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Eberts Verdienste um den jungen Staat

Mit dem Eintritt der Sozialdemokratie in das Reichsministerium erhielt dieses einen ganz parlamentarischen Zuschnitt. Den 5. Oktober 1918 bezeichnete daher Ebert als den »Geburtstag der deutschen Demokratie.« Er hat vor allem die neue Wendung in der Politik Deutschlands herbeigeführt. Seine wuchtige Schaffenskraft stellte sich nun auf die feste Fundamentierung einer »Regierung des Volksvertrauens« ein. Sie war nach seiner Ansicht dazu berufen, neue sozialethische Kräfte im Volksleben zu entfesseln. Am 22. Oktober 1918 sprach er die bezeichnenden Worte: »Eine neue Zeit muß einen neuen Glauben an eine neue Gerechtigkeit wecken ... Hab und Gut können wir verlieren – die Kraft, die Neues schafft, kann uns aber keiner nehmen.«

Ebert trat nicht in das Reichsministerium ein; aber er wurde in schwerster Zeit dessen parlamentarische Hauptstütze. Von ihm ging eine Festigkeit, eine Entschlossenheit aus, die den Rücken der Männer steifte, in deren Händen die Entscheidung über das Schicksal Deutschlands lag. Und seine stählerne Energie wurde nun zu der Lösung der größten politischen Aufgaben aufgerufen.

Am 3. November krachte in Kiel die erste Gewehrsalve, und damit begann der Zusammenbruch in Deutschland. Die Kieler Matrosen waren in Aufruhr, und das Gerücht von dieser Rebellion trug eine heftige nervöse Aufregung in die Berliner regierenden Kreise. In dem Durcheinander, das die Kieler revolutionäre Erhebung in Berlin erzeugt hatte, bewährten sich wieder die starken Nerven und der klare Kopf Fritz Eberts. Er lenkte die Aufmerksamkeit der regierenden Männer auf den Mann, der in Kiel Ordnung schaffen und den Ausbruch der Verzweiflung in geordnete Bahnen lenken konnte: auf Gustav Noske. Dieser hat die Rolle Eberts in dieser gefahrdrohenden Situation so geschildert: »Am Montag, den 4. November, am Vormittag, etwa gegen elf Uhr, rief mich Philipp Scheidemann, der kürzlich im Kabinett des Prinzen Max von Baden Staatssekretär ohne Portefeuille geworden war, im Reichstagsgebäude an, wo ich in der letzten Zeit mit meinem Freund Fritz Ebert, dem damaligen Vorsitzenden der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, täglich weilte, um zu den sich überstürzenden politischen Ereignissen Stellung nehmen zu können. Scheidemann deutete kurz an, in Kiel seien bedenkliche Dinge vorgekommen. Es müsse jemand sofort dorthin fahren. Ebert habe auf meine Anwesenheit in Berlin aufmerksam gemacht. Sofort möchte ich zu weiterer Rücksprache in die Reichskanzlei kommen.« (»Von Kiel bis Kapp« von Gustav Noske.)

Noske wird Gouverneur von Kiel, er zerbricht den Widerstand gewaltrevolutionärer Fanatiker, die eine rote Armee bewaffnen wollen, und hält mit fester Hand die Ordnung aufrecht. Mit großer Menschenkenntnis hat Ebert den Mann entdeckt, der die demokratische Republik vor dem Ansturm des spartakistischen Radikalismus retten kann.

Die revolutionäre Feuerlawine wälzt sich nun über die ganze Wasserkante. Die Stunde gebietet die schleunige Beseitigung des ganzen autoritären Systems, die Entfernung des Kaisers und des ihm gleichgesinnten Thronfolgers und den Fortfall aller die Volksbewegung hemmenden Schranken. Am 7. November 1918 fordern die Vorstände der Sozialdemokratischen Partei und sozialdemokratischen Fraktion: die Freigabe der verbotenen Versammlungen, Anweisungen an die Polizei und das Militär zur äußersten Besonnenheit, Rücktritt des Kaisers und Kronprinzen bis zum 9. November nachmittags, Verstärkung des sozialdemokratischen Einflusses in der Regierung und die Umgestaltung des preußischen Ministeriums im Sinne der Mehrheitsparteien des Reichstags. Zugleich künden die Sozialdemokraten den Rücktritt ihrer Vertreter aus der Regierung an, wenn bis zum 9. November nachmittags keine befriedigende Antwort auf diese in Form eines Ultimatums gestellten Forderungen eintreffen sollte. Die Antwort verzögerte sich, und am 9. November gingen die Berliner Regimenter zur Revolution über, nachdem sie von Wels zum Anschluß an diese aufgefordert worden waren. Stillschweigend verschwanden die Stützen des Thrones, und kein Offizierkorps verblutete sich für die Interessen des »obersten Kriegsherrn«.

