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1914.

Gegen soziale Ungerechtigkeiten des Staates

Aus einer Reichstagsrede.
2.3.1914

Der Riesenüberschuß der Post beträgt 100 Millionen Mark, mehr als 11 % der gesamten Einnahmen der Post. Von dem gemeinnützigen Charakter der Post kann bei solcher Überschußwirtschaft nicht gut mehr die Rede sein.

Das Herauswirtschaften so hoher Überschüsse ist vielmehr gleichbedeutend mit einer indirekten Steuerbelastung, deren Ertrag hier fast doppelt so hoch ist wie der Betrag, der aus der Salzsteuer herausgeschunden wird. Wir Sozialdemokraten haben die das ganze Postwesen beherrschende fiskalische Erwerbsgier immer bekämpft, wir haben demgegenüber immer entschieden die Auffassung vertreten, daß die Post kein Erwerbsinstitut sein soll, sondern lediglich den Verkehrsinteressen und der Verkehrsförderung zu dienen hat. Die Überschüsse sollen in mäßigen Grenzen gehalten werden und vor allem zum Ausbau der Verkehrseinrichtungen und zu einer mustergültigen wirtschaftlichen und sozialen Fürsorge für die Angestellten der Post Verwendung finden. Auf beiden Gebieten liegt heute sehr vieles im Argen,

Nun zur Zaberner Postaffäre, Die Angelegenheit ist zwar schon in der Kommission behandelt worden. Der Herr Staatssekretär hat dort aber eine so merkwürdige Stellung eingenommen, daß es notwendig ist, hier noch einmal darauf zurückzukommen. Oberst von Reuter hat vor dem Kriegsgericht in Straßburg behauptet, ihm seien von der Post in Zabern alle Schmähkarten zugestellt worden, dagegen habe man ihm Zustimmungskarten vorenthalten. Der Oberst hat also den schweren Vorwurf des Amtsverbrechens erhoben. Alle Zeitungen haben darüber fast gleichlautend berichtet.

Auch die Reichspostverwaltung hat diese Mitteilungen sehr ernst genommen und Untersuchung eingeleitet. Das Ergebnis ist postamtlich der Presse mitgeteilt worden. Der Wortlaut ist mir sehr wichtig, und da es sich nur um einige Zeilen handelt, darf ich diese Notiz wohl verlesen. Sie lautet: »Die postseitig eingeleitete Untersuchung hat ergeben, daß bei der nach vielen Hunderten zählenden Menge der in Zabern für einzelne Offiziere eingegangenen Schmähkarten einzelne Sendungen mit erkennbar beleidigenden Angaben in der Hast des Betriebsdienstes der Aufmerksamkeit des Personals entgangen sind. Diese Fälle sind aber im Hinblick darauf, daß viele Hunderte von Schmähkarten in Zabern als unzulässig erkannt und zurückgewiesen worden sind, als vereinzelte zu betrachten. Von den ebenfalls eingegangenen Zustimmungspostkarten sind nur zwei vom Personal wegen Zweifels über die Zulässigkeit eines darin enthaltenen Ausdrucks zunächst beanstandet worden. Beide Karten sind aber auf Anordnung des Postamts den Empfängern ausgehändigt worden, und zwar eine ohne jede Verspätung, die zweite auf dem nächsten Bestellgang.« Die amtliche Feststellung ergab also, daß von einer Vorenthaltung von Postsendungen überhaupt keine Rede sein konnte. Damit ist aber der schwerste Teil des Vorwurfs, der Vorwurf der Briefunterschlagung, sofort glatt zu Boden gefallen.

