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Jäh in des Lebens Mark, schwer in des Volkes
Geschick, greift der gewaltige Tod.
Karl Henckell.
Die große Führerpersönlichkeit Fritz Eberts, die dem neuen Deutschland in seiner Wüstenwanderung so oft wie eine Feuerwolke vorangeschritten war, weilt heute nicht mehr unter den Lebenden. Ein heimtückischer Verleumdungsfeldzug gegen seine Ehre erschütterte schwer die angegriffene Gesundheit des Rastlosen. Der Mann, der mit Einsetzung seiner ganzen Person Deutschland vor den Folgen eines ausgebrochenen Munitionsarbeiterstreiks möglichst bewahren wollte, der von radikalen Streikschürern als Arbeiterverräter, als Sozialpatriot geschmäht wurde, dieser Mann ist wissentlich des Landesverrats geziehen worden; und ein deutsches Gericht – das Magdeburger Schöffengericht – hat sich gefunden, das ihm das Brandmal des Landesverrats auf die Stirn drückte. Erste Juristen, die Herren Marx, Schiffer, Radbruch, Landsberg, Weiner, Payer, Wilh. Kahl, Gordon, Liepmann, Friedmann usw. haben das Magdeburger Urteil als schweren Fehlspruch erwiesen, fast alle deutschen Kabinette haben dem Reichspräsidenten ihre unveränderte Achtung ausgesprochen, und Gelehrte, Dichter und Künstler von namhaftem Rufe schlossen sich dieser Wertschätzung Eberts an. Aber die mörderischen Gase so vieler Verleumdungsgeschosse wirkten doch sehr unheilvoll auf die Lebensenergie des Reichspräsidenten ein. Aus einer erschöpfenden intimen Kenntnis der wirklichen Verhältnisse heraus schrieb Theodor Wolff im »Berliner Tageblatt« nach dem am 28. Februar erfolgten Tode Friedrich Eberts: »Die Krankheit hatte sich im Körper Eberts schon festgewurzelt, bevor die schurkische Verleumdungskampagne begann. Man kann nicht sagen, daß diese Erbärmlichkeiten die Krankheit erzeugt haben, aber alle, die in die Nähe des Reichspräsidenten traten, sind überzeugt, daß die bittere Erregung das alte Gallenleiden verschärft, dem Organismus die Widerstandsfähigkeit genommen, dem Tode den Weg geebnet hat. Dieser Mann, der sich aus dem kleinen Worte ›Pflicht‹ eine große Lebensregel gemacht, seine Söhne und seine ganze Kraft dem Vaterlande hingegeben hatte, sah sich plötzlich, nach Banditenmanier, aus dem Hinterhalte überfallen, von einem hinter dem Busche organisierten, mit falschen Zeugen arbeitenden Komplott umlauert ... Er sah, wie die deutschnationalen Tempelreiniger in den Barmat-Kommissionen gierig nach einem Argument suchten, das seine Ehre hätte beschatten können, und wie die allen bewußte Reinheit seines Privatlebens und die tadellose Korrektheit seiner Amtsführung nicht genügten, um die heulenden Verleumder zum Schweigen zu bringen, Ebert war in seinem Wesen und seiner Lebenshaltung einfach und anspruchslos. Aber er war nicht so anspruchslos dort, wo es galt, die Würde und die Autorität des höchsten Amtes zu wahren, und mit einem frohen Stolz, der sich nach außen hin nicht zeigte, hatte er die Kundgebungen des Respektes, der Sympathie und des Vertrauens, die ihm in allen Teilen des Landes und in allen Kreisen dargebracht worden waren, entgegengenommen. Jetzt schmerzte, quälte und verbitterte ihn um so mehr der Gedanke an die wüste Gemeinheit, die darauf ausging, seinen Namen zu schänden, ihm die Achtung seiner Mitbürger zu rauben, ihm diese Bürgerkrone zu nehmen, die in den Augen der Freigesinnten kostbarer als Königskronen ist. Der Giftstoff der Krankheit wurde durch den Giftstoff der Verleumdung aufgerührt. In den letzten Wochen schien es, als habe Ebert seine heitere Ruhe zurückgewonnen. Aber am Montag, am Tage vor der Operationsnacht, konnte seine Umgebung bemerken, wie sehr die Erfahrungen dieser Monate ihn zermürbt hatten, und in der Unterhaltung mit einem Reichsminister, die nur einige abseits liegende Personenfragen betraf, trat die zurückgedämmte Verbitterung wieder ungemildert hervor.«
Zu seinem langjährigen Freund und Weggenossen Otto Braun sagte Ebert einmal in den letzten Wochen seines Lebens: »Ich leide sehr und würde längst in die Klinik gegangen sein, wenn der elende Prozeß mich hier nicht noch festhielte. Da hat man nun wieder ein Subjekt als Zeugen aufgetrieben, das das unglaublichste Zeug über mich bekunden will. Wie die Dinge bei den Gerichten und in der Öffentlichkeit liegen, kann ich nicht umhin, mich auch noch darüber einer Vernehmung zu unterziehen. Dann aber gehe ich.«
Zu spät! Ebert mußte sich an einer Blinddarmentzündung operieren lassen – und an den Folgen dieser Operation ist er am 28. Februar 1925 gestorben. Bis weit in die monarchistischen Kreise hinein hat sein schnelles Hinscheiden aufrichtige Trauer erweckt.
