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Aus einer Reichstagsrede.
21.12.1915
Die sozialdemokratische Partei hat seit Anbeginn dieses Weltkrieges ihren Willen und ihre Kraft dafür eingesetzt, daß Deutschland in dem schwersten Existenzkampf gegen die ungeheure Koalition seiner Gegner bestehen kann und gesichert werde. Zugleich aber hat unsere Partei unausgesetzt danach gestrebt, die unermeßlichen Verwüstungen des Krieges zu beendigen und den Völkern Europas den heißersehnten Frieden wiederzugeben. Wir haben wiederholt unsere Hand ausgestreckt, damit die Vertreter der Arbeiterklassen in den anderen Ländern sie ergreifen sollen und damit wir gemeinsam die Möglichkeiten der Friedensanbahnung und die Grundlagen eines dauernden Friedens besprechen können.
Zu unserem tiefen Bedauern sind diese Bemühungen bisher noch nicht zu dem gewünschten Erfolg gediehen. Wohl hat sich an manchen Stellen ein Schimmer von Hoffnung gezeigt. In England und Frankreich machen sich mit zunehmender Stärke Stimmen geltend, die die Fortsetzung des Krieges ins Unabsehbare beklagen und bekämpfen und einen ehrenvollen Frieden fordern. In neutralen Staaten sind neue Anregungen gegeben, eine Vermittlung zwischen den Kriegführenden einzuleiten. Wir weisen auch hin auf die Worte, die das Oberhaupt der katholischen Kirche jüngst gesprochen hat. Ungeachtet aller Verschiedenheit der Weltanschauung sind wir erfreut, daß auch von dieser Seite eine so ernste Ermahnung an die Völker und ihre Regierungen ergangen ist.
Diesem Bestreben stehen aber leider noch immer sehr ungünstige Tatsachen und Hindernisse im Wege. In England und Frankreich, in Rußland und Italien wollen sich die Regierungen und die maßgebenden Parteien noch keineswegs in den Gedanken finden, daß ihr Bündnis, dieser Zusammenschluß der mächtigsten und volkreichsten Länder, nicht imstande gewesen ist, Deutschland und seine Verbündeten niederzuzwingen.
Sie halten noch an der Hoffnung fest, durch Aufstellung neuer Heere oder durch wirtschaftliche Erschöpfung Deutschlands dem Krieg eine neue Wendung zu geben und schließlich als Sieger aus dem Kampfe hervorzugehen. Die leitenden Männer der gegen uns Krieg führenden Staaten haben noch bis in die letzten Tage hinein erklärt, daß sie jeden Gedanken an Frieden ablehnen, bevor nicht die deutsche Wehrmacht zerschmettert und die gegen Deutschland und seine Verbündeten gerichteten Eroberungsziele erreicht sind. Gegenüber dieser Tatsache ist es unerläßliche Pflicht des gesamten deutschen Volkes, seine Abwehr fest und geschlossen zu erhalten und die zu dieser Abwehr erforderlichen Mittel bereitzustellen. Sie dienen dem Schutz von Haus und Herd, sie befähigen unsere Brüder und Söhne, die Wacht an den Fronten auch weiterhin zu halten.
Aus diesen Mitteln müssen aber auch in höherem Maße als bisher den Familien der Kriegsteilnehmer und allen sonstigen Notleidenden Hilfe und Unterstützung geleistet werden. Die Lebensmittelversorgung der Minderbemittelten muß durch Festsetzung von Höchstpreisen, Beschlagnahme aller notwendigen Nahrungsmittel und planmäßige Verteilung mehr als bisher sichergestellt werden. Nur so wird dem Unwillen des Volkes über unzureichende behördliche Maßnahmen und wucherische Ausbeutung gesteuert und seine Widerstandskraft gestärkt werden.
Wir erheben aber auch in dieser Stunde wiederum unseren Einspruch gegen alle Eroberungspläne, die darauf ausgehen, andere Völker zu vergewaltigen. Dadurch würde die nationale Kraft und Einheit des Deutschen Reiches geschwächt, seine Beziehungen nach außen dauernd geschädigt und der Keim zu neuen Kriegen gelegt werden.
Das deutsche Volk und seine Verbündeten haben unvergleichlich Großes vollbracht. Es ist gelungen, nicht nur unser Land und die Staaten der Verbündeten, denen bereits der Untergang angedroht war, gegen die von allen Seiten anstürmende Übermacht zu sichern, sondern auch die von Osten drohende ungeheure Gefahr für die gesamte westeuropäische Kultur weit zurückzuwerfen. Kein Gegner und keine Koalition von Gegnern kann sich danach in Zukunft vermessen, das deutsche Volk niederzuzwingen und in seiner Entwicklung zu hemmen.
Der Herr Reichskanzler hat in der Sitzung vom 9. Dezember ausgesprochen, daß er jederzeit bereit ist, in die Diskussion über Friedensangebote einzutreten, die der Würde und der Sicherheit Deutschlands entsprechen. Er hat die Verantwortung abgelehnt für die Fortsetzung des entsetzlichen Elends, das Europa und die Welt erfüllt. Wir wünschen aufs dringendste, daß die deutsche Regierung jede Möglichkeit zu Friedensverhandlungen bereitwillig wahrnimmt. Deutschland ist durch seine Stärke über jede Mißdeutung seiner Friedensbereitschaft erhaben.
Indem wir so den unveräußerlichen Geboten der Menschlichkeit dienen, dienen wir zugleich den Zukunftsinteressen des deutschen Volkes.