In der Nacht zuvor wurde Ebert von der Reichskanzlei aus angerufen und gefragt, wie er die gegenwärtige Lage beurteile. Ebert, der kurz vorher aus einer Versammlung der Betriebsräte zurückgekommen war, gab dahin Auskunft, daß die Situation überaus ernst wäre; die Massen könnten kaum mehr zurückgehalten werden, und das Schicksal werde nun seinen Lauf nehmen. In der Frühe des anderen Tags nahm er an einer entscheidenden Regierungskonferenz teil. Unter der Zustimmung sämtlicher Staatssekretäre wurden ihm vom Prinzen Max die Geschäfte des Reichskanzlers übertragen. Er übernahm in kritischster Stunde diesen Posten. In einer Proklamation an das Volk verkündet er: »Die neue Regierung wird eine Volksregierung sein.«

Als prinzipienfester Demokrat betreibt er nach dem Novembersturz, der ihn zum Volksbeauftragten erhoben hatte, mit der ihm angeborenen Entschlossenheit die Wahlen zur Nationalversammlung. Bereits am 23. November erklärt er dem Vertreter der »Weser-Zeitung«: »Ich bin fest überzeugt, für Deutschland ist die gesetzgebende Versammlung eine Lebensnotwendigkeit.«

Auf der Reichskonferenz der Minister der Einzelstaaten am 25. November 1918 drängt er mit Anspannung aller seiner Kräfte auf die baldige Einberufung einer konstituierenden Nationalversammlung. Auf seinen Vorschlag hin wird als Ergebnis der Reichskonferenz festgelegt: Aufrechterhaltung der Einheit Deutschlands und Berufung einer konstituierenden Nationalversammlung. Bis zum Zusammentritt dieser Versammlung sollen die Arbeiter- und Soldatenräte die Repräsentanten des deutschen Volkes sein.

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Totenmaske, hergestellt von Prof. Kolbe, Berlin

Dieses Programm hat Ebert strikt innegehalten. Als ihn am 6. Dezember 1918 Soldaten vor dem Reichskanzleramt zum Präsidenten der Republik ausrufen wollten, rief er ihnen mit starker Stimme zu: »Ich kann und will nicht annehmen, ohne vorher mit meinen Freunden in der Regierung gesprochen zu haben.«

Über die Verfassungsform des Deutschen Reiches wollte er nicht die Diktatur irgendeiner sozialen Gruppe, sondern das ganze Volk entscheiden lassen. In der Regierung der Volksbeauftragten »überwog« er, wie Scheidemann bezeugt, bei weitem den Volksbeauftragten Haase. Er übernahm im Rate der Volksbeauftragten »Inneres und Militär«. Schnell wuchs er in seine neuen Aufgaben hinein, er kam nach Scheidemann »ganz gut« mit dem Berufsmilitär, dem Kriegsminister Scheuch, aus.

In den ersten Wochen nach der Novemberrevolution ist Fritz Ebert Tag und Nacht auf den Beinen gewesen. Er sah mitunter acht bis vierzehn Tage seine Familie nicht. In der Tat, der Rastlose glaubte seiner Familie keine Minute schenken zu können; denn er mußte jederzeit bereit sein, in das Chaos, das ihn rings umgab, persönlich ordnend eingreifen zu können. Mit Hochdruck trieb nämlich Karl Liebknecht die Revolution im bolschewistischen Geiste »weiter«. Er wollte auf dem Wege des bewaffneten Aufstandes die »Diktatur des Proletariats« aufrichten, und er organisierte die »rote Garde« zum Angriff auf die Regierung Ebert-Scheidemann.

