Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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51.

Minieh, den 25. Februar 1872.

Wohl mir! Ägypten ist noch immer das wunderliche Land, worin auch Alltägliches einen komisch-pathetischen Anstrich bekommt: ein fortwährendes Zusammenstoßen von Gegensätzen, ein kochendes Gemisch von Erhabenem und Lächerlichem. Daran mitzukochen ist jedoch nicht immer das Angenehmste, was einem Menschen blühen kann.

In Kairo hatte ich das Nötigste für meine Leute einzukaufen. Die Stadt wimmelte von alten Bekannten und setzte mich mit dem veränderten Gesichte ihrer neuen Stadtteile in Erstaunen. Ein französisches Theater, eine Oper, ein Zirkus, ein Park, eine Nilbrücke, Häuser und Straßen, wo früher Stachelbirnen und Palmen wucherten. Indessen ließ mir das Herumrennen nach Betten und Bettstellen, nach Schüsseln und Töpfen, Köchen und Hausdienern kaum Zeit zu einem Ritt nach Schubra, das still, zerrissen und verlassen in seinem grünen Klee und seinen staubbedeckten Sykomoren hindämmert. In meinem einstigen Haus wohnt ein sprachloses Geschöpf, das Seidenraupen züchtet. Sic transit u.s.w.

Von Minieh aus wurde versichert, daß daselbst zwei allerdings leere Häuser für mich und meine Leute zur Verfügung stünden. Was dies heißen will, kennen wir. Auch sei der Vizekönig noch dort und daher alles in fieberhafter Geschäftsaufregung und Ungeduld.

Meine sieben Sachen waren schließlich beisammen und wurden nicht ohne Schwierigkeit in drei Wagen nach dem Bahnhof der Gesira befördert. Am gleichen Abend kamen meine Leute von Alexandrien, und am folgenden Morgen machte sich die kleine Karawane auf den Weg.

Die Bahn, welche derzeit in Rhoda, zwanzig Meilen oberhalb Minieh, endet, ist ganz neu. Es ist daher verzeihlich, daß ich die Reise mit einem Mißgriff anfing und, da wir nachmittags drei Uhr in Minieh ankommen sollten, nicht Mundvorrat für mehrere Tage mitnahm. Ein Sonderzug, auf den ich gerechnet hatte, fuhr ab, während unser Gepäck gewogen wurde. Der nächste Zug ging drei Viertelstunden nach der im Fahrplan bestimmten Zeit ab. So kamen wir um halb zehn allmählich in Bewegung.

Am linken Nilufer hinauffahrend, begrüßte mich die ganze Reihe der Pyramiden von Giseh, Abusir, Sakkara und Daschur wie alte Freunde. Das ist ein Stückchen Erde, an dem trotz Eisenbahn und Dampfboot, trotz Zucker und Baumwolle die Zeit spurlos vorübergeht. Weiter hinauf beschränkt sich das Interesse der Fahrt auf gelbe Wüstenberge, grünen Klee und Dattelpalmen, an denen man sich immer wieder freut, als wären sie schlanker und grüner als unsre Tannen, was sie beides nicht sind.

Gut war es, daß in demselben Wagen mit mir drei Engländer reisten, welche dem Stamm der klugen Jungfrauen angehörten; sonst wär' ich vielleicht am ersten Tag dieser Expedition verhungert. Außer Zwiebeln und Orangen war unterwegs nichts Eßbares zu finden und statt um vier Uhr nachmittags kam unser Zug um elf Uhr nachts in Minieh an. Dies war nichts Ungewöhnliches. Als ich einige Tage später den Stationsvorstand von Minieh fragte: »wann eigentlich dieser Zug ankommen solle?« sah er mich verwundert an. »Wer kann das wissen, o Herr? Vielleicht in einer Stunde, vielleicht in drei Stunden, vielleicht morgen früh. Es steht in Gottes Hand.« Vom Bahnhof führte uns ein Maurermeister in ein kleines griechisches Kneipchen, dessen Geruch mir über sechs Jahre herüber schwer aufs Herz fiel. Doch bekamen wir etwas zu essen und flüchteten für den Rest der Nacht auf das Deck eines Nildampfers, wo wir kühle, wenn auch zweifelhafte Lagerstätten fanden.

Unser Haus beruhte auf einem Mißverständnis. Dagegen hatte der Mafetisch merkwürdigerweise für Zelte gesorgt, ein großes und drei kleinere. Somit gingen wir zunächst ans Zeltaufschlagen. Meine Leute nahmen vom großen Besitz; ich nahm eines der kleinen, der Koch den Rest. So steht die Sache noch. Nachts ist es unter diesen Zelten ziemlich kalt, bei Tag zu heiß. Doch kann man's ertragen, und seitdem uns ein Zimmermann Stühle und Tische angefertigt hat, läßt sich's leben.

Mitten in dieser Robinsonade überraschte mich Mr. Fowler, der von Feschna (unsrer im Werden begriffenen Zuckerfabrik) gekommen war. Etwas Wunderliches hatte sich dort zugetragen. Ein Mr. Rousseau, früherer Ingenieur am Suezkanal, hatte dem Vizekönig für den Machmudiehkanal (zwischen Alexandrien und Kairo) Kettenschiffahrt vorgeschlagen. Zufällig erwähnte dies der Vizekönig in Fowlers Gegenwart, der sofort für die Tauerei eintrat und bemerkte, daß ich dem Vizekönig die Sache erklären werde. Zum Glück hatte ich Zeichnungen bei mir, und die Folge ist, daß ich soeben von einer langen Audienz bei Ismael-Pascha komme. Seine Hoheit war überaus gnädig, und ein gewisser Frederic-Pascha erhielt Befehl, sich unverweilt nach Belgien zu begeben, um dort die Sache zu studieren. Am gleichen Abend wurde bestimmt, daß einige der neuen Dampfpflüge dem Vizekönig sofort in Tätigkeit gezeigt werden sollen. Rousseau holte mich noch nachts aus dem Bette, um mir dies mitzuteilen. Da war guter Rat teuer. Die fünf Pflüge, welche für Minieh bestimmt sind, bestehen aus einer Sendung von einhundertfünfundsechzig Kisten und Kästen, Kesseln, Rädern und losen Stücken aller Art. Hiervon waren etwa achtzig angekommen, jedoch die Hälfte derselben ein paar Tage vor meiner Ankunft aus Versehen nach unbekannten Stationen weitergeschickt worden. Fowler fand es rätlich, abzureisen.

Die nun folgende Woche war keine kleine Prüfung. Der verlorene Bahnzug wurde in Megagga, etliche dreißig Meilen von hier, entdeckt und kam nach einigen Tagen zurück. Das Abladen der schwereren Maschinenteile an drei verschiedenen Plätzen, die fast unüberwindliche Trägheit, die sich jeder Bewegung entgegenstemmte, die Mißverständnisse absichtlicher und unabsichtlicher Natur, und meinerseits das etwas demütigende Gefühl, wieder an einem Punkt zu beginnen, an dem ich beiläufig vor zehn Jahren angefangen hatte – es waren Tage, die ich nicht rot anstreichen werde.

Der Vizekönig ist unerwartet abgereist, gottlob! Meine Arbeiten sind endlich im Fluß, und drei Apparate werden für ihn bereit sein, wenn er, wie beabsichtigt, in zehn Tagen wieder zurückkommt.


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