Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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52.

Minieh, den 10. März 1872.

Die Lage der Dinge ist verworrener als je. Von den ersten fünf Dampfpflügen, die ich abzuliefern habe, sind viereinhalb fertig. Es hat aber niemand Befehl, sie zu übernehmen, so notwendig es wäre, sie in Tätigkeit zu setzen. Die weiteren fünf Apparate liegen zwischen hier und Alexandrien zerstreut. In Alexandrien scheint eine Weisung vorzuliegen, dieselben (wieder etliche hundertsiebzig Kisten) nach Minieh zu senden. In Minieh ist jedoch kein Befehl vorhanden, sie abzuladen. Seit etlichen Tagen steht nun der erste Zug mit fünfundzwanzig Kisten hier, während etwa hundert Kisten von Alexandrien abgegangen sein sollen und ohne Bestimmung im Lande umherirren.

Meine fertigen Apparate stehen in Schlachtordnung auf dem nächstgelegenen Zuckerrohrfeld und warten auf den versprochenen Ausstellungstag. Der Vizekönig wartet in Kairo darauf, daß gleichzeitig Versuche mit verschiedenen Transportvorrichtungen gemacht werden können, die das Zuckerrohr vom Feld nach den Fabriken befördern sollen.

Wenn es ein Trost ist, Leidensgefährten zu haben, so geben mir die armen Erfinder der Transportvorrichtungen diesen Trost. Unser kleines Lager besteht jetzt aus sieben Zelten, in denen unchristlich viel geschimpft und geflucht wird. Aber ich hoffe, es ist verzeihlich. Auch die Geduld des Christen hat ihre Grenzen.

Nehmt statt zwanzig nur ein Beispiel: Mit jeder unsrer Maschinen kommt wohlverpackt eine Kanne Öl, die uns über den Bedarf während des Montierens hinweghilft. Diese Krüglein sind aber nicht aus Sarepta und werden von den Arabern fleißig benutzt, ihre Suppen damit zu schmalzen. Ich war deshalb vorgestern genötigt, von der Verwaltung für die weiteren Arbeiten zehn Pfund Öl zu verlangen, und begab mich mit meinem obersten Maschinenwärter nach dem Magazin, um die Sache zu beschleunigen. Nach langen Verhandlungen mit einem Schreiber und zwei Magazinverwaltern wurde uns deutlich, daß diese Beamten nicht in der Lage waren, uns selbständig Öl zu verabreichen (sie saßen dabei auf zwei vollen Fäßchen), und daß wir uns zunächst an eine höhere Stelle zu wenden hatten. Dieselbe fand sich in einem Nachbarhause, dessen Räumlichkeiten an einen deutschen Schafstall erinnerten. Dort saßen zehn Schreiber, nach orientalischer Sitte mit dem Kopfe wackelnd und die Rechnungen, die sie abschrieben, laut vor sich hinsingend. Der Oberschreiber bedauerte mit vieler Höflichkeit, daß der Amtsvorstand noch nicht gekommen sei. »Fattach!« (Nehmen Sie Platz!) hieß es, wie gewöhnlich. Fünf Minuten später entdeckte mein Maschinist den ersehnten Herrn am Horizont. Wir stürzten ihm nach und fingen ihn. »Ich brauche zehn Pfund Öl, o Efendi, und ich muß zehn Pfund Öl haben!« erkläre ich mit verbissenem Grimm. – »Mit Vergnügen, o Herr; aber ich bin im Begriff, auf die Bahn zu gehen, wo ich einen teuern Freund erwarte. Heute nachmittag will ich diese Angelegenheit bereinigen oder morgen.« – »Nicht morgen brauch' ich Öl, o Efendi, sondern jetzt, sogleich!« sag' ich mit steigender Wut. – »Bedenke, o Fremdling,« sagt er, »alles hat seine Zeit! Sobald der Bahnzug angekommen ist«, und so weiter. Schließlich bring' ich's doch dahin, daß er mir einen seiner zwei Diener, die mit Stöcken bewaffnet hinter ihm drein wandeln, mitgibt, um dem Oberschreiber amtlich zu erklären, daß ein wirkungsvoller Brief an die Magazinverwalter geschrieben werden solle. Wir drei, ich, mein Maschinenwärter und der Bestockte, eilen somit nach dem Schafstall zurück. Dort wird die Sache wieder durchgesprochen, und der höfliche Oberschreiber präsentiert mir plötzlich ein Papier, das er unterzeichnet haben will und aus dem ich die Zahl fünfzehn deutlich herauslese. »Was hat das zu bedeuten?« frag' ich natürlich. »Es ist bekannt, o Herr,« sagt er lächelnd, »daß du vor drei Tagen fünfzehn Stück Balken, zehn kleine und fünf große, gebraucht hast, um deine Maschinen von dem Fluß nach dem Feld zu befördern. Da dieselben meistens zerbrochen sind, so bitte ich dich, den Empfang derselben zu unterzeichnen. Ich werde dir sogleich den Brief für das Öl schreiben.« – Natürlich unterzeichnete ich, obgleich ich weder fünf lange, noch zehn kurze Balken verbraucht hatte. Aber ich war bereit, mein Todesurteil um zehn Pfund Öl zu unterschreiben. Mit dem Ölbrief ausgestattet, ging's jetzt zurück nach dem Magazin. Lange Betrachtung desselben und bedenkliches Kopfschütteln. »Es fehlt, o Herr, die Unterschrift des Mafetischs. Wir können mit dem besten Willen dir kein Öl verabreichen.« Meine Geduld war zu Ende. Ich schickte den Zettel durch den Maschinenwärter zum Mafetisch und ging andern Geschäften nach. Nach einer Stunde kommt der Mann wieder. Der Mafetisch war über Land, »kommt aber nachmittags noch nach Hause.« Abends endlich, um fünf Uhr, finde ich meinen Maschinenwärter gemütlich hinter einem alten, verstaubten Kessel, wo er sich sein Abendessen mit dem glücklich erbeuteten Öl kocht.

