Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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32.

Bonn, den 25. April 1885.

Da haben wir's!

Ich glaubte Dir, so sauer es mir fiel, denn ich war in Wahrheit tieftraurig, einen lustigen Brief über Kolonisieren am grünen Tisch geschrieben zu haben, und zum Dank machst Du mir bittere Vorwürfe, daß ich mein Vaterland verunglimpfe, die Zukunftssehnsucht und den Idealismus unsers Volks verspotte und seine wackeren patriotischen Männer nicht verstehe. »Tust Du denn nicht fast dasselbe,« klagst Du mit einigem Schein des Rechts; »trommelst Du nicht auch Leute zusammen, die viel lieber zu Hause blieben, und quälst dich ab, einen großen Verein zu gründen, von dem die wenigsten wissen, was er eigentlich tun soll? Die prächtigen Reden der Kolonialleute können kaum schwärmerischer klingen, als was Du in Deinem Aufruf an das Gewissen der deutschen Landwirtschaft leistest. Warum lachst Du Dich nicht selber aus?«

So meine eigne leibliche Mutter! – O, daß ich ein alter Gracche wäre und Du eine Römerin!

Auf kleine Unterschiede mache ich übrigens doch Anspruch. Die D. L. G. weiß annähernd, was sie will. Ich habe noch nie einen Schneider aufgefordert, beizutreten, und habe Höllenangst vor Gelehrten. Wir wollen Taten, was meine Mitglieder jammernd anerkennen, denn sie halten noch immer zwanzig Mark Jahresbeitrag für eine Großtat, die man niemand zumuten sollte. Wir haben ein bestimmtes Feld der Tätigkeit, einen festen Boden unter den Füßen; und ich schwöre, daß wir nichts unternehmen werden, solange ich's hindern kann, das sichtlich über unsre Kräfte geht. Wer weiß, ob nicht auch darin ein Fünkchen Idealismus steckt, so verkümmert er zu sein scheint.

Doch der sonnige Frühling und die drohenden Maiversammlungen in Berlin haben längst mit all dem alten Winterkram aufgeräumt, der in diesen Zeilen nachklingt. Baum und Strauch stehen in voller Blüte, und der Lenz macht auf den verdrießlichsten alten Baumstumpen einen gewissen Eindruck. Wenn ich nur könnte, wie ich wollte! Aber selbst die schönsten Frühlingstage kann sich der Mensch verkümmern. Gestern hat eine große Versandwoche angefangen, in der sechstausend Kreuzbandschreiben verschiedener Art abgehen sollen. Man hat keinen Begriff davon, was das heißt, ehe man's selbst erprobt hat. Mein Hilfsschreiberlein stöhnt im Nebenzimmer, trotz des Sonntagnachmittags, und ich kann ihm nicht helfen. Er behauptet dabei voll dienstfertiger Höflichkeit, es mache ihm Vergnügen. So werden wir in dieser verrückten Welt aus Eifer und Gefälligkeit zu schamlosen Lügnern, wahrend die Lumpen im Sonnenschein liegen und der Wahrheit dienen. Wofür sie nachträglich allerdings auch ihre Strafe empfangen werden.

Vor vierzehn Tagen fühlte ich mich noch freier und benutzte die Gelegenheit zu einem Ausflug ins Siebengebirge, wo mein träumerisches Heisterbach neuerdings in der Gunst etwas gesunken ist. Ich sah lebensfroh von der Löwenburg nach dem Drachenfels hinüber. War es der Geist des herrlichen Raubrittertums, der noch immer um diese Kuppen weht, war es der erwachende Tatendrang des jungen Frühlings: ein kecker Gedanke ging mir plötzlich durch den Kopf, wühlte drin herum und hatte Form und Gestalt gewonnen, ehe ich nach Königswinter hinunter kam, um ihn dort mit einem Trunk Rüdesheimer zu festigen. Das Provisorium hat jetzt 1630 Mitglieder und etliche 28 000 Mark Bargeld in der Reichsbank. War das Fähnlein noch nicht kräftig genug, auf einen kleinen Raubzug auszuziehen, nach frommer Ritter Weise? Da lag die alte Ackerbaugesellschaft, zur Leblosigkeit erstarrt, auf ihrer verrosteten Geldkiste. War es nicht endlich Zeit, ihr den Garaus zu machen und den staubigen Geldkasten dem befruchtenden Sonnenlicht auszusetzen? Zeit, Recht, Pflicht war es; das machte mir schon das zweite Glas Rüdesheimer völlig klar. Noch am selben Abend schrieb ich nach Dresden und hatte wenige Tage später die alten Protokolle und sonstigen Papiere der entschlafenen Gesellschaft vor mir. Weiterer Briefwechsel ergab, daß gegen siebzig ihrer Mitglieder noch am Leben waren, die alle nicht wußten, ob ihre Auflösung rechtlich erfolgt war oder nicht. Schon längst, versicherten die einen; niemals, schrieben die andern. Von allen, soweit es sich aus Briefen beurteilen ließ, schien Herr von Rath zu Lauersfort, der Präsident des Provinzialvereins der Rheinprovinz, am lebendigsten geblieben zu sein. Rheinisches Blut! Ihm legte ich meinen Plan vor: Alle noch lebenden Mitglieder der früheren Ackerbaugesellschaft, die seinerzeit viel jugendliche Begeisterung und einiges Geld für den Gedanken geopfert hatten, der jetzt durch die D. L. G. ins Leben tritt, sollten kostenlos lebenslängliche Mitglieder der neuen Gesellschaft werden. Dagegen sollte das kleine noch vorhandene Vermögen der Ackerbaugesellschaft an die D. L. G. übergehen. Dieses Vermögen, welches in Dresden lag und durch Zinseszinsen auf 22 000 Mark angewachsen war, hatte ursprünglich unter der Verwaltung von drei Herren gestanden, von denen zwei gestorben waren, so daß nur noch Herr von Nordeck zur Rabenau in Friedelshausen bei Gießen darüber zu verfügen hatte und mit eifersüchtiger Treue seines Amtes waltete. Auf einen Brief von Herrn von Rath antwortete er, daß es ihm gar nicht einfalle, die fragliche Summe einer so jungen, zweifelhaften Neubildung wie dem Provisorium der D. L. G. zu übergeben. Sein Plan sei, es Herrn von Wedell-Malchow, dem Präsidenten des Landwirtschaftsrats – unserm unversöhnlichen Gegner –, mit der Bestimmung zu hinterlassen, es auf 100 000 Mark anwachsen zu lassen und dann für zeitgemäße landwirtschaftliche Zwecke zu verwenden.

