Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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62.

Leeds, den 16. Februar 1873.

Ihr seufzt über meine letzten Briefe. Ich bin geneigt, Euch Gesellschaft zu leisten. Auch mir erscheint das Treiben des täglichen Lebens oft genug eine Tretmühle, in der immer wieder die gleichen Staffeln zu ersteigen sind. Zum Glück ist dies nur die äußerliche, in die Augen fallende Seite. Hinter dem Tretrad wird denn doch Korn gemahlen, mit dem sich die ganze Menschheit allmählich zu dem herausgefüttert hat, was sie ist. Das ist immerhin der Mühe wert. Der große Übelstand besteht darin, daß der einzelne so wenig bedeutet im Verhältnis zum Ganzen, daß er darüber vergißt, wozu die Mühle im Gang gehalten wird, und nichts sieht als das Tretrad und sein Gezappel.

Der letzte Monat war in der Tat für die Pflege des Schönen und Guten nicht günstig. Wenn man regelmäßig erst gegen neun Uhr abends aus der Fabrik heimkommt, so sind die Bedürfnisse des Geistes und Herzens vorweg befriedigt.

Daß der Bridgewaterkanal vorerst größere Proben machen will, wißt Ihr. Die letzten Wochen waren der Ausarbeitung der Pläne gewidmet, mit denen ich gestern fertig wurde. Wir bauen zunächst ein Versuchsboot, dem zehn bis zwölf weitere Boote nachfolgen sollen.

Natürlich kommt mir die Wiener Ausstellung dabei sehr in die Quere. Ich muß mich von dem Grundsatz beherrschen lassen, daß ein Spatz in der Hand mehr wert ist als der schönste Falke auf dem Dach. Wir könnten in Wien beträchtliche Summen und einen weltberühmten Ruf verlieren und dürfen deshalb keine Unterlassungssünden begehen. Aber es ist hart. Die Falken haben mich immer mehr interessiert als die Spatzen.

Und nun legt das allzu gütige Schicksal noch einen weiteren Sack auf den Rücken des – sagen wir des Kamels, denn es handelt sich um Ägypten. Schon vor etlichen Monaten verlangte das Ministerium der öffentlichen Arbeiten des Khedive ausführliche Aufklärung über Seilschiffahrtsfragen. Dies war ein Zeichen, daß sich der Kamsin zu drehen anfing; denn voriges Jahr hatten wir dort mit einer starken Gegenströmung zu kämpfen. Sodann kam die Nachricht, daß in einem Bericht an den Khedive sämtliche von uns gelieferten Maschinen, namentlich auch die Zuckerfabrik von Feschna, welche unter französischen und auch englischen Treibereien fast zugrunde gegangen war, nunmehr für vortrefflich erklärt wurden. Schließlich folgte ein Telegramm an Fowler, sofort wegen Seilschiffahrtsangelegenheiten nach Ägypten zu kommen und einen sachverständigen Techniker mitzubringen.

Nun war guter Rat teuer. Voraussichtlich kann die ägyptische Reise nicht in weniger als sechs Wochen abgemacht werden. In diese sechs Wochen fallen die gesamten Vorbereitungsarbeiten für die Wiener Ausstellung und der ganze unverschiebbare Anfang unsers österreichischen Feldzugs. Fowler will mich trotzdem nach Ägypten nehmen, Greig dagegen nicht gehen lassen, und ich selber muß dem letzteren recht geben, obwohl ich zehnmal lieber den Krokodilen am Nil nachjagte als zweifelhaften Fischen an der unteren Donau.

Noch gestern flogen die Telegramme hin und her, und selbst heute ist die Sache keineswegs entschieden. Aber es ist Sonntag, und somit ruht der äußere Sturm. Nur im Innern gärt es; und ich finde es empörend, daß die Natur dem Menschen nicht gestattet, in zwei Weltteilen zugleich zu sein.


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