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Nachdenklich musterte Raoul de Fontenay seine Freunde, als sie wieder an ihrem Stammtisch im Ritz zusammensaßen. Seit dem letzten Beisammensein war mit Mark und Dorchester eine sichtbare Veränderung vorgegangen. Der junge Amerikaner war still und in sich versunken, während Dorchester beinahe mürrisch vor sich hinstarrte.
»Käme ich noch einmal auf die Welt«, gab Raoul seinen Gefühlen Ausdruck, »dann würde ich Gott bitten, mich Mohammedaner werden zu lassen. Mir scheint es, als ob die Frauen in den sogenannten Kulturländern christlichen Dogmas viel zu viel zu melden hätten. Der Mann hat ein Recht, auf sich und seine Taten stolz zu sein; Frauen hingegen sollen sein Spielzeug sein und als solches den Platz einnehmen, der ihnen gebührt.«
»So spricht ein Franzose«, spottete Dorchester. »Die Nation der Frauenverehrer.«
»Gewiß verehre ich sie«, gab de Fontenay zu, »aber nur soweit, wie sie es verdienen. Ich habe euch ja schon oft genug meine Meinung wissen lassen; die Frauen sollen unser Leben erfreuen, nicht aber es bestimmen. Ihr beide wart ja früher auch meiner Ansicht, aber ihr habt euch scheinbar gewandelt.«
»Nur in der Beziehung, daß ich nun zu der Gewißheit gelangt bin, daß die Franzosen überhaupt keiner Gefühlsregung fähig sein können!« erklärte Mark.
»So, so?!« murmelte Raoul.
»Der Franzose ist nichts weiter als ein Frauenjäger«, setzte Mark seine philosophischen Erkenntnisse fort. »Ein Mann, der zwar die Frauen liebt, aber nicht als Gefährtin, sondern als Lustobjekte.«
»Ich bin ganz deiner Meinung«, stimmte Dorchester zu. »Aber vielleicht hat der Franzose recht. Es geht ihm wohl viel Schönes dabei verloren, aber die Schmerzen der Liebe braucht er nicht zu erdulden.«
»Ihr beide kommt mir vor, wie zwei mondsüchtige Kater«, meinte de Fontenay. »Beide liebt ihr eine Frau. Das glaubt ihr wenigstens! Liebe ist, meiner Ansicht nach; eine langsam wachsende Pflanze, die nicht so schnell ins Kraut zu schießen vermag, wie dies bei euch der Fall gewesen ist. Henry«, wandte er sich an den Oberkellner, »ich finde, daß die Qualität des Kaviars sehr zu wünschen übrig läßt. Wie kommt das?«
»Es ist sehr schwer, heutzutage erstklassigen Kaviar zu erhalten. Wir können unser Bestes nur versuchen«, entschuldigte sich der Ganymed.
»Alles in der Welt ist heute ›Ersatz‹«, philosophierte der Franzose. »Mark, ich gratuliere dir! Du bist ein Beispiel dafür, wie anpassungsfähig der Mensch ist! Vor einigen Wochen noch warst du ein eleganter Nichtstuer, ein Sportsmann, wenn es hoch kam. Heute! Der soignierte, diskrete Diplomat!«
»Spotte ruhig weiter!« murmelte Mark. »Jedenfalls wünschte ich mir heute nichts mehr, als daß ich überhaupt niemals den Dienst quittiert hätte.«
»Was interessiert dich bei deinen Dienstobliegenheiten mehr? Die gesellschaftlichen oder die diplomatischen?« erkundigte sich Lord Dorchester.
»Natürlich ist die Arbeit bei Hugerson interessanter«, erwiderte Mark. »Woher weißt du übrigens, was ich zu tun habe?«
»Man erfährt so manches!« wich der Freund aus. »Hugerson ist ein Mann, der die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen muß. Ein Mann, dem Washington so viel Vertrauen schenkt, um ihn als Schiedsrichter amerikanischer Interessen in Europa herumreisen zu lassen, muß allerhand wissen.«
»Ja, Hugerson weiß vieles«, gab Mark zu.