Ein Schreiben an fünfundsechzig Mitglieder, deren Adressen festgestellt werden konnten, brachte dreißig zustimmende Antworten zu meinem Vorschlag. Die übrigen Herren waren entweder unversehens auch gestorben oder zu lebenssatt, um in dieser fast vergessenen Sache eine Feder in die Hand zu nehmen. Nun veranlaßte ich Herrn von Rath, seine alten Bundesbrüder zu einer Versammlung nach Berlin einzuberufen, die unter seinem Vorsitz im Anschluß an die dortige Mastviehausstellung und unsre eignen Sitzungen stattfinden soll. »Es ist mir nicht ums Geld,« verkündige ich, mit unsern eignen 28 000 Mark klappernd. »Die alten sechsundsechzig Herren und ihre jugendliche Hoffnungsfreudigkeit möchte ich haben und werde sie wohl auch kriegen, wenn sie sehen, daß sie anders keine Ruhe bekommen.«

Das ist's; keine Ruhe darf man der trägen Menschheit lassen. Einer meiner eifrigsten Werber in dem hart zu fassenden Westpreußen schreibt mir dasselbe: »Am 21. ziehe ich wieder auf Raub aus« – er meint den Mitgliederfang – »aber im Sommer wird es nur spärlich ins Faß tröpfeln. Halten Sie nur aus! Bei uns in Deutschland ist eine Zeit angebrochen, in der nicht die Sache, sondern die Person gilt, und Sie sind die Seele dieses für die Landwirtschaft wichtigsten Unternehmens unsrer Tage. Das Vertrauen wächst mit den Erfolgen, die nun schon sichtbar zu werden anfangen. Also noch einmal: halten Sie aus!«

Ist das er- oder entmutigend? Derselbe Morgen – damit die Bäume nicht in den Himmel wachsen – brachte zwei Hiobsposten. Die eine von Herrn Rath besagt, daß es ihm wegen Erkrankung seiner Frau nicht möglich sei, zu der Sitzung der alten Mitglieder der Ackerbaugesellschaft nach Berlin zu kommen. Ich, meint er, »bei meiner Gewandtheit« (!) werde leicht mit den Herren fertig werden. Da werden sie nun ankommen, sechsundsechzig Mann hoch, wie Schafe ohne Hirten, und ich soll die alten Hämmel weiden, von denen mich nicht einer kennt! Das will wieder einmal überlegt sein.

Sodann schreibt unser Präsident, Graf zu Stolberg-Wernigerode, höflich, aber sehr bestimmt, daß er den Vorsitz in den Maiversammlungen nicht führen könne und werde. Zwischen den Zeilen läßt er durchblicken, daß es ja eigentlich abgemacht gewesen sei, ihn mit jeder persönlichen und sachlichen Tätigkeit zu verschonen. Kannst Du mir's verargen, wenn ich doch noch manchmal sehnsüchtig nach England hinüberschiele? Hätte der Prinz von Wales zum Beispiel – – aber ich will nicht schielen.

Auch von unten grollt es noch immer. In Westfalen wurde in den Bauernvereinen feierlich vor neuen landwirtschaftlichen Verbindungen gewarnt, worunter niemand anders als unser bescheidenes Provisorium gemeint war. Am Ziel sind wir noch nicht, und Direktor Kuhnke zu Marienberg hat recht, wenn er mich zweimal ermahnt, auszuhalten.


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