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Paris, den 16. Oktober 1878.
Die Ausstellungsleitung weiß offenbar nicht mehr, was sie tun soll. Seit zwei Monaten gibt ihr eine tausendstimmige Presse folgende tiefbegründete Ratschläge: 1. ihr Wort zu halten und die Ausstellung am letzten Oktober zu schließen; »c'est assez, enfin!«; 2. den preisgekrönten Ausstellern die wohlverdiente Gelegenheit zu gewähren, ihre Sachen zu verkaufen, und deshalb noch drei Wochen offen zu lassen; 3. nicht die Barbarei zu begehen und dieses Wunderwerk Frankreichs und des Jahrhunderts zu zerstören, nachdem es kaum fertig geworden ist, das heißt allerdings am 1. November zu schließen, aber am 1. Mai des nächsten Jahres von neuem zu beginnen. Vor einer Woche hieß es, der Schluß sei wirklich auf den 20. November festgesetzt. Vorgestern wurde bestimmt versichert, man werde uns am letzten Oktober in Gnaden entlassen. Heute spricht man wieder von einer Verlängerung. Es bleibt nichts übrig, als mit Ergebung zu erwarten, was Direktor Krantz, »ce farouche ingénieur«, wie ihn die bonapartistischen Zeitungen heißen, über uns verhängt. Auszuhalten ist es ja, und man kann in dieser unerschöpflichen Fundgrube menschlicher Tätigkeit und Sammelwut, wo die Krondiamanten von Kaiserreichen jedem Lumpen zugänglich sind und die Reblaus einen Pavillon besitzt, mit Nutzen noch ein paar Wochen herumstöbern.
Zum Abschied solltet auch Ihr einen Blick auf das Gebiet werfen, das mir vor allen andern naheliegt. Ich will die große Maschinenhalle gerne liegen lassen und mich mit einem einzigen Fleckchen begnügen. Es ist dafür das Beste und Schönste, was eine Ausstellung dieser Art zu bieten vermag, und es ist nützlicher (wie ich finde, seitdem es zu spät ist), sich auf solchen Fleckchen festzusaugen, als auf endlosen Spaziergängen in der Irre zu gehen.
Creuzot kann als Eisenwerk in drei Jahren seinen hundertjährigen Geburtstag feiern. Aber erst seit 1836, als es in die Hände von »Schneider frères & Cie.« kam, und als mit den ersten Eisenbahnen und Dampfschiffen der technische Aufschwung des Festlandes begann, hat es die Bedeutung gewonnen, welche es an die Spitze der ganzen französischen Eisenindustrie stellt. Von 1800 Arbeitern, in Bergwerken, Hüttenwerken und Maschinenwerkstätten verteilt, ist sein Personal heute auf 15 252 gewachsen. Es hat die ersten Lokomotiven auf französische Bahnen gestellt und den ersten Dampfhammer im Land eingeführt. Es besitzt heute den größten der Welt, dessen lebensgroßes hölzernes Modell das Portal bildet, durch welches man in den geschmackvollen Pavillon eintritt, der getrennt von dem Hauptgebäude des Marsfelds die Schneidersche Ausstellung beherbergt.
Fast etwas Feierliches hat es, unter diesem Hammer hindurch, der wie ein rätselhaftes Denkmal aus unbekannter Vorzeit oder wie ein barbarischer Koloß von Rhodus, mit ausgespreizten Beinen dasteht, vorbei an zwei Riesenblöcken von Spateisenstein, durch verhängte Portieren in das Innere des Heiligtums zu treten. Wir sind an Lärm und Tosen, an sprühende Funken, glühende Gesichter und rußgefärbte Arme gewöhnt; hier ist alles glatt und sauber, glänzend und still. Ringsum stehen gewaltige Klumpen aus Stahl und Eisen, wie sie aus der Gußform oder unter dem Dampfhammer hervorkommen, gebrochene und verbogene Stangen und Schienen, Zeugen der fürchterlichen Unglücksfälle, die sie sich selbst bereiten, fertige Maschinen, blitzend in ihrem jugendlichen Silberglanz. Wir haben die tosenden Werkstätten und den eisernen Kampf des Lebens hinter uns. Wir sind hier im Tempel Vulkans, im Heiligtum des Gottes.
Aber Poesie und Phantasie beiseite, die Ausstellung ist ideal in ihrer Art. Eine überlebensgroße Bronzestatue E. Schneiders bildet in würdiger Weise den künstlerischen Hintergrund des Ganzen. Auf den Stufen des Monuments sitzt eine Frau, im schlichten Kleide der arbeitenden Klassen, und zeigt ihrem Jungen, der sich bereits auf den Schmiedehammer stützt, das Bild des Meisters.
Rings um diese Gruppe ist das Schulwesen von Creuzot dargestellt: Modelle von Schulgebäuden, Proben von Schularbeiten und statistische Angaben aller Art. Die Einrichtungen umfassen 82 Schulzimmer, 121 Lehrer, 6087 Kinder, Knaben und Mädchen, und kosten die Gebrüder Schneider jährlich 220 000 Franken. Die Folgen dieser Bearbeitung des menschlichen Rohmaterials seien jedoch, sagen die heutigen Leiter des Unternehmens, daß Creuzot mehr von Streiks gequält werde als irgendein andres Eisenwerk Frankreichs. Niemand will Jean oder Jacques bleiben; alles will Schneider werden. Wenn sie so im großen betrieben wird und ihre Folgen in solchem Maßstab beobachtet werden können, bekommt die Frage der höhern Volkserziehung eine unerwartet ernste Bedeutung.