Am 23. Dezember 1918 lodert in Berlin der Aufstand der Volksmarinedivision auf und Matrosen schließen die Volksbeauftragten in der Reichskanzlei ein. Sie setzen den Berliner Stadtkommandanten Otto Wels im Marstall gefangen und bedrohen ihn mit dem Tode. Am 24. Dezember erhält der General Lequie den Befehl zum Angriff gegen die rebellischen Matrosen. Die Lage der Regierung ist verzweifelt. Da telephoniert Fritz Ebert am Nachmittag des zweiten Weihnachtsfeiertags an Noske: »Du mußt sofort nach Berlin kommen.« Abermals hat Ebert den Mann entdeckt, der die eiserne Kraft zur Niederwerfung einer die Existenz der demokratischen Republik gefährdenden Rebellion besitzt.

Am 6. Januar wird Noske zum Gouverneur von Berlin eingesetzt, und dieser erstickt den Liebknechtschen Aufruhr in blutigen Straßenkämpfen. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg werden von reaktionären Offizieren feig und gräßlich hingemordet.

Wenn die Demokratie über die »Diktatur des Proletariats« triumphierte, so ist das nicht zuletzt dem Volksbeauftragten Fritz Ebert zu danken. In der Sitzung der Deutschen Nationalversammlung vom 11. Februar 1919, die Ebert zum Reichspräsidenten erwählte, hat Dr. David mit lebenskräftigen Farben die schreckliche Gefahr gemalt, in der die deutsche Demokratie durch die Ausartung der Staatsumwälzung in einen wilden Bürgerkrieg schwebte. Er führte unter anderem aus: »In dieser gefahrschwangeren Stunde, in dieser Schicksalsstunde des deutschen Volkes, trat Ebert an die erste Stelle. Daß die deutsche Revolution nicht dem Beispiel der russischen gefolgt ist, daß sie nicht wie dort in ein blutiges Chaos zur völligen Auflösung von Recht und Ordnung geführt hat, daß sie nicht zur Zerrüttung alles politischen und wirtschaftlichen Lebens geführt hat, das ist zum größten Teil das Verdienst des Mannes, den Sie heute an die Spitze des Reiches berufen. So darf das deutsche Volk das Vertrauen haben, daß es der bewährten politischen Klugheit, Tatkraft und Willensfestigkeit des an die erste Stelle berufenen Mannes gelingt, auch weiterhin die junge Freiheit zu schützen vor allen Gefahren, sie kommen von rechts oder links.«

Fritz Ebert hat den Boden für »die demokratischste Verfassung der Welt« geebnet. In der Weimarer Verfassung ist der demokratisch-soziale Geist, der schon im Jahre 1870 der Annexionspolitik Bismarcks mit rebellenhaftem Trotze entgegentrat, rein ausgeprägt worden. Der neue demokratisch-soziale Staat ist in seinen wirtschaftlich-sozialen Zielen weit über die Forderungen einer formal-politischen Demokratie hinausgewachsen. Das Wirtschaftsleben soll nach der deutschen Reichsverfassung den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen. In der Weimarer Verfassung hat sich das neue Deutschland durchgesetzt, für das Fritz Ebert ein Menschenalter gerungen hat. Aus tiefster Überzeugung heraus hat er im August 1919 die Weimarer Verfassung beschwören können.

Sieben Monate später, am 13. März 1920, hatte er als Reichspräsident Gelegenheit, die von ihm beschworene Verfassung verteidigen zu können.

Am 10. März 1920 geht dem Reichswehrminister Noske ein von Berger unterzeichneter Bericht über die Gärung in der Reichswehr und in den Kreisen der alten Armee zu. Die Seele des Aufruhrs ist General Lüttwitz. Noske informiert sofort den Reichspräsidenten über die Vorkommnisse in der Reichswehr. Er weiß, welche Stütze er gerade in einer katastrophalen politischen Lage in der festen Entschlossenheit Eberts findet. Noske erfährt, daß Lüttwitz vom Reichspräsidenten Ebert empfangen werde. Er ruft Ebert telephonisch an und bittet, zu der Aussprache mit Lüttwitz hinzugezogen zu werden. Ebert ist damit einverstanden. Lüttwitz packt das politische Programm der rechtsgerichteten Kreise aus: Neuwahlen, Wahl des Präsidenten durch das Volk, Fachminister.

