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Den Armen keine Steuern

Aus einer Rede in der Bremer Bürgerschaft.
8.5.1901

In einer Körperschaft, die zum größten Teil zusammengesetzt ist aus Leuten, die sich für Liberale halten, sollte man annehmen dürfen, daß man etwas Überflüssiges ausführte, wenn man für Aufhebung der Verbrauchsabgabe eintritt. Es ist überaus verwunderlich, daß gerade die Vertreter der Kaufmannschaft, nachdem sie in der Deputation mit aller Entschiedenheit für die Beibehaltung der Verbrauchsabgabe eingetreten waren, nun auch hier im Plenum diese ihre Ansicht zum Ausdruck gebracht haben. Sie sind doch alle Anhänger des Freihandels, ganz besonders die Kaufmannschaft, und Sie haben doch auch kürzlich in einer Resolution Protest erhoben gegen die Schutzzollpolitik, wie sie dem Deutschen Reiche droht! In dieser Resolution, die die Bürgerschaft damals angenommen hat, haben Sie ausgeführt, daß man deshalb in besonderem Maße gegen eine Erhöhung der Lebensmittelzölle sei, weil man damit eine Verteuerung der Lebenshaltung der Arbeiterklasse befürchte. Dieselbe Motivierung, die Sie Ihrem Protest gegen die Erhöhung der Lebensmittelzölle gegeben haben, dieselbe Motivierung mit geringen Abänderungen spricht auch gegen die Verbrauchsabgabe. Wenn Sie die Verbrauchsabgabe beibehalten wollen, weil Sie meinen, daß dadurch die Lebensmittel und damit die Lebenshaltung nicht verteuert beziehungsweise verschlechtert wird, so haben auch die Agrarier recht, wenn sie sagen, daß durch die Erhöhung der Schutzzölle die Lebenshaltung des Volkes nicht verteuert werde. Aber dies eigentümliche Verhältnis ist hier in Erscheinung getreten. Wenn Sie auf diesem Standpunkte beharren und diese Ansicht offen und deutlich aussprechen, so können wir nicht umhin, öffentlich zu erklären, daß Sie den Antrag gegen die Erhöhung der Getreidezölle nicht aus der Anschauung heraus gestellt haben, die Sie der Resolution zugrunde gelegt haben, nämlich, daß Sie befürchten, die Lebenshaltung der Arbeiter werde gefährdet, sondern daß Sie die Resolution lediglich beschlossen haben im Geschäftsinteresse, um Ihren Profit zu sichern. Damit aber stellen Sie sich in dem gewaltigen Kampf mit den Agrariern ein großes Armutszeugnis aus. Wir sind der Überzeugung, daß die Ausgaben des bremischen Staates in der nächsten Zeit eine Steigerung erfahren werden. Das hat aber mit der Aufhebung der Verbrauchsabgabe nichts zu tun. Wenn Sie von der Voraussetzung ausgehen, daß durch die Verbrauchsabgabe die Lebenshaltung der kleinen Leute beeinträchtigt wird, so besteht für Sie doch keine Berechtigung, jene ungerechte Steuer beizubehalten. Denn Sie dürfen diese steigenden Ausgaben nicht auf Kosten der Armen und auf Kosten der zum Leben notwendigsten Lebensmittel machen. Behalten Sie die Verbrauchsabgabe bei mit der Motivierung, daß große Ausgaben bevorstünden, so tun Sie das lediglich auf die Gefahr, diese Kosten durch die Lebenshaltung der Arbeiter zu decken. Die Sache liegt so, daß jedes Pfund Fleisch durch die Verbrauchsabgabe verteuert wird, gleichgültig, welche Fleischsorten man kauft. Ich habe kürzlich in einer Zeitung gelesen, daß Herr Garde in einem Referat in einem Bürgerverein gesagt hat, die Verbrauchsabgabe drücke den kleinen Mann nicht so, die Leute konsumierten heute ja viel Pferdefleisch und Margarine und würden deshalb von der Verbrauchsabgabe nicht getroffen, demnach brauchte die Verbrauchsabgabe auch nicht dringend aufgehoben zu werden. Das sind recht eigentümliche Auffassungen. Die behauptete Tatsache wirklich zugegeben, so beweist sie nur, daß mit der Verteuerung der Lebensmittel die Erhöhung der Löhne nicht Schritt gehalten hat und daß die Lebenshaltung der Arbeiter gedrückt worden ist. Soll man aber denn den kleinen Mann zum Genuß der minderwertigen, minder nahrhaften Nahrungsmittel veranlassen dadurch, daß man den Preis der besseren Nahrungsmittel durch die Verbrauchsabgabe erhöht? Gerade was Herr Garde angeführt hat, spricht dafür, daß es notwendig ist, die Abschaffung der Verbrauchsabgabe entschieden zu befürworten, damit auch die kleinen Leute in den Genuß der mehrwertigen Nahrungsmittel gelangen können.

