Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

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5

Der erste Schrecken nach der Entdeckung, daß der Tote wieder zum Leben erwacht war, war verflogen und hatte einem Gefühl der Erleichterung Platz gemacht. Nun drückte dieses Ereignis nicht mehr so auf sein Gewissen. Er hatte, ohne einen Augenblick daran zu zweifeln, daß er wirklich einen Toten transportierte, die Geschichte, die ihm Dukane erzählt hatte, als wahr angenommen. Er trat wieder an den Baum heran, gegen den er den angeblichen Toten gelehnt hatte und betrachtete sich den Auferstandenen:

»Sie sind also nicht tot?« fragte er ein wenig unlogisch.

»Um das zu erreichen, bedarf es etwas mehr«, lautete die in schwachem Ton gegebene Antwort. »Wer sind Sie? Freund oder Feind? Wollen Sie das, was jener begann, vollständig ausführen? Warum? Ich habe Ihnen doch nichts zuleide getan.«

»Nein, ich bin nicht Ihr Feind und auch der keines anderen Menschen«, lautete die beruhigende Versicherung. »Sie brauchen sich nicht vor mir zu fürchten. Können Sie Ihre Arme heben? Ja? Gut, legen Sie sie um meinen Nacken, damit ich Sie in den Wagen zurückbringen kann.«

Der Kranke gehorchte, und Mark machte es ihm im Auto so bequem wie möglich. Das Gesicht des anderen hatte immer noch die totenähnliche Farbe. Die Kopfwunde hatte wieder zu bluten angefangen. Mark verband sie so gut es ihm mit seinem Taschentuch möglich war:

»Wir werden an der ersten Kneipe anhalten«, versprach er seinem Patienten, »damit Sie einen Schluck Kognak bekommen.«

»Und nachher?«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich schon darüber nachgedacht habe«, erwiderte der junge Mann. »Wo wohnen Sie denn? Soll ich Sie irgendwo absetzen?«

Er erhielt keine Antwort, denn der Verwundete hatte die Besinnung wieder verloren. Erst als ihm Mark einige Tropfen Alkohol einflößte, schlug der Patient seine Augen auf:

»Es wird mir ein wenig besser«, murmelte er. »Mein Gott, wie mir der Kopf brummt.«

Langsam fuhren sie durch Hammersmith zurück. In der Hauptstraße hielt Mark an:

»Soll ich Sie in ein Krankenhaus fahren?« fragte er.

Der andere schüttelte den Kopf und versank wieder in seine Bewußtlosigkeit.

Nachdenklich setzte Mark die Fahrt fort, bis er vor seinem Haus in der Curzon Street anhielt.

»Andrews«, befahl er seinem Diener, der ihm die Tür öffnete. »Ich habe im Wagen einen Herrn sitzen, dem im Nebel ein Unglücksfall zugestoßen ist. Helfen Sie mir, ihn hinaufzutragen und holen Sie dann einen Arzt.«

Nach wenigen Minuten lag der Verwundete bequem gebettet in einem der Gastzimmer, und es dauerte nicht lange, als der Arzt erschien.

»Ich habe den armen Menschen von der Straße aufgelesen«, erklärte Mark dem Arzt. »Wahrscheinlich hat er irgendeine Keilerei gehabt.«

Der andere nickte.

»Das kommt jeden Tag vor. Sind Sie mit ihm befreundet?«

»Nein, ich habe ihn noch nie gesehen. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte ihn in ein Krankenhaus eingeliefert, wie?«

»Es ist ganz gut, daß Sie es nicht getan haben, denn man hätte ihn kaum aufgenommen. Die Hospitäler sind überfüllt. Er hat ja einen gehörigen Schlag abbekommen.«

»Besteht Lebensgefahr?«

»Nein, ich glaube nicht. Er wird sich wohl bald wieder erholen. Aber es war eine verflucht knappe Sache. Ich werde Ihnen eine Pflegerin senden; sie wird alle Arbeit übernehmen.«

»Besten Dank«, anerkannte Mark die Freundlichkeit des Arztes. »Und glauben Sie, Herr Doktor, daß ich meinen Fund der Polizei melden muß?«

»Das ist nicht nötig. Ich erkläre mich von Ihren Mitteilungen, daß es ein Unfall war, der durch den Nebel verursacht wurde, befriedigt. Sie waren doch nicht der Angreifer, wie?«