Raoul bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl hin und her:
»Wie soll ein Mann, der die europäischen Verhältnisse bestenfalls aus Büchern oder Berichten kennt, als Schiedsrichter über die hier herrschenden Verhältnisse auftreten können? Was kann er von den Rassenvorurteilen, den nationalen Eifersüchteleien wissen? Ja, Statistiken sammeln, Ein- und Ausfuhrziffern zusammenstellen und die Steuereinkünfte berechnen, das mag er wohl können, aber was dann kommt, darüber wird er wohl kein Urteil abgeben können.«
Dorchester bemerkte, während er das Menü studierte:
»Wir befinden uns damit auf einem Boden, auf dem unsere Meinungen auseinandergehen. Hugerson wird wohl selbst zu der Ansicht gelangt sein, daß es unmöglich ist, die Rassengegensätze der Völker verschwinden zu lassen und sie unter einen Hut zu bringen. Doch – ich habe mir eben einen vorzüglichen Chateaubriand bestellt, Kinder, und da man zu seiner Verdauung Ruhe haben muß, wollen wir die Politik aus unserer Unterhaltung verbannen. Sie regt uns nur unnötig auf und stört unser Behagen. Um auf das Thema zurückzukommen, das vorhin Raoul angeschnitten hatte: Warum, mein lieber Mark, fühlst du dich in solchem Maß zu Miß Dukane hingezogen?«
Mark hatte sich so gesetzt, daß er den Eingang von der Diele aus fortgesetzt im Auge behalten konnte. Ohne auf die Frage des Freundes zu antworten, richtete er sich plötzlich überrascht auf:
»Dort kommt sie!« rief er unvermittelt aus.
Gefolgt vom Prinzen Andropulos und geleitet vom übereifrigen Hoteldirektor, der ihr verschiedene Tische zur Auswahl anbot, schritt Estelle Dukane den Gang hinauf. Vor dem Tisch der drei Freunde verhielt sie einen Augenblick ihren Schritt:
»Nun, Sie Unzertrennlichen? Noch immer treu und unteilbar? Man trifft Sie scheinbar sehr oft hier?«
»In regelmäßigen Zeitabständen«, bestätigte ihr Raoul.
»Die heilige Dreieinigkeit«, spottete das junge Mädchen. »Was macht die Arbeit, Mr. van Stratton? Geht sie gut vonstatten? Sie scheint Ihnen nicht einmal mehr Zeit zu lassen, sich Ihren alten Freunden zu widmen?!«
»Bisher hat mein neuer Beruf keine zu hohen Ansprüche an mich gestellt«, entgegnete Mark. Er konnte sich die Liebenswürdigkeit Estelles nicht erklären.
»Vater ist heute morgen nach Paris gefahren«, fuhr Estelle fort. »So lange er abwesend ist, wohne ich bei der Mutter des Prinzen im Claridge. Besuchen Sie mich doch einmal, meine Herren.« Sie lächelte Raoul an: »Der Herr Oberst weiß ja sowieso, daß er jederzeit willkommen ist.«
»Wann darf ich kommen?« erkundigte sich Mark.
»Vielleicht zwischen sechs und sieben, denn den sogenannten ›Fünf-Uhr-Tee‹ hasse ich. Auf Wiedersehen, meine Herren!«
Mark beobachtete den Prinzen, der sich neben Estelle niedergelassen hatte:
»Wenn doch der Teufel diesen Kerl holte!« brummte er vor sich hin. »Ich verstehe gar nicht, warum sie den Menschen immer hinter sich herschleift?«
»Bei Miß Dukane darfst du niemals nach Gründen fragen«, belehrte ihn der Oberst. »Sie ist Pariserin und tut manches, was ein Nichtfranzose nie verstehen wird.«
»Du hast recht, Raoul«, stimmte Dorchester zu. »Jedoch frage auch ich mich, warum sie sich mit einem unsympathischen Menschen, wie diesen Prinzen, so häufig in aller Öffentlichkeit sehen läßt.«
»Du vergißt dabei, Henry«, meinte de Fontenay, »daß sie ihres Vaters Mitarbeiterin ist. Wahrscheinlich ist der Prinz auch nur ein Stein auf ihrem Brett. Man sagt, daß er eines Tages zur Regierung kommen dürfte und er dann demjenigen die ungehobenen Schätze seines Vaterlandes zur Verfügung stellen wird, der ihn heute als vollwertig erachtet. Felix Dukane soll besonders hinter Konzessionen her sein.«
Dorchester warf einen prüfenden Blick auf Mark:
»Es gibt Gerüchte«, sagte er, »die wissen wollen, daß Hugerson seine Zeit in Drome gut angewendet hat. Weißt du etwas darüber, Mark?«
Dieser zuckte die Achseln:
»Mr. Hugersons Berichte sind vertraulicher Natur«, wich er aus. »Ich habe mit ihrer Fassung nichts zu tun; Miß Moreland hat diese Dinge unter sich.«
Nachdenklich trank Raoul seinen Sektkelch aus:
»Weil wir gerade von Frauen sprechen«, bemerkte er, »muß ich euch noch auf etwas Merkwürdiges aufmerksam machen, was mir in diesem Lande aufgefallen ist: In Frankreich würden wir derartige wichtige Arbeiten niemals einer Frau anvertrauen.«
»Miß Moreland ist wirklich eine Ausnahme unter ihren Geschlechtsgenossinnen«, gab Mark zu bedenken.