Von der ganzen Geschichte blieb nur die kaum erwähnenswerte Tatsache über, daß dem Herrn Oberst einige nicht ganz einwandfreie Postkarten ausgeliefert worden sind. Dabei ist aber zu beachten, daß das sonst so ruhige und kleine Postamt in Zabern in jenen Tagen mit Briefsendungen geradezu überschwemmt worden ist. Oberst von Reuter, der ja höchstwahrscheinlich über die ihm zugehenden Sendungen Statistik führt, hat in jenen Tagen allein etwa 15 000 Zuschriften erhalten. Ist es da nicht ganz selbstverständlich, wenn selbst bei genauer Prüfung einige Postkarten mit unterlaufen, die geeignet sind, das zartbesaitete Gemüt des Herrn Oberst zu erregen? Wer hat nicht schon solche Postkarten erhalten? »Jeden Tag!« wird mir zugerufen. In der Zeit, wo mein Freund Scheidemann hier noch den Präsidentenstuhl zierte, ist er damit recht reichlich bedacht worden. Niemand würde sich darüber erregen oder deshalb gar Vorwürfe gegen die Postverwaltung oder die Postbeamten erheben. Das blieb nur dem Oberst von Reuter vorbehalten, dem Herrn, der es mit seinem Feingefühl vereinbaren konnte, einen Bürger ›Lumpen‹ zu schimpfen, weil er vor ihm nicht die Mütze zog. Bei dieser Sachlage lag nichts näher als die Annahme, daß die Reichspostverwaltung ihre Beamten gegen die ebenso schweren wie haltlosen Anschuldigungen in Schutz nehmen würde; allein mit diesem Optimismus ist gründlich aufgeräumt worden. Die Postverwaltung war völlig befriedigt, als der Herr Oberst sie zu der Erklärung ›ermächtigte‹ – ich gebrauche da wörtlich die Bezeichnung, die der Herr Staatssekretär in der Kommission gewählt hat –, er habe nicht beabsichtigt, zu beleidigen. Von dieser gnädigst gewährten »Ermächtigung« hat die Postverwaltung dann weitestgehenden Gebrauch gemacht, und damit war für den Herrn Oberst die ganze Geschichte erledigt.

Nicht so glimpflich werden dagegen die Postbeamten davonkommen, die das Stirnrunzeln des gewaltigen Herrn verschuldet haben. Gegen sie ist Untersuchung eingeleitet, und es ist, wie der Herr Staatssekretär in der Kommission mit Nachdruck erklärte, ihre Bestrafung in Aussicht genommen. Die Ungeheuerlichkeit dieser Erklärung ist in weiten Kreisen mit Kopfschütteln aufgenommen worden. Ein solches Verfahren steht in schneidendem Gegensatz zu allem Rechtsempfinden. Offenbar ist die Postverwaltung bestrebt, es hier der Zaberner Militärjustiz gleichzutun. Das Vorgehen der Postverwaltung ist um so unerhörter, weil sie sonst gegen Kritik aus dem Publikum außerordentlich empfindlich ist, besonders wenn es sich um sozialdemokratische Kritik handelt. Wenn eben möglich, wird da kurzerhand der Staatsanwalt mobil gemacht. Ich könnte auf einige Beispiele hinweisen, die gar nicht so weit zurückliegen, bei denen es sich um viel wichtigere Dinge und um weniger schwere Vorwürfe handelt. Hier aber, wo es sich um völlig unbegründete und überaus schwere Vorwürfe eines Offiziers handelt, der allerdings der Held aller echt preußischen Leute ist, schlägt die Postverwaltung sozusagen die Hacken zusammen und nimmt die Kritik mit der Hand an der Hosennaht entgegen. Die Beamten aber, die zu Unrecht schwer angegriffen worden sind, gibt man kläglich preis und macht sie zum Sündenbock.

Wie groß die Abneigung der Reichspostverwaltung gegen Eingaben und Petitionen ihrer Beamten ist, geht auch daraus hervor, daß dem Verein der Post- und Telegraphengehilfinnen bei seiner Zulassung von der Verwaltung zur Bedingung gemacht sein soll, daß er dem Reichstag keine Petitionen unterbreitet. Würden die Behörden den berechtigten Wünschen des Personals mehr Verständnis entgegenbringen, würden die Beamten Gelegenheit haben, in direkter mündlicher Verhandlung den Behörden gegenüber ihre Wünsche vertreten zu können – ich bin überzeugt, die Zahl der Petitionen an den Reichstag würde erheblich abnehmen, wir würden uns hier weit weniger mit Personalfragen zu beschäftigen haben.

