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1892.

Auszug aus der 1892 erschienenen Schrift:

Die Lage der Arbeiter im Bremer Bäckergewerbe und die notwendigsten Aufgaben der Bäckerbewegung. Ergebnis einer statistischen Erhebung des Gewerkvereins der Bäckergesellen Bremens und Umgebung.

In keinem Industriezweige müssen die Arbeiter ihr Dasein mühevoller und trauriger fristen als im Bäckergewerbe. Tag und Nacht, Sonntag und Werktage, Jahr aus Jahr ein sind sie bei einer oft 16-, 17- und 18stündigen Arbeitszeit, bei unzureichendem Lohn, schlechter Beköstigung, oft roher Behandlung angestrengt tätig. Während andere Arbeiter sich in ihren freien Stunden geistig bilden und an den Naturschöpfungen teilnehmen, ist der Bäcker an seine gesundheitschädigende Arbeit gebunden, oder er liegt ermüdet auf dem Lager, um seinem Körper die notwendigste Ruhe zu gönnen. Die geistige und körperliche Verkrüppelung, die in großem Maße unter den Bäckerarbeitern herrscht, ist der lebende Beweis für die unwürdigen und unhaltbaren Zustände. Während die Arbeiter der Industrie durch ihre gute Organisation, wenn auch nach schwerem Kampfe, ihre Lage verbessert haben, so ist auf Seiten der Bäcker heute noch wenig oder gar nichts geschehen, denn die Innungen führen hier noch das Regiment. Aber der Geist und die heiße Sehnsucht nach Erlösung aus unwürdigen Zuständen hat heute das Proletariat aller Kulturländer beseelt. Die Lehre vom Vorrecht des Besitzes ist erschüttert. Die Behauptung alter Philosophen, der Arme sei auf ewig zur Knechtschaft bestimmt, findet heute keinen Glauben mehr, und überall regt sich der Unterdrückte in unablässigem Ringen um ein besseres Los. Das Morgenrot der allgemeinen Menschenrechte dringt auch in die Reihen der Bäckerarbeiter, und der Ruf nach Gerechtigkeit, der über die weite Erde hallt, hat auch in jenen Kreisen Widerhall gefunden. Eine große Anzahl von Bäckerarbeitern ist heute ernstlich bestrebt und tätig, den herrschenden Zuständen ein Ende zu machen. In Nachstehendem werden wir nun ein Bild entrollen über die wirtschaftliche Lage der Bäcker; wir verwenden hierbei das Material einer sorgfältig aufgenommenen Statistik am hiesigen Ort. Sollte nun die nackte Wahrheit dazu beitragen, die Reihen der kämpfenden Bäcker zu dichten und ihre Organisation zu stärken, so ist allen denjenigen, die bei dieser Arbeit so tatkräftig mitgewirkt haben, der schönste Dank geworden.

 

I.

Wenn heute irgendeine Kategorie der Arbeiter eine Forderung an das Unternehmertum stellt oder vielleicht mit einem Streik droht, so gibt es Zetergeschrei. Die Arbeiter werden von den Soldschreibern des Unternehmertums, der Bourgeoisiepresse, verflucht und verwünscht, und insbesondere sind dann ihre Führer Faulenzer, Hetzer usw., und sie allein sind dann schuld, daß die Arbeiter unzufrieden werden. Dies ist aber nur das pure Angstfieber und ein Hohn auf die Weisheit der besitzenden Klasse, die nur aus der Schatulle ihrer Großmutter gelernt hat und so von der Wirklichkeit dieser ihrer Ansicht fortträumt, bis ihr die Verhältnisse über den Kopf wachsen. Wie die Vertreter der besitzenden Klasse denken und urteilen über die Arbeiter und ihre Lage, das bewies auch kürzlich ein Innungsheld, der Bäckermeister Bitter, in einer Sitzung der bremischen Bürgerschaft. Zur Verhandlung stand ein Antrag der sozialdemokratischen Abgeordneten, der dahin ging, daß man so schnell als möglich Staatsarbeiten ausführen solle, um einen Teil der in so großer Anzahl außer Arbeit und Verdienst stehenden Arbeiter vor Hunger und Elend zu schützen.

Wutschnaubend ergriff der genannte Herr das Wort, um den Arbeitern ihr Sündenregister vorzuhalten. Sie lebten nach Ansicht dieses Herrn in Verschwendung, sie sind faul, wollen nicht sparen und sind demnach selbst schuld, wenn sie in Not geraten. Unverschuldete Arbeitslosigkeit existiert nach der Ansicht dieser Herren einfach nicht.

Wir sind uns freilich bewußt, daß sich diese Herren, die den Tag über mit Zylinder und Glacéhandschuhen die Stadt abmarschieren, von uns nicht eines Besseren belehren lassen. Wir wenden uns daher auch nicht an sie, sondern an die Arbeiter und speziell an die Bäcker. Wenn diese ihre Lage erkannt haben und mit vereinten Kräften an der Verbesserung derselben arbeiten, so werden bedeutende Resultate auch ohne Mithilfe der besitzenden Klasse erzielt.

Dazu, um mit vereinten Kräften wirken zu können, gehört in erster Linie ein einigermaßen gleichlautendes Urteil über die bestehenden Verhältnisse im Gewerbe und Klarheit über die Mittel, die angewandt werden sollen, um die Verhältnisse zu bessern.

 

II.

