Edward Phillips Oppenheim
Spekulanten
Edward Phillips Oppenheim

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9

Als Mark in der Botschaft ankam, fand er eine Arbeit vor, die Myras Prophezeiungen vollkommen rechtfertigte. Die Tätigkeit, die ihm bestimmt war, lenkte besser als jeder Vorsatz seine Gedanken von jenem Mädchen ab, das seit dem gestrigen Tag ständig sein Herz in Unruhe versetzt hatte. Er war sich klar, daß er als Nichtstuer keine Aussicht hatte, Miß Dukanes Interesse zu wecken. Soweit hatte er ihren Charakter bereits erkannt.

Gegen Mittag betrat Mr. Widdowes das Zimmer, in dem Mark die Besuchslisten bearbeitete. In seiner Begleitung war ein kleiner, etwas zusammengeschrumpfter, älterer Herr, dessen durchdringende Augen hinter einer goldenen Brille hervorlugten. Sein Äußeres verriet nichts davon, daß er einer der intelligentesten Köpfe der westlichen Hemisphäre war.

»Guten Morgen, Mark«, begrüßte der Botschafter seinen Sekretär, der sich bei seinem Eintritt respektvoll erhoben hatte. »Wie geht's mit der Arbeit voran?«

»Es klappt tadellos, Mr. Widdowes. Ich glaube, ich habe die Fäden der gesellschaftlichen Verpflichtungen Mrs. Widdowes' ganz gut entwirrt.«

Der Botschafter wandte sich seinem Begleiter zu:

»Darf ich die Herren bekanntmachen: Mr. van Stratton, Mr. Hugerson. Sie werden von ihm gehört haben, Mark. Er befindet sich in offizieller Mission in Europa.«

»Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Mr. van Stratton«, sagte der Gast. »Ich habe Ihren Vater gut gekannt. Er war zwar kein solcher Riese wie Sie, aber doch ein guter Sportsmann, als wir beide noch jung und hübsch waren. Wie ich gehört habe«, – die Augen des Diplomaten lugten schalkhaft hinter den Gläsern hervor, – »sind auch Sie mehr Sportsmann als Diplomat.«

»Ich befürchte, daß das, was Sie eben sagten, stimmt, Sir«, gab Mark zu. »Ich habe aber nur wenig Zeit im diplomatischen Dienst zugebracht. Nun fange ich noch einmal von vorn an.«

»Arbeit schändet nicht«, zitierte Mr. Hugerson. »Ich bin dreiundsechzig Jahre alt geworden und habe mein ganzes Leben lang gearbeitet. Ich glaube, die Amerikaner sind überhaupt nicht fürs Faulenzen geeignet, werden aber, sobald sie hier herübergekommen sind, angesteckt, als wäre Faulheit eine Seuche.«

»Ich arbeite gern«, erklärte Mark. »Mrs. Widdowes wird mich schon beschäftigen.«

»Und wenn es als Rausschmeißer wäre, wie, Mark?« scherzte Widdowes. »Haben Sie schon gehört, daß Rawlison die Influenza hat?«

»Ja, man erzählte es mir heute morgen«, erwiderte van Stratton. »Welch ein Pech!«

»Ich hatte die Absicht, ihn Mr. Hugerson zur Verfügung zu stellen«, fuhr der Botschafter fort, »denn Sie müssen doch jemand haben, nicht wahr, Mr. Hugerson?«

»Möchten Sie nicht mit mir arbeiten«, fragte Hugerson den jungen Mann.

»Gern, Sir. Ich weiß aber noch gar nicht, ob ich die Arbeit, die Sie von mir wünschen, leisten kann.«

»Darüber sprechen wir noch«, meinte Hugerson nachdenklich. »Man ahnt ja schon, was ich hier in Europa soll.«

Mr. Widdowes lud ihn ein: »Kommen Sie, Mark, und frühstücken Sie mit uns.«

Der junge Attaché saß neben Myra, die in kritischer Stimmung war:

»Es ist unerhört, Mark, wie Sie mich gestern abend versetzt haben«, schmollte sie. »Den ganzen Abend ein einziges Mal mit der Tochter seines Chefs zu tanzen! Hat man jemals so etwas gehört? Sie haben nicht das geringste Interesse an Ihrem Vorwärtskommen, sonst würden Sie sich mir mehr widmen.«

»Sie waren ja umlagert wie eine Festung. Beim besten Willen konnte man Ihnen nicht nahekommen«, wehrte sich Mark.

»Wir konnten uns doch vorher ins Einvernehmen setzen«, widersprach sie.

»Ich wußte überhaupt nicht, daß ich tanzen gehen würde«, entschuldigte er sich. »Ihre Mutter hat mir es erst angeraten, denn ich selbst war ja gar nicht eingeladen worden.«

»Dorchester war genau so nachlässig wie Sie«, stellte sie, noch immer unversöhnt, fest. »Ihr hattet weiter nichts im Kopf als die angemalte Porzellanpuppe Estelle Dukane. Aber Dorchester hat mir gegenüber wenigstens seiner Kavalierpflicht genügt. Leider tanzt er nicht so gut wie Sie.«

»Wann werde ich denn die nächste Gelegenheit haben, das Versäumte wieder einzuholen?« erkundigte sich Mark.

