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Im Mai 1894 feierte Fritz Ebert mit seiner Braut Luise Rump in Bremen Hochzeit. Zwei Menschen hatten sich in dieser Ehe zusammengefunden, deren ganzes Leben auf Arbeit und wieder Arbeit eingestellt war. In der Brautstraße 16, einer lebhaften Geschäftsstraße, die nicht fern von der »Kleinen Weser« liegt, pachteten sie eine geräumige Gastwirtschaft. Die Wirts- und Wohnräume füllten das ganze Haus. Unten, parterre, wirtschaftete die rastlose Frau Luise, und oben lagen Versammlungssäle und die Familienwohnung. Die eigentliche Seele einer Gastwirtschaft pflegt immer die Frau zu sein, von deren Sauberkeit, Fleiß und Sparsamkeit das Gedeihen des ganzen Betriebes durchweg abhängt.
Frau Ebert war ihrem Manne eine hingebende Gattin, eine gleichstrebende Kameradin, eine treffliche Wirtschafterin und Gehilfin, und den Kindern – in sechs Jahren gebar sie fünf Kinder – eine liebende, treusorgende Mutter. Im Sinne des Psalmisten kann man von einer »köstlichen« Ehe Eberts reden, denn diese Ehe ist stets Mühe und Arbeit gewesen.
Die Gastwirtschaft eines Arbeiterführers war damals eine wahre Arbeiterbörse, in der sich die Arbeiterkundschaft über den Gang der Geschäfte, über die politische Situation, über die Lage der Arbeiterbewegung ständig erkundigte. Ebert war als ein politisch und wirtschaftlich gut geschulter Mann überall in Bremen bekannt. Erleidet ein Arbeiter einen Betriebsunfall, so geht er zu Ebert; denn dieser ist ja genau über alle Schritte informiert, die der Unfallverletzte zur Wahrnehmung seiner Unfallansprüche zu gehen hat. Jeder größere Vorfall in einer Fabrik, der vielleicht zu Arbeiterentlassungen führt, wird mit Ebert besprochen. Ebert war ja Vorsitzender der Bremer Partei, und zu jeder Tag- und Nachtstunde mußte er zu jeder Auskunftserteilung bereit sein.
Die vielen und komplizierten Partei- und Gewerkschafts-Aufgaben, die ihm zugewiesen wurden, erledigte er mit größter Pünktlichkeit und mit schönem Erfolg. Die Parteiorganisation wuchs in Bremen in die Breite und Tiefe. Und als die Bremer Arbeiterschaft endlich die Mittel aufgebracht hatte, um ein eigenes Auskunftsinstitut, ein Arbeitersekretariat für Rat und Hilfe suchende Arbeiter zu schaffen, da erwählte sie selbstverständlich Fritz Ebert zum Bremer Arbeitersekretär. Ebert hing den »selbständigen Geschäftsmann« an den Nagel, er wurde angestellter, »unselbständiger« Arbeiterbeamter, aber diese Unselbständigkeit war ein Schritt zur Selbständigkeit, zu größerer, innerer und äußerer Freiheit.
Für den Aufstieg Friedrich Eberts zum führenden Politiker Deutschlands ist seine erfolgreiche Betätigung im Bremer Arbeitersekretariat von entscheidender Bedeutung gewesen. Schon den politischen Laien wird es kaum entgangen sein, in wie großer Zahl deutsche Arbeitersekretäre aller politischen Richtungen in den deutschen Reichstag eingerückt sind. Das Arbeitersekretariat ist ein ausgesprochen deutsches Institut, das aus der von Bismarck begründeten sozialen Gesetzgebung heraus geboren ist. Der staatliche Zwangsversicherungsgedanke, der besonders klar von August Bebel ausgesprochen und später von Bismarck verwirklicht worden ist, führte Millionen deutscher Arbeiter den Krankenkassen zu. Weitere Millionen wurden der staatlichen Unfall- und Invalidenversicherung eingegliedert. Um die aus der sozialen Versicherung entspringenden Rechte der erkrankten, Unfallverletzten und invaliden Arbeiter wirksam vertreten zu können, mußten sich sachkundige Männer berufsmäßig mit dieser Gesetzgebung beschäftigen. Und so ist denn der deutschen Arbeiterklasse aus dieser Versicherung ein eigenartiges, ihren Interessen angepaßtes Rechtsinstitut mit vollständiger Volkskontrolle erstanden. Mit diesem Institut hat sich ein sachverständiges, sich dem Rechtsschutz und der Rechtsbelehrung widmendes Beamtentum entwickelt, das von den Arbeitern gewählt und in allen seinen Handlungen überwacht wird.
