Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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105.

Berlin, den 1. März 1896.

Die »große« Woche ist vorbei, so daß nach und nach der Gleichgewichtszustand wieder eintritt, der vielen in diesem Getümmel verloren gegangen ist: vom nervös gewordenen Landwirtschaftsminister in seinem schwarzen Sorgensessel bis herab zum brüllenden Bäuerlein im Zirkus Busch, dem würdigen Festsaal des Bundes der Landwirte, das kaum mehr wußte, weshalb es schrie. Und weil ich diese Woche zum letztenmal selbsttätig mitmache, kann es nichts schaden, Dir zu schildern, wie sie verlief.

Am Montag begann die D. L. G. mit vierzehn Sitzungen ihrer verschiedenen Abteilungen und Unterabteilungen. Aber nur in dreien hatte ich ernstlich zu tun, indem ich den Richtern von Getreidetrocknern, denen von Futterdämpfern und denen der Zugprüfungen erklärte, was ich tun würde, wenn ich sie wäre. In dieser Form werden auch weniger angenehme Pillen am leichtesten genommen. Überhaupt geht es in unsrer Geräteabteilung am friedlichsten zu. Die Leute verstehen, was sie wollen, und wollen nichts, was sie nicht verstehen. Auf dieser Grundlage können vernünftige Menschen immer miteinander auskommen. Die Sitzungen dauerten von zehn Uhr morgens bis acht Uhr abends. Dann mußte man der Freundschaft ein Opfer bringen und in einer Konzerthalle einen Hund krähen und ein Schwein Klavier spielen hören. Denn in der großen Woche tut auch das feindliche Berlin sein Äußerstes, um die notleidende Landwirtschaft durch die Genüsse heiterer Kunst ein wenig aufzurichten.

Der Dienstag bescherte uns neun Sitzungen, von denen mich nur zwei in Anspruch nahmen. Sie ersetzten durch ihre Dauer von morgens neun bis abends neun Uhr, was ihnen an Zahl etwa fehlen mochte, und die zweite war überdies weniger angenehm. Mein alter Freund Schultz-Lupitz glaubt zwar fortwährend am Sterben zu sein, ist aber dabei voll der kühnsten Pläne und hält jeden für seinen Todfeind, der versucht, ihn an der Grenze des Möglichen aufzuhalten. So hat er sich's jetzt in den Kopf gesetzt, die Hochwassergefahr »an der Wurzel zu packen«, das ganze Land mit horizontalen Parallelgräbchen zu bedecken und auf diese Weise das rasche Abfließen der Regenwasser zu verhindern. Denn, sagte er in einem begeisterten Vortrag, es ist leicht, den Tropfen zu fassen und zu beherrschen, es ist unmöglich, den reißenden Strom zu bändigen. Das klingt vortrefflich. Aber er vergißt, daß die leichte Mühe, den Tropfen zu fassen, mit vielen Millionen zu multiplizieren ist, und daß die Summe der Mühe und der Schwierigkeiten größer werden kann und vermutlich größer wird, als wenn man den Strom zu beherrschen versucht. Es wäre zwischen uns zu einem Zusammenstoß gekommen, wenn ich ihn nicht ruhig hätte reden lassen. Dann aber geschah, was ich wollte, so daß wenigstens nicht 50 000 Mark für nutzlose Versuche zum Fenster hinausgeworfen wurden. Aber es wird ein Jahr kosten, ehe er mir dies wieder verzeiht.

Den Mittwoch füllten fünf Sitzungen und ein Festessen, bei dem das Hochleben und Hochlebenlassen kein Ende nehmen wollte, so daß ich es füglich übergehen kann.

Mit dem Donnerstag kam mein Abschiedsvortrag über die »Vergangenheit und Zukunft unsrer Ausstellungen«, der einzige, den ich in unsern Hauptversammlungen gehalten habe. Landwirtschaftsminister von Hammerstein kam mir zu Ehren, wie er sagte, und der große Saal im Architektenhaus war hübsch voll. Ich brauchte anderthalb Stunden, hatte aber trotzdem eine sehr aufmerksame Zuhörerschaft. Nur einmal schlug ich mit einer politischen Andeutung über die Stränge. Sie wäre zu jeder andern Zeit unbemerkt geblieben; gegenwärtig, in der Gewitterschwüle dieser Tage, läuft man Gefahr, daß das kleinste Fünkchen zündet. Einige sagten mir nachträglich, ich habe ein geflügeltes Wort geschaffen, andre baten mich, ich möchte es wenigstens nicht drucken lassen, denn erstens sei es nicht wahr und zweitens sei es schädlich, und alles, was ich gesagt hatte, war: »Große Mittel zerstören, kleine bauen.« Über mich selbst sagte ich am Schluß nur ein paar etwas verfrühte, aber doch zeitgemäße Abschiedsworte, wurde aber benachrichtigt, daß Tränen geflossen seien. Ich würde dies nicht glauben, wenn ich mich nicht im Laufe von zwölf Jahren überzeugt hätte, daß die Norddeutschen in der Tat im buchstäblichsten Sinn nicht so trocken sind, als wir scheinbar gemütvolleren Süddeutschen. Selbst der Minister drückte mir heftig die Hand und war sichtlich bewegt. Doch hatte er hierzu andre Gründe als mich.

Genug von der letzten »großen Woche«. Es ist noch zu früh, sich Abschiedsstimmungen hinzugeben.


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