Ein ganzes Buch müßten wir füllen, wollten wir hier die zahllosen Beileidskundgebungen des In- und Auslandes zum Tode Eberts anführen. Um ihn trauerte die millionenköpfige Welt des völkerumfassenden demokratischen Sozialismus, um ihn die Demokratie der großen Kulturnationen, um ihn die Spitzen der Wissenschaft und Kunst. Ein gründlicher Kenner der deutschen Politik und des deutschen Geisteslebens, der Franzose Albert Thomas, schrieb schmerzbewegt an die Sozialdemokratische Partei: »Ich habe der deutschen Regierung anläßlich des Ablebens des Präsidenten Ebert mein aufrichtiges Beileid ausgedrückt. Ich verstehe, daß dieser Verlust ganz besonders die Sozialdemokratische Partei trifft. Ich verliere in ihm ebenfalls einen treuen Freund, der in schweren Stunden zum Werke der Versöhnung und Gerechtigkeit beigetragen hat.«
Präsident Coolidge sprach dem Reichskanzler Luther sein tiefstes Mitgefühl beim Hinscheiden Eberts aus. Der amerikanische Staatssekretär Hughes erklärte: »Ich habe eine sehr hohe Meinung von den großen Fähigkeiten des Reichspräsidenten und von dem Anteil, den er an der Entwicklung der deutschen Demokratie gehabt hat. Seit dem Kriege hat mich kein Ereignis so tief berührt, als dieses, das einen großen Mann dahingerafft hat, der in Zeiten außerordentlicher Schwierigkeiten eine außergewöhnliche Fähigkeit als Führer bewiesen und der sich das Vertrauen des deutschen Volkes und die Achtung aller Völker errungen und erhalten hat. Sein Tod bedeutet für die Welt einen großen Verlust.«
Diesen Gedanken hob auch die internationale Presse durchweg klar hervor. Bemerkenswerte Artikel zum Tode Eberts brachten die »New York World«, die »Washington Post«, die »Daily News«, der »Observer«, der »Daily Telegraph«, der »Evening Standard«, die »Ere Nouvelle«, die Zeitung »Oeuvre«, der »Quotidien«, die »Voce Republicana« (Italien), die Zeitung »Mondo«, der »Peuple«, die »Independance Beige«, die »Neue Zürcher Zeitung«, die »Basler Nachrichten«, die »Gazette de Lausanne« usw.
