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Lebende Zeugen über den Staatsmann Ebert

Friedrich Ebert hat den bolschewistischen Putschismus in Deutschland niederringen und das demokratische Deutschland Stockwerk auf Stockwerk aufbauen helfen. Wenn dieses große Werk einmal vollendet sein wird, dann wird, wie Wolfgang Heine in seinem tiefempfundenen Gedenkartikel in der »Vossischen Zeitung« schrieb, »das deutsche Volk erfahren, daß sein erster republikanischer Präsident, der schlichte, kluge, selbstlose Sohn der Handwerkerklasse, das Symbol für das war, was allein der deutschen Nation wieder einen Aufstieg sichern kann.«

Bei allen wirklichen Schritten nach dem großen Ziel einer demokratischen und sozialen Neugestaltung Europas haben wir die Führerpersönlichkeit Eberts gesehen.

Dieses Schicksal nun, das ihn so unvorbereitet, so schnell aus dieser Welt hinwegnahm, hat ihn doch noch den großen Triumph seiner europäischen Verständigungspolitik erleben lassen. Selbst das halb deutschnationale und fast ganz rechtsgerichtete Ministerium hat sich entschlossen, die vielgeschmähte, durch Annahme der Dawes-Gesetze besonders geförderte »Erfüllungspolitik« im vollen Umfange durchzuführen. Nachdem schon die Hälfte der deutschnationalen Reichstagsfraktion das »zweite Versailles« angenommen hatte, hielt der Chef des rechtsgerichteten Ministeriums, der Reichskanzler Luther, eine so vom Geiste der deutsch-französischen Verständigung erfüllte Rede, daß ein sozialdemokratischer Abgeordneter den Vorschlag machen konnte, diese Rede in allen Ortschaften des Deutschen Reiches anzuschlagen.

Die rechtsgerichtete deutsche Reichsregierung gestand an der Bahre des Reichspräsidenten ein, daß mit Ebert der Mann dahingegangen sei, »der unter Einsatz seiner starken Persönlichkeit erreichte, daß in den Wirren der Revolution die Einberufung der Nationalversammlung aus freier Wahl des deutschen Volkes beschlossen und durchgeführt und damit dem deutschen Staatsleben wieder eine gesetzliche Grundlage gegeben wurde. In schwerster Zeit hat er das Amt des deutschen Reichspräsidenten mit vorbildlicher Gewissenhaftigkeit und staatsmännischer Klugheit verwaltet und dabei in der Heimat wie im Auslande reiche Anerkennung erworben. In den außenpolitischen Wirrungen, die nach Kriegsende dem Deutschen Reiche erwuchsen, hat er die Verantwortung der Entscheidungen auf sich genommen, die nach vielen Mißerfolgen endlich den Weg zum Wiederaufstieg anbahnten. Unparteilichkeit und Gesetzlichkeit waren die Richtlinien seiner Amtsführung. Die Charaktereigenschaften des Menschen Friedrich Ebert und die hervorragende Begabung des Staatsmannes, der an der Spitze des Deutschen Reiches gestanden hat, haben ihm bei all denen, die den Mann und sein Wirken kannten, Wertschätzung und Verehrung erworben. Er hat dem deutschen Volke und dem deutschen Vaterlande in schwersten Zeiten als aufrechter Mann gedient.«

Ein »aufrechter Mann«. Nein, das ist zu wenig gesagt, er ist dem Volk in den chaotischen Zeiten entfesselter dämonischer Leidenschaften ein wirklicher Retter gewesen. Nicht wir haben diesen Ausdruck hier geprägt, sondern wir entnehmen ihn der »Vossischen Zeitung«, in der Georg Bernhard des großen Steuermanns Ebert gedenkt, der das Reichsschiff sicher in den Hafen der Demokratie lenkte. Der einstmalige Reichspressechef und jetzige Gesandte Ulrich Rauscher, der das gigantische Ringen Eberts mit den Umsturzgewalten von links und rechts persönlich miterlebte, erinnert an folgende historische Vorgänge, die plastisch die willensmächtige, eisenfeste Persönlichkeit unseres Genossen charakterisieren: »Die Erinnerung geht zurück. An den Dezemberabend, wo die Reichskanzlei von der Matrosen-Division umstellt, die Regierung verhaftet, die Vorhalle voller wild-abenteuerlicher Gestalten war. Da kommt Ebert die Treppe herunter: kein Paktieren, kein Nachgeben! Alles hat das Haus zu verlassen, diese ganze schreiende, bewaffnete, verwilderte Soldateska! Und es gelingt dem Waffenlosen, aber Starken; die Horde verläßt murrend das Haus, die vielleicht schlimmste Gefahr ist vor der unbedenklichen Entschlossenheit zurückgewichen. Ich sehe ihn im Saale des Abgeordnetenhauses, vor dem Arbeiter- und Soldatenrat, im fast aussichtslosen Kampf um die Nationalversammlung – und sehe ihn siegen. An dem geschmückten Katafalk Rathenaus, in Kabinettssitzungen, wo es um Sein oder Nichtsein ging, an seinem Tisch in größtem und kleinstem Kreise, unter Diplomaten oder alten Freunden, immer derselbe: fest, klar, zäh, zuverlässig, bedächtig, selbstlos, opferbereit.«

