Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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128.

Boufarik, den 12. Oktober 1879.

Eine Stunde Wartezeit, ehe mich ein Bahnzug nach Affroun bringt, wo ich als Sonntagsvergnügen dampfgepflügte Felder ansehen soll, die den glücklichen Besitzer des Guts zur Verzweiflung bringen. Mr. Pilter, der große Agent für englische Maschinen in Frankreich, zurzeit Unternehmer und Eigentümer des Pflugs, schrieb, daß er »der Wohltäter des Landes zu werden gehofft habe. Anstatt dessen finde er mit Betrübnis, daß man ihn in der ganzen Provinz verfluche. Und das sei doch hart, nach einer Kapitalauslage von 70 000 Franken!« Daran scheint einiges Wahre zu sein.

Ehe wir aber mit diesem Geschäftsbericht fortfahren, muß ich Euch eine kleine Geographiestunde geben. Seit gestern habe ich das Hotel de la Regence in Algier verlassen und mich hier angesiedelt. Boufarik ist ein Dorf an einer Bahnstation der Linie Algier-Oran, zwei Stunden Fahrt von der Hauptstadt, in der Talsenkung zwischen dem Atlas im Süden und der Hügelkette des Sahels im Norden. Etwas weiter westlich ist das bedeutendere Städtchen Blidah. Ihr macht Euch keinen Begriff, wie wunderhübsch dieser Teil von Algier ist. Der blaue Atlas sieht mir zum Fenster herein, das dichte Grün von Orangen und Maulbeerbäumen, von Akazien und Dattelpalmen überragend. Die weite Ebene am Fuß der Berge ist ein landwirtschaftliches Paradies, und die Luft, der Sonnenschein bei Tag und das Sternenlicht der Nacht erinnern an die glücklichen Urzeiten der Menschheit. Die Dörfer sind sauber; an Raum brauchte man nicht zu sparen. Gerade Straßen mit dichten Alleen von Sykomoren und Eukalyptus. Häuschen mit Gärten auf allen Seiten. Eine hübsche Kirche, fast versinkend in Palmen und mächtigen Laubbäumen. Dunkle Mauern von Zypressen da und dort, um einen Orangengarten vor kalten Winden zu schützen. Vortreffliche Straßen, so gerade wie ein Pfeil fliegt, von Dorf zu Dorf. Bewässerungsgräben in allen Richtungen.

Bei alldem wurde mir in den letzten zehn Tagen entsetzlich klar, daß ich nicht hierher gekommen bin, um Landschaften zu bewundern. Der erste halbe Tag in Algier, nach einer unangenehmen Überfahrt von Marseille, war fast die einzige freie Zeit, die mir die Verhältnisse gestatteten. Dann hatte ich eine Woche lang jeden Morgen um sechs Uhr hierher, nach Blidah oder Giffa zu fahren, auf frisch gepflügten Feldern umherzustolpern, und kam abends sieben Uhr so müde zurück, daß ich kaum Lust hatte, beim abendlichen Kaffee die letzten Pariser Zeitungen unter einem afrikanischen Sternenhimmel zu durchblättern. Doch war schon jener erste halbe Tag eine mühselige Woche wert.

Algier ist ein herrliches Plätzchen der schönen Erde. Und das Gruselige des alten Piratennestes, das uns wie ein weißgelber Totenschädel aus hundert schwarzen Augen vom fernen Ufer anstiert, trägt nicht wenig dazu bei, es anziehend zu machen. Berge ringsum, grün und rot im Vordergrund, blau, stolz und gewaltig im fernen Hintergrund. Ein prächtiger Hafen mit Leuchttürmen, Batterien und riesigen Hafenmauern. Den Kais entlang die stattlichen Bauten der französischen Stadtteile, zwei offene Plätze, mit Palmen geschmückt, welche französische Generale auf bronzenen Pferden beschatten. Daneben eine verirrte Moschee aus einem andern Jahrhundert. Und drüber, Haus über Haus sich türmend, das Gewimmel der alten Berberstadt, mit ihren engen, steilen, aber wohlgepflasterten und sorgfältig numerierten Gassen, gekrönt vom roten mittelalterlichen Schloß des Deis (der Kasba), an dessen zerfallenden Wänden nach den Bergen hin sich Bananen und Zypressen, Aloes und Kaktusse anklammern. Und diese Aussicht von oben! Links St. Eugen, ein niedliches Dorf in grüner Schlucht, vom Meer bespült, und weiter, auf stolzer Höhe, eine moscheeartige Kirche, der »heiligen Jungfrau von Afrika« gewidmet. Rechts »Mustapha«, eine grüne Bergwand voll reizender Villen, die sich die müden Engländer aus Indien bauen, welche es zu Haus nicht mehr aushalten. Nach hinten rechts und links in mannigfaltigen Gruppen die blauen Berge des Atlas. Nach vorn in weitem glänzendem Bogen das ruhige, blaue Meer. Nach unten die weiße wunderliche Stadt, alte Piratenfesten, moderne Hafenbauten; ein buntes Gemisch von Beduinenburnussen und Kellnerfräcken. Nach oben der tiefblaue Himmel, mit einem glänzenden Wölkchen da und dort. Man muß allerdings von Leeds kommen, um einen blauen Himmel begrüßen zu können, wie ich es noch kann.