Den Gefühlen der Liebe und Ehrfurcht von Millionen organisierter Arbeiter, Angestellten und Beamten verlieh Leipart lebendigsten Ausdruck am Grabe Eberts. Hermann Müller-Franken wertete auf dem Heidelberger Bergfriedhof die politische Bedeutung Eberts mit den Worten: »Wenn wir jetzt sehen, wie Friedrich Ebert im Auslande anerkannt und geehrt wird, dann wissen wir, daß er ein großer Faktor für die Sicherung des Friedens Europas ist. Aber sein Dienst an den Arbeitermassen, am Volke, an der Menschheit verschmolz zu einem Ganzen, zum Dienst des Staatsmannes.«
In den Kreisen der deutschen Dichter, die sich in die Geistigkeit und den Charakter Friedrich Eberts vertieft hatten, empfand man sein Hinscheiden als nationalen Verlust. Schwer wurde Hauptmann von dem Tode Eberts getroffen, und der Dichter Thomas Mann schrieb diese Worte in der »Frankfurter Zeitung«: »Die Todesnachricht hat mich tief ergriffen. Hier endet ein Mannesschicksal, das die Zeit ins ursprünglich ganz Unglaubwürdige, Phantastische trieb, aber keineswegs vermochte, die Persönlichkeit ins Exzentrische zu zerren, sondern mit schlichter Würde, gelassener Vernunft getragen und erfüllt wurde. Meine Sympathie ist grenzenlos. Sie ist, ich will gestehen, viel größer, als die mit einem anderen Sohn und Opfer der Zeit, Kurt Eisner, dem Literaten-Staatsmann, wiewohl die Tragik seines Falles krasser und malerischer war. Sie war aber auch vermessener und unreifer ... Sieben Jahre der Gewöhnung an seine klug zurückhaltende Repräsentation, seine stille, vermittelnde und mäßigende Tätigkeit haben viel Vertrauen, viel ruhige Zuneigung, kurz, eine unausgesprochene Popularität gezeitigt, die jetzt als Gefühl der Entbehrung sich ihrer bewußt wird. Die Frage der Nachfolge ist schwierig, aber ich halte den Wunsch für vorherrschend, der neue Präsident möchte dieselben Eigenschaften aufweisen, die Ebert auszeichneten.«
Die imposante Begräbnisfeier Friedrich Eberts in Berlin und Heidelberg gestaltete sich zu einem historischen Ereignis. Im Trauerhause, im Reichspräsidentenpalais in der Wilhelmstraße, fanden sich die Mitglieder des diplomatischen Korps, die Botschafter und Gesandten, die Vertreter der deutschen Regierungen und Behörden, bekannte Abgeordnete der deutschen und ausländischen Parlamente, führende Köpfe der Presse, Kunst und Wissenschaft und die Delegierten der ausländischen Sozialdemokratie: Thomas, Shaw, Renaudel, Nielsen, ein. Der erhabenen, die tiefsten Seiten der menschlichen Psyche ergreifenden Trauermusik folgte eine tonlose, matte Pflichtrede des Reichskanzlers Luther – eine Rede, die nach dem »Berliner Börsenkurier« unter »Ängstlichkeiten zu leiden« hatte, »daß zu herzliche Worte und ein zu spontanes Bekenntnis irgendwo übelgenommen werden könnten«. Die leblosen, nicht aus warmem Herzen dringenden Worte Luthers zerflatterten schnell – und die übermenschliche Größe der Volkstrauer verdrängte alles Kleinmenschliche. Hunderttausende entblößten auf dem Königsplatz ihr Haupt vor dem Sarge Eberts. Ein ungeheueres, elementar gewaltiges Schauspiel, dieser »geeinte Leib eines Volkes in Trauer« – ein Schauspiel, das die schöpferische, dichterische Kraft Josef Maria Franks in diesen lebensglühenden Bildern plastisch geformt hat:
Die Mietskasernen hatten sich geleert.
Straße war nicht mehr Boden, Straße war Mensch bei Mensch,
Straße war ein Leib gewachsen aus Leibern,
ein einziger atmender, zuckender Körperguß
aus Tausenden, Hunderttausenden, einer Million
aneinander gepreßter, aneinander gedrängter,
mit einem Herzschlag blutpulsierender, in einem Weh zusammengeschweißter,
in einer Trauer ineinander geschmolzener
Körper, Körper, Körper, Körper –
ein einziger Leib füllte Straßen und Plätze,
die Straße hämmerte mit einem Herzen,
die Straße dampfte aus einem Leib,
dem geeinten Leib eines Volkes in Trauer,
dem Riesenkörper Masse Mensch.
*
Das Volk begrub des Volkes Sohn,
Fleisch von seinem, Blut von seinem;
es harrte des Sarges dessen, der
in ärmlicher Wiege sein Leben begann,
in dürftiger Stube, in schmaler Gasse,
und unter dem Banner seines Volkes
als Erster seines Volkes
endete. –
Das Herz des Volkes erfüllte die Straßen
und harrte des Toten!
*
Irgendwo trommelten dumpf die Trommeln,
klagten Trompeten Trauerweisen, monotone Schreie,
dröhnte wie Gongschlag dumpf das Leid.
