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Mademoiselle Zona Lattiche empfing Mark, als er das Empfangszimmer im Milan Court betrat. Eine elegante Pariser Toilette umschloß ihre schlanke Gestalt, und eine Perlenkette legte sich um den alabasterweißen Hals. Brennan trug einen Abendanzug und im Knopfloch eine weiße Nelke. Zu Marks Erstaunen war auch Raoul de Fontenay anwesend, der eben den Mantel ablegte.
»Hättest du mir ein wenig Vertrauen erwiesen«, begrüßte Raoul den jungen Amerikaner, »dann hätten wir uns zusammen einen Wagen hierher nehmen können.«
»Dasselbe könnte ich dir sagen«, erwiderte Mark.
»Wie hätte ich es wagen dürfen«, spottete der Franzose, »deine so interessante Unterhaltung mit Miß Dukane zu unterbrechen?«
Brennan blickte Mark stirnrunzelnd an:
»Sie verkehren also immer noch mit jener Familie?« fragte er.
»Mit Felix Dukane habe ich wenig zu tun«, erklärte der Gefragte. »Er sieht mich nicht besonders gern, und warum meine Freundschaft mit seiner Tochter hier einen Unterschied machen sollte, vermag ich wirklich nicht einzusehen.«
Brennan nickte zustimmend.
»Vielleicht haben Sie recht«, gab er zu. »Jedenfalls können wir uns nun dem Zweck unserer Zusammenkunft zuwenden.«
»Darf ich mich vorher noch erkundigen, wen Mr. van Stratton hier vertritt?« erkundigte sich der Franzose.
»Eine sehr berechtigte Frage«, schloß sich ihm Brennan an. »Würden Sie sie, bitte, beantworten, Mr. van Stratton?«
»Ich bin hier in eigener Sache und werde mich an dieser Auktion – ich darf sie doch wohl so nennen – nur für meine Rechnung beteiligen«, erwiderte der Amerikaner.
»Kaum glaublich«, gab de Fontenay zurück. »Was kann dich das Geheimnis, das Mr. Brennan verkaufen will, interessieren?«
»Das geht nur mich an. Ich habe das Geld, um mitzubieten und beabsichtige es auch zu tun.«
»Vielleicht fassen Sie das, was ich wissen will, in die eine Frage an Mr. van Stratton zusammen. Mr. Brennan«, wandte de Fontenay sich an den Besitzer der Papiere, »kommt er hierher in Mr. Dukanes Auftrag oder in eigener Angelegenheit?«
»Ich wollte das Mr. van Stratton eben fragen«, entgegnete Brennan. »Darf ich Sie bitten, darauf zu antworten. Falls Sie Mr. Dukane vertreten, lehne ich jede Verhandlung mit Ihnen ab.«
Die beiden Verbündeten, Raoul und Mademoiselle, harrten der Antwort Marks mit beinahe schmerzhaftem Interesse.
»Ich habe bereits erklärt, daß ich für mich selbst zu bieten beabsichtige«, erklärte Mark kühl. »Mit Mr. Dukane hat meine heutige Anwesenheit hier gar nichts zu tun. Ich werde meinem eigenen Urteil folgen, um zu entscheiden, was mit den vielleicht von mir erstandenen Papieren zu geschehen hat.«
Brennan nickte beifällig, während Mademoiselle dem jungen Amerikaner einen haßerfüllten Blick zuwarf:
»Aber«, fragte sie, »Sie handelten doch zuerst in Dukanes Auftrag, nicht wahr? Sie haben das selbst zugegeben!«
»Ich bestreite es auch jetzt noch nicht. Ich hatte die Absicht, die Dokumente für Mr. Dukane zu erstehen und sie ihm, bliebe ich erfolgreich, einzuhändigen. Da jedoch Mr. Brennan es zur Bedingung macht, daß der Finanzier ausgeschaltet werden muß, unterwerfe ich mich derselben; ich spiele nun auf eigene Hand.«
»Ich habe Männer schon ihr Wort brechen sehen, wenn ein Weib in Frage kam«, erklärte Mademoiselle mit verhaltenem Schluchzen.