Ein Retter war Friedrich Ebert dem deutschen Volke vor allem am 6. Januar 1919, als die Feuersbrunst des spartakistischen Aufstandes die junge deutsche Demokratie in Asche zu legen drohte. »Eine andere Erinnerung«, so schreibt Theodor Wolff im »Berliner Tageblatt«, »kann sich heute denen aufdrängen, die am 6. Januar 1919 im Reichskanzlerpalais gewesen sind. An diesem Tage hatten die Spartakisten Liebknechts die Bahnhöfe, Kasernen und viele strategische Punkte besetzt und bereiteten den Sturm auf das Regierungsgebäude vor. Es wird von den Rechtskreisen ja heute so dargestellt – und, da sie nicht mit dabei gewesen sind, vielleicht auch geglaubt –, als hätten damals nur die Truppen des Generals Lüttwitz Berlin und die Regierung gegen die bolschewistische Flut geschützt. Die Wahrheit ist, daß am 6. Januar, dem entscheidenden Tage, die in der Nacht aufgerufenen nichtkommunistischen Arbeitermassen den Regierungssitz mit ihren Leibern deckten und so den zaudernden Liebknecht hinderten, zu seinem Ziele vorzudringen. Ebert traf an diesem Tage, während Noske herumfuhr und Verstärkungen herbeiholte, seine Vorkehrungen mit derselben kaltblütigen Ruhe, mit der er seit dem Ausbruch der Revolution den Radikalismus beiseite geschoben hatte, und ein absolutes Sicherheitsgefühl ging von ihm aus. Von der Nervosität, die in den Reden und Gesten, in dem unstäten Hin und Her manches anderen sich verriet, war in seiner breitschultrigen, gedrungenen Erscheinung, in seinen bestimmten, abgemessenen Bewegungen und Worten keine Spur. Wenn die Bolschewisten und Kommunisten, denen er den Weg versperrte und die schon angepackte Macht entriß, ihn haßten, so war das begreiflich, und man kann es den Enttäuschten verzeihen. Wenn der hohe Adel und ehrenwerte Bürgerkreise sich erdreisteten, den Mann zu bemäkeln, dessen Verantwortungsgefühl und Staatsklugheit ihnen allen das furchtbarste Schicksal erspart und Deutschland aus der Sintflut zum festen Boden des Ararat geführt haben, so ist das eine etwas schäbige Vergeßlichkeit.«

Wer auch nur immer in die Werkstatt des Politikers und Staatsmanns Ebert getreten ist, in der funkensprühend das neue Deutschland geschmiedet wurde, der zog seinen Hut tief vor dem kraftvollen Reichsschmied. So schreibt der liberale Staatspräsident a.D. Dr. Hieber dieses Urteil über Ebert nieder: »Wenn und soweit es überhaupt gelungen ist, aus der Niederlage und Staatsumwälzung von 1918 im Innern wieder zu geordneten Zuständen zu gelangen und nach außen wieder Achtung und Geltung zu erringen – der Person und Wirksamkeit Eberts kommt hierbei nach meiner, auf mehrjähriger persönlicher Erfahrung beruhenden Überzeugung ein wesentliches Verdienst zu. Das Vertrauen, das Ebert in weitesten Kreisen der Arbeiterschaft und darüber hinaus des Deutschen Reiches genoß, seine langjährige politische Erfahrung, die Ruhe und Abgewogenheit seines Urteils, seine klare Besonnenheit in Einschätzung der politischen Kräfte und ihres Schwergewichts, sein sicherer Takt, der ihn zur rechten Zeit das rechte Wort finden, zu rechter Zeit auch schweigen ließ – das alles aus dem Grunde und im Bunde mit tief vaterländischem Empfinden und Wollen –, hat in diesen Jahren, die Unerhörtes an Verlusten, Lasten und Opfern uns auferlegt haben, dem deutschen Volk und Vaterland mehr Nutzen und Segen gebracht, als unmittelbar nach außen zutage treten konnte.«