Daß sich jedoch unser Dasein nicht ganz in den Sand dieser traurigen Wirtschaft zu verlieren gedenkt, wurde mir gestern nachmittag klar. Wir hatten unsre Maschinen nach einem Felde zu bringen, wobei ein tiefer und breiter Kanal, der neugegrabene Ibrahimieh, zu überschreiten war. Über denselben führt eine Eisenbahnbrücke sowie ein leichter Holzsteg ohne Geländer. Für die Maschinen konnte ich die erstere benutzen; für die großen Geräte war nur der letztere verwendbar. Ich stellte deshalb eine der Maschinen am jenseitigen Ufer auf und zog mittels des Drahtseils langsam und vorsichtig einen Apparat um den andern über das Wasser. Ein Deutscher, welcher bei mir in Sachsen seine ersten Pflugstudien gemacht hatte, steuerte die Pflüge. Wir hatten bereits vier derselben glücklich drüben, als beim fünften durch eine unglückliche Bewegung das Geräte samt dem Mann über die Brücke ins Wasser stürzte. Der Pflug hatte sich vollständig überschlagen. Ein Teil desselben war an der Oberfläche sichtbar, aber der Mann tauchte nicht auf. Ich sprang nach, fand aber unter Wasser nur einen Rock, in den Pflugmessern hängend. Als ich auftauchte, schwamm nur ein Tarbusch und ein Hut trostlos auf der Oberfläche. Einige Araber waren jedoch im Begriff, uns nachzuspringen. Als ich zum zweitenmal heraufkam, hatten sie den bereits ohnmächtigen Mann schon fast am Ufer. Eine halbe Stunde später war er wieder imstande zu gehen. Auch der versunkene Pflug steht heute im Feld, und das ganze Abenteuer erscheint mir nur noch wie ein böser Traum.

Soeben bekomme ich Nachricht, daß die fünf übrigen Dampfpflüge in Feschna, fünfzehn Meilen unterhalb Minieh, abgeliefert werden sollen. Die Verwirrung wird dadurch nur um weniges bodenloser. Ich sehe ihr mit Ruhe entgegen, Beruf und Pflicht sind nun einmal die ersten Gebote für den Mann; je weniger er darüber sentimentalisiert oder gar philosophiert, desto besser für ihn und den Beruf. Damit will ich nicht in Abrede stellen, daß es nachgerade unerträglich heiß wird. Manchmal versuche ich das schöne Lied zu brummen:

»Ins Kloster will ich gehen,
Da liegt ein kühler Wein.«

Aber es geht nur in Gedanken; meine Kehle ist zu trocken.


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