Wer heute noch an das alte Sprichwort glaubt »Handwerk hat einen goldenen Boden«, der irrt sich gewaltig. Die Menschheit ist in ein neues Zeitalter eingetreten, das der Wissenschaft gehört. Wie würde unser Großvater, der Spinn- oder Webemeister, staunen, wenn er heute in das Etablissement einer mechanischen Spinnerei oder Weberei käme, wo ein menschenähnlicher Mechanismus mit Hunderten und Tausenden von Händen in Bewegung ist und die Arbeiter oder Arbeiterinnen nur als Aufseher an der Maschine stehen, und wenn er dann hörte, daß sein früher so sehr erträgliches Handwerk heute von der Bildfläche verschwunden sei. Die großartigen Entdeckungen und Erfindungen der Naturwissenschaft und Technik werden in den Dienst der Industrie gestellt. Große Fabriken mit turmhohen Schornsteinen und großartige Bankhäuser deuten an, daß sich die Produktion heute in anderen Bahnen befindet als vor einem Menschenalter. Wo eine Fabrik entstand, ist die Existenz von Hunderten von kleinen Handwerksmeistern begraben worden. Der Handwerker hat seine Selbständigkeit verloren, er ist zum Fabrikarbeiter gestempelt, und keine Leiter ist vorhanden, auf deren Sprossen er wieder zu dem heraufsteigen könnte, was er war. In ununterbrochenem Siegeslauf schreitet diese Entwicklung vorwärts, und alle widerstrebenden Kräfte stellt sie in ihren Dienst; mit demselben Arbeitsaufwand bringt sie Produkte in ungeahnter Fülle hervor, und wenn die Menschheit dieselbe Lebensweise führen wollte wie vor 20 oder 30 Jahren, so brauchte sie heute ungleich weniger Arbeit auf sich zu nehmen. Dabei zeigt dieser Aufschwung niemals eine Spur von Erschlaffung, im Gegenteil, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt regt er immer machtvoller seine Schwingen.

Man sollte nun annehmen, daß diese Errungenschaft der Wissenschaft auch der gesamten Menschheit zugute käme, da doch jeder, der auf dieser Erde geboren wird, auch die gleichen Ansprüche an deren Güter hat. Heute ist dies nicht der Fall. Alle Errungenschaften der Wissenschaft kommen nur denen zugute, die den Besitz in Händen haben, und das sind 15 % des Volkes, während sie 85 % des Volkes zum wahren Fluche gereicht. Immer größer wird heute die Zahl derjenigen, die unverschuldeterweise verurteilt sind zu hungern, zu frieren, zu dursten, die ohne Obdach von Stadt zu Stadt eilen, die gern arbeiten würden, um nicht unterzugehen, die aber keine Arbeit finden können, weil sie überflüssig sind. Würde sich diese Arbeitslosigkeit nicht von einem Bruchteil des Arbeiterstandes zum andern abwälzen, würde sie stets an einem und demselben haften bleiben, so wären Hunderttausende von jungen und kräftigen Staatsbürgern, Tausende von Familienvätern mit Frau und Kind gezwungen, dem Hungertode in die Arme zu fallen.

 

III.

Auch in der Bäckerei macht die Arbeitsteilung im großen und der Maschinenbetrieb jedes Jahr weitere Fortschritte. Da ist z. B. die Teigmaschine, die Teigteilmaschine usw. Eine der neuesten Erfindungen ist die Brotmaschine, die in drei Stunden mit acht Mann Besatzung für eine Stadt von 20 000 Einwohnern Brot liefert. Sie war in Paris auf der Weltausstellung ausgestellt und wird in Chicago in verbessertem Maßstabe ausgestellt werden. Insbesondere sind es die großen, hauptsächlich Brot produzierenden Mühlen, die ihre Konkurrenz fühlen lassen. Es sind dies alles jedoch nur Anfänge, denn im großen und ganzen liegt die Bäckerei heute noch in den Händen des Kleinmeisters. Aber der Boden fängt schon an zu schwanken, und so befehdet sich, trotz aller Innungsmeierei, die große Zahl der kleinen Konkurrenten unter sich und macht sich gegenseitig das Leben schwer. Da erscheint dann jeder Pfennig, der für verbesserte Arbeits- und Wohnräume angewandt werden soll, als eine unnütze Last. Jede Stunde verkürzte Arbeit wird als eine unberechtigte Beschränkung des Unternehmergewinns betrachtet. Jeder Versuch, die Lage der Arbeiter zu verbessern, ist ein Angriff auf die Existenz des Unternehmers, den er hartnäckig zurückweist.

Der Krebsschaden in der Lage der Bäckerarbeiter ist das Schalten und Walten der Innung, die ihre Machtbefugnisse weit überschritten hat und sich große Eingriffe in die Rechte des Arbeiters erlaubt.

Zum Beweis mag nachstehendes Regulativ gelten, das in allen Backstuben der Bremer Bäckereien aushängt:

Der Vorstand der Weißbäcker-Innung und der Gesellen-Ausschuß haben in betreff der Regulierung des Arbeitsverhältnisses folgende Bestimmungen getroffen:

 

1. Der Arbeit suchende Geselle hat sich beim Sprechboten zu melden, um in die Liste aufgenommen zu werden. Die Aufnahme kann gleich nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen; der Austritt aus demselben jedoch erst nach Ablauf der Kündigungszeit. Zugereiste Gesellen, welche hier arbeiten wollen, werden sofort in die Liste aufgenommen.

2a. Meister, welche ohne Vermittlung des Sprechboten Gesellen in Arbeit nehmen, oder Gesellen veranlassen zu kündigen, verfallen in eine Strafe von M 10. –, welche der Innungskasse zufließen.

2b. Gesellen, welche ohne Vermittlung des Sprechboten in Arbeit gehen, oder, bevor sie gekündigt, sich um Arbeit bemühen, verfallen in eine Strafe von M 5. – zugunsten der Gesellenkasse.