»Mademoiselle, die Tatsache, daß Sie Frau sind, schützt Sie vor den Folgen dieser Bemerkung. Ein Mann hätte es mir gegenüber bestimmt nicht tun dürfen.«
»Wir verlieren unnötig Zeit«, unterbrach Brennan die Auseinandersetzung. »Ich habe die Absicht, hier so eine Art Versteigerung zu veranstalten, bei der allerdings nur zwei Interessenten anwesend sein werden, Sie, mein Herr Oberst, und dieser vielversprechende junge Amerikaner hier, Mr. van Stratton. Sie, Monsieur, vertreten den Geheimdienst Frankreichs, vor dessen Tüchtigkeit ich den Hut ziehe. Sie allein werden wissen, was meine Papiere enthalten. Sie, Mr. van Stratton, gütiger Gastherr, werden diesbezüglich auch Ihre Vermutungen hegen, denn die Hartnäckigkeit Mr. Dukanes dürfte Ihnen eine Ahnung von der Wichtigkeit dieser Papiere gegeben haben. Vaterlandsliebe? Gott, wo soll ich sie herhaben?! Ich gehöre keiner Nation an, in meinen Adern fließt das Blut vieler Rassen! Ich beabsichtige die Frucht meiner Mühen zu verkaufen, und zwar dem, der mir den höchsten Preis zu zahlen imstande ist. Mr. Felix Dukane oder eine seiner Kreaturen [scheiden] als Bieter aus. Eine Bedingung muß ich dem Käufer noch stellen, ehe wir beginnen: Ich verlange dabei zu sein, wenn der Tresor geöffnet und die Stahlkassette, die mein Geheimnis enthält, dem Käufer eingehändigt wird. Ich möchte mir den Triumph im Gesicht desselben nicht entgehen lassen.«
»Ich erkläre mich mit Ihrer Bedingung einverstanden«, erwiderte ohne zu zögern der Oberst.
»Ebenso ich«, erklärte Mark.
»Ich weiß nicht, welche Summe Mr. van Stratton anlegen wird, um sich in den Besitz Ihres Geheimnisses zu setzen«, sprach de Fontenay Brennan an. »Wohl aber kann ich mir denken, daß es sich um einen Betrag handeln wird, der Sie von jeder Sorge befreien wird. Ich mache Sie jedoch schon jetzt darauf aufmerksam, daß Frankreich allein die Berechtigung hat, diese Dokumente zu empfangen. Verkaufen Sie sie an einen Dritten, dann werde ich Sie als Komplice zu dem Verbrechen betrachten, das man gegen mein Vaterland plant.«
Der andere lächelte verächtlich:
»Damit werden Sie keinen Hund aus einer Hütte jagen können, mein lieber Oberst. Wer ein Leben, wie ich es zu führen gewohnt bin, mit einem Erfolg wie diesem krönt, der ist über Gewissensskrupel hinaus. Jahrelang stand ich mit dem Tod auf du und du. Nun, wo ich endlich den Erfolg meiner Anstrengungen einheimsen soll, werden Bedenken, wie Sie sie vorbringen, mich nicht umkehren machen. Ich werde dem verkaufen, der am höchsten bietet. Bitte, beginnen Sie, und zwar in Sterlingwährung!«
»Ich biete Ihnen fünfzigtausend Pfund«, begann Mark.
Brennan seufzte:
»Heutzutage sind fünfzigtausend Pfund nicht viel; noch weniger aber ist es, wenn man, wie ich, von den Zinsen zu leben beabsichtigt. Mademoiselle ist ein herrliches Weib, hat aber die Eigenschaft vieler Französinnen: Sie vermag viel Geld auszugeben. Ich kann Ihr Gebot kaum als ernst gemeint auffassen, Mr. van Stratton.«
»Ich verdopple es«, erklärte de Fontenay.
»Endlich wird es interessant«, erklärte Brennan. »Bisher schien man dieses Geschäft als einen Jux zu betrachten. Darf ich nun um ein ernsthaftes Angebot bitten?«
»Gestatten Sie mir, vorher einige Worte mit Mr. van Stratton unter vier Augen zu sprechen?« bat der Oberst.
»Das muß ich leider ablehnen. Sie sind meine einzigen Interessenten, und ich kann nicht dulden, daß Sie, ehe dieses Geschäft beendet ist, sich untereinander zu meinem Schaden einigen.«
»Ich mache Ihnen mein letztes Angebot. Weiter kann und darf ich nicht gehen. Ich glaube, ich werde es meinem Land gegenüber verantworten können, Ihnen zweihundertundfünfzigtausend Pfund Sterling zu bieten«, wandte sich de Fontenay an Brennan.