Im übrigen habe ich mich über die Ausführungen des Herrn Dr. Dreyer gewundert. Er hat einmal mit ziemlicher Offenheit etwas für richtig erklärt, was meines Wissens bisher von den Angehörigen seiner Gesellschaftsklasse immer auf das entschiedenste bestritten worden ist, nämlich, daß die Besitzenden in Bremen die politische Macht in Händen haben. Wir haben bei der Frage der Umänderung des Wahlrechtes gerade auf diesen Umstand hingewiesen. Ich weiß nicht, woher Herr Dr. Dreyer diese Anschauung ableitet, daß es in Wirklichkeit so bleiben muß, daß die politische Macht in den Händen der Besitzenden ruhen muß – nach der Verfassung ist doch jeder Staatsbürger in den politischen Rechten den andern gleich –, ich weiß nicht, woraus das Recht zu der Behauptung geschöpft werden kann, daß derjenige, der zufällig durch Geburt oder durch eigenartige Geschäftsmaximen reich geworden ist, mehr Rechte haben soll als derjenige, der trotz ehrlicher Hände Arbeit es nicht zu Vermögen bringen kann. Nach der Anschauung des Herrn Dr. Dreyer muß also die Gesetzgebung von den besitzenden Klassen geführt und geleitet werden, die besitzlosen Klassen sind nur dazu da, zuzusehen und zu zahlen! Diese eigentümlichen Anschauungen sind niemals so offen ausgesprochen worden, wie wir sie heute von Herrn Dr. Dreyer gehört haben, Sie können sich aber darauf verlassen, daß wir sie noch häufiger zur Begründung unserer Anschauung ausnutzen werden.