»Nein, bestimmt nicht«, versicherte der junge Mann. »Ich würde mir, wenn ich mich an einem solchen Zwerg vergriffen hätte, wie ein Leichenschänder vorgekommen sein.«

Der Arzt schrieb das Rezept aus:

»Die Pflegerin wird in einer halben Stunde da sein«, sagte er. »Morgen früh komme ich wieder vorbei. Guten Abend.«

Eines der im Haus bediensteten Mädchen übernahm auf Befehl Marks die Wache bei dem noch immer bewußtlosen Patienten, während sich der Hausherr in sein Arbeitszimmer begab. Der diensteifrige Andrews brachte, kaum daß sich Mark vor dem Schreibtisch niedergelassen hatte, einige Flaschen.

»Ein Cocktail würde mir gut tun, Andrews«, meinte van Stratton. »Wie spät ist es eigentlich?«

»Halb sechs, Sir. Darf ich daran erinnern, daß Sie heute abend in der Botschaft speisen wollten, Sir? Einer der Sekretäre hat vor kurzem angeklingelt, um Sie zu ersuchen, pünktlich zu erscheinen.«

Ehe Mark sich ankleidete, erledigte er noch ein Telephongespräch. Auf seinen Anruf bei 1000 Y Gerrard meldete sich eine fremde Stimme.

»Hier ist Mr. van Stratton. Kann ich Mr. oder Miß Dukane sprechen?«

»Beide Herrschaften haben das Haus verlassen.«

»Wo befinden sie sich gegenwärtig? Können Sie mir das sagen?«

»Ich bedaure, keine Auskunft geben zu können!«

»Es handelt sich um etwas Wichtiges«, bestand Mark auf seiner Frage.

»Wenn die Herrschaften das Haus verlassen, wissen wir nie, wo sie zu finden sind«, entgegnete die Stimme am anderen Ende der Leitung.

»Es handelt sich um eine außerordentlich wichtige Mitteilung, die ich den Herrschaften zu machen habe. Sie müssen mir sagen, wie ich sie zu erreichen vermag.«

»Mr. Dukane hat sich die Privatleitung einrichten lassen, um sie, solange er hier im Haus zu tun hat, zu benützen. Seine Befehle lauten unmißverständlich: Sobald er das Haus verläßt, will er nicht mehr belästigt werden. Er hat uns verboten, seinen Privatanschluß zu nennen oder seine Adresse preiszugeben.«

Jedes weitere Verhandeln war, das sah van Stratton ein, zwecklos. Er hing ab und brannte sich eine Beruhigungszigarette an. Andrews trat ein, um Lord Henry Dorchester anzumelden, der bald darauf in einem der Lehnstühle Platz nahm, als wäre er zu Hause:

»Deine Cocktails schmecken mir, Mark«, lobte er den Gastgeber. »Es tut mir leid, wenn ich ungelegen komme, aber dieser verdammte Nebel hat mich dazu gezwungen. Nun, was hältst du von unseren neuen Freunden?«

»Mein erstes Urteil bleibt bestehen: Er – ungenießbar, sie – genau so entzückend, wie ich sie mir vorstellte.«

Dorchester brannte sich eine von Marks Zigaretten an:

»Du weißt, Mark, daß er eine Finanzgröße ist?«

Der andere nickte; er befand sich nicht in der Stimmung, leeres Stroh zu dreschen.

»Ich will dir etwas, was ich heute nachmittag über ihn erfahren habe, unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertrauen«, fuhr Lord Henry fort. »Für die Wahrheit dieser Mitteilung kann ich selbstverständlich nicht einstehen: Man sagt, Dukane ziehe aus allen Teilen der Erde seine ausgeliehenen Gelder zurück. Kannst du dir den Grund hierfür denken?«

»Ich habe mir den Kopf noch nicht darüber zerbrochen.«

»Er wird als der Hauptmacher in der Frankenbaisse genannt.«

Mark blickte den Freund nachdenklich an.

»Ich kann nicht einsehen, daß man dabei Geld verdienen kann«, bezweifelte er die Wahrheit des Gerüchts.