Noch ein kurzes Wort über die Verhältnisse der weiblichen Angestellten. Der Bundesrat hat die unkündbare Anstellung der Post- und Telegraphengehilfinnen abgelehnt, weil es an genügender Erfahrung fehlen soll. Dabei haben kürzlich mehrere Postgehilfinnen ihr vierzigjähriges Dienstjubiläum gefeiert; etwa 1000 Gehilfinnen sollen schon 20 Jahre und länger im Dienst der Post sein. An genügender Erfahrung kann es da doch nicht fehlen. In Bayern und Württemberg sind die Verwaltungen längst zu einem abschließenden Urteil gekommen und haben ihren Beamtinnen unkündbare Anstellung zugebilligt. Sachliche Bedenken gegen die unkündbare Anstellung können nicht gut vorhanden sein, weil unter den Bewerberinnen eine scharfe gesundheitliche Auslese gehalten wird. Vor der erst mehrere Jahre später erfolgenden endgültigen Anstellung findet eine erneute scharfe ärztliche Untersuchung statt. Sogar um das Seelenheil der in Dienst genommenen Gehilfinnen ist die Verwaltung besorgt. Sie maßt sich eine sehr weitgehende Bevormundung außerhalb des Dienstes an. Sie zwingt die Beamtinnen nicht nur zum Zölibat; die Beamtinnen dürfen nur bei solchen Familien Wohnung nehmen, wo außer dem Familienvater nicht weitere männliche Personen über 16 Jahre vorhanden sind. Die nicht etatmäßig angestellten Gehilfinnen, die nicht bei Angehörigen wohnen, dürfen nur in sogenanntem Familienanschluß wohnen. Es sollen sogar Beobachtungen von Beamtinnen im Privatleben vorgekommen sein. Das ist eine durchaus unwürdige Schnüffelei und Beeinträchtigung der persönlichen Freiheit. Schon diese Vorgänge machen den Schutz der Beamtinnen gegen willkürliche Kündigung und Entlassung notwendig. Was die Beamtinnen verlangen, ist nur die rechtliche Gleichstellung mit den männlichen Beamten, und das halten wir für durchaus gerechtfertigt.

Schlimmer liegen die Verhältnisse bei einer anderen Gruppe weiblicher Angestellten, die bei den Postämtern dritter Klasse als Hilfskräfte beschäftigt werden. An sie werden sehr weitgehende Anforderungen gestellt; sie haben den gesamten Schalterdienst zu versehen, wobei auch erhebliche Geldsummen durch ihre Hände gehen. Ihre Vergütung ist aber geradezu skandalös. Der Regelbetrag, der dafür eingesetzt ist, beträgt jährlich 500 M. In der Anweisung heißt es wörtlich: »Die Oberpostdirektoren können diese Sätze ermäßigen, erhöhen dürfen sie sie nur mit Genehmigung des Reichspostamts.« Von dem Rechte der Ermäßigung scheint vielfach Gebrauch gemacht zu werden. Es gibt Fälle, wo solche weiblichen Hilfskräfte im Postdienst mit monatlich 30 M entschädigt werden. Das ist eine Ausbeutung der weiblichen Arbeitskraft, deren sich das Reich schämen muß.

Zum Schluß eine Bemerkung zur Ostmarkenzulage. Wir werden wie in den beiden letzten Jahren, so auch in diesem Jahre für die Streichung der Ostmarkenzulage stimmen. Es ist überhaupt verwunderlich, daß diese Zulage wieder in den Etat eingestellt wurde, obschon der Reichstag sie wiederholt mit großer Mehrheit gestrichen hat. Wenn immer wieder behauptet wird, die Zulage habe keinen politischen Charakter, so steht das in Widerspruch mit der ganzen Geschichte der Ostmarkenzulage und den bei ihrer Einführung geltend gemachten Gründen. Preußen hat die Zulage im Jahre 1903 eingeführt, das Reich ist ihm später gefolgt. In der Begründung der preußischen Vorlage wurde damals folgendes ausgeführt: »Die Gewährung von Gehaltszulagen gehört zu den von der Staatsregierung zur Stärkung des Deutschtums und zur Bekämpfung der staatsfeindlichen polnischen Agitation gerichteten Maßnahmen.«

Der politische Charakter der Zulage ist hier klipp und klar festgelegt, darum kommt man nicht herum. Die Ostmarkenzulage ist also ein Teil der Drangsalierungspolitik gegen das polnische Volk, die im Gegensatz steht zu Menschlichkeit und Kultur, und die von uns immer auf das schärfste bekämpft worden ist. Die Behauptung, die Zulage habe nur wirtschaftlichen Charakter, ist widersinnig, denn die Lebensverhältnisse in den Großstädten und in den Industriebezirken sind erheblich teurer als im Osten.

Wenn der Herr Staatssekretär trotzdem immer in beweglichen Worten die Zulage im Interesse seiner Beamten befürwortet, so mutet das um so merkwürdiger an, als er andere wohl begründete, dringliche und durchaus berechtigte Forderungen der Beamten hartnäckig bekämpft. Auf diesem Gebiet hätte der Herr Staatssekretär vollauf Gelegenheit, seine Worte in die Tat umzusetzen. Je kräftiger er da zugreift, desto sicherer ist ihm die Zustimmung all seiner Beamten und Arbeiter. Hier gilt es, an die Stelle einseitiger fiskalischer Erwerbspolitik großzügige, tatkräftige Sozialpolitik zu setzen.


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