Zwei Stunden nach dem Landen kroch ich schon in den Winkeln der Kasba umher und besuchte mittags, im Schweiß meines Angesichts, die heilige Jungfrau von Afrika. Am andern Morgen wär' ich um ein Haar arretiert worden, wie gewöhnlich, wegen unerlaubten Skizzierens an militärisch wichtigen Punkten, die ich in der kindlichen Unschuld meines Herzens nicht zu würdigen weiß. Dann aber hatten alle Allotria ein Ende, und ich begrub mich mit Leib und Seele in dem grausigen Gewühl von Palmettenwurzeln, in welchem ich zurzeit noch stecke! –

Ihr erinnert Euch vielleicht aus früheren Briefen, wie Mr. Pilter zusammen mit Mr. Billard, seinem Vertreter in Algier, auf der Pariser Ausstellung einen Dampfpflug kaufte, der eine neue und hochwichtige Aufgabe lösen sollte. Greig hatte persönlich vor Jahren unter der kaiserlichen Regierung mit derselben Sache zu tun gehabt, ohne zum Ziel zu kommen. Er glaubte die Aufgabe jetzt bewältigen zu können und übernahm die Bestellung. Aber der Erfolg ist auch heute noch nicht der gewünschte.

Tausende von Morgen des besten Bodens sind hierzuland mit einem bösen struppigen Gebüsch bedeckt, dessen Beere die Schakale fressen und das sich auf diese unanständige Weise weiterverbreitet. Es ist die entartetste Gattung von Palmen, nicht die reizende fächerformende Palmettopflanze, sondern ein halb verkümmerter Struwwelpeter derselben Familie. Blätter kaum zwanzig Zentimeter über dem Boden. Eine dicke, filzige Zwiebel, einen Fuß tief in der Erde, und vom Zwiebel nach unten ein Gewirr zäher schnurartiger Wurzeln. Ein Feld, auf dem die Pflanze gedeiht, und sie gedeiht leider auf allen guten Feldern, die ein Schakal bepflanzt hat, ist ein dichter, grüner Teppich und drunter eine zusammenhängende Filzmasse aus Kautschuk und Bindfäden. Dieses Zeug aufzureißen und umzuwenden ist unsre Aufgabe. Das Pflügen geht; damit ist die Hauptschwierigkeit überwunden, aber die entstandenen Riesenschollen zu zerkleinern, überläßt Mr. Greig in Gnaden mir.

Zum Glück habe ich wenigstens einen Plan à la Trochu oder Benedek. Das tröstet für den Augenblick. Pilter schreibt mir die zärtlichsten Briefe. In etlichen Tagen bin ich hoffentlich in der Lage, die Wirkung dieses Plans zu erproben. Dabei handelt es sich um Sieg oder Tod. Derartige Geschichten sind wie gewagte Schlachten. Das Wagnis bleibt uns wie den Soldaten manchmal der einzig mögliche Ausweg.

In Boufarik bin ich wohl aufgehoben. Verglichen mit einem deutschen Dorf ist es ein reizendes Städtchen, mit einem freundlichen Gasthof, einem »Cercle« und so weiter. Wenn nicht weiße Burnusse herumliefen und braune Araber, glaubte man kaum, auf afrikanischem Boden zu sein. Es ist zuzugeben, daß die Franzosen hier mehr geleistet haben, als man ihnen zutraut.


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