Schwarz umflorte drückender Rauch erstarrte Straße,
aus Räucherpfannen auf schwarzen Pylonen
loderten Flammen und neigten sich tief
zum Hause des Toten.
Grell schnitt ein Kommando.
Laut schlugen Pferdehufe die Straße.
In düsterer Schwere flatterte Spiel,
die Trauer Chopinschen Marsches, –
und langsam glitt von schwarzen Rappen
gezogen der Wagen, darauf umhüllt
von der Standarte ruhmreichen Farben
ein schlichter Sarg –
der tote Präsident!
Entblößte Häupter neigten sich tief.
Man hörte Herzschlag, beengten Atem,
sah blitzende Degen, von Offiziershand gesenkt,
sah stillstarre Reihen hunderte Soldaten
präsentierend den Toten schweigend grüßen
und fühlte Erleben einmaliger Stunde.
Langsam, düster, schwer, monoton
hallte gehemmt von Trauer der Schritt,
ergreifender Rhythmus stummer Bewegung,
die Trauerparade am Sarge vorbei,
surrten Propeller salutierender Flieger,
huldigte tiefergriffenes Beben
diesem Toten!
Und dieser Tote stand in der ganzen Größe seiner Schlichtheit und Einfachheit wieder auf, als er, der Tatmensch, in lebenweckenden Worten vom Reichstagspräsidenten Löbe geschildert wurde. Die Rede Löbes klang in die tiefergreifenden Sätze aus: »Der schwere außenpolitische Leidensweg des Deutschen Reiches füllt seine Amtszeit aus. Aber unbeugsam den Blick in die Zukunft gerichtet, ging er seinen Weg und seit der Demütigung durch den Vertrag von Versailles arbeitete er unablässig, um Deutschland in der Welt wieder zu einer geachteten Stellung emporzuheben.
In der Stunde, wo diese Bemühung Erfolg verspricht, gehst du von uns. Noch liegt Nacht über unserem Volke und nur von fern sahst du den Morgen dämmern. Es war dir nicht vergönnt, in den hellen Tag zu treten, wo die schwersten Sorgen für unser Volk sich mildern und auch für dein Werk erst ein abschließendes Urteil möglich war. Das Schicksal versagt dir, eine ruhige Würdigung deiner Mühen zu erleben.
Nun verläßt du Berlin, die Stätte deines Wirkens, deiner bis zur Erschöpfung gehenden Anstrengungen, deiner Erfolge, oft erst erreicht nach bitteren Enttäuschungen, während du soviel dem Lande gabst, daß für die Frau, für die Kinder kaum eine Pause übrig blieb. Du ziehst hinaus aus der Stadt der rastlosen Arbeit und der politischen Kämpfe in die stillen Berge deiner badischen Heimat, die die sorgenlosen Tage deiner Kindheit sahen. Im Rauschen des Neckars, an dem der Knabe gespielt, hebt sich jetzt die schwere Last, die auf deiner Brust geruht und die du für uns getragen.
Und wenn über Deutschland und Europa einst die Fahne des wahren Friedens weht und gerecht verteilter Wohlstand herrscht, wird sich an deinem Hügel neigen die deutsche Nation. An der Stelle, an der du im Angesicht von Zehntausenden den Kranz für die Gefallenen niederlegtest, der auch die eigenen Söhne ehrte, bringe ich dir den letzten Gruß des deutschen Volkes.«
Und den toten Kameraden geleitete das Volk zur letzten Fahrt nach Heidelberg.
Und die Sonne schwand
und lächelte nicht mehr und Grau floß in Schwarz.
Da trugen sie ihn, gleißende Fackeln in den Händen
vom Katafalk zum Zuge,
der ihn heimwärts trug.
Und da erlöste sich die Starre in dem Riesenkörper,
der sich zum Sarge drängte, der entschwand.
Die Fahnen senkten sich und Abschiedsschrei
der Millionenstadt, der Brüder, Schwestern
zuckte zitternd diesem Toten nach.
*
Schwarz floß in Schwarz,
und durch die Nacht
glitt er dahin –
zum Grabe.
(Josef Maria Frank.)