3. Jeder fremdliegende Geselle ist verpflichtet, die ihm vom Sprechboten angetragene Arbeit sofort anzutreten, sobald ein Notfall vorliegt. Der Geselle hat jedoch das Recht, dieselbe folgenden Tages wieder niederzulegen, sofern genügende Gründe vorhanden sind, muß aber vorher den Obermeister davon in Kenntnis setzen, welcher die Sache sofort untersucht oder untersuchen läßt, und im Fall die Gründe gerechtfertigt sind, den Gesellen von der Arbeit entbindet.

Zuwiderhandelnde Gesellen werden von der Arbeit ausgeschlossen.

4. Bei Aushilfsarbeit ist der Lohn vorher zu vereinbaren; findet keine Vereinbarung statt, so erhält der Vertreter an Lohn, was der frühere Geselle bekam.

5. Die Aushilfsarbeit kann in den ersten acht Tagen seitens des Gesellen nicht gekündigt werden, sofern nicht die drei erwähnten triftigen Gründe vorliegen, über welche der Obermeister entscheidet. Nach Ablauf von drei Tagen tritt jedoch die beiderseitige gesetzliche Kündigungszeit ein, im Falle nichts anderes vereinbart ist.

6. Fremdliegende Gesellen, welche in Logis wohnen, in denen ansteckende Krankheit herrscht, oder in welchen keine Reinlichkeit und Ordnung ist, haben auf Verlangen des Meisters beim Arbeitsantritt eine ärztliche Bescheinigung über ihren Gesundheitszustand beizubringen.

Der Sprechbote ist verpflichtet, in jeglichem Falle dem Meister Anzeige zu machen.

7. Gesellen, welche in Bremen arbeiten, müssen einer Krankenkasse angehören.

8. Beschwerden, das Arbeitsverhältnis betreffend, sind seitens der Gesellen an den Gesellen-Ausschuß, seitens der Meister an den Innungs-Vorstand zu richten.

9. Für Meister wie für Gesellen gelten die gesetzmäßigen Bestimmungen, sofern Vorstehendes nichts anderes bestimmt.

10. Es erklärt sich der Geselle mit Vorstehendem stillschweigend einverstanden, sobald er in Arbeit tritt, sowie auch der Meister, sobald er einen Gesellen in Arbeit nimmt.

11. Der Innungs-Vorstand sowie der Gesellen-Ausschuß verpflichten sich, nach Kräften auf die Erfüllung vorstehender Bestimmungen zu achten.

Bremen, April 1888.

 

Man sieht hieraus, wie schön es die Innung versteht, mit Hilfe des Gesellen-Ausschusses die Gesellen an ihre Leine zu binden. Darauf, wie es möglich war, daß die Gesellenschaft zu Bremen sich so etwas bieten ließ, wollen wir nicht weiter eingehen. Der Verfasser dieses Schriftchens hatte sich selbst einmal wegen Vergehen gegen dieses Regulativ vor dem hiesigen Innungsschiedsgericht zu verantworten. Er hatte nämlich das Verbrechen begangen, eine vom Sprechboten ihm zugesagte Arbeit nicht anzunehmen, weil er nicht wußte, was es für Lohn gab und er der Meinung war, daß, ehe man eine Arbeit antritt, erst der Lohn festgestellt wird. Wegen des gleichen Falles hatten noch drei Kollegen vor dem hohen Gerichtshof der Innung zu erscheinen. Der Meister gab an, er sei durch unser Verhalten geschädigt. Es bedurfte einer guten Verteidigung, daß drei dieser angeklagten Gesellen freigesprochen wurden, während der vierte zu 5. – M Geldstrafe verurteilt wurde. Es sind nun solche Fälle in Bremen keine Seltenheit. Gewöhnlich geht dem Angeklagten ein Drohbrief zu, in dem er aufgefordert wird, vor dem Gerichtshof zu erscheinen. Geschieht dieses nicht, so wird er ohne Gnade von der Arbeit bei den hiesigen Innungsmeistern ausgeschlossen, und er kann Bremen ade sagen. Das Gericht wird von der Innung nach Gutdünken anberaumt, und der Angeklagte erhält vom Sprechboten nicht eher Arbeit, bis die Angelegenheit endgültig entschieden ist.

Wer das Sprechbotwesen seit längeren Jahren beobachtet hat, wie die Meister durch ihre Sprechboten den Gesellen behandeln, der muß empört sein über solche Machinationen. Je jünger ein Geselle ist, je schüchterner kommt er den Worten des Boten nach. Und wie wird ein solcher Mensch oft ausgenutzt! Es ist wahrlich ein richtiger Menschenhandel. Der Sprechbote muß die Gesellen aussuchen, ob sie auch ganz genau für den Meister passen. Die Hauptbedingungen sind: Er muß willig in der Arbeit sein, er darf keine Widerworte haben, ferner die Fragen, wie er sich schon aufgeführt habe, ob er als Ruhestörer oder als Aufwiegler bekannt sei, ob er bei einem Nichtinnungsmeister beschäftigt gewesen sei, oder gar in einer Brotfabrik, ob er im Besitze eines Knechtbuches (genannt Germaniabuch) sei. Trifft von diesen Fällen etwas bei ihm zu, dann kann er sein Bündel schnüren. Arbeit gibt es für ihn nicht mehr.

Also noch nicht einmal über sein einziges Kapital, über seine Arbeitskraft, darf der Arbeiter nach freiem Ermessen verfügen, sondern dem Ausbeuter der Arbeitskraft, dem Arbeitgeber, steht dieses zu? Wo bleibt die Phrase von dem freien Arbeiter? Ist sie nicht reiner Hohn? Wir sind fest überzeugt, daß die Bäckergesellen Bremens ihr Hauptaugenmerk auf diesen Punkt richten und dem Wolf bald das Schaf entreißen müssen.

