Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Fünfter Abschnitt. 1891 – 1892

Königsberg

91.

Berlin, den 3. Januar 1892.

Der Tod unsers guten Kiepert, dessen offenes Grab ich bei meiner Rückkehr nach Berlin gerade noch erreichte, schloß eine qualvolle Leidensgeschichte. Er war einer jener Männer, die keine Feinde haben; stets willig, zu vereinen, zu versöhnen; eine gesellige Natur, die sich wohl fühlte als repräsentative Spitze von allem, was irgendwie aus dem Herdengefühl der Menschen erwachsen wollte. So ungeeignet solche Naturen für die einförmige Alltagsarbeit sowohl als für eine bahnbrechende Initiative sein mögen, sind sie in unsern Zeitverhältnissen so notwendig als jene anders geartete Gattung, und in diesem Sinn hat Kiepert auch der D. L. G. Dienste geleistet, für die nicht bloß ich ihm von Herzen dankbar bleiben werde.

Auch sonst war das letzte Vierteljahr eine kleine Leidensgeschichte. Die Nachwehen der heimtückischen Influenza, die ich noch von Strasburg her mit mir herumschleppe, ließen es doppelt erfreulich empfinden, daß die kommenden Ausstellungen zu Königsberg, München und Berlin – es sind jetzt immer drei in verschiedenen Stadien des Werdens begriffen – in den letzten sechs Monaten nicht allzu große Sorgen machten.

Mit dem neuen Jahr glaube ich jedoch einen etwas frischeren Wind in unsern Segeln zu spüren. Namentlich muß in der kommenden »großen Woche« einiges geschehen, das für die Zukunft der Gesellschaft von einschneidender Bedeutung werden kann.

Wir brauchen frisches Blut. Eine der Hauptaufgaben eines tätigen Vereins ist, jung zu bleiben. Nun muß ein neuer Vorsitzender des Direktoriums sowie ein neues Mitglied desselben gewählt werden. An Stelle von Nathusius ist ein Vorsitzender der Tierzuchtabteilung zum Glück schon gefunden. Der liebenswürdige Prinz Schönaich-Carolath, zugleich ein großer schlesischer Rittergutsbesitzer, hat dieses etwas dornige Amt übernommen und wird vermutlich ein milderer Regent sein als sein Vorgänger, deshalb aber schwerlich Anstürmen entgehen, die jener mit energischer Hand niederzuhalten wußte.

Der Vorsitz im Direktorium, der nachgerade vielen als eine wirkliche Ehre erscheint, wird mir heimlich und öffentlich von sämtlichen stimmberechtigten Mitgliedern dringend angeboten. Ich bin nicht so töricht, aus Eitelkeit eine Stellung aufzugeben, die sich für die friedliche Weiterentwicklung der Gesellschaft als nützlich und wesentlich erwiesen hat. Dagegen scheint das älteste Mitglied des Direktoriums, Rittergutsbesitzer Neuhauß, darauf zu rechnen, Kieperts Nachfolger zu werden, und ist entsetzt, daß wir alle, laut oder leise, vielmehr an das jüngste denken, den Rittergutsbesitzer von Arnim-Criewen. Er spricht vom »blauen Brief«, mit dem wir ihn bedrohen, als ob wir eine Militärbehörde wären und nach den Regeln der Anciennität, dem törichtsten aller konventionellen Gesetze, handeln müßten. Gerade dies bestimmte mich, Neuhauß entgegenzutreten und ihn mit den liebevollsten Trostworten auf das vermutlich Unvermeidliche vorzubereiten. Man braucht junges Blut, wo es sich um wirkliche Arbeit handelt. Daß das die Alten nicht einsehen wollen!

Als neues Mitglied des Direktoriums ist unser alter Freund und Gönner, der Geheime Oberregierungsrat Thiel, in Aussicht genommen. Seine amtliche Stellung und sein Verhältnis zu den von der Regierung beeinflußten landwirtschaftlichen Kreisen macht seine Wahl nicht ganz unbedenklich, und von beachtenswerter Seite gehen mir Warnungen zu. Ich selbst kann, bei aller Anerkennung der vortrefflichen Eigenschaften Thiels und trotz meiner warmen Dankbarkeit für das, was er für die D. L. G. getan hat, meine Höllenangst vor dem Staatsbeamtentum nicht loswerden. Aber tüchtige Leute sind ohne derartige Gefahren nicht zu gewinnen, und es ist nachgerade Zeit, daran zu denken, daß andre, in etwas anderm Geist, mein übergroß gewordenes Steckenpferd reiten müssen.

Zum Schluß etwas aus dem alten Ägypten, das ich gar zu gern in das neue Berlin verpflanzen möchte, um damit die kommende und alle nach ihr kommenden großen Wochen einzuleiten: – Useteres I., der zweite Pharao der zwölften Dynastie, gründete um 2300 v. Chr. den berühmten Sonnentempel zu Heliopolis und hielt bei dieser Gelegenheit die Festrede selbst. Der weise Ägypter begann: »Bei jeglichem Werk strecket sich die Zunge hervor. Wer aber Hand anlegt, der bringt es zustande!«


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