In Heidelberg empfing den toten Reichspräsidenten eine unabsehbare Trauergemeinde, und was diese in tiefster Seele bewegte, das tönte ergreifend aus den Reden des Oberbürgermeisters Walz, des Reichstagsabgeordneten Hermann Müller-Franken, des badischen Landtagspräsidenten Baumgarten, des Vorsitzenden des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Leipart, und des Stadtpfarrers Maaß heraus. Das »echte Gottesgnadentum« Eberts feierte aber in unvergeßlichen Worten der badische Staatspräsident Hellpach:
»Wer auf den Wogen schliefe,
ein sanft gewiegtes Kind,
kennt nicht des Lebens Tiefe,
von süßen Träumen blind.
Doch wen die Stürme fassen
zu wildem Tanz und Fest,
wen hoch auf dunklen Straßen
die falsche Welt verläßt:
Der lernt sich wacker rühren!
Durch Nacht und Klippen hin
lernt er das Steuer führen
mit treuem ernsten Sinn;
er ist von echtem Kerne,
erprobt zu Lust und Pein,
glaubt er an Gott und Sterne –
er soll mein Schiffmann sein!«
(Eichendorff.)
»Trauernd Versammelte – kann nicht auch dieser Zuruf des Dichters unseren Tagen gelten? Dem deutschen Volke gelten, das des Lebens Tiefen zu kennen verlernt hatte, weil es, von einer Welle allzu raschen materiellen Wohlstandes emporgetragen, auf den Wogen der politischen Brandung schlafen zu dürfen wähnte, gleich einem gewiegten Kind? Blind geworden in den süßen Träumen eines Zeitalters, das den Schein an die Stelle des Wesens, die Pose an die Stelle der Haltung, die Phrase an die Stelle der Bildung gesetzt hatte? Dies Volk faßten die Stürme von Krieg, Zusammenbruch und Umsturz, und in wilde Kämpfe gerissen, fand es sich auf dunklen Straßen von der Welt verlassen.
Aber könnten denn die letzten Zeilen jenes Gedichtes nicht auch dem teuren Toten gelten, den wir hier bestatten? Ihm, der durch Nacht und Klippen unseres Niederbruchs hin das Steuer geführt hat mit freiem ernsten Sinne? Was könnte von ihm Wesenhafteres gesagt werden, was von ihm Wahrhafteres? Das Volk hat es gespürt, daß hier einer war, dem die Sterne noch leuchten durch jene tiefe Nacht, in der die Berufensten flüchteten, da die Bewährtesten die Arme sinken ließen. Das Volk spürte ihn als Fleisch von Volkesfleisch und Blut von Volkesblut. Aus den Reihen des Volkes kam er, wie ein echtes Volkskind, erprobt zu Lust und Pein. In diesem alten engen Gassengewimmel von Heidelberg war er emporgewachsen; Neckar und Odenwald, Schloß und Brücke hatten sich in den regsamen Augen des einfachen Schneiderbuben gespiegelt. Das doppelt Ererbte kurpfälzischer Wesensart war ihm mit auf den Weg gegeben: das herzliche sonnige Lebensbehagen und das resolute tatkräftige Zupacken im Ernstfalle: Genießen und Wirken, die beiden Seiten jedes vollsaftigen Lebens, dem Dasein sich hingeben und dennoch es meistern!
Nun empfängt ihn die Erde dieser wundervollsten aller deutschen Begräbnisstätten, des Bergfriedhofes zu Heidelberg. »Tue die Sohlen von deinen Füßen, denn hier ist ein heiliges Land!« Weitet sich hier nicht der Blick des Trauernden bis ins Raumlose, wenn er vom Neckar zum Rhein hinüber von den leise schon wieder knospenden Hügeln des Odenwaldes zu den bergblau ans Himmelsblau sich schmiegenden Kämmen der pfälzischen Hardt schweift?