Im übrigen hat Herr Grimmenstein bei der Besprechung der Deckung des Ausfalls aus der Verbrauchsabgabe erklärt, daß eine stärkere Progression der Einkommen nicht durchgeführt werden könne. Eine wirkliche Begründung für diesen Satz, der auch schon in dem Bericht zu lesen ist, finden Sie nirgends. Wir halten die stufenweise Steigerung der Einkommensteuer für durchaus richtig. Die Einkommensteuer ist jedenfalls die gerechteste der Steuern, die wir haben, und zwar deshalb, weil sie von den Betroffenen nicht abgewälzt werden kann, weil sie von ihnen voll getragen wird. Anderseits ist gerechtfertigt, daß jeder nach seiner Kraft und seinem Vermögen zu den Ausgaben des Staates herangezogen wird. Diejenigen, die große Einkommen beziehen, sind dazu zum wesentlichen Teil auf Grund unserer staatlichen Einrichtungen gekommen. Die großen Verkehrsanlagen im bremischen Staate, die bedeutenden Hafenanlagen, die Einrichtungen in unseren Häfen, sowie die Verkehrsverbesserungen innerhalb der Stadt, alle diese Einrichtungen, die aus allgemeinen Steuern und Mitteln beschafft sind, sind in erster Linie zum wesentlichen Teile den besitzenden Klassen zugute gekommen. Aus all diesen Gründen ist es durchaus berechtigt daß diese Leute, die einen großen Vorteil aus den Einrichtungen des Staates ziehen, auch kräftig zu den Steuern herangezogen werden. Herr Grimmenstein hat angeführt, daß diese Anschauung eine sozialistische sei. Er irrt sich. Wenn er sich nur ein wenig in der Finanzwissenschaft umgesehen hätte, würde er wissen, daß sich für diese Anschauung sehr bedeutende Vertreter finden. Sie ist nicht eine spezifisch sozialistische Anschauung, sondern eine Anschauung, der jeder Mensch im Interesse der Gerechtigkeit zustimmen kann. Aus diesem Grunde halten wir daran fest, daß der Ausfall, der durch Aufhebung der Verbrauchsabgabe entsteht, voll auf die Einkommensteuer gelegt wird. Herr Grimmenstein hat uns die Skala vorgeführt, wie die Einkommensteuer progressiv gestaltet ist. Die Skala ist niemand neu. Er hat sie aber nur fortgeführt bis zu 12 000 M, bei welchem Einkommen der volle Satz eintritt. Wenn aber eine progressive Einkommensteuer gerecht sein soll, so verstehe ich nicht, warum die Progression nicht steigen soll bis zu den hohen und höchsten Einkommen. Aber das ist es gerade, nicht die Einkommen unter 12 000 M, sondern gerade die höheren Einkommen sollen soviel als möglich zur Beschaffung des Ausfalls herangezogen werden. Ich will mich aber nicht weiter damit beschäftigen. Die Deputation hat geglaubt, einen Kompromiß vorschlagen zu müssen. Es wird damit auch eine Erhöhung der Grund- und Gebäudesteuer vorgeschlagen. Herr Senatskommissar Gröning hat bei seinen Ausführungen vorher versucht, die Maßregeln zu begründen, und ich muß sagen, den Ausführungen, soweit sie der Herr Senatskommissar hier gegeben hat, kann ich Wort für Wort zustimmen. Ich würde auch keinen Augenblick zögern, für die Erhöhung der Gebäudesteuer zu stimmen, wenn ich nicht die Furcht hätte, daß die Steuer abgewälzt würde auf die Mieter, so daß die Steuer in Wirklichkeit nicht die trifft, die der Herr Senatskommissar treffen will. Nichts ist gerechtfertigter, als daß die Grundeigentümer, die durch Einrichtungen des Staates, durch Straßenverbreiterungen usw. einen Vermögenszuwachs erzielen, zur Steuer besonders herangezogen werden; aber man muß die Sache so einrichten, daß die Steuer nicht abgewälzt wird. Deshalb bin ich nicht für eine Erhöhung der Gebäudesteuer, weil ich der Überzeugung bin, daß die Grundeigentümer, zumal sie sich jetzt eine besondere Organisation gegeben haben, die Steuer auf die Mieter abwälzen werden. Auch ein soziales Moment kommt dabei in Betracht. Bei Besprechung des Jahresberichts der Gewerbeinspektion haben Sie ja auch zugeben müssen, daß in bezug auf die Wohnungsverhältnisse erhebliche Mißstände