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Fern vom unfruchtbaren Radikalismus

Germinal-Stimmung, Keim- und Vorfrühlings-Stimmung lag im Jahre 1890 auf den sozialistischen Massen. Der Druck des Ausnahmegesetzes war geistig von den Massen gewichen, obwohl es noch körperlich in der derben Gestalt haussuchender und schriftenkonfiszierender Polizeiwachtmeister fortbestand. Heißblütige Diskussionen über Theorie und Taktik des Sozialismus lebten in den Versammlungen, in den Geheimorganisationen, in den wissenschaftlichen und geselligen Klubs der Arbeiterschaft auf. Die sogenannte Berliner »Opposition«, die Kerntruppe der nachmaligen »Jungen«, griff auf das »Kommunistische Manifest«, auf den sich scheinbar ankündenden katastrophalen Zusammenbruch des Kapitalismus, auf die antiparlamentarische Broschüre Wilhelm Liebknechts »Über die politische Stellung der Sozialdemokratie« zurück und suchte einer streng grundsätzlich sozialistischen, revolutionären Massenbewegung Bahn zu brechen.

Durch den Wahlsieg des Jahres 1890 erhielt die Sozialdemokratie einen enormen Kraftzuwachs. Ein überschäumendes Machtgefühl brach sich in zahllosen Streiks gewaltsam Bahn, und es fand nur volles Genüge in großen proletarischen Massenbewegungen. Eine sozialistische, direkt auf das Endziel lossteuernde Massenbewegung wurde das Feldgeschrei der »Jungen«, der nachherigen »Unabhängigen Sozialisten«. Von den Massen kam nach ihrer Überzeugung alles Heil, das System der Vertretung der Massen erschien ihnen fast als ein Abirren von dem Gedanken der reinen Demokratie, ein Beugen, ein Brechen, ja ein Korrumpieren des Massenwillens. Der massenproletarische Charakter der Maifeier entflammte vor allem die Tatkraft der »Jungen«. Am 1. Mai betrat ja die Masse selbst das Kampffeld, und nicht nur ein kleines Häuflein von Proletariatsvertretern, von Parlamentariern. Am 1. Mai suchten die Massen ihren gewaltigen Willen dem Unternehmertum selbst aufzuherrschen. Hier erlebte die Welt eine gigantische Massenaktion.

Eine so auf das große sozialistische Ziel gerichtete Massenbewegung mochte wohl auch das Herz des jungen Stürmers Ebert schneller und heftiger schlagen lassen. Er sympathisierte wohl mit dieser Bewegung, insofern sie den sozialistischen Grundgedanken zu einer Massenkraft gestalten wollte, aber er folgte ihr nicht auf den Irrweg des Antiparlamentarismus. Auch wohl gegen ihre Massenvergötterung sträubte sich sein realistischer Sinn. Immerhin konnte ihn diese Bewegung – sie warf ja die Kernsprüche des »Kommunistischen Manifests« in die Masse – zu einem Studium des Marxismus anregen.

Aus der unabhängig-sozialistischen Bewegung mochte dem jungen Ebert seine frisch-fröhliche Begeisterung für die Maifeier quellen. Als er im Jahre 1896 zu dem sozialdemokratischen Parteitag nach Gotha delegiert wurde, zählte er noch zu den radikalen Geistern, die das Wesen der Maifeier in der völligen Arbeitsruhe sahen. In einer kurzen Rede legte er den Nachdruck auf die Worte einer Frankfurter und einer Wandsbeker Resolution, in denen klar ausgesprochen wurde, daß die Arbeitsruhe »mehr als bisher erfolgen« sollte. Die von den Parteihäuptern befürwortete Resolution enthielt diese Worte nicht.

Sonst allerdings verspürt man nichts in den Reden Eberts in Gotha, was nur irgendwie auf unabhängigsozialistische Einwirkungen schließen läßt. Die unabhängigen Sozialisten verhöhnten jeden sozialen Reformgedanken als spieß- und kleinbürgerlich, Ebert aber verbreitete sich in Bremen mit nüchternster Reform der Unfallversicherung der Seeleute. Er donnerte nicht mit revolutionären Kraftsprüchen über die unhaltbaren Verhältnisse der Seeleute, er kehrte in maßvollen Worten die Mängel und Fehler der Unfallversicherung hervor, die den Seemann tatsächlich unter ein Ausnahmegesetz stellten.

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Die Reichsregierung im Schloß zu Weimar 1919:
Landsberg, Scheidemann, Noske, Ebert, Wissell

Ebert lief nicht zu dem Fähnlein der Aufrechten der »Opposition«, der »Jungen« hinüber, er marschierte mit dem großen Heereskörper der Sozialdemokratie in Reih' und Glied.


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