Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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125.

Leeds, den 1. August 1879.

Die Rückkehr von Konstantinopel bot neben einem geschäftlich höchst tröstlichen Aufenthalt in Rumänien von Altem und Schönem genug, von Neuem nur eine Stunde: die Fahrt über den Kanal, in einem Boot, welches aus dem verunglückten Gedanken Bessemers hervorgegangen war und wie das Bessemerschiff der seekranken Welt zulieb gebaut worden ist. Ich habe mich mit demselben sehr befreundet. Es sind zwei vollständig getrennte Schiffe, die durch eine Brücke verbunden sind, so daß man auf dem Deck und in den Kajüten kaum merkt, daß man sich in zwei, statt nur in einem Schiff befindet. Zwischen beiden ist ein breiter Mühlkanal, zumeist in einem Tunnel verborgen, in dem ein riesiges Schaufelrad der Arche ihre Bewegung gibt. Vorn am Bug, zwischen den beiden Schiffen, welche brüderlich die Fluten durchschneiden, schießt das Wasser in stürmischer Eile in den Kanal; hinten wird es in weißen, wilden Wogen hinausgeworfen. Oben ist man wie auf einer Insel, die leise zitternd durch den Ozean flutet. Wenigstens bei ruhigem Wetter. Bei lebhafter See soll's trotz allem nicht so leise zitternd zugehen. Und das schlimmste ist, daß der Kohlenverbrauch und damit die Kosten des Betriebs der Insel derart sind, daß sie vielleicht wieder aufgegeben werden muß. Es geht andern Erfindern auch nicht besser als gelegentlich John Fowler & Co. und ihren Ingenieuren.

In London traf ich die Spitzen des geschätzten Hauses in ausgesucht schlechter Stimmung. Es war die Nachwirkung der Ausstellung der Royal Agricultural Society, die dieses Jahr zu London (Kimberley) abgehalten wurde und gründlich mißglückt ist. Ich war in den Tiefen der Türkei besser aufgehoben. Es hatte die ganze Woche vor der Ausstellung geregnet. Der Ausstellungsplatz war buchstäblich in einen Sumpf verwandelt. Hunderte von Wagen, welche die schwereren Maschinen bringen sollten, staken bis an die Achsen im Kot. Dutzende von Pferden, die vorgespannt wurden, versanken bis an den Bauch und mußten mit Stricken und Flaschenzügen herausgezogen oder gar getötet werden. Etliche Wagen kamen nie an ihren Bestimmungsort. Während der Ausstellung war es eine Hauptbeschäftigung der Aussteller, mutige, aber versinkende Damen aus dem Morast zu ziehen. Das stärkere Geschlecht befand sich verhältnismäßig wohl dabei; aber die Gesellschaft verlor zwanzigtausend Pfund Sterling, die einzelnen Aussteller ungezählte Summen und allen Humor. Nicht jeder hat gelernt, bei den Wechselfällen des Lebens eins ins andre zu rechnen.

Ihr wißt, daß ich schon in Paris während der Ausstellung von einem portugiesischen Marquis aufgesucht wurde, der mich für Dampfkultur am Sambesi begeistern wollte. Die Sache selbst, wie meine Neigung zu derselben, ist noch zweifelhaft. Doch studiere ich infolge davon Livingstones Reisen mit besonderem Eifer.

Das ist ein Mann nach meinem Geschmack, ohne Vorurteile, ohne Engherzigkeit, der in den dunkelsten Tiefen der Welt und der Menschheit nicht vergißt, daß die Natur überall natürlich ist und die Menschen überall menschlich. Er ist nicht, was Euch bereits vorbildliche Sorge macht, am Sambesi gestorben, sondern an einem See, den er für einen Teil der Nilquellen hielt, der aber ein Stück vom Kongo zu sein scheint. Ein Heldentod ohne Lärm. Wäre es besser, es lebte ein unbekannter Landpfarrer namens Livingstone zehn Jahre länger in Schottland; ist es nicht zehnmal schöner, er liegt am Kongo begraben und hat sein Werk am Webstuhl der Zeit getan wie ein Mann? Wir können nicht alle Livingstones sein, schon weil der Stoff, aus dem solche Leute gemacht sind, ziemlich rar ist in der Welt. Aber wir können – die meisten unter uns – und sollten alle unsern holperigen Lebensweg suchen, wo er uns Arbeit verspricht, ohne allzusehr an die eigne kostbare Haut zu denken; denn diese ist, beim Licht betrachtet, blutwenig wert. »Und setzet ihr nicht das Leben ein, nie wird euch das Leben gewonnen sein!« Das gibt man unsern Gymnasiasten und Realschülern zu deklamieren, und wir Alten fühlen, wie wahr es ist. Ist es nicht am Platz, gelegentlich ernst damit zu machen? Zum Glück tun's Tausende, die es nie deklamiert haben.


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