Ebert bewahrt seine gewohnte Kaltblütigkeit. Er läßt sich durch die scharf vorgetragenen Forderungen eines säbelrasselnden Generals nicht einschüchtern. Er verbreitet sich mit voller Ruhe über die politische Lage und gibt dem angehenden Rebellen zu verstehen, daß der Appell an die Furcht in seinem Herzen kein Echo findet. Noske entgegnet dem Lüttwitz, kein General der Reichswehr dürfe mit Forderungen auftrumpfen. Er teilt ihm kurz mit, daß er ihm die Verfügung über die Marinebrigaden entziehe. Lüttwitz wird ganz klein, er versichert, er hege keine Abneigung gegen den Reichspräsidenten und gegen den Reichswehrminister. Er gibt dem General Oldershausen zu verstehen, daß er so mitgenommen sei, daß er sich sofort niederlegen müsse. Lüttwitz wird in der Aussprache so gedemütigt, daß Ebert annimmt, daß der General um seinen Abschied einkommen müsse.

Am 12. März 1920 hat der Reichswehrminister Noske sichere Beweise von einem hochverräterischen Anschlag gegen die Reichsregierung in der Hand. Noske ist entschlossen, den von Lüttwitz und Ehrhardt kommandierten Rebellen verfassungstreues Militär entgegenzuwerfen. Offiziere des Reichswehrministeriums erheben den Einwand, Reichswehr werde nicht auf Reichswehr schießen. Noske ruft in dieser ernsten Lage den Reichspräsidenten und Reichskanzler an und schlägt die Zusammenberufung des Kabinetts vor, damit dieses durch einen entscheidenden Schritt die Situation kläre. Ebert bewahrt in dieser Stunde der Gefahr eine eiserne Ruhe; er drängt auf einen klaren und festen Entschluß der versammelten Minister. Doch der Feind steht schon gerüstet vor den Toren Berlins. Auf ein kraftvolles Niederwerfen der Aufständischen ist nicht mehr zu hoffen.

Gustav Noske hat in seinem Beitrag zur Geschichte der Revolution »Von Kiel bis Kapp« die Situation am Vorabend des Kapp-Putsches so geschildert: »Die Mitglieder des Reichskabinetts kamen nach und nach, ebenso einige preußische Minister. Jeder wollte informiert werden. Zu einer regelrechten Sitzung kam es nicht, so sehr Ebert mit unerschütterlicher Ruhe bemüht war, eine kühle, überlegene Aussprache herbeizuführen. Erneut wurde als Überzeugung des Militärs festgestellt, die Aufnahme des Kampfes bedeute zweckloses Blutvergießen, da der Erfolg der Rebellen sicher sei. Darauf erhielt General Reinhardt – dieser wollte die treuen Reichswehrtruppen gegen die Rebellen führen (D. V.) –, der mit im Zimmer des Kanzlers weilte, während die übrigen Offiziere in der Bibliothek standen, den Befehl, die Truppen zu entlassen. Nach kurzer Aussprache kam man überein, daß es unzweckmäßig sei, wenn alle Minister in Berlin blieben, da sie durch Verhaftung aktionsunfähig gemacht werden würden.«

In früher Morgenstunde des 13. März verabschiedete sich Ebert schnell von seiner Frau. Er teilte ihr nicht mit, wohin er zunächst gehen würde. Sie sollte selbst bei Anwendung äußerer Zwangsmittel mit ruhigem Gewissen sagen können: sie wisse nicht seinen Aufenthalt anzugeben. Bald nachher rückten die ersten Soldaten ein. Sie wunderten sich, daß nicht an allen Wänden die Bilder der sozialdemokratischen Parteiführer hingen, sie erstaunten, daß sie in den Wohnungen nicht die fabelhaften Schätze fanden, über die in den Kreisen Ehrhardts so merkwürdige Gerüchte umliefen.

Zunächst steuert der Reichspräsident auf Dresden zu, und als dieses auch noch nicht sicher vor putschistischen Überfällen zu sein scheint, geht er nach Stuttgart. Hier treten die Reichsminister zusammen, und hier vereinigen sich auch die Reichsboten. Ebert hält das Reichssteuer fest in den Händen, und in wenigen Tagen ist der Kapp-Putsch »erledigt«. Er ist an dem kraftvollen Widerstand organisierter Arbeiter und Beamten zusammengebrochen.


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