»Das wird nicht lange dauern. Aber, es wird ja dann genau so gehen wie gestern. Sie werden Ihre Blicke von Estelle nicht losreißen können.«

Plötzlich wandte sich Myra an ihre Mutter: »Weißt du schon, was Mark passiert ist. Er hat gestern zum erstenmal im Leben sein Herz verloren!«

»Hoffentlich an dich, Myra«, scherzte die alte Dame. »Ich glaube, Mark würde einen entzückenden Schwiegersohn abgeben.«

»Ich habe die Hoffnung bei Myra immer noch nicht aufgegeben, aber solange sie sich noch in der Kinderstube aufhalten muß, darf ich ja nicht ernstlich daran denken. Wachsen Sie, Myra, werden Sie groß und betrachten Sie das Leben auch einmal von seiner ernsten Seite.« Er schüttelte scherzhaft warnend den Kopf.

»Er ärgert sich, Mutter, weil ich ihm ins Herz geblickt habe«, lachte Myra. »Ich glaube aber sicher, Mark, daß ich eine bessere Gattin für Sie abgeben würde. Ich bin fest überzeugt, daß Miß Dukane in bezug auf Männer einen Geschmack hat, dem ich nicht folgen könnte. Wir wollten sie gestern vor ihrem Haus absetzen. Sie lehnte aber, weil sie sich von ihrem exotischen Prinzen nicht trennen konnte, ab. Den ganzen Abend hat sie nur mit ihm getanzt.«

Ein Gefühl der Eifersucht schlich sich in Marks Herz. So also wurde die Frage, die er seit gestern abend in seinem Innern umhergewälzt hatte, beantwortet?

»Ich wunderte mich, was aus Ihnen geworden war«, gab er zu. »Ich tanzte mit Edna Worthington, und sie bat mich, ihr eine Erfrischung zu holen. Als ich wiederkam, waren sie alle fort.«

»Ich möchte nicht wissen, wie Sie geflucht haben, als Edna Ihnen zu so ungelegener Zeit den Wunsch nach Erfrischung aussprach«, lachte Myra. »Ich glaube überhaupt nicht, daß Ihnen der Abend sehr kurzweilig vorgekommen sein kann.«

»Ist dieses ungezogene Kind immer mit bei Tisch?« wandte sich Mark mit komischer Verzweiflung an die Mutter.

»Das würde Ihnen gar nichts helfen, wenn ich im Kinderzimmer essen müßte, Mark«, fuhr Myra fort, den Jugendfreund zu necken. »Ich würde Sie ganz einfach zu mir hinaufholen. Oh, ja«, drohte sie, als er abwehrend den Kopf schüttelte, »kommen müßten Sie, denn Sie haben ja jetzt auf Ihre Karriere Rücksicht zu nehmen. Ihre Zukunft ruht in meiner Hand!« deklamierte sie mit tiefer Stimme. »Wenn Vater gute Laune hat, und ich ihm ein wenig um den Bart gehe, macht er, was ich will. Ja, ich weiß, wann er in der richtigen Stimmung ist.«

»Du plapperst ja recht viel, Kind«, rief ihr der Vater zu, der gehört hatte, daß ihn die Tochter erwähnte.

»Plappern ist die einzige Möglichkeit«, gab sie zurück, »mit der ich einem jungen Tischnachbarn begreiflich machen kann, was er mir, auch wenn er in eine andere verliebt ist, schuldig wäre. Was glaubst du, Vater: Welche Art von Frau sollte ein zukunftsreicher junger Diplomat heiraten?«

»Jedenfalls keine Plaudertasche, wie du eine bist«, lautete die strenge Auskunft.

Myra seufzte:

»Na, dann muß ich Sie eben in Ruhe lassen, Mark«, sagte sie mit schelmischem Augenaufschlag. »Alle sind sie gegen mich. Ich will aber, wenn Sie mich morgen nachmittag ins Claridge mitnehmen, Frieden mit Ihnen schließen.«

»Mein liebes Kind«, entgegnete der junge Attaché mit verschmitztem Lächeln, »wie stellen Sie sich das eigentlich vor? Ich kann bei meiner Überlastung mit wichtigen Staatsgeschäften doch nicht tagsüber tanzen gehen! Zwar weiß ich noch nicht, welche Obliegenheiten mir anvertraut werden, aber ich bezweifle sehr, ob sie mir die zum unerläßlichen Umkleiden notwendige Zeit lassen werden.«

Myra drohte ihm scherzend:

»Bisher wurde ich in der Anschauung erzogen, daß es die wichtigste Pflicht eines jungen Diplomaten sei, die Zufriedenheit der Angehörigen seines Chefs und Wohltäters zu erringen. Da jedoch Mr. Brownlow nur drei Jahre länger in London ist als Sie, hoffe ich, daß er vielleicht die Zeit finden wird, mich zu begleiten. Es kümmert sich überhaupt niemand mehr um mich seit Archie Rawlinson krank geworden ist. Wie ich höre, hat er London schon verlassen!«

Das kleine Wortgefecht zwischen Miß Widdowes und dem jüngsten Attaché ihres Vaters wurde durch den eiligen Eintritt Brownlows unterbrochen, der sich, nachdem er sich bei Mrs. Widdowes wegen der Störung entschuldigt hatte, an den Botschafter wandte:

»Einige eilige Nachrichten, Sir«, flüsterte er ihm ins Ohr.