 

IV.

Betrachten wir nun die Lage der Bäckerarbeiter im allgemeinen, so können wir wohl sagen, daß dieselbe mit nur wenigen Ausnahmen eine geradezu menschenunwürdige ist. Übermenschlich lange Arbeitszeit, wenig Lohn, schlechte Kost und zum großen Teil auch schlechte und brutale Behandlung, das ist das gewöhnliche Leben eines Bäckergesellen. Er ist geistig so herabgesunken durch diese Zustände, daß er wie das Arbeitstier nichts anderes als Arbeiten und wieder Arbeiten, Essen und Schlafen kennt, nur mit dem Unterschiede, daß das Pferd, wenn es den Tag über schwer gearbeitet hat, abends ein genügendes und kräftiges Haferfutter und eine ordentliche Streue erhält, während der Bäckerarbeiter, wie es unsere Statistik hier in Bremen feststellt, zum großen Teil ungenügende Kost und schlechte Schlafräume erhält. Die Arbeitszeit differiert zwischen 10 und 18 Stunden täglich, in den meisten Fällen zwischen 14, 15 und 16 Stunden. Dabei ist die Mehrzahl der Arbeitsräume höchst ungünstig gelegen, sie liegen meist im Souterrain und ermangeln der Luft, des Lichtes und der Ventilation. Die Reinlichkeit läßt viel zu wünschen übrig. Die Temperatur ist auf das Höchste gesteigert, die Luft ist mit Dünsten aller Art geschwängert. So sind Gesellen, Lehrlinge, und in vielen Bäckereien auch die Meister mit der Herstellung des wichtigsten Volksnahrungsmittels, das im Palast wie in der Hütte einen wesentlichen Teil der täglichen Nahrung bildet, beschäftigt. Mit vollem Rechte kann man sich hier die Frage erlauben, ob nicht durch solche Zustände jährlich zahllose Krankheitskeime unter Tausende von Menschen getragen werden? Betrachten wir uns die von der Hitze, Dunst und Staubatmosphäre abgerackerten und vielfach schwindsüchtigen Bäckergesellen und Lehrlinge; wie mancher Schweißtropfen wird in die Ware hineingebacken. Der Konsument, das Publikum, ist im Interesse seiner Gesundheit verpflichtet, überall im öffentlichen Leben und bei der Regierung zu veranlassen, daß solchen Zuständen eine gründliche Reform zuteil wird. Die Schlafräume befinden sich meistens in sehr schlechtem Zustande, gewöhnlich über der Backstube oder daneben, auch teilweise im Keller. So kommt es in Bäckereien vor, in denen vielleicht zwei oder mehrere Gesellen beschäftigt sind, daß zwei Personen in einem Bett schlafen. Steigen die Gesellen heraus, so passiert es mitunter, daß der Lehrling hineinsteigt, – ja es ist schon vorgekommen, daß das Dienstmädchen die Ablösung besorgt.

Auch speziell hier in Bremen werden viele Klagen über schlechte Schlafräume laut. So wird uns von einem Geschäft mitgeteilt, daß durch einen Schlafraum, in welchem vier Personen schlafen, der Rauch von zwei Backöfen ziehe. Eine andere Schlafstelle befindet sich im feuchten Keller, in den das ganze Jahr kein Licht hineinkommt. In einer anderen Feststellung heißt es, daß man sich beim Erwachen nicht wundern dürfe, wenn Schnee auf dem Bett läge. Das sind gewiß Zustände, die himmelschreiend sind. Der Mensch, der seinen Körper durch übermäßige Arbeit zu Tode rackert, findet als Lohn nicht einmal ein Plätzchen, wo er sein müdes Haupt zur Ruhe niederlegen kann, während andere, die vielleicht im Jahre sich ein paar Tage bemühen, um Kupons abzuschneiden, in seidenen Betten und großartigen Palästen ihre Wollust stillen. Würde unsere löbliche Polizei einmal Heerschau halten, in welchem Zustande sich die Schlafräume der Bäckerarbeiter hier befinden, so würde es wohl dasselbe Resultat sein wie in Braunschweig. Die deutsche Bäckerzeitung schreibt hierüber:

»In Braunschweig ging man ernstlich gegen die erbärmlichen Schlafstellen vor, wie der folgende uns zugesandte Zeitungsausschnitt zeigt: Lebhafte Klagen werden seitens der hiesigen Bäckergesellen über die unzureichenden, ungesunden, ja teilweise gefährlichen Wohn- und Schlafräume geführt, und daher wurde beschlossen, eine Eingabe an die Herzogliche Polizeidirektion zu richten, in welcher die Mißstände zur Sprache gebracht würden, und um Abhilfe gebeten werden sollte. Die Herzogliche Polizeidirektion hat nun durch den Wachtmeister Bussenius eine Untersuchung der den Bäckergesellen überwiesenen Wohn- und Schlafräume vornehmen lassen. Diese Untersuchung ist zum Teil schon ausgeführt worden und hat ergeben, daß fast zwei Drittel der bis jetzt besichtigten Räume nach keiner Richtung hin den baupolizeilichen Vorschriften entsprechen.