Der frühere Reichskanzler a.D. Joseph Wirth spricht in den anerkennendsten Worten von der »nationalen Rettungsarbeit« Eberts, denn er weiß, daß in den furchtbaren Sturmtagen Deutschlands das unerschütterliche Verbleiben Eberts in seinem Amte die junge deutsche Republik vor dem Zusammenbruch bewahrte. Gustav Stresemann bezeichnet Ebert als »eine der ganz wenigen starken und großen Persönlichkeiten in Deutschland, die in der Lage und berufen waren, bei großen Zukunftsentscheidungen mitzuwirken«. Stresemann kennt aus intimster Wissenschaft die unermüdlichen Anstrengungen Eberts, Deutschland wieder in der Wertung des Auslandes emporzuführen. Das ganze Gebiet der Außenpolitik umfaßte Ebert in seiner Arbeit. »Er las«, so schreibt Stresemann, »alle Berichte der Botschafter und Gesandten, versah sie sehr selten, aber dann stets mit treffenden Marginalbemerkungen, lebte sich in eine Kenntnis der Persönlichkeiten hinein und ließ sich bei alledem doch nur von sachlichen Gesichtspunkten leiten.« Ebert stand persönlich in engem Konnex mit den Mitgliedern des diplomatischen Korps, und er genoß bei allen Mitgliedern dieses Korps »eine hohe Würdigung, vielfach menschliche Verehrung«, die schließlich »nicht nur dem Staatsmanne, sondern auch dem Menschen galten«. Durch sein feines Taktgefühl hat Ebert (nach Stresemann) in der Diplomatie »den Übergang von der alten zur neuen Zeit ermöglicht, eine Aufgabe, an der mancher Berufsdiplomat hätte scheitern können.«

Von dem furchtbaren Jammer und Elend unserer inneren und äußeren Lage läßt sich der »aufrechte Mann« Ebert nie überwältigen, und doch bewegt er sich nie in den Gedankengängen eines seichten, leichtfertigen Optimismus. Ulrich Rauscher, der ihm vertrautester Mitarbeiter war, bewundert seine vollendete Meisterschaft in der Beherrschung des Stoffes und des Menschenmaterials. Und wenn sich Rauscher der Stunden des intimsten Gedankenaustausches mit Ebert erinnert, dann wird in ihm noch einmal das Gefühl lebendig, das ihn ergriff, wenn er das Reichspräsidentenpalais verließ. »Welch ein Glück, daß da hinten, im Zimmer gegen den Garten, dieser selbstsichere, ruhige Mann sitzt.«

Woher schöpfte Friedrich Ebert diese bewundernswerte Selbstsicherheit, diese imponierende Ruhe? Gewiß, ihm lag der organisierende, schaffende Tatmensch tief im Blute! Aber diese angeborenen sittlichen Qualitäten erklären noch nicht die geistige Überlegenheit, mit der Ebert die auf ihn einstürmenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Ereignisse meisterte! Er sah in diesen Ereignissen nicht launische Zufälle, sondern notwendige, einem höheren sozialen und politischen Zielpunkt zuführende Erscheinungen. Tief in der Welt gewittert eben katastrophaler Widerspruch. Der Weg der Menschheit ist keine ruhige, gerade Linie, er wird oft jäh unterbrochen, stürzt zeitweilig in die Tiefe und steigt dann wieder steil empor. Friedrich Ebert hatte sich die Weltanschauung eines Kämpfers erarbeitet. Und sie ließ ihn da nicht zagen, wo andere sich mutlos selbst verloren. Wer mit so hellen Augen wie er alle Abgründe des Elends durchmessen, und wer wie er die Grenzen des proletarischen Könnens realpolitisch so genau erfaßt hatte, der verstand die wilden Ausbrüche dieser Misere, und den schreckten nicht die Ab- und Irrwege der sich jäh entfaltenden proletarischen Massenkraft. Und die wildesten Zuckungen der Gewalt erschienen ihm, dem Schüler von Karl Marx, oft als die Geburtswehen einer Welt, die mit einer neuen schwanger ging. Im scheinbar größten Chaos sah er oft die Lebensäußerungen einer neuen Ordnung. Ein tiefer Sinn erschloß sich ihm mitunter aus den sich wild austobenden, für den Oberflächenmenschen ganz vernunftlosen Geschichtsprozessen; der Sinn einer emporsteigenden Welt, die sich selbst wirtschaftlich und politisch organisieren und regieren will.

Man darf wohl sagen: Die Festigkeit, die Selbstsicherheit Eberts ruhte auf dem Felsengrund einer starken, organisch gefügten sozialistischen Überzeugung. Über den eigentlichen Wesenskern Eberts sieht der hinweg, der in ihm nicht sofort den Sozialisten wittert – den Sozialisten, der in die Schule von Marx und Lassalle gegangen ist.

Selbst ausgesprochene Gegner Friedrich Eberts, wie Stresemann, haben von dem »staatsmännischen Wirken« des Reichspräsidenten gesprochen, weil sie in ihm einen neuen planvollen Brückenbauer von der alten Zeit in die neue erkannten. Doch täuschten sie sich keinen Augenblick darüber, daß eine tiefe Kluft die Weltanschauung Eberts von ihrer bürgerlichen trennte, Stresemann sagt in seinem Artikel: »Dem Reichspräsidenten Ebert zum Gedächtnis«: »Seine Ansichten waren nicht die unsrigen, seine Weltanschauung eine andere, als die uns eint.« Friedrich Ebert war eben in tiefster Seele Sozialist, und diese seine feste Überzeugung war die Grundkraft seines selbstsicheren Schaffens.

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Berlins letzter Gruß an Ebert

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Eberts Grabdenkmal in Heidelberg


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