Friedrich Ebert wurde im März 1900 in Bremen auf den Posten eines Arbeitersekretärs gestellt. Es spricht für die Gründlichkeit dieses Mannes, daß er sich sofort persönlich auf einer Studienreise durch Deutschland in die weitverzweigten und schwierigen Geschäfte eines Arbeitersekretärs einführen ließ. So verweilte er mehrere Tage im Arbeitersekretariat Frankfurt a. M. Mit größtem Interesse arbeitete er dort die Akten durch, die oft so beredt von den tragischen Lebensschicksalen ganzer Familien zeugten. Das Stück hochbewegten sozialen Dramas, das sich alltäglich in einem deutschen Arbeitersekretariat – mitunter direkt seelisch erschütternd – abspielt, sprach da zu einem stark sozial empfindenden Herzen. Rechtsuchende gingen in ununterbrochener Folge durch das Arbeitersekretariat Frankfurt a. M. Wie interessierten den jungen werdenden Arbeitersekretär Ebert die einzelnen Typen der Klientel des Frankfurter Sekretariats! Von dem Lumpenproletariat an, dessen Sprossen oft in den dunklen Gassen Alt-Frankfurts eine ganz verkommene Zuhälterexistenz führten, bis zu den im behaglichen Wohlstand lebenden Mittelklassen waren alle sozialen Gruppen unter den Schutzbefohlenen des Sekretariats vertreten. Wie schwierig war es oft, aus den zusammenhanglosen Angaben verunglückter Arbeiter ein klares Bild von ihren Betriebsunfällen zu gewinnen! Neben den zaghaft und bescheiden auftretenden Unfallverletzten trat mitunter der aufbegehrende Simulant, der bestimmte Nervenleiden erfand oder vorhandene grob übertrieb. Es gereicht der deutschen Arbeiterklasse zur Ehre, daß die Simulanten unter ihr selten sind. Es bedarf aber eines hohen Maßes von Menschen- und Sachkenntnis, um den Prozeß eines Unfallverletzten mit Aussicht auf Erfolg vor den rechtsprechenden Instanzen zu führen. Hatte ein Unfallverletzter das Sekretariat verlassen, so folgte ihm vielleicht eine Ehefrau auf dem Fuße, die ihr Recht gegen ihren pflichtvergessenen Ehemann sucht, der sie betrogen hat und sie daheim hungern und darben läßt. In völliger Nacktheit entfaltet sich im Sekretariat oft der niederdrückende Jammer proletarischer Ehen, das erschütternde Herzeleid verlassener geschwängerter Mädchen, die grausige Not der unehelichen Kinder.
Fürwahr, es war ein schwieriges, verantwortliches Amt, zu dem Ebert durch das Vertrauen der Bremer Arbeiterschaft berufen wurde. Und er lebte sich, da er tief in den Anschauungen und Gefühlen der Arbeiterklasse wurzelte, schnell und leicht in die Funktionen eines Arbeitersekretärs ein. Eine schwere Arbeitslast fürwahr hatte er im Bremer Arbeitersekretariat zu bewältigen. Er hatte Auskunft über die Arbeiterversicherung, über den Arbeits- und Dienstvertrag, über das bürgerliche Recht und das Strafrecht, über den Zivil- und Strafprozeß, über das gesamte Gebiet der Gewerbeordnung, über Staats- und Gemeindeangelegenheiten usw. zu erteilen. Viele Betriebsunfälle forderten die Anlage von Akten. Dann waren Prozesse für die bestrittenen Ansprüche der Unfallverletzten vor den Schiedsgerichten für Arbeiterversicherung und vor dem Reichsversicherungsamt zu führen. Sanitäre Mißstände in den Betrieben mußten der Gewerbeinspektion in der Form von ausführlichen, durch beweiskräftige Tatsachen begründeten Beschwerden mitgeteilt werden. Viele Mühe brachte das Arbeitersekretariat in dem Kampf gegen die Wuchergeschäfte unsolider Abzahlungsgeschäfte auf. Den Unbemittelten mußte das Arbeitersekretariat bei der Erlangung des Armenrechts mit Rat und Tat zur Hand gehen. Zahlreiche Streitigkeiten, die langwierige und kostspielige Prozesse nach sich gezogen hätten, wurden durch die vermittelnde Tätigkeit des Arbeitersekretärs Ebert gütlich beigelegt.