Sowohl die Lage vieler Räume über Ställen, Abtritten, Mehlkammern, wie auch deren sonstige Beschaffenheit haben sich als durchaus gesundheitsschädlich und gefährlich für die Bewohner erwiesen. Es wird nun, wie wir hören, den betreffenden Bäckermeistern von der Polizei bezw. Baubehörde aufgegeben werden, entweder die erforderlichen baulichen Veränderungen der als unbewohnbar bezeichneten Räume in kürzester Frist vornehmen zu lassen, oder den Gehilfen andere Wohn- und Schlafräume anzuweisen. Bei dieser Gelegenheit soll nicht unerwähnt bleiben, daß in vielen Fällen eine durch die Nachlässigkeit der Gehilfen verursachte große Unsauberkeit der Räume zutage trat.«

Hierzu bemerkt die deutsche Bäckerzeitung folgendes: »Zunächst müssen wir unser Befremden über den letzten Satz ausdrücken: danach müßten ja die Gesellen die Schlafräume selbst reinigen – ist dem wirklich so? Wir meinten bisher, daß der Schlafwirt für die Reinigung des Schlafraumes zu sorgen hat. Da unsere Kollegen Kost und Wohnung beim Lohn eingerechnet bekommen, so ist doch der Meister Logisgeber und hat als solcher das Logis in sauberem Zustande zu erhalten. Wofür ist denn die Hausfrau resp. deren Dienstmädchen da, als dafür, den Hausstand in Ordnung zu halten! So etwas bietet man den deutschen Bäckergesellen schon an! Das hätte in der alten Zunftzeit nicht passieren können, denn damals hielten die Frau Meisterin und deren Töchter noch selbst Ordnung, heute freilich sind es Modedamen geworden. Im Prunkzimmer blitzt es, während in den Hinterräumen und Winkeln der Schmutz ungestört haufenweise liegt.

Also zwei Drittel der bis jetzt untersuchten Schlafstätten sind als völlig unbewohnbar befunden worden, und da wollen die lieben Meister noch zetern, wir hetzten die Gesellen auf, damit sie unausführbare Wünsche äußerten? Nun, nun, noch ein bißchen Geduld, die Herren werden ja auch noch begreifen lernen, daß nicht nur sie und ihre Frau »Gemahlin« sowie deren Töchterlein, sondern daß ihre Gesellen, die doch alles erwerben müssen, auch noch zu den Menschen zählen. Ein derartiges Licht kommt ihnen denn auch schon, freilich werden einzelne Meister deshalb sehr aufgebracht. In kurzer Zeit ist es zweimal hintereinander vorgekommen, daß dort Meister sich an Gesellen tätlich vergriffen haben. Sonst etwas Unerhörtes in Braunschweig. Nun, die Herren sind schon teilweise von den dortigen Arbeitern kuriert worden. Was etwa noch fehlen sollte, wird wohl noch nachgeholt werden.«

Wir brauchen wohl nach diesem nicht erst zu beweisen, daß solche Zustände gesundheitsmordend sind. Sehr treffend führt Bebel in seinem Buche »Die Bäckerarbeiter« aus: »Die Bäckerei wirkt in höchstem Maße korrumpierend und degenerierend auf ihre Arbeiter ein, sie ist eines der menschenverwüstendsten Gewerbe, die überhaupt existieren.«

Was die Beköstigung der Gesellen anbelangt, so muß auch diese als ein miserabler Zustand betrachtet werden. Es sind Fälle bekannt, in denen gerade bei wohlhabenden Meistern die Kost am schlechtesten ist. Auch hier in Bremen sind lebhafte Klagen über schlechte Beköstigung festgestellt worden.

Die Meister schämen sich größtenteils, mit ihren Gesellen an einem Tische zu speisen und schicken den Arbeitern ihr Essen nach der Backstube. Während der Arbeiter mit solchen Brocken abgespeist wird, findet man in den Familien der Meister ein ziemliches Wohlleben. Da ist in erster Linie der Sohn; er muß die hohe Schule besuchen, das Einjährigen-Examen machen. Die Töchter müssen auch etwas Englisch und Französisch lernen. Alles dies können sich ja die Herren leisten, solange ihre Gesellen 15 bis 18 Stunden ins Joch gespannt sind.

Nach solchen grauenhaften Zuständen sollte man annehmen, daß sich die Innungen, die ja vorgeben, sie wollten das Handwerk heben, und hierzu gehören in erster Linie ihre Arbeitskräfte, auf ihren Verbandstagen mit dieser Materie befaßten. Aber da käme man schön an, wenn man die Goldbodenflicker stören wollte! Petitionen, Bitt- und Bettelbriefe an den Reichstag und Bundesrat um Einführung von Gesetzes-Paragraphen gegen die Vernichtung des Handwerks, insbesondere gegen die Fachvereine, Gesellenhetzer, Streiks usw., Einführung der obligatorischen Innung, Befähigungsnachweis, Lehrlingsprivilegium und womöglich noch Ausweisung der Juden – das ist die Tagesordnung ihrer Kongresse. Und welch ein Geheul wird angestimmt, wenn ihre maßlosen und egoistischen Wünsche nicht erfüllt werden! Die Herren haben heute noch nicht ihren Katzenjammer verloren, der sich einstellte, als die Regierung erklärte, daß sie den Befähigungsnachweis nicht einführen wolle. In ihrer Kurzsichtigkeit erkennen sie in den Gesellen und ihren Bestrebungen ihren Todfeind, während sie ihrem Totengräber, dem Großkapitalismus, Schleppträgerdienste leisten.

 

V.

Das beklagenswerteste Geschöpf in der Bäckerei ist der Lehrling; für ihn gilt nicht nur alles das, was für den Gesellen gilt, sondern die Lehrlinge haben noch in einem höheren Maße zu leiden, weil ihre Arbeitszeit meistens länger ist als die der Gehilfen; sie bekommen auch nicht selten eine schlechtere Kost und haben häufig eine sehr harte Behandlung vom Meister und Gesellen zu erdulden. Die Züchtigung und die Ausbeutung der Lehrlinge ist wohl in keinem Gewerbe schlimmer als in der Bäckerei. Als Beweis hierfür bringen wir einen Auszug aus dem Bericht über die Lage des Innungs-Verbandes, der auf einem in Bremen im Jahre 1890 abgehaltenen Verbandstag vorgelegt wurde.