»Fünfzigtausend mehr«, sagte Mark.
»Sehen Sie, meine Herren, so macht mir die Sache Spaß. Dreihunderttausend Pfund ist zwar kein Vermögen, aber man könnte davon leben. Wollen Sie das Rennen wirklich schon aufgeben, Herr Oberst?«
»Ich habe keine weiteren Mittel zur Verfügung«, richtete dieser das Wort an den Freund. »Höre mir zu, Mark! Hier handelt es sich nicht um Mittel oder die Möglichkeit, höher zu bieten. Ein Verbrechen soll verhütet werden, das nicht gegen eine einzelne Person, sondern gegen eine ganze Nation, gegen ganz Europa, gerichtet ist. Auch wenn du Dukane die Papiere wirklich nicht einzuhändigen beabsichtigst, ist es doch nichts weniger als ein solches. Weißt du, was geschehen wird? Du wirst Dukanes Werkzeug, seine Puppe werden, die er nach Belieben tanzen lassen kann. Man wird dir den Mund stopfen, und das Kesseltreiben gegen mein Vaterland wird fortgesetzt werden. Du hilfst einem Mann, der nichts weiter ist als eine aufgeblasene Giftkröte, einem Mann, dessen Herz aus Stein und dessen Gewissen aus Gummi gemacht ist.«
Brennan klopfte nervös auf den Tisch:
»Wirklich, meine Herren«, rief er erbost aus, »ich kann eine derartige Unterhaltung nicht weiter dulden. Das letzte Gebot war dreihunderttausend Pfund. Es kam von Mr. van Stratton. Können Sie mehr bieten, Herr Oberst? Wenn nicht, dann hat die Versteigerung ein Ende.«
Der andere erbleichte:
»Du läßt dein Ehrgefühl hinter deiner Leidenschaft für jenes Mädchen zurückstehen, Mark.«
»Ich bedaure deine Auffassung«, entgegnete van Stratton.
Der Oberst trat zu Mademoiselle und flüsterte ihr etwas zu. Sie wiederum versuchte ihr Heil bei Brennan. Doch der schüttelte den Kopf:
»Ihre Auseinandersetzung, meine Herren, interessiert mich zwar, aber wir sind schließlich hier zusammengekommen, um ein Geschäft abzuschließen. Das geht meines Erachtens nach vor. Falls Sie nichts weiter zu bemerken haben, Herr Oberst, dann werde ich Mr. van Stratton den Schlüssel zu meinem Tresor gegen seinen Scheck über dreihunderttausend Pfund aushändigen.«
»Meine Mittel sind erschöpft«, gab de Fontenay zu.
»Wie wollen Sie mir den Betrag zukommen lassen, Mr. van Stratton?« erkundigte sich Brennan.
»Halb in einem Scheck auf die Bank von England, die andere Hälfte gegen Sichtscheck auf New York.«
»Ich nehme Ihren Vorschlag an«, entschied sich der andere.
Mark schrieb die beiden Schecks aus und übergab sie Brennan, der ihm ein kleines Päckchen überreichte. Mark öffnete es und entnahm ihm einen kleinen Schlüssel:
»Ich habe ihn schon einmal in Händen gehabt.«
»Ja, und Sie wissen auch, wo und wie Sie ihn verwenden können«, stimmte Brennan zu. »Es tut mir leid, Herr Oberst, daß Sie bei diesem Geschäft nichts machen konnten. Glauben Sie mir, Mr. van Stratton, ich habe die dreihunderttausend verdient.«
Ohne seine Einladung, eine Flasche Sekt mit ihm zu leeren, zu beachten, verabschiedeten sich die Herren. Auch Mademoiselle wollte ihnen folgen, doch sank sie auf ein ablehnendes Kopfschütteln des Obersten wieder auf ihren Stuhl zurück.
»Willst du mich ein Stück mitnehmen, Mark?« bat der Oberst.
Mark zögerte. Dann sagte er:
»Warum sollte ich nicht? Ich wollte nochmals zu Dukane.«
»Um ihm den Erfolg mitzuteilen? Nun, du kannst mich ja irgendwo auf dem Weg zum Cruton House absetzen.«