Du aber, Friedrich Ebert, indem wir dich in diese erlauchte Totenstadt geleiten, bist du unter den Edlen des Geistes kein Fremdling und kein Eindringling, Du gehörst zu ihnen, nicht weil diese Stadt dich geboren, nicht bloß auch weil dich mit diesen Dahingeschiedenen die Treue und lohnlose Hingabe an eine Idee verknüpft, die euer aller Lebensinhalt war, sondern weil der Adel, der hier bestattet liegt und diese Stätte im Geiste heiligt, kein Adel der Privilegierten, der Geborenen, der Erblichen ist, sondern der Adel derer, die aus sich und durch sich geworden sind, was sie der Menschheit, dem Volke, dem Erkennen, dem Wirken bedeuten. Ja, wir wissen, die weitaus meisten von diesen Forschern und Denkern sind wie du aus den Häusern kleiner Leute gekommen, und wie seither dreiviertel aller Genien und Führer, aller Erlöser und Erzieher der Menschheit aus solchen Häusern kamen. Und hier, wo du dich heute zu ihnen gesellst, ein Ebenbürtiger zu den Ebenbürtigen, angesichts dieser Gräber und dieses Grabes wollen wir das hohe Lied der kleinen Leute singen, denen immerdar die Völker den wärmsten Dank für das Beste und Bleibendste, was sie empfingen, zu entrichten haben.
Ihr Erlauchten alle, die hier der Tod versammelt, seid wahrhaft von Gottesgnaden gewesen, in jenem tiefsten Sinne, den der Apostel in dieses Wort legte, als er es prägte. In dir aber, Friedrich Ebert, fand dies echte Gottesgnadentum seine besondere Erfüllung, denn dir ward die Gnade, das Volk zu erretten, das dich gebar, das Volk zu führen, dem du entstammtest, das Volk zu verkörpern, dem du gehörtest.
Und wie du dies vollbrachtest, wie du dich nie über dieses Volk erhobest, wie du so völlig sein Kind bliebst – obwohl du dir aus eigener Kraft und unter Mühsalen, von denen der korrekt Gebildete und der vorschriftsmäßig Studierte sich kaum eine Vorstellung machen können, alle Besitztümer der Bildung zugeeignet hattest und weder mit dem Kaufmann noch mit dem Künstler, weder mit dem zünftigen Gelehrten noch mit dem zünftigen Diplomaten ein Gespräch zu scheuen brauchtest, wie du keine Stunde deines Lebens das deutsche Volkstum in dir vergessen, verkannt oder verleugnet hast, obwohl du kein Emporgekommener, sondern ein Emporgerungener, einen tiefen und edlen Sinn für Anstand und Abstand, für Wert und Würde dein eigen nanntest, dies wird dich ins Gedenken des Volkes am unvergeßlichsten einprägen.«
Der Staatspräsident Hellpach schloß mit den Worten: »Wieder sind heute Eichendorffs Worte aus den Zeitliedern von 1812 wahr geworden:
»Der Völker Herzen sind die Saiten,
durch die jetzt Gottes Hauche gleiten!«
Noch steht dein Volk mit den Nächsten, die du zurücklassest, in starrer Bestürzung an deinem Sarge. Wir alle es kaum fassend, warum du so früh von uns gehst. Aber die Vorsehung muß wohl deine irdische Sendung als vollendet, deine irdische Erscheinung als reif für das letzte Geheimnis von Tod und Verklärung beurteilt haben. Uns bleibt nichts, als uns diesem Ratschluß zu beugen. Und wenn heute an deinem offenen Grabe der wilde Lärm verstummt ist, der dich gerade noch in den letzten Monaten umtobte und auf dunkler, hoher Straße einen wahren Kalvarienberg von Prüfung und Bitternis dir bereitete; wenn heute abseits aller Trauernden nur eine winzige Rotte weiterzetert, die sich damit selber außerhalb der nationalen Gesittung stellt; wenn auch scharfe Gegner deines Meinens und Wollens ehrerbietig das Haupt entblößen und den Degen senken: dann glauben wir darin ein Stück jenes verklärenden Mysteriums zu spüren, das zu hüten und zu vollziehen allein dem Tode gegeben ward. Uns ist, als fiele aus den Tiefen dieses Grabes für eine Stunde ein Leuchten auf uns alle, ein flüchtiger Strahl von den Lichtern jener uns Lebenden ewig verhüllten überirdischen Heimat, der wir dich jetzt auf dem Pfade deiner irdischen Heimat zugeleitet haben. Du hast ein Tor durchschritten, und wir bleiben zurück. Da scheiden wir von dir für immer mit den dunklen Strophen des Salis-Seewis:
»Das Grab ist tief und stille
und schauervoll sein Rand,
es deckt mit schwarzer Hülle
ein unbekanntes Land.
Doch nur an diesem Orte
ist die ersehnte Ruh!
Durch diese dunkle Pforte
gehst du der Heimat zu.«