20 049 Innungsmeister beschäftigen in ihren Betrieben 18 175 Gesellen und 13 015 Lehrlinge. Während in denselben Orten 8 912 Nichtinnungsmeister 4 671 Gesellen und 1 203 Lehrlinge beschäftigen.

In diesen Zahlen liegt die so viel beschrieene segensreiche Wirkung der Innungen. Während bei den Nichtinnungsmeistern auf 100 Gesellen 25,8 Lehrlinge kommen, kommen bei den Innungsmeistern auf 100 Gesellen 71,6 Lehrlinge.

Ist es nicht geradezu ein Verbrechen an der Menschheit, daß mitten in der Entwicklung begriffene junge Leute in der ungeheueren Mehrheit der Fälle 365 Tage im Jahre 14 und mehr Stunden unter den ungünstigsten Bedingungen arbeiten und ihre Jugendkräfte im Interesse des Unternehmertums aufreiben müssen?

Ist es vielleicht ein Wunder, wenn durch solche Zustände ein großer Teil der Bäckergesellen arbeitslos und bettelnd die deutschen Landstraßen durchzieht und die Herbergen belagert, oder wenn er dem Vagabundentum anheimfällt? Ist nicht die große Zahl von überschüssigen Arbeitskräften danach angetan, den Lohn und die Arbeitsbedingungen stets auf dem allernotwendigsten Niveau zu halten? Ja, die Herren Innungsmeister verstehen es wohl, ihr Schäfchen ins Trockene zu bringen, und wenn Hunderte ihrer Nebenmenschen dabei zugrunde gehen; das nennt man ja heute einfach ›christlich-sozial‹.

Gerade diejenigen Bäckereien, die bei der Aufnahme der Lehrlinge etwas Hervorragendes leisten, sehen etwa nicht darauf, den Lehrling auszubilden, daß er mit seinen Kenntnissen imstande ist, später sein Brot zu verdienen; das Hauptgewicht wird darauf gelegt, den größtmöglichsten Nutzen aus der Tätigkeit des Lehrlings zu ziehen. Der Lehrherr erspart sich die Löhnung eines Knechtes und läßt den Lehrling mit Ware hausieren gehen, häusliche Arbeit verrichten und was sonst noch vorfällt. Ist dann solch ein junges Wesen wie ein Hund abgejagt, daß es kaum die Beine noch mitschleppen kann, dann kommt noch die Arbeit in der Bäckerei. Es gereicht zur Schande der christlichen Zivilisation, wenn man sieht, wie eine so klägliche Gestalt mit einem Riesenkorb oder einem Proviantwagen sich die Straßen entlang schleppt. Es kann dann nicht ausbleiben, daß der größte Teil der Bäckergesellen lungenkrank ist und verkrüppelte Beine und Rücken hat und daß, wie es tatsächlich der Fall ist, nur kaum ein Drittel der Bäckerarbeiter tauglich zum Militär ist.

Der Sohn des Städters kennt diese Zustände und die Bäckermeister finden heute wenige Jungen aus der Stadt, die bei ihnen in die Lehre gehen. Den Haupttrupp ihrer Rekruten erhalten die Meister vom Lande. Die Herren eröffnen ja zu Ostern eine richtige Jagd nach Lehrlingen in den Zeitungen.

Durch reichsgesetzliche Bestimmung der Gewerbeordnung wird es jedem Meister zur Pflicht gemacht, seinen Lehrling einer Fortbildungs- oder Gewerbeschule zu überweisen. Aber fragen wir die hiesigen Meister, ob sie ihrer Pflicht nachgekommen? Leider ist dies nicht der Fall. In der Bekanntmachung der hiesigen Gewerbeschule ist zu ersehen, daß in der Rubrik über Besuch der Gewerbeschule durch die Bäckerlehrlinge eine Null verzeichnet ist. Die Gesellen und ihre Bewegung haben ein Interesse daran, daß die geistige Finsternis von den Bäckerarbeitern weicht, und daß sie wenigstens mit den notwendigsten Kenntnissen versehen werden. Sie haben sich deshalb mit den Meistern in Verbindung gesetzt, um diese Mißstände zu beseitigen. Es wurde in einer Sitzung von seiten der Gesellen der Vorschlag gemacht, die Meister möchten eine Fortbildungsschule errichten. Aber weit gefehlt! Auf einen anderen Vorschlag von seiten der Gesellen, ob die Meister gewillt seien, wenn von den Gesellen eine solche errichtet würde, die Lehrlinge in diese zu schicken, gab der Herr Vorsitzende ausweichende Antworten. Auch die Lehrlingszüchterei im allgemeinen kam hier zur Sprache, insbesondere die Prüfung der Lehrlinge. Es war nämlich vorgekommen, daß ein Lehrling von einer Meisterprüfungs-Kommission nicht für fähig gehalten war, in den Gesellenstand einzutreten. Eine andere Kommission hielt ihn aber für fähig. Die Herren ließen sich aber von den Gesellen nichts hineinreden in ihre Machenschaften, denn ihr Portemonnaie könnte darunter leiden. Die Sitzung wurde wieder resultatlos geschlossen.