Das Arbeitersekretariat Bremen wurde für Ebert eine treffliche Schule für seinen politischen Beruf. Hier im Sekretariat fielen alle Hüllen vom Menschen ab, und ganz nackt stand dieser da im hellen Tageslicht. Wie oft wird der Proletarier künstlich von Leuten konstruiert, die ihre ganze Kenntnis vom proletarischen Hinterhause aus einigen grau-theoretischen Werken, einigen statistischen trockenen Tabellen und einigen verstiegenen Romanen gezogen haben? Leider schreiben auch unsere Gesetzgeber häufig auf ihre Gesetztafeln Rechtssätze, die ganz lebensfremd sind. Das Arbeitersekretariat erzieht nun trefflich zur klaren Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse, da es mitten in das bewegte Leben selbst gestellt ist. Tausende von Hilfesuchenden öffnen ihre Herzen den Arbeitersekretären, und diese blicken in das vielverschlungene Netz menschlicher Beweggründe. Sie sehen die engen Zusammenhänge von Not und Verbrechen, von Elend und Entartung, und sie haben greifbar die Ursachen der sozialen Massenerscheinungen vor Augen, die unsere Gesetzgebung zu gesetzlichen Eingriffen drängt. Kein Wunder, daß der erprobte, vom sozialen Leben erzogene Arbeitersekretär zum Gesetzgeber berufen ist.
Und in welche Rechtsmaterien dringt er durch die Praxis und nicht durch bloßes gelehrtes Studium ein?
Man erstaunt förmlich über die Fülle von Rechts- und Verwaltungsfragen, die an jeden deutschen Arbeitersekretär täglich herantreten. Dieser häuft daher in wenigen Jahren ein geradezu riesenhaftes praktisches Wissen an – ein Wissen, das, täglich erlebt und angewendet, gleichsam mit ihm verwächst.
In bürgerlichen Kreisen mit guter formaler Bildung zerbricht man sich häufig den Kopf über die Tatsache, daß sich ehemalige Arbeiter in den Reichstagskommissionen als treffliche Juristen erweisen. Diese Kreise vergessen die praktisch juristische Schulung dieser Arbeiter in den Rechtsstreitigkeiten des Lebens. Welchen Einblick in den Kampf ums Recht erhält z. B, schon ein gewerkschaftlicher Organisationsleiter, ein politischer Vereinsvorstand, – und nun vor allem erst ein Arbeitersekretär!
In dem Arbeitersekretariat Bremen wurde der scharfe Sinn Fritz Eberts für die Realitäten des Lebens, für die tatsächlichen Momente in den rechtlichen und politischen Kämpfen der Zeit in ganz hervorragender Weise fortgebildet.
Freunde und Kollegen Eberts haben wiederholt geäußert, daß ihm das rationalistische, derb-verständige Bremen zu einer zweiten Heimat wurde. Der realistische Pfälzer fand sich prächtig unter den gradlinigen Menschen der Wasserkante zurecht, deren Rede, aller Wortornamente und Floskeln abhold, auf Ja und Nein, auf Zusagen und Halten gestimmt ist. Der derbe Humor ist in der Pfalz und in Bremen erdentsprossen. Der Humorist sieht mit Augen des fühlenden Wirklichkeitsmenschen in die Welt, der seinen Kameraden helfen und sie nicht mit schönen Sprüchen vertrösten will. Ebert ist ganz der Mann der tätigen Hilfe, aber er will zuerst mit scharfen Sinnen die Lage der Menschen erfassen, denen er mit Rat und Tat beispringen will.