»Die Wechselkurse brechen zusammen wie Kartenhäuser«, erklärte Mr. Widdowes seinem Gast, nachdem er die Papiere, die ihm gereicht wurden, kurz überflogen hatte.

»Hm!« brummte Hugerson.

Ein kurzes Schweigen folgte, das Widdowes endlich, immer noch nachdenklich, unterbrach:

»Die größte Überraschung habe ich noch in petto«, fuhr er fort und zerriß die ihm gereichten Papiere in kleine Fetzen: »Der Geldkönig, Mr. Felix Dukane, bittet mich, ihm eine weitere Unterredung zu gewähren. Haben Sie ihn wissen lassen, Brownlow, wann er kommen soll?«

»Ich habe ihn für heute nachmittag um drei Uhr bestellt, Sir«, entgegnete der Gefragte. »Bis vier Uhr hatten Sie keine Besprechungen angesetzt.«

»Und wo soll die Unterredung stattfinden?«

»Hier in der Botschaft, Sir.«

»Gut«, nickte der Botschafter. »Mir paßt es ganz gut so. Wie ich ihn kenne, wird er wahrscheinlich wie Mephistopheles durch den Schornstein kommen oder die Lieferantentreppe benützen. Hugerson, Sie müssen den Mann kennenlernen; er ist Ihrer Bekanntschaft wert.«

»Ich war schon neugierig auf ihn«, erwiderte Hugerson. »Ich muß mir das Vergnügen aber solange verkneifen, bis ich die Mission, die zu erledigen ich nach Europa gekommen bin, zu Ende geführt habe.«

»Ja, ich glaube, es wird besser sein, wenn Sie solange warten, so leid mir die Verzögerung auch tut. Aber«, setzte Widdowes hinzu: »Sie versäumen eigentlich nicht viel, wenigstens nicht, was Liebenswürdigkeit und Höflichkeit anbetrifft. Ein Finanzgenie ist Dukane jedoch unzweifelhaft. Andere Leute sprechen vom Geld, er macht es. Wahrscheinlich will er mich sprechen, weil er unruhig ist. Er möchte wohl wissen, was unsere Leute in Washington für Absichten in bezug auf ihn hegen. Von mir wird er nur das erfahren, was ich ihm mitteilen will.«

»Sobald ich mit meinen Nachforschungen am Ziel bin, werden Sie ihn mir vorstellen, Widdowes«, bat Hugerson.

»Ich verspreche es Ihnen, und nicht nur das, sondern ich werde Sie auch mit einem der hübschesten Mädchen zusammenbringen, das Sie je vor Augen bekommen haben, Miß Estelle Dukane.«

Myra seufzte:

»Vater ist wirklich zu bedauern«, klagte sie. »Seit er Mutter geheiratet hat und die Ehre genießt, mich Tochter nennen zu dürfen, scheint er seinen guten Geschmack verloren zu haben. Glauben Sie etwa auch, Mark, daß Estelle Dukane das hübscheste Mädchen der Welt sei? Antworten Sie nicht eher, als bis Sie einen langen Blick auf mich geworfen haben.«

»Trotz meines langen Blickes auf Sie bin ich derselben Meinung wie Ihr Vater, Myra«, antwortete Mark.

»Nach diesem vernichtenden Urteil bleibt mir nur die Kinderstube oder – das Nonnenkloster, um mich zu trösten. Es sei denn –«

»Nun?«

»Es sei denn, ich fange entweder Sie oder Henry Dorchester ein. Sie wären mir ja lieber, denn Sie können ziemlich gut tanzen, aber man kann nicht alles haben, was man sich wünscht.«

Hugerson und der Botschafter hatten das Zimmer verlassen. Widdowes hatte noch eine Nachricht erhalten, die er seinem Gast bisher noch nicht mitgeteilt hatte:

»James«, sagte er nun ernst, »in den Londoner diplomatischen Vertretungen ist der Teufel los. Du hast doch gehört, was mit Dimsdale los ist, nicht wahr? Der arme Teufel hat heute nacht Selbstmord begangen, indem er vom Schiff, auf dem er nach Amerika zurück sollte, ins Wasser sprang. Der italienische Attaché in London hat sich heute morgen gleichfalls erschossen, gerade als die Polizei herbeigerufen werden sollte, um ihn zu verhaften.«

»Ich habe Glück, daß du mir van Stratton zugeteilt hast«, erwiderte Hugerson.

 


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