Unmittelbar vor den Schulsachen, im Mittelpunkt des Saals, steht ein großes Modell von Creuzot, seinen Hochöfen, Gießereien, Stahlfabriken, Puddelwerken, Walzwerken, Schmieden, Maschinenwerkstätten, durchzogen von dem Schienennetz seiner Eisenbahnen und umgeben von einer Arbeiterstadt, welche die Familien von 15 000 Arbeitern und alles, was dazu gehört, um dieselben zu nähren und zu kleiden, beherbergt. Rechts und links stehen Modelle der entfernteren Kohlenbergwerke, welche jährlich über 500 000 Tonnen Kohlen zutag fördern, die fast alle Creuzots eigne Öfen verzehren. Dafür haben diese Werkstätten im letzten Jahr 155 000 Tonnen Schmiedeisen und Stahl, sowie 25 000 Tonnen fertiger Maschinen in die Welt geschickt und hierfür 18 Millionen Franken in Löhnen und Gehalten bezahlt und 58 Millionen für ihre Erzeugnisse eingenommen.
In der übersichtlichsten Weise geordnet, ist nun des weiteren das Rohmaterial zu sehen, welches Creuzot verarbeitet: die Kohlen des mittleren Frankreichs, seine Spateisensteine, die Mineralien, welche ihm von Algier zugeführt werden. Dann folgen die Erzeugnisse der Hochöfen in ihrer steigenden Verfeinerung, zuerst die Schmiedeisenmassen, wie sie aus den Puddelöfen hervorkommen und wie sie sich allmählich unter dem Hammer gestalten. Hierauf was alles die Walzwerke liefern in Schienen, Platten und Blechen, Stangen und Drähten. Endlich das jüngste Kind dieser Industrie, der Gußstahl in seiner gewaltigen Entwicklung. Es hat keinen Sinn, die Reihe der hier ausgestellten Meisterstücke aufzuzählen, deren Größe und Gewicht auch mit Hilfe von Zahlen dem Uneingeweihten kaum eine richtige Vorstellung von ihrem Werte und ihrer Bedeutung geben.
Eine weitere hochinteressante Abteilung sind die gebrochenen, zerrissenen, zerquetschten und in hundert tolle Formen verbogenen Maschinenteile, mittels deren die Beschaffenheit des Materials gezeigt wird. Die gedrungenen Massen des Gusses, die zähen Fasern des Schmiedeisens, die feinen silbersamtgrauen Brüche des Stahls, die hier bloßgelegt erscheinen, sind wohl noch nie übertroffen worden.
Von fertigen Maschinen zeigt Creuzot eine einfache Lokomotive in meisterhafter Ausführung, ferner eine kleine Verbundmaschine und eine größere dreizylindrige Schiffsmaschine von 2640 Pferdekraft. Das Schlichte, Unfranzösische der Formen dieser Maschinen fällt jedermann auf; ebensosehr die wundervolle, echt französische Sorgfalt in der Ausarbeitung auch der kleinsten Einzelheiten, die von vielen meiner englischen Freunde mit wahrhaft verzweifelter Bewunderung anerkannt wird.
An den Wänden hängen Pläne und Zeichnungen und vor allem statistische und graphische Darstellungen der Geschichte und der Erfolge von Creuzot. Da ist zum Beispiel die Zu- und Abnahme seiner Kohlen-, Gußeisen-, Schmiedeisen- und Stahlproduktion von 1837 bis 1878 mit einem einzigen Blick zu erfassen. Eine andre Karte zeigt die geographische Verteilung dieses riesigen Absatzes. Von Creuzot, als dem Mittelpunkt, gehen nach allen Seiten bandförmige Linien aus, deren Breite die verhältnismäßige Stärke desselben andeutet. Die breiteste Straße geht natürlich durch Paris, um sich dort nach verschiedenen Richtungen zu verteilen. Dann folgen in ihrer Bedeutung Marseille, Bordeaux, Nantes und Havre. Die Stärke des Handels nach Rußland ist die größte für das Ausland, ihr folgt Italien, sodann in immer dünneren Streifen und Fäden Nordamerika, Westindien, Südamerika, Spanien, Türkei, Schweiz, Österreich, Elsaß-Lothringen, Schweden und Dänemark. Deutschland und England glänzen durch ihre Abwesenheit; denn nach der Geographie des Herrn Schneider ist Elsaß-Lothringen derzeit ein eignes Reich. Wir verlassen diese merkwürdige Halle, um hinter derselben ein paar Anhängsel zu betrachten: einen gewaltigen Kranen und einen Rieseneisenbahnwagen, auf dessen vierundzwanzig Rädern die italienischen Hunderttonnenkanonen befördert wurden. Wir verlassen sie mit aufrichtiger Bewunderung für einen der Triumphe des französischen Gewerbefleißes und für ein bis heute unerreichtes Beispiel der Art, wie eine große Fabrik ausstellen kann und soll, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, der Welt zu zeigen, was die Eisenindustrie unsrer Tage zu leisten vermag.