Eine ebenfalls sehr erwähnenswerte und selbstverständlich segensreiche Einrichtung der Innung sind die Germaniabücher. Der Schwindel, der hiermit getrieben wird, spottet aller Beschreibung. So hat man häufig junge Gesellen, die nicht im Besitze eines solchen Knechtschaftsbuches sind, und wollen diese dann bei einem Innungsmeister Arbeit haben, so lernen sie einfach noch ein halbes Jahr nach, und haben sie sich dann zur vollen Zufriedenheit betragen, so händigt man ihnen ein solches Buch ein. Mit diesen Büchern kann man sich dann auch ganz schön gewisse Elemente vom Halse halten und die Arbeiter überhaupt unter die Polizeiaufsicht der Innung stellen. Wahrlich, wahrlich, ehrliche und christlich gesinnte Leute müssen es sein, die ihre Existenz, die durch die Entwicklung gefährdet wird, mit solchen unlauteren Mitteln hochzuhalten suchen! Verwunderung und Empörung muß es bei jedem Menschenfreund, der das Volkswohl und nicht die Volksausbeutung will, hervorrufen, daß man zu solchen Machinationen seine Zustimmung gibt. Würde die Regierung ihre väterliche Hand von dem Haupte der Innung nehmen, so würde auch sie sich daran gewöhnen müssen, ihre Arbeiter als gleichberechtigte Menschen und nicht als Ware, Ziffern und Maschinen zu betrachten. Die Bäckereiarbeiter wollen nichts mehr wissen von dem Patriarchentum, sie danken gefälligst für eine solche väterliche Fürsorge und Bevormundung. Sie werden anfangen, ernstlich nachzudenken über solche Zustände, und der Keim, der gelegt ist, läßt sich nicht mehr ersticken. Er wird sich fortentwickeln zu einem Damm mit mächtiger Widerstandskraft, an dem einstmals die Innungsharfe mitsamt dem Lied ›vom goldenen Boden‹ zerschellen wird. Ebenso wie es die Arbeiter anderer Industriezweige schon früher getan haben, so müssen auch wir das Versäumte nachholen. Mit Opferfreude und Mannesmut wollen wir den Kampf aufnehmen, überall wo es angängig ist, in Wort und Schrift ausdrücken, was uns bewegt, dort aufklären, wo es die Macht der Unwissenheit verlangt, anfeuern, wo Kleinmut in unseren Reihen eingreift, organisieren und schaffen, wo eine Zersplitterung der Kräfte droht! Nehmen wir dieses mit in die Zukunft, dann wird auch für uns eine Zeit kommen, in der wir nicht mehr arbeiten müssen, um nicht zu verhungern, sondern die Arbeit wird uns zur Ehre gereichen.

 

VI.

Von 300 verausgabten Fragebogen erhielten wir 80 wieder zurück. Ein großer Teil der Kollegen war bei dieser Arbeit eben ziemlich gleichgültig, was auch leicht erklärlich ist. Wie bei einem Gefangenen nach langjähriger Strafe alle Keime der Lebensfreude verschwinden, so fehlt auch bei dem großen Teil unserer Kollegen Energie und Mut, mit denen sie an dem Joche rütteln sollen, das man ihnen aufgebürdet hat. Ein anderer Teil schämt sich wieder, seine Verhältnisse zu schildern, weil sie eben zu traurig sind. Mit diesen und anderen Faktoren hatten wir zu rechnen, aber trotzdem ist es uns gelungen, die blasse Not und das nackte Elend herauszuholen aus seinem verborgenen Dunkel und wir können mit Bestimmtheit sagen, daß dieses Bild, das wir unseren Lesern vorgeführt haben, maßgebend ist für die ganze wirtschaftliche Lage der Bäckergesellen Bremens. Wäre es uns selbst gelungen, vollständiges Material zu erhalten, so sind wir der festen Überzeugung, daß das Resultat dasselbe oder womöglich noch trauriger als das jetzige ist.

Die Fragebogen lassen ersehen, daß die Kollegen bemüht waren, diese streng wahrheitsgetreu zu beantworten, wie es ihnen in Versammlungen auch genügend ans Herz gelegt wurde. Wir haben nicht bemerkt, daß Kollegen ihre Lage trostloser geschildert haben, als sie tatsächlich ist; dagegen haben wir wahrgenommen, daß einige Kollegen sie besser geschildert haben, als sie ist. Es handelt sich aber nur um geringe Ausnahmen. Es soll nun damit nicht gesagt sein, daß dies mit Absicht geschah, sondern man denke sich nur hinein in die Lage eines Bäckerlehrlings. Hat solch ein junger Mensch seine qualvolle Lehrzeit beendet, so daß seine Lage etwas günstiger wird, so atmet er auf wie ein Gefangener, der die Kerkertür von außen zumacht, und man kann begreifen, was dieser junge Mann als »gute Zustände« betrachtet. Nach all diesem glauben wir es nicht nötig zu haben, noch eine weitere Kritik an dem leider so traurigen Resultat zu üben; aber wer noch zweifeln wollte an dem unwürdigen Lose des Arbeiters, der im Schweiße seines Angesichts das notdürftigste Nahrungsmittel für seine Mitmenschen schafft, dem wollen wir noch nachstehende Zahlen entgegenhalten. Es ist dies ein Auszug aus der Jahresabrechnung der hiesigen Bäcker-Brüderschafts-Krankenkasse. Dieselbe zählt 320 Mitglieder, hiervon wurden im Jahre 1889 86 Personen zusammen 1558 Tage in hiesigen Krankenhäusern verpflegt. Im Jahre 1890 wurden 85 Personen ungefähr dieselben Tage in Krankenhäusern verpflegt. Hierzu kommt noch ein ziemlicher Teil Kranker, die in ihrer Wohnung verpflegt wurden. Jeder Menschenfreund muß hier anerkennen, daß diese große Zahl von Krankheitsfällen nur Ausflüsse von den unwürdigen Zuständen sind, in der sich die Bäckergesellen befinden. Hier spiegeln sich die unmenschlich lange Arbeitszeit, die ungesunden Arbeitsräume, die schlechte Kost und die abscheulichen Schlafräume in Gestalt von Krankheiten wider. Wir waren bei unserer Arbeit bestrebt, die Sache streng objektiv zu behandeln; aber trotzdem wissen wir, daß uns vielleicht von diesem oder jenem Innungsmeister, oder von sonstigen Herren, die bei der Wahl ihrer Eltern vorsichtig waren, Vorwürfe der Einseitigkeit gemacht werden. So wenig wir uns nun um das Gezeter dieser Herren bekümmern, so können wir doch nicht umhin, diesen Herren ein derartiges Beispiel hier gleich mitzugeben. Als der Reichstagsabgeordnete Bebel vor längerer Zeit eine statistische Erhebung über die Lage der deutschen Bäckereiarbeiter veröffentlichte, war der Bürgermeister von Darmstadt der Meinung, daß diese einseitig und übertrieben sei. Er sah sich veranlaßt, selbst eine Erhebung zu veranstalten, und zwar mit dem Resultat, daß er zugeben mußte, daß die Verhältnisse überhaupt nicht traurig genug geschildert werden könnten. Die Bremer Bäckergesellen haben sich damals nicht beteiligt an der Bebelschen Erhebung, und so haben sie sich veranlaßt gesehen, das Versäumte nachzuholen. Wenn auch unsere Arbeit nicht vollständig ist, so wird sie aber immerhin aufklärend wirken und den Bremer Kollegen Anlaß geben, mehr als bis jetzt bestrebt zu sein, diesen Zuständen ein baldiges Ende zu machen.