»Das kommt daher, weil du kein Finanzmann bist. Natürlich kann kein Mensch Dukane in die Karten sehen und seine Absichten erkennen, aber du weißt, daß wir allmonatlich große Summen zur Schuldenregulierung an deine Landsleute abzuführen haben. Dabei kommt uns natürlich ein niedriger Frankenkurs sehr zustatten. Was ich nicht begreifen kann, ist, warum Dukane in dieser Spekulation die Arbeit Englands besorgen will.«

»Hat er etwas mit internationaler Politik zu tun?«

»Das glaube ich nicht«, erwiderte der Engländer. »Eher glaube ich, seine Spekulation auf Geldgier zurückführen zu müssen. Man sagt, Rothschild sei gegen Dukane ein Waisenknabe. – Spielst du morgen eine Golfpartie mit?«

Mark schüttelte ablehnend den Kopf:

»Damit werde ich wohl für die nächsten Monate aufhören müssen, Henry. Ist dir jemals bei mir eine besondere diplomatische Befähigung aufgefallen?«

»Bei jedem anderen eher als bei dir«, lautete die wenig schmeichelhafte Antwort.

»Du brauchst keine Stachelbeeren auszuteilen. Na, du magst rechthaben oder nicht – man hat meine wertvollen Dienste nicht länger entbehren können. Ich soll so eine Art gesellschaftlicher Attaché werden. Morgen geht's los, eigenes Büro, amtliches Aussehen, eigene Sekretärin, Besuchslisten ausarbeiten, jedem die Hand schütteln – na, du weißt ja, was ich meine.«

»Diese Beschäftigung wird dich vielleicht abhalten, dumme Streiche zu begehen.«

»Du hast gerade Grund, die Nase so hoch zu tragen. Du weißt doch, daß ich bis zum Krieg in diplomatischen Diensten war. Gott, wenn ich mich an die entsetzlichen sieben Monate erinnere, die ich in jener langweiligen südamerikanischen Hauptstadt zubringen mußte! Ganz nebenbei, Henry – weißt du zufällig, wo Dukanes wohnen?«

»Weder weiß ich es, noch wird irgend jemand in London die Adresse kennen«, erwiderte Dorchester mit betrübter Miene. »Seine ganze Existenz, sowohl geschäftlich wie privat, geht unter Fliegerdeckung vor sich. Ich hatte die Absicht, meine Eltern und Geschwister als Besucher vormerken zu lassen, aber es scheint unmöglich zu sein, die Wohnung Dukanes zu erfahren. Wahrscheinlich ziehen sie jeden Tag wo anders hin. Hast du heute abend etwas vor?«

»Ja. Ich muß eine Einladung abessen. Ehe ich mich an die reichbesetzte Tafel setzen kann, muß ich noch eine Konferenz mit Mrs. Widdowes überstehen.«

Der andere trank seinen Cocktail aus und erhob sich:

»Ich habe noch reichlich einige Stunden im Parlament zu tun«, erklärte er. »Was hat denn die Krankenschwester, die ich eben auf der Treppe traf, in deinem Hause zu suchen?«

»Eines der Stubenmädchen hat sich eine Influenza zugezogen«, log van Stratton und klingelte. »Was war ich doch für ein Esel, mir überhaupt dieses Haus zu nehmen. Ich hätte eine Junggesellenwohnung nehmen müssen, dann wäre die ganze Schweinerei weggefallen. Willst du nicht noch einen genehmigen?«

»Nein, danke« lehnte der Lord ab, »ich muß meine Gedanken zusammenhalten. Du weißt, daß das britische Volk von unserer Stimme, und besonders von der meinen, die es diesen Abend hören wird, etwas hält.«

»Du sprichst jetzt recht oft im Parlament, Henry; du hast wohl einen Abschluß gemacht, so und so viel zu reden?«

»Der Klang meiner Stimme, als Vertreterin Jung-Englands, wird in alle Weiten . . . – Was ist denn da nun wieder los?« unterbrach der angehende Politiker die Lobeshymne auf seine Fähigkeiten.

Er hatte die Tür geöffnet, um den Raum zu verlassen, als vom oberen Stockwerk ein tiefes Stöhnen an sein Ohr gedrungen war.

»Wahrscheinlich das kranke Mädchen«, erklärte der Hausherr.

Einen Augenblick starrte Dorchester ihn mit zweifelnden Blicken an; dann zuckte er die Achseln:

»Na, mich geht es ja nichts an, doch – findest du nicht, Mark, daß dein Stubenmädchen eine ausgesprochene Baßstimme hat?«

 


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