bestehen. Nun sollte man dem Arbeiter die Wohngelegenheit nicht dadurch erschweren, daß man die Steigerung der Mieten begünstigt. Diese wird aber sicher eintreten. Es ist bei den Arbeiterhäusern in Betracht zu ziehen, daß die Hauseigentümer überhaupt nicht imstande sind, größere Lasten zu tragen. Die Leute, denen von den Häusern sehr wenig gehört, müssen jede Last, die neu auf das Haus kommt, übertragen. Solche Hauseigentümer sind infolgedessen gezwungen, die Mieten einfach zu steigern. Da es überhaupt an kleinen Wohnungen fehlt, bin ich überzeugt, daß die Arbeiter unter der Einführung der Steuer zu leiden haben. Es ist auch nicht zu unterschätzen, daß die Geschäftsleute hierdurch in besonderer Weise zur Besteuerung herangezogen werden, in einer Weise, die aus den allgemeinen Interessen nicht gerechtfertigt erscheint. Die Grundsteuer soll ebenfalls nach dem Vorschlage erhöht werden. Ich habe der Deputation zur Erwägung gegeben, ob für die Grundsteuer überhaupt nicht eine Änderung herbeigeführt werden könnte. Ich will das heute nicht weiter ausführen, da sich die Bürgerschaft, nachdem von bürgerlicher Seite ein dahingehender Antrag gestellt ist, demnächst mit der Sache beschäftigen wird. Aber die Sache liegt so, daß die Grundsteuer nach dem Ertrage erhoben wird. Das ist eine eigentümliche Besteuerung. In Bremen-Stadt wird wenig Grund zu landwirtschaftlichen Zwecken verwendet. Es kommt hier vor allem Baugrund in Betracht, der an der Peripherie der Stadt liegt. Die Grundeigentümer haben uns blockiert, sie vermieten vorläufig den Grund als Landparzellen an kleine Leute, erhalten davon sehr gute Zinsen und warten nun gemächlich die Zeit ab, bis die Straßenregulierungen soweit gelangt sind, daß das Kohlland Baugrund wird und sich in einen goldenen Segen verwandelt. Die Grundstücke erhalten dann plötzlich ohne das Zutun ihrer Besitzer einen großen Wert. Für solche Grundstücke müßte die Grundsteuer nach dem gemeinen Wert erhoben werden. Ich bin überzeugt, daß man dann den Leuten besser an die Fersen kommen könnte. Wenn Sie nun ferner der Meinung sind, daß wir die Einkommensteuer nicht als Ersatz für den Ausfall einführen dürfen (es ist dagegen bisher kein anderer Grund geltend gemacht, als daß eine solche Steuer für andere Zeiten aufgespart werden soll), so möchte ich Sie veranlassen, doch einer regelmäßigen Erhebung der Vermögenssteuer zuzustimmen. Die Vermögenssteuer wird zum weitaus größten Teil erhoben vom fundierten Einkommen. Diese Besteuerung muß jedenfalls gerechtfertigt erscheinen. Gegen die progressive Einkommensteuer wird vielfach eingewandt, daß sie eine Besteuerung der Intelligenz und deshalb ungerechtfertigt sei. Dieser Einwand trifft bei der Besteuerung der fundierten Einkommen nicht zu. Es gibt viele Leute, die sich auf solches Vermögen besonders etwas zugute tun. Aber dazu ist doch wahrlich keine Ursache vorhanden, denn bei manchen dieser Leute trifft das Wort von dem Bauer und den großen Kartoffeln zu. Aus diesem Grunde werde ich auch einen Antrag auf regelmäßige Erhebung einer Vermögenssteuer einbringen.

Es ist bereits in dem Bericht der Steuerdeputation festgestellt worden, inwieweit die Einkommen der kleinen Leute durch die Verbrauchsabgabe herangezogen werden. Es kommt dabei noch das Wesentliche hinzu, daß die Verbrauchsabgabe als Kopfsteuer wirkt; wer eine große Familie zu ernähren hat, wird stärker herangezogen als derjenige, der nur eine kleine Familie hat oder Junggeselle ist. Ich erlaube mir, die Bürgerschaft zu bitten, folgenden Antrag anzunehmen:

Die Bürgerschaft beschließt die Aufhebung der Verbrauchsabgabe mit dem 1. April 1902.

Als geeignete Deckung für den entstehenden Einnahmeausfall erachtet sie die stufenweise steigende Erhöhung der Einkommensteuer für Einkommen über 6000 M.


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