Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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24.

Wieselburg, den 10. Juni 1870.

Ein paar Wochen in London und Leeds zerrannen wie ebensoviele Tage. Kaum fand ich Zeit, die Ausbeute meiner westindischen Reise so weit zu ordnen, daß ihre Früchte nicht ganz verloren gehen können. In England hatte sich mittlerweile so viel angehäuft, das neue Arbeit versprach und erforderte, daß an eine Ruhepause nicht zu denken war. Wozu auch? Wechsel ist die beste Ruhe, und die Freude, mitten im Strom zu schwimmen, habe ich obendrein. Allerdings nicht ganz umsonst.

Zunächst soll es in Österreich ernst werden. Es handelt sich darum, auf einer der Hauptbesitzungen des Erzherzogs Albrecht, in Ungarisch-Altenburg, den Madjaren einen Dampfpflug vorzustellen. Ihr macht Euch schwerlich eine Vorstellung, was diese drei Silben »ein Dampfpflug« in verpacktem Zustand bedeuten. Kessel, Räder, Kisten und Kasten und eine Menge lose Eisenteile, die sich in keine Kisten packen lassen wollen, so daß alles, sorgfältig aufgezeichnet, ein Büchlein von zwanzig Seiten füllt, das ich nahezu auswendig wissen muß, wenn nicht aus der Entwirrung des Ganzen ein Chaos entstehen soll.

Als ich in Wien ankam, war das erste Drittel einer derartigen Sendung gerade im Begriff, in einer falschen Richtung weitergeschickt zu werden. Der Rest – nicht weniger als zweiundfünfzig Stücke – traf so verzettelt ein, daß ich eine volle Woche damit zubringen mußte, sie glücklich von der Nordbahn nach dem Raaber Bahnhof überzuführen, was mich täglich drei Viertelstunden kostete, also 23 1/4 Stunden zum eignen Gebrauch übrig ließ.

Dabei hätte ich die schöne Kaiserstadt gründlich studieren können und hab's auch teilweise getan. Trotzdem bleibt mir aus diesen Tagen keine sonderlich erquickliche Erinnerung zurück. Eine Woche allein in Wald und Feld lasse ich mir jederzeit gefallen. Das »Schling nochmals deine Bogen um mich, du grünes Zelt« findet trotz Dampf und Eisen in mir einen wehmütigen Widerhall, so oft es, wenn auch aus weiter Ferne, mein Ohr trifft. Die Einsamkeit der großen Stadt ist mir diesmal eine förmliche, schlecht bestandene Prüfung geworden.

Ich machte Besuche in Ministerien, bei erzherzoglichen Verwaltungsbehörden, bei dem Präsidenten der »Kaiserlich Königlichen ersten privilegierten Donaudampfschiffahrts-Gesellschaft« (eine Bezeichnung, auf die Österreich stolz ist), bei alten und neuen Bekannten. Meinen Jugendfreund L., der ein Töchterinstitut leitet, fand ich wie einen Pascha in seinem Harem, mitten unter einem Dutzend sehr erwachsener junger Damen. Ich war froh, als ich mich nach einer halben Stunde ununterbrochenen mädchenhaften Errötens meinerseits gerettet sah. Allzuviel des Schönen ist mir nicht zuträglich. Ein Glas Drehersches Bier mußte mir wieder auf die Beine helfen.

Interessant waren mir die Wiener Zeitungen. Der hoffnungslose Ton sämtlicher Hauptblätter, die Ratlosigkeit, wie das erschütterte Reich zusammenzuhalten sei, davon machte ich mir keinen Begriff. Ohne äußeren Stoß wird natürlich der alte, ehrwürdige Koloß nicht zu Boden stürzen. Das Trägheitsmoment der einzelnen Massen hält das Gebäude aufrecht. Aber nur ein kleiner Sturm, glauben manche, ist nötig, um das Verhängnis herbeizuführen. Man sieht's, man fühlt's, man kann es greifen. Vielleicht ist's auch nicht so gefährlich, als es aussieht. Österreich hat von jeher in seinem Phlegma die Kräfte einer unglaublichen Zähigkeit gefunden.

Hier in Wieselburg, der Bahnstation von Ungarisch-Altenburg, wo sich die landwirtschaftliche Hochschule des Königreichs befindet, bin ich jetzt auf den Gütern des Erzherzogs Albrecht schon halb zu Haus. Der Dampfpflug kann seine Vorstellung beginnen. Zuschauer werden sich voraussichtlich nur spärlich einstellen. Denn wenn die Ungarn kommen (sagten mir landeskundige Herren), kommen die Österreicher nicht, und umgekehrt. Das nennt man: Viribus unitis! hierzulande.


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