Als Fritz Ebert im Arbeitersekretariat Bremen seine Tätigkeit aufnahm, da erwies sich die ganze wirtschaftliche Position der Bremer Arbeiterin als dringend verbesserungsbedürftig. Vielfach hatten die Arbeiter noch nicht richtig gewertet, welche starken Kräfte sie ihrer ganzen Emanzipationsbewegung zuleiten könnten, wenn sie die Arbeiterinnen aus ihrer bisherigen politischen und wirtschaftlichen Interesselosigkeit reißen und für die gewerkschaftlichen Organisationen gewinnen würden.
Der erste Jahresbericht des Bremer Arbeitersekretariats brachte eine Schilderung der Lage der Bremer Fabrikarbeiterinnen. Der Plan zu dieser Arbeit ist wohl im Kopfe Fritz Eberts entstanden. Er arbeitete dann im einzelnen mit, überließ aber die Redaktion dieser sozialen Untersuchung seinem Kollegen Hermann Müller.
Als Vorsitzender der Bremer sozialdemokratischen Organisation, und später dann als Mitglied des Parteivorstandes, war Ebert rastlos bemüht, die Frauen in das große Ringen um Freiheit und Recht hineinzuziehen. Die Frauenbewegung würdigte er als eine wesentliche Seite der Kulturbewegung überhaupt.
Auf dem Gebiete der Frauenbewegung hat sich die Sozialdemokratie ganz unumstritten große Verdienste erworben.
Sie hat die deutsche Frau aus der Küche und Kinderstube an die Öffentlichkeit gezogen und sie der gewerkschaftlichen und politischen Kampfarmee eingeordnet. Das Buch von Bebel: »Die Frau und der Sozialismus« war eine bahnbrechende Tat für die deutsche Frauenbewegung überhaupt. Die Bewegung erhielt von Jahr zu Jahr einen stärkeren politischen Einschlag. Selbst in bürgerlichen Kreisen entstanden radikale Organisationen für die Einführung des Frauenwahlrechts, In der Sozialdemokratie waren vor dem Weltkrieg mehr als 130 000 Frauen organisiert und an den sozialdemokratischen Frauentagen beteiligten sich Hunderttausende deutscher Frauen. Die sich an die sozialdemokratischen Kongresse anschließenden Frauenkonferenzen suchten die Arbeiterinnen für alle sich in den Vordergrund drängenden politischen und wirtschaftlichen Fragen zu mobilisieren, so für die Wahlrechtsfrage, für die sozialistische Propaganda unter den Landarbeiterinnen, für die Einführung einer durchgreifenden Arbeiterschutz- und Arbeiterversicherungsgesetzgebung auf dem platten Lande, für die Dienstbotenfrage, für die sozialpolitische und sozialwirtschaftliche Bekämpfung der Prostitution, für die Mutterschaftsversicherungsfrage usw. Zündende Flugschriften, wie: »Die Frauen und die Reichstagswahlen«, »Zur Frage des Frauenwahlrechts«, entflammten eine begeisterte Stimmung für die Umgestaltung des militaristisch-autoritären Deutschlands in ein demokratisch-soziales Staatswesen.
Wenn das Revolutionsjahr 1918 den Frauen das Wahlrecht für den Deutschen Reichstag und für die Landtage und Gemeindevertretungen brachte, so ist das nicht zuletzt auf die ununterbrochene Propaganda der Sozialdemokratie für die Einführung des Frauenwahlrechts zurückzuführen. Fritz Ebert war aber einer der erfolgreichsten Propagandisten auf diesem Gebiete.