»Jeder kennt sie«, stimmte Dorchester zu. »Sie hat auf der Friedenskonferenz ausgezeichnete Dienste geleistet.«
»Auch ich wunderte mich«, fuhr Mark fort, »daß man eine Frau mit diesen Arbeiten betraut. Ich bin aber zu der Überzeugung gelangt, daß eine Frau, wie Miß Moreland, sich niemals bestechen läßt. Sie verdient sicherlich mehr, als sie verbraucht oder ausgeben kann, und ich weiß aus persönlicher Erfahrung, daß sie kein unsolides Mädchen ist. Was könnte also ein Mann wie Felix Dukane – vorausgesetzt, er interessierte sich für Hugersons Berichte – einem Mädchen wie Miß Moreland als Bestechung anbieten? Genau so gut könnte er sein Glück bei Hugerson selbst versuchen.«
»Von theoretischer Warte aus magst du recht haben«, gab Raoul zu. »Aber, offen gestanden, ich kann mich niemals eines gewissen Unbehagens erwehren, wenn ich bemerke, daß man einer Frau zu viel Vertrauen schenkt. Deshalb wunderte ich mich sehr, als ich erfuhr, daß die junge Dame Hugersons Vertraute geworden war. Warum hat man nicht lieber einen der Attachés für die Arbeit gewonnen?«
»Ich glaube nicht, daß die Botschaft so schnell unter ihrem Personal jemand gefunden hätte, der die Arbeit so rasch und genau wie Miß Moreland erledigen könnte«, meinte Dorchester, »Johnson-Mairs, der Minister, hat mir erzählt, daß sie sich in den vier Jahren, die sie für ihn tätig war, nicht ein einziges Mal geirrt habe. Nein, ich glaube, Hugerson hat Glück gehabt, daß er sie auswählte. Wie denkst du darüber, Mark?«
Van Stratton hatte schweigend zugehört und antwortete auch jetzt nur mit sichtbarem Widerstreben:
»Du hast recht. Ich habe keinen Grund, Miß Moreland zu mißtrauen. Ich kenne sie ja nicht näher, aber, was ich sah, rechtfertigte die hohe Meinung, die alle von ihr haben. Man kann die Sache aber auch von anderem Standpunkt aus betrachten: Hugerson selbst wird sich nicht im unklaren darüber sein, daß derartig wichtige Dinge nur von einem ständigen Attaché bearbeitet werden sollten, und daß es unrecht ist, ein Mädchen derart in Versuchung zu führen. Was würde geschehen, wenn irgend etwas aus den Berichten bekannt würde, ehe sie in Washington gelesen wurden? Das Mädchen würde in Verdacht geraten, geplaudert zu haben. Vielleicht aber war es ein einziges Wort, das Hugerson in Gesellschaft hat fallen lassen, das das Durchsickern irgendwelcher Geheimnisse ermöglicht hatte?! Immerhin würde das genügen, um Miß Moreland in Verdacht zu bringen.«
De Fontenay war den Ausführungen des Freundes aufmerksam gefolgt:
»Die Sache interessiert mich«, sagte er. »Ich weiß nämlich zufällig, daß es verschiedene Leute gibt, die große Summen für Mitteilungen aus Hugersons Berichten zahlen würden. Aber nun wollen wir mal von etwas anderem sprechen.«
Nach wenigen Minuten brachen sie auf und Estelle, die sich scheinbar in Gesellschaft des Prinzen langweilte, winkte ihnen einen lustigen Abschiedsgruß zu.
Auf dem Wege zur Botschaft wurde Mark sich einer gewissen Gemütserleichterung bewußt, die er in den letzten Tagen so schmerzlich vermißt hatte. Vielleicht war der Prinz wirklich nur eine Schachfigur auf dem finanziellen Brett der Dukanes, um ihn, wenn es zum großen Treffen kam, einfach verschwinden zu lassen.