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Die neue Weltpolitik

Das neue Deutschland des Jahres 1918 steht in enger Blutsverwandtschaft mit dem Deutschland des Jahres 1848. Daß die Geschichte dieses deutschen Freiheitsjahres in der Gedanken- und Gefühlswelt der deutschen Arbeiterschaft lebendig blieb, dafür hatte eine umfassende historische und politische Literatur der Sozialdemokratie Sorge getragen. Alljährlich feierte ferner das sozialistische Proletariat den 18. März 1848 als den Geburtstag der deutschen Freiheit. Auf den Gräbern der Märzgefallenen hob sich vom dunklen Grün der Kränze das seidene Rot der sozialdemokratischen Widmungsschleifen ab. Der deutsche Arbeiter verschmolz in seinem politischen Denken die Idee der Freiheit organisch mit dem nationalen Einheitsgedanken.

Fritz Ebert ist tief in die sozialdemokratische Literatur des Jahres 1848 eingedrungen, und er ist mit ihr ein demokratisch-sozialistischer Großdeutscher geworden. Die Grundlinien der Weltpolitik von Karl Marx haften fest in seiner Erinnerung. In Marx flammen schon im Jahre 1848 die Grundlinien einer demokratisch-sozialistischen Weltpolitik auf. In allen Ländern mit kapitalistischer Wirtschaft sieht er die gleichen kollektiven Produktionsformen emporstreben, und in allen diesen Ländern ist nach seiner Ansicht eine proletarisch-demokratische Politik möglich. Nur im Rahmen großer zentralisierter Nationalstaaten kann sich nach Marx diese Politik zu einer weltumgestaltenden Kraft entfalten. Ein föderiertes Europa schwebt seinem kühnen, weitausschauenden Geiste vor: »Die Vereinigten Staaten von Nordamerika,« so schreibt er in der »Neuen Rheinischen Zeitung«, »abgesehen davon, daß sie alle gleichartig konstruiert sind, erstrecken sich über eine Fläche so groß wie das zivilisierte Europa. Nur in einer europäischen Föderation können sie eine Analogie finden. Und damit Deutschland sich mit anderen Ländern föderiert, muß es vor allem ein Land werden.«

In der »Inauguraladresse« und den Statuten der Internationale (1864) eröffnete dann Marx einen grundsätzlichen Kampf gegen die auswärtige Geheimpolitik der Großmächte. In dieser Adresse richtete er einen Sturmangriff gegen den russischen Zarismus, weil diese »verfinsterte asiatische Macht« von der Aristokratie und Bourgeoisie als letzte Zuflucht gegen das Vorschreiten der Arbeiterklasse betrachtet würde. Unter der sichtbaren Führung von Marx steuerte die Internationale auf die Aufhebung der großen stehenden Heere und auf eine allgemeine Volksbewaffnung los. Beseitigung des bewaffneten Friedens, Verbrüderung aller Völker forderten die Kongresse der Internationale wiederholt. Resolutionen gegen den Krieg beschlossen die Kongresse der Internationale in Lausanne 1867, in Brüssel 1868, in London 1888, in Paris 1889, in Brüssel 1891, in Zürich 1893, in London 1896, in Paris 1900, in Stuttgart 1907, in Kopenhagen 1910 und in Basel 1912. Der Völkerbundgedanke leuchtet schon 1867 hell in dem Beschluß der Internationale auf, in dem sie einen allgemeinen und freien Bund der Völker fordert. Und kurz vor dem Ausbruch des Weltkrieges stellt noch der außerordentliche sozialistisch-internationale Kongreß in Basel der kapitalistischen Welt der Ausbeutung und des Massenmordes die proletarische Welt des Friedens und der Verbrüderung der Völker entgegen.

Im Juli 1914 hat Fritz Ebert als Mitglied des Parteivorstandes die großen Demonstrationen der Sozialdemokratie gegen den Krieg organisiert. Das Manifest des Parteivorstandes vom 25. Juli 1914 verurteilte in schärfster Form die »frivole Kriegsprovokation« der österreichisch-ungarischen Regierung. Das Manifest rief leidenschaftlich in die Welt hinaus: »Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Krieg! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!«

Das verbrecherische österreichische Ultimatum, die täppischen Handlangerdienste der deutschen Diplomaten und Militärs für die Treibereien der schwarzgelben Kriegshetzer, die Intrigen der russischen Kriegspartei und die von ihr entfesselte allgemeine Mobilisierung der russischen Armee, sie waren mächtiger als der Friedenswille des sozialistischen Proletariats, und sie setzten die Welt in Brand.

Als überzeugter Anhänger einer weitsichtigen Völkerverbrüderungspolitik richtete Fritz Ebert fest seine Augen auf die schnelle Beendigung des massenmörderischen, wohlstandvernichtenden Weltkrieges. In der von der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion beschlossenen Erklärung vom 4. August 1914 hieß es u. a.: »Nicht für oder gegen den Krieg haben wir heute zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel ... Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Siege des russischen Despotismus, der sich mit dem Blut der Besten seines Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiele. Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und die Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen ... Wir fordern, daß dem Kriege, sobald das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird durch einen Frieden, der die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht ... Wir hoffen, daß die grausame Schule der Kriegsleiden in neuen Millionen den Abscheu vor dem Kriege wecken und sie für das Ideal des Sozialismus und des Völkerfriedens gewinnen wird. Von diesen Grundsätzen geleitet, bewilligen wir die geforderten Kriegskredite.«

Der Verständigungsfriede dieser sozialdemokratischen Erklärung vom 4. August 1914 konnte jedoch nur durch ein neues demokratisches Deutschland durchgesetzt werden, das den Einfluß des autoritären Militarismus ausschaltete und die modernen sozialen Klassen im Staat und in der Verwaltung zur Herrschaft berief. Ebert setzte daher seine Bestrebungen zur Beseitigung des preußischen Dreiklassenstaates und zur Einführung des demokratischen Parlamentarismus mit verdoppeltem Eifer im Kriege fort.


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