Im Arbeitersekretariat Bremen konnte er das zweierlei Recht, das für Männer und Frauen im alten Deutschland bestand, direkt mit Händen greifen. Von der doppelten Moral erzählten hier so viele Ehescheidungs- und Alimentationsprozesse Ungeheuerliches. Das eheliche Güterrecht schrie überall nach Reform, die wirtschaftliche Bevormundung der Frau hatte zum Teil unerträgliche Formen angenommen. In dem Arbeitersekretariat erlebte Ebert förmlich täglich die allseitige Hörigkeit und Gebundenheit der deutschen Frau. Hier wurde sein Kampfeseifer für die rechtlichbürgerliche und politische Gleichstellung der Frau mit dem Mann fortgesetzt geschürt.
Das mit Füßen getretene Recht der Frau, vor allem der Arbeiterin, hat Ebert in vielen mit Erfolg geführten Streitsachen wieder aufgerichtet.
Ebert fühlte sich überhaupt als der Sachverwalter der Bremer Arbeiterschaft. Die Hebung der materiellen, geistigen und sittlichen Lage des Bremer Proletariats ist das unverrückbare Ziel aller seiner Anstrengungen und Mühen im Bremer Arbeitersekretariat. Im Jahre 1901 arbeitete er einen Fragebogen aus, um die Arbeits-, Lohn- und Wohnverhältnisse der Arbeiter und Arbeiterinnen Bremens statistisch festzustellen. Er schärft den Arbeitern ein, streng wahrheitsgetreu und gewissenhaft die Fragebogen auszufüllen. Die Resultate dieser statistischen Arbeit hat Ebert unter dem Titel: »Ergebnis einer statistischen Erhebung über die Lebensverhältnisse der bremischen Arbeiter« herausgegeben.
Das statistische Material hat Ebert ganz objektiv bearbeitet. Seine Erläuterungen zu den statistischen Ergebnissen greifen niemals zur demagogischen Phrase, sie konstatieren sachlich nur das, was ist. Eingehend beleuchtet Ebert die Wohnverhältnisse der Arbeiterschaft Bremens. Er bemerkt über diese Verhältnisse: »Die Ergebnisse unserer Erhebung, die wir nunmehr folgen lassen, werden zeigen, daß der bremische Proletarier – entgegen den vielfachen gegenteiligen Behauptungen – in seinen Wohnverhältnissen seinen Klassengenossen anderer Großstädte gegenüber nichts voraus hat.«
Freimütig kritisiert Ebert den Wert bestimmter statistischer Angaben seiner Enquete, und er räumt ohne weiteres ein, daß seine Erhebung kein zutreffendes Bild von den tatsächlich bestehenden allgemeinen Verhältnissen geben kann. Ungemein gewinnend ist die Art, wie Ebert von den Mängeln und Fehlern seiner Arbeit spricht. Die Fehlerquellen sind nach seiner Ansicht in einer Enquete eingeschlossen, die nicht von Statistikern von Fach angefertigt ist und die der Hilfskräfte geschulter Kalkulatoren entraten muß. Ebert bescheidet sich damit, durch seine Arbeit einen Anhalt zur Beurteilung der allgemeinen Arbeiterverhältnisse Bremens gegeben zu haben. Sie soll im wesentlichen einen praktischen Zweck erfüllen, die Gewerkschaften Bremens über ihre Berufsverhältnisse zu unterrichten.
