In sechs Monaten, ab heute gerechnet«, fiel ihr der Vater ins Wort, »werde ich dir deinen künftigen Gatten zuführen. Bis dahin hast du noch Zeit.«

»Wie grausam«, spottete Estelle. »Vater, du darfst doch nicht außer acht lassen, daß mich Mr. van Stratton heiraten will. Ich weiß, er hat noch einige altertümliche, unmoderne Anschauungen in sich, aber er wird sich bessern. Jedenfalls hat er mich auf seine Absicht hingewiesen, nach dieser Mahlzeit um meine Hand anzuhalten.«

»Du wirst mich mit deinem Unsinn noch wütend machen«, warnte der Vater stirnrunzelnd.

Dann wandte er sich an Mark:

»Meine Tochter hat mich davon unterrichtet, daß sie Ihnen zu danken hätte, weil Sie eine unangenehme Angelegenheit in de Fontenays Wohnung geordnet hätten. Ich wollte Ihnen schon gestern meinen Dank aussprechen, vergaß es aber in der Aufregung, in die mich dieser Brennan versetzt hatte.«

»Ich tat, was ich tun konnte«, murmelte Mark.

»Und retteten dadurch die Situation. Die Papiere, um die es sich handelte, waren an und für sich zwar nicht viel wert, aber ich muß immer auf dem laufenden bleiben, was andere treiben. Deshalb mußte ich jene Dokumente haben.«

»Ich kannte ihre Natur nicht, sondern griff nur ein, um Ihrer Tochter Unannehmlichkeiten zu ersparen.«

»Bisher«, fuhr Dukane fort, »ist es mir unter Anspannung aller Kräfte gelungen, Europa den Frieden zu erhalten. Ich halte mich für einen mißverstandenen Wohltäter der Menschheit, weil ich alles dazu beitrage, was in meinen Kräften steht, den Frieden, der jetzt wie noch nie zuvor gefährdet ist, zu erhalten. Nur eine einzige Sache kann meine Arbeit zunichte machen: Brennans Verrat.«

»Ist es so schlimm?« fragte Mark.

»Mehr als das. Brennans Geheimnis würde, käme es an die Öffentlichkeit, Europa, ja die ganze Welt, in Flammen setzen. Ich bedaure nichts so sehr wie meinen Fehlschlag Brennan gegenüber. Hätte ich ihn doch erschlagen! Er verdient nicht mehr Mitleid als eine giftige Fliege verdienen würde. Gegenwärtig wird er von zwei Trieben beherrscht: Soviel wie möglich aus seinem Geheimnis herauszuschlagen, und dann – sich an mir zu rächen! Die ganze gegenwärtige Lage ist lachhaft: Ich weiß, wo er wohnt, weiß, wie ich ihn erreichen kann, und bin dennoch ihm gegenüber machtlos. Hätte Brennan nicht seinen Mut verloren – er könnte aus seiner Wohnung herausgehen und sich, ohne mir nur einen Blick oder einen Gedanken zu widmen, ganz seinen Rachegelüsten hingeben. Ich könnte ihn nicht daran hindern. Er weiß nicht, daß meine Leute, die ihn beobachten, ihrerseits von Kriminalbeamten der Yard unter Beobachtung gehalten werden. Sobald er es erfährt, wird er seine Furcht verlieren und handeln. Eine weitere Gefahr besteht: Ihr Freund Raoul de Fontenay hat sich eine junge Dame – Zona Latriche – kommen lassen, mit der er schon öfter erfolgreich zusammen gearbeitet hat. Sie hat sich bei Brennan eingeschmeichelt und wohnt mit ihm zusammen. Da die Franzosen das einzige Volk sind, das durch meine Pläne in Gefahr geraten würde, ist de Fontenay natürlich scharf hinter Brennans Geheimnis her. Er weiß zwar nichts über den Inhalt der Papiere, ahnt ihn aber. Zona befindet sich bei Brennan im Auftrag des Obersten. Mich empfängt der verräterische Schuft nicht; auch meine Leute kennt er alle persönlich. Was bleibt mir als einziger Ausweg übrig? Sie hinzuschicken, denn gegen Sie hat er ja nichts, im Gegenteil, er ist Ihnen zu Dank verpflichtet.«

Zweifelnd schüttelte Mark den Kopf:

»Wäre ich noch frei und ungebunden, dann würde ich nicht einen Augenblick zögern, Ihrem Wunsch Folge zu leisten«, sagte er. »Gerade jetzt aber möchte ich mich nicht in Dinge einlassen, die etwas anrüchiger Natur sind.«

»Die Affäre Brennan hat mit Ihrem Beruf nicht das geringste zu tun«, widersprach Dukane. »Sie sind Amerikaner, und haben als solcher erfahren, daß Brennan sich im Besitz von diplomatischen Geheimnissen befindet, bei deren Veröffentlichung Europa in Flammen aufgehen und alle Bemühungen, den Frieden zu erhalten, zunichte würden. Ich persönlich würde ruiniert werden. Wenn Sie sich deshalb nicht nur auf Worte beschränkten, als Sie sagten, Sie interessierten sich für meine Tochter, dann ist es Ihre Pflicht, mit dem Manne zu verhandeln. Sie können ihm innerhalb vernünftiger Grenzen jede Summe bezahlen und brauchen mir die Papiere nicht einmal auszuhändigen. Verschließen Sie sie, wo Sie wollen. Weiter verlange ich nichts von Ihnen. Nur die Presse, und vor allen Dingen die französische Presse, darf sie nicht in die Finger oder vor Augen bekommen.«

»Bitte, helfen Sie uns, Mark«, schloß sich nun auch Estelle den Bitten ihres Vaters an.

»Wenn Sie mit Ihrem Chef durch diese Angelegenheit Differenzen bekommen, werde ich Sie vertreten«, versicherte Dukane. »Ich werde in den nächsten Tagen verschiedentlich mit ihm zusammen sein und wenn wirklich etwas durchsickern sollte, so werden mir Ihre Leute glauben müssen, daß Sie nur das Beste im Auge hatten, als Sie meiner Bitte entsprachen.«

»Wenn Sie jetzt gleich gehen«, meinte Estelle, »dann können wir nach Ihrer Rückkehr noch tanzen. Bitte, tun Sie es für mich.«

Mark erhob sich:

»Ich werde mein Bestes versuchen«, erklärte er. »Ich möchte jedoch betonen, daß ich die Sache nicht in Ihrem Auftrag, sondern aus eigenem Interesse bearbeiten werde. Habe ich bei Brennan Erfolg, dann werde ich mir erlauben, erst einmal die Papiere durchzusehen und von dem Ergebnis meiner Prüfung wird mein Entschluß, was mit ihnen zu geschehen hat, abhängen.«

Dukane verzog sein Gesicht:

»Ist das nicht ein bißchen happig, junger Mann?« fragte er. »Nun gut, wollen wir es dabei lassen. Wenn Sie Geld brauchen, können Sie sich an mich wenden. Nummer sieben, Rectory Row, Mr. van Stratton. Die Straße zweigt von der St. Johns Wood Road ab. Mein Wagen steht unten und der Chauffeur ist benachrichtigt.«

Estelle begleitete ihren Anbeter bis an die Tür:

»Ich werde Ihnen das nie vergessen«, flüsterte sie ihm zu. »Viel Glück, Mark!«

 


 << zurück weiter >>