 

VII.

Zum Schlusse kommen wir nun auf die wichtigsten Aufgaben der Bäckerbewegung.

Der letzte Kongreß der deutschen Bäckergesellen tagte im Juni 1891 zu Altenburg (S.-A.). Er war beschickt von 20 Delegierten, die insgesamt 15 Städte mit 13 000 Bäckerarbeitern vertraten; von ihnen sind organisiert in Lokalvereinen 1070, im Verband der Bäcker und Berufsgenossen 1016 Kollegen. Wohl eine winzige Zahl im Verhältnis zu den 100 000 Bäckergesellen, die es in Deutschland gibt! Trotzdem nun in keinem Beruf mit einem größeren Indifferentismus zu kämpfen ist als im Bäckergewerbe, so haben die Führer der Bäckerbewegung doch nicht den Mut verloren, sondern eifrig weitergekämpft für die Rechte der unterdrückten Gesellen, und daher rührt sich heute allenthalben die Arbeiterschar.

Die Bewegung der Bäcker hat bis jetzt noch keinen großen Erfolg aufzuweisen. Wir erinnern nur an den Hamburger und Berliner Streik. Woher kam dies aber? Nun, weil die Bäcker in Deutschland noch keine feste Organisation hatten, und weil auch zu viel Zuzug aus anderen Ländern stattfand, z. B. aus Österreich. Infolgedessen beschloß der letzte Kongreß, im Jahre 1892 einen internationalen Kongreß abzuhalten.

Wenn auch die Meister jetzt schon alle Anstrengungen machen, um die Forderung der Gesellen, die volle Sonntagsruhe im Bäckergewerbe einzuführen, illusorisch zu machen, so werden die Gesellen durch festes Zusammenhalten und mit Hilfe der Konsumenten imstande sein, dieses Vorgehen der Innungen zurückzuschlagen. Was bewegt denn diese Egoisten dazu, gegen die Sonntagsruhe Stellung zu nehmen? Schädigt diese etwa das Bäckergeschäft, und ist es nicht schon aus gesundheitlichen Rücksichten geboten, mit der Sonntagsarbeit zu brechen? Ist nicht längst festgestellt, warum die warme Ware den Konsumenten schädlich ist? Steht nicht in der Bibel geschrieben: »Sechs Tage sollst du arbeiten, aber am siebenten sollst du ruhen; das ist der Tag des Herrn«? Ist es denn unmöglich, die ganze Nachtarbeit im Bäckergewerbe abzuschaffen? Würde das Bäckerhandwerk hierbei etwa zugrunde gehen? Hat ein Geschäft, das vom Sonntagsverdienst sich hochhält, ein Recht auf Existenz? Nein – ganz gewiß nicht! Nur etwas Verstand und etwas Energie, ihr lieben Meister, ist notwendig, und es ist ein leichtes, die volle Sonntagsruhe im Bäckergewerbe einzuführen! Das Publikum wird gern zufrieden sein und auch müssen. Wohl wissen wir, daß die Zeit nicht mehr fern ist, in der die Sonntagsruhe im Bäckergewerbe eingeführt wird; wir hoffen auch wenig auf die Meister, daß sie hierin Schritte tun sollen, sondern dies ist Aufgabe der Gesellen. Und wenn uns die nächste Zeit auch nicht das bringen wird, was wir alle sehnsüchtig erwarten, so werden wir doch unermüdlich tätig sein, um die bescheidenen Forderungen zum Durchbruch zu bringen.

Wohlan denn, Kollegen, seid unermüdlich tätig für diese gerechte Forderung und sorgt für das Gedeihen unserer Organisation! Dann bilden wir eine feste Kette, die unsere Gegner nie mehr sprengen können.

Lang genug hat man uns geplagt und geschunden – soll das so weiter gehen? Lang genug haben die Gegner das Rechtsbewußtsein unterdrückt, das wir in unserer Brust haben, aber getötet haben sie es nicht und werden es auch nie töten können.

Wir fordern die Beseitigung der Not und des Elends von unseren Schultern! Werden die Bäckerarbeiter diese Forderung zu würdigen verstehen, dann können wir den Kampf eröffnen, und die Zukunft wird uns den Sieg der Gerechtigkeit bringen.


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