Fünf Jahre hat sich Fritz Ebert mit ganzer Hingabe seiner Person den schwierigen und aufreibenden Aufgaben des Bremer Arbeitersekretariats gewidmet. Ende November 1905 trat er aus dem Arbeitersekretariat aus, nachdem er von dem sozialdemokratischen Parteitag in Jena in den Parteivorstand der Sozialdemokratischen Partei gewählt worden war. Im gleichen Jahre verließ auch sein langjähriger Kollege Hermann Müller dieses Sekretariat. Des Ausscheidens beider Männer gedachte der Sechste Jahresbericht des Arbeitersekretariats Bremen 1906 mit diesen Worten: »Mit dem Ausscheiden des Genossen Hermann Müller (Ende Juni) und des Genossen Fritz Ebert (Ende November) aus ihrer bisherigen Stellung hatte das Sekretariat einen doppelten Verlust zu ertragen, von denen namentlich der letztere das Sekretariat um so empfindlicher treffen mußte, als der Genosse Ebert mit dem Institut von den ersten Tagen seiner Entstehungsgeschichte an auf das engste verknüpft war, und er, als ihn das Vertrauen der Arbeiter im März 1900 auf den Posten des Arbeitersekretariats berief, es von vornherein verstanden hat, unter Mithilfe seines später eintretenden Kollegen, des Genossen Müller, das Institut so zu verwalten und den gestellten Anforderungen in einer so allseitigen Weise gerecht zu werden, daß das Sekretariat sich das Vertrauen der bremischen Bevölkerung, und zwar nicht nur der Arbeiterschaft, gleichsam im Fluge gewann und bei der stetig wachsenden Inanspruchnahme durch die Bevölkerung sich bald zu einem der bedeutendsten und angesehensten unter den deutschen Arbeitersekretariaten entwickelte.«
Ebert bewegt sich nicht in gewohnten, ausgefahrenen Geleisen. Er wendet nicht mechanisch das an, was bisher an Erfahrungen von den Arbeitersekretären gesammelt wurde. Seine eigene Persönlichkeit, seine eigenen Auffassungen von den Aufgaben des Arbeitersekretariats trägt er in das Bremer soziale Rechtsinstitut hinein. Und damit verleiht er dem Sekretariat einen starken Eigenwert. Unter seiner Leitung marschiert das Bremer Sekretariat in der stattlichen Reihe der deutschen Arbeitersekretariate obenan.
In dem Jahre (1900), in dem Fritz Ebert auf den Posten des Arbeitersekretärs befördert wurde, wählten ihn die sozialdemokratischen Arbeiter in die Bremer »Bürgerschaft«. Die Bahn für eine fruchtbare positive Mitarbeit an den sozialen Aufgaben eines modernen Stadtstaates war damals in Bremen noch nicht geöffnet. Noch verrammelten kurzsichtige bürgerliche Gegner der Sozialdemokratie den Weg zu den Deputationen. Doch Ebert drängte auf einen Ausweg, und man wählte ihn nun nicht als Sozialdemokraten, sondern als Person in die Finanz- und Steuerdeputation. »Er wurde«, so schreibt Dr. Diederich in seiner Broschüre ›Führer des Volkes: Fritz Ebert‹, »Mitglied des Bürgeramtes und saß in der wichtigen Finanz- und Steuerdeputation.« Ebert war kein leerer Demonstrationsredner, der nur zum Fenster hinaussprach, um die Straße in Gärung zu versetzen, sondern er arbeitete positiv an einer Hebung und Verbesserung der sozialen Verhältnisse der Arbeiter in dem Stadtstaat. Seine besten Kräfte setzte er für den Gedanken der Arbeitskammer ein, und unermüdlich stritt er um die Einführung eines kommunalen Arbeitsnachweises. Die Schulverhältnisse erkannte er als dringend reformbedürftig, und das Wahlrecht wollte er auf eine breite demokratische Basis stellen. Sein ehrlicher, von aller Demagogie freier Kampf für eine tiefgreifende Reform der ökonomisch-sozialen Verhältnisse der Arbeiterschaft trug ihm die Sympathien einflußreicher demokratisch und sozial gesinnter Männer in Bremen ein. Der weitsichtige Prediger Albert Kalthoff, dessen sozial-humane, philosophisch hochstehende Predigten selbst viele Herzen und Köpfe der sozialdemokratischen Arbeiterschaft gewonnen hatten, war oft sein Verbündeter in den großen Fragen des politischen und sozialen Fortschritts,
Weit über Bremen hinaus verbreitete sich nun der Ruf des klugen und erfolgreichen Politikers Ebert. Die Sozialdemokratie bemühte sich daher, diesen umsichtigen Politiker auf einen Posten zu stellen, auf dem er noch stärker und nachhaltiger als bisher politisch in die Breite und Tiefe wirken konnte; sie wählte ihn auf dem Parteitag in Jena 1905 in den Vorstand der Sozialdemokratischen Partei hinein. Ebert wurde nun einer der wirksamsten Reichspolitiker Deutschlands, namentlich, nachdem ihn die Arbeiterschaft Elberfeld-Barmens 1912 in den Reichstag gewählt hatte.